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"Die EU zeigt Handlungsfähigkeit - Der Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates"

von Dr. Peter R. Weilemann †, Helen Förster

Brüssel, 25. und 26. März 2004

Der Frühjahrsgipfel 2004 der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union könnte seinem Namen alle Ehre machen. Es kommt neues Leben in die EU. Das bedrohte Verfassungsprojekt scheint gerettet. Die Staats- und Regierungschefs besinnen sich auf einige ökonomische Grundwahrheiten, um Europa aus seiner wirtschaftlichen Stagnation herauszuführen. Und unter dem Druck der schrecklichen Ereignisse in Madrid unternehmen sie einen weiteren Schritt der engeren Zusammenarbeit zum Schutz und zur Sicherheit der Bürger der Europäischen Union.

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Der Frühjahrsgipfel 2004 der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union könnte seinem Namen alle Ehre machen. Es kommt neues Leben in die EU. Das bedrohte Verfassungsprojekt scheint gerettet. Die Staats- und Regierungschefs besinnen sich auf einige ökonomische Grundwahrheiten, um Europa aus seiner wirtschaftlichen Stagnation herauszuführen. Und unter dem Druck der schrecklichen Ereignisse in Madrid unternehmen sie einen weiteren Schritt der engeren Zusammenarbeit zum Schutz und zur Sicherheit der Bürger der Europäischen Union.

I.Durchbruch in der Verfassungsdebatte

Die umsichtige Politik der irischen Präsidentschaft hatte schon seit einiger Zeit die Hoffnung genährt, dass nach dem Scheitern des Brüsseler Dezember-Gipfels positive Bewegung in die Verfassungsdiskussion gekommen sei. Mit dem Wahlausgang in Spanien war klar, dass sich nun tatsächlich neue Spielräume eröffneten.

Der Ratsvorsitzende Ahern hatte sich bescheidene Ziele gesetzt. Er wollte auf dem Gipfel keine inhaltliche Diskussion führen lassen, auch keinen Zeitplan aufstellen aber eine politische Willensbekundung erreichen „frühzeitig zu einer allgemeinen Einigung zu gelangen“. Der Gipfel ging nun sogar einen Schritt weiter, in dem er als spätestes Datum für den Abschluss den Europäischen Gipfel im Juni 2004 festlegte. Dieser wird nach der Europawahl stattfinden, aber das positive Signal wird im Wahlkampf sicherlich unüberhörbar sein.

In seinem Bericht an die Staats- und Regierungschefs hatte Ahern festgestellt, dass der größte Teil der bislang getroffenen Vereinbarungen nicht in Zweifel gezogen werde und breiter positiver Konsens über viele unter italienischem Vorsitz erarbeiteten Kompromissvorschläge bestünde. Auch von den politisch sensiblen Fragen ließen sich die meisten rasch lösen. Es blieben die drei bekannten harten Nüsse zu knacken: Größe und Zusammensetzung der Kommission, Mindestzahl der Sitze für die Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament (leichte Anhebung der Schwelle von vier) und Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit („eine große Mehrheit befürwortet weitgehend oder akzeptiert nach wie vor die Definition .... in der Fassung des Konventstextes“).Wie die Lösungen konkret aussehen werden ist nicht eindeutig vorauszusagen.

II.Kampf gegen den Internationalen Terrorismus

Wie so oft wurde auch diesmal das ursprüngliche Hauptthema des Gipfels durch die aktuellen Ereignisse überschattet. Die Anschläge, die am 11. März in Madrid verübt wurden, haben den Europäern auf brutale Art und Weise verdeutlicht, was sie bis dahin nicht hatten wahr haben wollen: Europa wird vom internationalen Terrorismus nicht verschont bleiben. Vor diesem Hintergrund haben die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Frühjahrsgipfel in Brüssel eine Erklärung angenommen, in der sie ihrer Entschlossenheit Ausdruck verleihen, gemeinsam und bestimmt gegen die Bedrohung vorzugehen. Darüber hinaus bekräftigten sie die sieben Ziele des europäischen Aktionsplans zur Bekämpfung des Terrorismus, den der Europäische Rat nach dem 11. September 2001 angenommen hatte : Internationale Zusammenarbeit, Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, Verstärkung des Vorgehens der Europäischen Institutionen gegen den Terrorismus, Erhöhung der Sicherheit des internationalen Verkehrs, Verstärkung der Kapazitäten zur Reaktion auf Anschläge, Bekämpfung der Wurzeln des Terrorismus sowie Intensivierung der Zusammenarbeit mit einigen vorrangigen Ländern.

