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Schwierige Geschlossenheit

von Dr. Peter R. Weilemann †

Der EU-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs vom 1. März 2009

In einer Serie von Gipfeltreffen sucht die Europäische Union Mittel und Wege, die kurzfristig aus der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise herausführen und mittel- bis langfristig in eine neue internationale Ordnung des Finanzsektors münden sollen. Neben den regulären Gipfeltreffen fand am Sonntag der zweite Sondergipfel im Format des Europäischen Rates statt. Ein dritter, der sich mit den sozialen Folgen der Krise befassen soll, ist für den Mai geplant.

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Über Sinn und Zweck des Gipfels vom 1.

März waren die Meinungen geteilt. Er wurde

als gemeinsame Initiative von Rats- und

Kommissionspräsident vorgestellt. Bei der

Vorstellung legte der tschechische Ministerpräsident

den Akzent auf die Gefahren des

Protektionismus innerhalb der EU und die

Sorge einer Aushöhlung des Binnenmarktes.

Kommissionspräsident Barroso stellte die

finanziellen Aspekte in den Vordergrund,

den Umgang mit so genannten toxischen

Papieren und die Notwendigkeit für ein gemeinsames

Vorgehen auf der Londoner

Konferenz. Für die deutsche Kanzlerin sollte

er die Möglichkeit bieten, die Ergebnisse des

von anderen EU-Mitgliedsstaaten beargwöhnten

Berliner Gipfels vorzustellen.

Mit dem Herannahen des Gipfels wurden die

Vorschläge für die Tagesordnung immer

länger. Am Ende konzentrierten sich die

Staats- und Regierungschefs auf drei Themenbereiche:

Koordination des Europäischen

Konjunkturprogramms; Stabilisierung

des Finanzsektors und Zusammenarbeit

auf globaler Ebene. Alle Themen überwölbend

musste es aber auch darum gehen,

die vielfältigen politischen Risse, die sich

neben Sachthemen auch über die Vorgehensweise

einzelner Staaten bzw. Staatengruppen

ergaben, nicht zu schwer reparablen

Trennlinien werden zu lassen. Der Gipfel

hat dazu beigetragen, dass man bei der

weiteren Diskussion der Sachthemen die

gemeinsamen Grundprinzipien - funktionierender

Binnenmarkt, kein Protektionismus,

verantwortungsvolle nachhaltige Finanzpolitik,

bessere Überwachung der Finanzmärkte

und Anwendung dieser Prinzipien auf globaler

Ebene - nicht über Bord wirft. Die auf

die Trennlinien wirkenden Kräfte dürften mit

diesem Rahmen aber nur stabilisiert nicht

reduziert worden sein.

1. Mit Blick auf die Wirtschaftskrise geht es

einmal um die Koordination der nationalen

Rettungspläne und die Sorge, dass die nationalen

Hilfsmaßnahmen die Integrität des

Binnenmarkts und die Beihilferegelungen

verletzen. Ausgelöst hatte die Debatte der

französische Staatspräsident mit seinem

Stützungsprogramm für die französischen

Automobilhersteller in Höhe von insgesamt

€7.8 Mrd. verbunden mit der wenig kaschierten

Forderung, dass französische Autos

auch in Frankreich gebaut werden sollten.

Aber die Diskussion um die Automobilindustrie,

bei der zwölf Millionen Arbeitplätze

auf dem Spiel stehen, spielte auf dem Gipfel

selbst kaum noch eine Rolle. Er kenne keinen

Fall von Protektionismus meinte dann

auch der Ratsvorsitzende. Ihre Mitteilung

zum Automobilsektor vom 25.2. wurde begrüßt.

Bereits im Vorfeld hatte die französische

Regierung in einem Schreiben an die

Kommission mitgeteilt, dass mit den geplanten

Maßnahmen kein Verstoß gegen

den Binnenmarkt beabsichtigt sei und die

zuständige Kommissarin hatte sich damit zufrieden gezeigt. Auch die kurz zuvor bekannt

gewordenen Pläne um die Zukunft

von Opel dürften dazu beigetragen haben,

sich nicht weiter zu verhaken, sondern diese

Entwicklung erstmal genauer zu prüfen.

Stattdessen bekräftigten die Staats- und

Regierungschefs, dass Protektionismus keine

Antwort auf die Krise sei und bekundeten

ihr Vertrauen auf die Rolle der Kommission

als Wächter der Verträge.

Im Streit um den von der Kommission zu

verantwortenden Teil des Europäischen

Konjunktur Programms (EERP) gab es dagegen

keine sichtbaren Fortschritte. Die

Kommission hatte auf der Grundlage des

Gipfels vom Dezember 2008 vorgeschlagen,

mit Investitionen im IT-Bereich (v.a. Ausbau

von Hochgeschwindigkeitsbreitbandnetzen),

dem Energiesektor (v.a. Ausbau von

Stromnetzen in Mittel- und Osteuropa) sowie

in der Landwirtschaft in Höhe von insgesamt

€ 5 Mrd. eine zusätzliche Konjunkturspritze

zu geben. Der Vorschlag stieß auf

ordnungspolitischen wie auch haushaltspolitischen

Widerstand der Nettozahler. Weder

die Finanzminister noch die Außenminister

hatten auf ihren bisherigen Ratstagungen

eine Lösung herbeiführen können. Der vom

Ratspräsidenten verteilte „Gemeinsame

Pressetext“ sagt dazu nichts.

Die beschäftigungspolitischen und sozialen

Folgen der Krise sollen auf dem genannten

Sondergipfel im Mai behandelt werden. Mittlerweile

soll auf EU-Ebene der Sozialfonds

und Globalisierungsanpassungsfonds besser

genutzt werden.

