Schwierige Geschlossenheit - Europabüro Brüssel
Länderberichte
Über Sinn und Zweck des Gipfels vom 1.
März waren die Meinungen geteilt. Er wurde
als gemeinsame Initiative von Rats- und
Kommissionspräsident vorgestellt. Bei der
Vorstellung legte der tschechische Ministerpräsident
den Akzent auf die Gefahren des
Protektionismus innerhalb der EU und die
Sorge einer Aushöhlung des Binnenmarktes.
Kommissionspräsident Barroso stellte die
finanziellen Aspekte in den Vordergrund,
den Umgang mit so genannten toxischen
Papieren und die Notwendigkeit für ein gemeinsames
Vorgehen auf der Londoner
Konferenz. Für die deutsche Kanzlerin sollte
er die Möglichkeit bieten, die Ergebnisse des
von anderen EU-Mitgliedsstaaten beargwöhnten
Berliner Gipfels vorzustellen.
Mit dem Herannahen des Gipfels wurden die
Vorschläge für die Tagesordnung immer
länger. Am Ende konzentrierten sich die
Staats- und Regierungschefs auf drei Themenbereiche:
Koordination des Europäischen
Konjunkturprogramms; Stabilisierung
des Finanzsektors und Zusammenarbeit
auf globaler Ebene. Alle Themen überwölbend
musste es aber auch darum gehen,
die vielfältigen politischen Risse, die sich
neben Sachthemen auch über die Vorgehensweise
einzelner Staaten bzw. Staatengruppen
ergaben, nicht zu schwer reparablen
Trennlinien werden zu lassen. Der Gipfel
hat dazu beigetragen, dass man bei der
weiteren Diskussion der Sachthemen die
gemeinsamen Grundprinzipien - funktionierender
Binnenmarkt, kein Protektionismus,
verantwortungsvolle nachhaltige Finanzpolitik,
bessere Überwachung der Finanzmärkte
und Anwendung dieser Prinzipien auf globaler
Ebene - nicht über Bord wirft. Die auf
die Trennlinien wirkenden Kräfte dürften mit
diesem Rahmen aber nur stabilisiert nicht
reduziert worden sein.
1. Mit Blick auf die Wirtschaftskrise geht es
einmal um die Koordination der nationalen
Rettungspläne und die Sorge, dass die nationalen
Hilfsmaßnahmen die Integrität des
Binnenmarkts und die Beihilferegelungen
verletzen. Ausgelöst hatte die Debatte der
französische Staatspräsident mit seinem
Stützungsprogramm für die französischen
Automobilhersteller in Höhe von insgesamt
€7.8 Mrd. verbunden mit der wenig kaschierten
Forderung, dass französische Autos
auch in Frankreich gebaut werden sollten.
Aber die Diskussion um die Automobilindustrie,
bei der zwölf Millionen Arbeitplätze
auf dem Spiel stehen, spielte auf dem Gipfel
selbst kaum noch eine Rolle. Er kenne keinen
Fall von Protektionismus meinte dann
auch der Ratsvorsitzende. Ihre Mitteilung
zum Automobilsektor vom 25.2. wurde begrüßt.
Bereits im Vorfeld hatte die französische
Regierung in einem Schreiben an die
Kommission mitgeteilt, dass mit den geplanten
Maßnahmen kein Verstoß gegen
den Binnenmarkt beabsichtigt sei und die
zuständige Kommissarin hatte sich damit zufrieden gezeigt. Auch die kurz zuvor bekannt
gewordenen Pläne um die Zukunft
von Opel dürften dazu beigetragen haben,
sich nicht weiter zu verhaken, sondern diese
Entwicklung erstmal genauer zu prüfen.
Stattdessen bekräftigten die Staats- und
Regierungschefs, dass Protektionismus keine
Antwort auf die Krise sei und bekundeten
ihr Vertrauen auf die Rolle der Kommission
als Wächter der Verträge.
Im Streit um den von der Kommission zu
verantwortenden Teil des Europäischen
Konjunktur Programms (EERP) gab es dagegen
keine sichtbaren Fortschritte. Die
Kommission hatte auf der Grundlage des
Gipfels vom Dezember 2008 vorgeschlagen,
mit Investitionen im IT-Bereich (v.a. Ausbau
von Hochgeschwindigkeitsbreitbandnetzen),
dem Energiesektor (v.a. Ausbau von
Stromnetzen in Mittel- und Osteuropa) sowie
in der Landwirtschaft in Höhe von insgesamt
€ 5 Mrd. eine zusätzliche Konjunkturspritze
zu geben. Der Vorschlag stieß auf
ordnungspolitischen wie auch haushaltspolitischen
Widerstand der Nettozahler. Weder
die Finanzminister noch die Außenminister
hatten auf ihren bisherigen Ratstagungen
eine Lösung herbeiführen können. Der vom
Ratspräsidenten verteilte „Gemeinsame
Pressetext“ sagt dazu nichts.
Die beschäftigungspolitischen und sozialen
Folgen der Krise sollen auf dem genannten
Sondergipfel im Mai behandelt werden. Mittlerweile
soll auf EU-Ebene der Sozialfonds
und Globalisierungsanpassungsfonds besser
genutzt werden.