Die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus soll intensiviert werden, zum einen, indem bestehende Instrumente, beispielsweise der Europäische Haftbefehl oder die Möglichkeit zum Einfrieren von Guthaben von Terroristen, effizienter genutzt, und zum anderen, indem zwei neue Koordinierungsstrukturen geschaffen werden: Der Posten eines EU-Beauftragten für Terrorismusbekämpfung und eine Nachrichtenstruktur.

Der sogenannte Sicherheitskoordinator soll die terrorismusbezogenen Maßnahmen der verschiedenen Ratsformationen betreuen und ihre Umsetzung überwachen. Er hat keine operativen Befugnisse. Zum ersten Sicherheitskoordinator wurde der Niederländer Gijs de Vries ernannt, ehemaliger Vorsitzender der liberalen Fraktion des Europäischen Parlamentes. Ein derartiger Posten ist sicherlich hilfreich. Welche besonderen Fortschritte er in der Terrorismusbekämpfung bringt, muss sich erst erweisen. Die Nachrichtenstruktur dient dem Zusammenführen aller Nachrichten über sämtliche Aspekte des Terrorismus und soll der EU die Entscheidungsfindung erleichtern. Es handelt sich um eine Kompromisslösung zwischen dem informellen Informationsnetz, das unter anderem von Deutschland und Frankreich gewünscht worden war, und der von Österreich und den Benelux-Staaten vorgeschlagenen europäischen Nachrichtenagentur nach dem Vorbild der CIA. Der Generalsekretär des Rates, Javier Solana, wurde beauftragt bis zum nächsten Gipfel zu prüfen, wie die Zusammenarbeit in die Ratsstruktur integriert werden kann.

Die Staats- und Regierungschefs bekräftigten die präzisen Ziele und Termine für die Annahme und die Umsetzung der Instrumente zur gerichtlichen und polizeilichen Zusammenarbeit, auf die sich die Justiz- und Innenminister auf ihrem dem Gipfel vorausgehenden informellen Treffen verständigt hatten. Besondere Priorität räumte der Europäische Rat der Einrichtung einer Datenbank ein, die wegen Tod und anderer schwerer Verbrechen verurteilte Personen erfasst, sowie der Umsetzung des Vorschlags zur Datenspeicherung durch Telefon- und Internetgesellschaften. Diesen Beschlüssen ging die Feststellung der Justiz- und Innenminister voraus, dass neben der gravierenden Verspätung beim Einsatz der bestehenden Instrumente insbesondere der mangelnde Informationsaustausch zwischen Nachrichtendiensten, Polizei- und Justizbehörden Grund für die Schwäche der europäischen Zusammenarbeit im Kampf gegen der Terrorismus ist. Der Innenminister Spaniens, Angel Acebes, sagte dazu, es könne nicht sein, dass die Terroristen keine Grenzen haben, die Polizei-, Justiz- und Nachrichtendienste hingegen sogar innerhalb der EU.

Die Erklärung zum Terrorismus enthält weiterhin die Ankündigung, dass die Annahme der im Entwurf des Verfassungsvertrag vorgesehenen Solidaritätsklausel vorgezogen wird, wobei sie – anders als im Vertragsentwurf vorgesehen – vorerst nur im Fall von terroristischen Anschlägen und nicht im Fall von Naturkatastrophen greifen soll. Auch wird der vorzeitig angenommene Text keine Beschreibung bestimmter Modalitäten der Umsetzung enthalten. Vielmehr als um eine vorzeitige Umsetzung der Solidaritätsklausel handelt es sich also um die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten (nicht der EU!), entsprechend ihrem Geiste zu handeln. Dies beinhaltet, sollte ein entsprechender Fall eintreten, die Mobilisierung aller zur Verfügung stehenden Instrumente einschließlich militärischer, wobei die Wahl der angemessensten Mittel bei jedem einzelnen Mitgliedsstaat liegen wird.

Neben der verstärkten Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung auf europäischer Ebene, hebt die Erklärung die Bedeutung einer verstärkten internationalen Kooperation, insbesondere mit den Vereinigten Staaten und weist auf die zentrale Rolle der Vereinten Nationen hin.