2. Voraussetzung für den Wiederaufschwung

ist die Herstellung von Vertrauen

im Finanzsektor. Das war das zweite große

Thema dieses informellen Gipfels. Durch die

Zuspitzung der Finanzkrise in einigen osteuropäischen

Ländern, insbesondere Ungarn

und Lettland, hatte diese Frage eine dramatische

Wendung bekommen. Der ungarische

Ministerpräsident forderte ein zusätzliches

Rettungsprogramm. Obwohl neben österreichischen

Banken nicht zuletzt auch deutsche

den damit verbundenen Risiken besonders

ausgesetzt sind, ließ sich die Bundesregierung

im Verbund mit anderen nicht

auf diese Forderungen ein. Stattdessen

wurde auf die klaren Unterschiede bei den

makroökonomischen Daten zwischen Mittelund

Osteuropa und die bereits geleistete

Hilfe verwiesen. Kurz vor dem Gipfel hatten

die Europäische Investitionsbank, die Europäische

Bank für Wiederaufbau und Entwicklung

sowie die Weltbank ein Hilfspaket

über € 25 Mrd. für die osteuropäischen

Banken geschnürt. ECOFIN und Kommission

sollen gleichwohl die Situation sorgfältig beobachten

und wenn nötig mit den verfügbaren

Mitteln aktiv werden.

Was die Gesamtlage betrifft, so hatte der

tschechische Ratspräsident bereits im Vorfeld

vor einer exzessiven Refinanzierung der

Europäischen Banken gewarnt, weil dies zu

einer Renationalisierung führe. Entscheidend,

so bekräftigten nun die Staats- und

Regierungschefs, sei, dass der Kreditmarkt

wieder funktioniere. Auch der Umgang mit

toxischen Papieren war im Vorfeld umstritten.

Die Kommission hatte hierzu einen Vorschlag

auf den Tisch gelegt, den die Staatsund

Regierungschefs nun als Leitlinie anerkennen.

Die ebenfalls wenige Tage vorher

von einer Expertengruppe vorgelegten Empfehlungen

zur Verbesserung der Überwachung

der Finanzinstitution und –märkte

(Larosiere Bericht) wurde als „Beitrag“ und

Orientierungshilfe begrüßt. Entscheidungen

sollen aber erst auf dem regulären Juni-

Gipfel getroffen werden.

Vor dem Hintergrund der Finanzierung nationaler

Konjunkturprogramme droht der

Wachstums- und Stabilitätspakt Makulatur

zu werden. Die Kommission rechnet mit einem

durchschnittlichen Haushaltsdefizit in

2010 von 4.8 Prozent, das höchste seit 15

Jahren. Gleichzeitig macht die aktuelle Lage

die weiter notwendigen strukturellen Reformen

(Renten, Gesundheit) in allen Ländern

noch schwieriger. Der Gipfel hat sich deshalb

für ein Festhalten an den Prinzipien

und Kriterien des reformierten Paktes ausgesprochen.

3. Mit Blick auf den Londoner Gipfel bekräftigten

die Staats- und Regierungschefs den Führungsanspruch der Europäischen Union.

Die genaue Marschroute soll erst auf dem

kommenden Frühjahrsgipfel im März festgelegt

werden, „unter Berücksichtigung“ der

Ergebnisse des Berliner Treffens vom 22.

Februar.

4. Die Differenzen in Sachfragen wie auch in

der Vorgehensweise haben zu unübersehbaren

Rissen an den befürchteten „Sollbruchstellen“

in der EU geführt. Für Mitglieder der

Eurozone stellt sich die Lage in manchen

Bereichen besser dar als für Nichtmitglieder.

Dass die Vorgaben zur Bewältigung der

Wirtschafts- und Finanzkrise dennoch keine

Aufgabe der Euro-Gruppe allein, sondern

der gesamten EU ist, mag sicherlich auch

ein Motiv für diesen Gipfel gewesen sein.

Gleichwohl fühlten sich die Osteuropäer

ausgeschlossen. Der tschechische Ratspräsident

Topolanek hatte sie deshalb zu einem

Arbeitsfrühstück unmittelbar vor dem Gipfeltreffen

eingeladen, an dem auch der

Kommissionspräsident teilnahm. Das Treffen

machte aber auch deutlich, dass die Interessenlagen

nicht immer deckungsgleich

sind. Die Zurückhaltung gegenüber neuen

zusätzlichen Finanzhilfen muss also nicht als

mangelnde Solidarität der alten Mitgliedsstaaten

gesehen werden. Innerhalb der Eurozone

macht das Auseinanderklaffen der

Bonität einzelner Mitgliedsstaaten, namentlich

Griechenland, Italien und Irland Sorge.

Der Gipfel hat hier nur „schwache“ Signale

gesendet. Auch das Berliner Treffen hatte

Befürchtungen der „kleinen“ Mitgliedsstaaten

geweckt, sie könnten übergangen werden.

Offensichtlich machten sie ihre Vorbehalte

zu den Berliner Überlegungen geltend.

Letztlich hatte sich in der Frage der Finanzierung

des Recovery Plans die Gruppe der

Netto-Zahler (Deutschland, Niederlande,

Österreich, Schweden und Großbritannien)

zusammengefunden. Auch hier scheint der

Gipfel nicht viel weitergeführt zu haben.

Gleichwohl, der Rahmen für die gemeinsame

Politik wurde noch einmal fester gesteckt,

die Bandbreite für Divergenzen etwas

schmäler gemacht. Insofern war es

zwar nicht zwingend aber doch nicht falsch

den Sondergipfel durchzuführen.

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15. Dezember 2008
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