2. Voraussetzung für den Wiederaufschwung
ist die Herstellung von Vertrauen
im Finanzsektor. Das war das zweite große
Thema dieses informellen Gipfels. Durch die
Zuspitzung der Finanzkrise in einigen osteuropäischen
Ländern, insbesondere Ungarn
und Lettland, hatte diese Frage eine dramatische
Wendung bekommen. Der ungarische
Ministerpräsident forderte ein zusätzliches
Rettungsprogramm. Obwohl neben österreichischen
Banken nicht zuletzt auch deutsche
den damit verbundenen Risiken besonders
ausgesetzt sind, ließ sich die Bundesregierung
im Verbund mit anderen nicht
auf diese Forderungen ein. Stattdessen
wurde auf die klaren Unterschiede bei den
makroökonomischen Daten zwischen Mittelund
Osteuropa und die bereits geleistete
Hilfe verwiesen. Kurz vor dem Gipfel hatten
die Europäische Investitionsbank, die Europäische
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung
sowie die Weltbank ein Hilfspaket
über € 25 Mrd. für die osteuropäischen
Banken geschnürt. ECOFIN und Kommission
sollen gleichwohl die Situation sorgfältig beobachten
und wenn nötig mit den verfügbaren
Mitteln aktiv werden.
Was die Gesamtlage betrifft, so hatte der
tschechische Ratspräsident bereits im Vorfeld
vor einer exzessiven Refinanzierung der
Europäischen Banken gewarnt, weil dies zu
einer Renationalisierung führe. Entscheidend,
so bekräftigten nun die Staats- und
Regierungschefs, sei, dass der Kreditmarkt
wieder funktioniere. Auch der Umgang mit
toxischen Papieren war im Vorfeld umstritten.
Die Kommission hatte hierzu einen Vorschlag
auf den Tisch gelegt, den die Staatsund
Regierungschefs nun als Leitlinie anerkennen.
Die ebenfalls wenige Tage vorher
von einer Expertengruppe vorgelegten Empfehlungen
zur Verbesserung der Überwachung
der Finanzinstitution und –märkte
(Larosiere Bericht) wurde als „Beitrag“ und
Orientierungshilfe begrüßt. Entscheidungen
sollen aber erst auf dem regulären Juni-
Gipfel getroffen werden.
Vor dem Hintergrund der Finanzierung nationaler
Konjunkturprogramme droht der
Wachstums- und Stabilitätspakt Makulatur
zu werden. Die Kommission rechnet mit einem
durchschnittlichen Haushaltsdefizit in
2010 von 4.8 Prozent, das höchste seit 15
Jahren. Gleichzeitig macht die aktuelle Lage
die weiter notwendigen strukturellen Reformen
(Renten, Gesundheit) in allen Ländern
noch schwieriger. Der Gipfel hat sich deshalb
für ein Festhalten an den Prinzipien
und Kriterien des reformierten Paktes ausgesprochen.
3. Mit Blick auf den Londoner Gipfel bekräftigten
die Staats- und Regierungschefs den Führungsanspruch der Europäischen Union.
Die genaue Marschroute soll erst auf dem
kommenden Frühjahrsgipfel im März festgelegt
werden, „unter Berücksichtigung“ der
Ergebnisse des Berliner Treffens vom 22.
Februar.
4. Die Differenzen in Sachfragen wie auch in
der Vorgehensweise haben zu unübersehbaren
Rissen an den befürchteten „Sollbruchstellen“
in der EU geführt. Für Mitglieder der
Eurozone stellt sich die Lage in manchen
Bereichen besser dar als für Nichtmitglieder.
Dass die Vorgaben zur Bewältigung der
Wirtschafts- und Finanzkrise dennoch keine
Aufgabe der Euro-Gruppe allein, sondern
der gesamten EU ist, mag sicherlich auch
ein Motiv für diesen Gipfel gewesen sein.
Gleichwohl fühlten sich die Osteuropäer
ausgeschlossen. Der tschechische Ratspräsident
Topolanek hatte sie deshalb zu einem
Arbeitsfrühstück unmittelbar vor dem Gipfeltreffen
eingeladen, an dem auch der
Kommissionspräsident teilnahm. Das Treffen
machte aber auch deutlich, dass die Interessenlagen
nicht immer deckungsgleich
sind. Die Zurückhaltung gegenüber neuen
zusätzlichen Finanzhilfen muss also nicht als
mangelnde Solidarität der alten Mitgliedsstaaten
gesehen werden. Innerhalb der Eurozone
macht das Auseinanderklaffen der
Bonität einzelner Mitgliedsstaaten, namentlich
Griechenland, Italien und Irland Sorge.
Der Gipfel hat hier nur „schwache“ Signale
gesendet. Auch das Berliner Treffen hatte
Befürchtungen der „kleinen“ Mitgliedsstaaten
geweckt, sie könnten übergangen werden.
Offensichtlich machten sie ihre Vorbehalte
zu den Berliner Überlegungen geltend.
Letztlich hatte sich in der Frage der Finanzierung
des Recovery Plans die Gruppe der
Netto-Zahler (Deutschland, Niederlande,
Österreich, Schweden und Großbritannien)
zusammengefunden. Auch hier scheint der
Gipfel nicht viel weitergeführt zu haben.
Gleichwohl, der Rahmen für die gemeinsame
Politik wurde noch einmal fester gesteckt,
die Bandbreite für Divergenzen etwas
schmäler gemacht. Insofern war es
zwar nicht zwingend aber doch nicht falsch
den Sondergipfel durchzuführen.