Insbesondere die Außenminister, die die Terrorismuserklärung vorbereiteten, betonten, dass es sich nicht um eine punktuelle Reaktion auf die Attentate vom 11. März handelt, sondern um eine längerfristige Aktion gegen den Terrorismus. Aus diesem Grund betonten sowohl sie als auch die Staats- und Regierungschefs die Notwendigkeit, sich den Wurzeln des Terrorismus zuzuwenden und vor diesem Hintergrund die Kooperation mit bestimmten Drittländern zu intensivieren.

Es liegt auf der Hand, dass der gesamte Themenkomplex Bekämpfung des Terrorismus eng mit dem Thema Zuwanderung bzw. Asylpolitik verknüpft ist. Aus diesem Grund ist es wünschenswert, dass die Richtlinie zur Asylpolitik vom Rat so bald wie möglich angenommen wird. Dazu bedarf es allerdings der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes in Deutschland, das momentan im Vermittlungsausschuss verhandelt wird.

III.Die Zukunft der Lissabon Agenda

Auf dem Gipfel in Lissabon 2004 hatten die Staats- und Regierungschefs beschlossen, die Europäische Union bis zum Jahre 2010 zum dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Vier Jahre später bestehen massive Zweifel, ob die Ziele, die man sich damals setzte, noch erreicht werden. Die irische Präsidentschaft hatte es deswegen zu ihrer höchsten Priorität erklärt, dem sogenannten Lissabon-Prozess neuen Schwung zu verleihen. Im Einklang mit diesem Vorhaben bekundeten die Staats- und Regierungschefs in Brüssel ihren politischen Willen, an den Zielen des Prozesses festzuhalten. Sie versprechen sich von der Erweiterung neue Impulse. Gleichzeitig üben sie Selbstkritik. Der Prozess werde insbesondere dadurch behindert, dass die Mitgliedsstaaten ihre eingegangenen Verpflichtungen nur schleppend umsetzten. Defizite in diesem Bereich seien inakzeptabel. Eine zentrale Botschaft des Gipfels lautet demnach : Wenn die Lissaboner Ziele erreicht werden sollen, müssen die Mitgliedsstaaten ihr Reformtempo deutlich erhöhen.

In seinen Schlussfolgerungen konzentriert sich der Europäische Rat auf zwei Bereiche dringenden Handlungsbedarfes: „Nachhaltiges Wachstum“ und „mehr und bessere Beschäftigung“.

A.Die Stichworte zu nachhaltigem Wachstum lauten:

  • (1) Gesunde Ordnungspolitik,
  • (2) Wettbewerb und Innovation sowie
  • (3) soziale Kohäsion und
  • (4) umweltverträgliches nachhaltiges Wachstum.
1. Die makro-politischen Aussagen sind eindeutig : Unter der Überschrift „Gesunde makroökonomische Entwicklung“ legt der Rat ein klares Bekenntnis zum Stabilitäts- und Wachstumspakt ab und mahnt die anstehenden Reformen der sozialen Sicherungssysteme endlich in Angriff zu nehmen. Gleichzeitig ruft er noch einmal das auf dem Dezember-Gipfel verabschiedete Quick-Start-Programm (ein Investitionspaket in den Bereichen Infrastruktur und Forschung und Entwicklung mit finanziellem Beitrag der EU) in Erinnerung und kündigt seine Überprüfung im Frühjahr 2005 an.

2. Der Rat betont, dass Wettbewerb, Innovation und Unternehmertum die Grundbedingungen für Wachstum, insbesondere auch für kleinere und mittlere Unternehmen seien. Er warnt vor den Risiken einer weiteren Deindustriealisierung Europas. Vor diesem Hintergrund schlägt er zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Folgendes vor :

a.Vollendung des Binnenmarktes

Jegliche durch nationale Steuersysteme eventuelle geschaffene Hindernisse müssen beseitigt werden. Insbesondere im Dienstleistungssektor sei stärkerer Wettbewerb erforderlich. Aus diesem Grund sei es wichtig, dass die von der Kommission vorgeschlagene Dienstleistungsrichtlinie zum vorgesehenen Zeitpunkt verabschiedet werde. Um einen effektiven Markt für Finanzdienstleistungen Realität werden zu lassen, müsse die Wertpapierdienstleistungs- und Transparenzrichtlinie noch vor Ende der Legislaturperiode des Europäischen Parlamentes verabschiedet werden. Schließlich sollten die Arbeiten zum Vorschlag ein Gemeinschaftspatent einzurichten, zeitnah abgeschlossen werden.

b. Bessere Regulierung

Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene müsse die Regulierung verbessert werden, um Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität steigern zu können. Eine entsprechende Initiative der irischen Präsidentschaft in Zusammenarbeit mit den drei ihr folgenden Ratspräsidentschaften wurde vom Europäischen Rat begrüßt.

c. Forschung und Entwicklung

Um die Europäische Union bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, sei es notwendig, dass der private Sektor verstärkt in die Forschung und Entwicklung investiert. Öffentliche Investitionen sollten so getätigt werden, dass eine Hebelwirkung auf private Geldmittel ausgelöst wird. Die Mitgliedsstaaten werden aufgefordert, die Rahmenbedingungen für Investitionen in Forschung und Entwicklung zu verbessern. Öffentliche und private Forschung gehörten enger verzahnt. Verbesserte Ausbildung und Forschungswettbewerb seien weitere Schlüsselelemente. Schließlich müsse das europäische Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung vereinfacht werden, damit sie auch kleineren und mittleren Unternehmen und sogenannten Start-ups nutzten.

d. Institutionelle Voraussetzungen

Schließlich erinnerte der Rat an die Einrichtung eines Wettbewerbsrates, der nun eine klare und integrierte Strategie vorlegen sollte, wie den Herausforderungen begegnet werden könne. Bei der Zusammensetzung der künftigen Kommission solle der nächste Präsident darauf achten, dass die Wettbewerbsagenda auch entsprechend umgesetzt werde. (Ein Hinweis auf den Superkommissar?)

3. Im Vergleich zu den ausführlicheren Passagen zum verstärkten Wettbewerb fallen die Abschnitte zu sozialer Kohäsion und auch zur Umweltpolitik eher knapp aus. Sie sollten gleichwohl nicht als Fußnote abgetan werden. Gleichberechtigungspolitik von Mann und Frau sei ebenso ein Instrument zum sozialen Zusammenhalt wie zum Wachstum, heißt es da unter anderem. Vor dem Hintergrund des wachsenden Unbehagens über die Konsequenzen der Umsetzung des Kyoto-Protokolls ist die Position des Rates in diesen Fragen eindeutig. Er hält nicht nur an den Zielen des Kyoto-Protokolls fest. Er verpflichtet sich sogar darüber hinaus, mittel- und langfristige Strategien zur Emissionsreduzierung einschließlich Zielvorgaben auf die Tagesordnung des nächsten Frühjahrsgipfel zu setzen. Die Kommission und die EIB werden aufgefordert neue Finanzierungsmöglichkeiten zu prüfen, um den umweltpolitischen Aktionsplan (Environmental Technologies Action Plan) rascher umsetzen zu können.

B.Als zweite große Priorität nennt der Europäische Rat die Arbeitsmarktpolitik. Was hier vorgeschlagen wird ist nicht neu in der Sache, stellt aber ein bemerkenswertes Bekenntnis zu strukturellen Reformen dar. Grundlage der Empfehlung an die Mitgliedsstaaten bietet der „Kok-Bericht“ (Empfehlungen der Beschäftigungs-Task Force unter Wim Kok) sowie die sogenannten „Pro Economic Policy Guide Lines“ und die „Europäische Beschäftigungsstrategie“. Die drei Kernempfehlungen lauten : Erstens, Reduzierung der Lohnnebenkosten und sicherstellen, dass die Löhne in stärkerem Maße als bisher die Arbeitsproduktivität widerspiegeln. Zweitens soll das Steuer- und Lohnsystem so gestaltet sein, dass Arbeiten sich finanziell auszahlt. Der Schlüssel zur Zukunft liegt, drittens, in der Ausbildung. Der Europäische Rat fordert ein integriertes EU-Programm zu „Lebenslangem lernen“, das im Jahre 2005 verabschiedet und ab 2006 von den nationalen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden soll.

Zur Förderung größerer Mobilität der Arbeitnehmer soll die sogenannte europäische Gesundheitsversicherungskarte noch in diesem Juni anwendbar sein. Auch möchte der Europäische Rat noch vor den Europawahlen die Verabschiedung der Richtlinien zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen und den Europass.

Um den Reformprozess in der Gesellschaft besser durchsetzen zu können, schlägt der Europäische Rat sogenannte nationale Partnerschaften zwischen den Sozialpartnern, Zivilgesellschaft und öffentlichen Institutionen vor. Auf europäischer Ebene soll der sogenannte soziale Dreier-Gipfel (Tripartite Social Summit) weiterentwickelt werden.

Im Frühjahr 2005 will der Europäische Rat dann Zwischenbilanz zu diesem Mammutprogramm ziehen. Eine unabhängige hochrangige Expertengruppe unter Leitung einer namhaften Persönlichkeit, soll deshalb bis November diesen Jahres einen entsprechenden Bericht vorlegen.

IV.Bewertung

Mit dem Frühjahrsgipfel 2004 hat die Europäische Union Handlungsfähigkeit gezeigt.

Natürlich handelt es sich im Bereich der Terrorismusbekämpfung, sieht man ab vom Beauftragten, vor allem um Absichtserklärungen oder Bekräftigung von Maßnahmen, die früher schon einmal vereinbart waren, wie der Aktionsplan 2001. Ins positive gewendet heißt dies, dass die EU nicht unvorbereitet war. Insofern ist der Verweis auf die im Dezember verabschiedete Europäische Sicherheitsstrategie, mit ihrer Akzentsetzung auch auf Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus und auf die Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, berechtigt. Wie so oft hapert es jedoch bei der Umsetzung. Die Terroristen lassen keine Zeit zur gewohnten Abarbeitung der Aktionspläne durch die Institutionen der EU. Wenn es jetzt auf dem sensiblen Feld der untrennbar miteinander verknüpften inneren und äußeren Sicherheit gelingt die Zusammenarbeit zu verbessern und einen Teil der beschlossenen Maßnahmen bis Juni diesen Jahres auch umzusetzen bzw. rechtlich in Kraft zu setzen, dann ist dies sicherlich ein weiterer wichtiger Schritt nicht nur im Kampf gegen den Terrorismus sondern auch bei der Entwicklung einer europäischen Sicherheitsidentität.

Was den Lissabon-Prozess betrifft eröffnet der Gipfel die Chance den wirtschaftlichen Wiederaufschwung zu schaffen. Als ordnungspolitisches Konzept weisen die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates in die richtige Richtung: Klare Aussagen zum Stabilitäts- und Wachstumspakt. Bekenntnis zu mehr Wettbewerb als Grundvoraussetzung für die Lösung der wirtschaftlichen Probleme. Innovationskräfte freisetzen und mehr in Köpfe investieren. Lohn- und Steuersysteme so gestalten, dass Arbeit wieder lohnt. Mehr nationale und europäische Mobilität am Arbeitsmarkt. Ansätze für eine neue Sozialpartnerschaft. Das sind die Schlüsselbotschaften, verbunden mit einer unzweideutigen Kritik am Reformstau in den einzelnen Mitgliedsstaaten.

Aber hier liegt die Crux. Die Staats- und Regierungschefs kritisieren sich selbst, doch fühlen sie sich auch davon betroffen? Berlin und Paris haben kein gutes Beispiel beim Stabilitätspakt gegeben. Mit der Öffnung der Märkte und verbesserter Regulierung in den kritischen Bereichen moderner Kommunikationstechnologien oder im Energiesektor tun manche Länder sich noch schwer. Die Forderung nach mehr Wettbewerb gilt oft nur solange als eigene industriepolitische Interessen oder Rücksichten auf sogenannte national gewachsenen Gegebenheiten nicht berührt sind. Die Staats- und Regierungschefs werden sich in Zukunft aber daran messen lassen müssen wie ernst sie ihre Selbstverpflichtung nehmen.

Die Wirtschafts- und Sozialpolitik verbleibt zu Recht bei den Nationalstaaten. Aber Brüssel hat auch seinen Beitrag zum Gelingen dieses Prozesses zu leisten. Doch ist er anders gelagert. Es ist fraglich, ob die Kommission in ihrer Gesamtheit das jetzt vorgelegte wirtschaftspolitische Konzept verinnerlicht hat und mitträgt. Beispiele der jüngsten Vergangenheit in der Chemiepolitik, beim Verbraucherschutz z.B., vermitteln einen anderen Eindruck. Wie stellt sie sicher, dass die Erträge eines europäisch organisierten Forschungswettbewerbs auch wirklichen Mehrwert erbringen; z.Zt. ist das nicht immer unmittelbar erkennbar. Und zur geforderten Vollendung des Binnenmarktes gehört dringend auch eine Entschlackung des damit angewachsenen Regelwerkes. Die neue Kommission braucht nicht zwingend einen Wirtschaftssuperkommissar. Wichtiger ist ein Präsident mit klaren ordnungspolitischen Vorstellungen und Führungswillen gegenüber einem Kollegium, das sich von dem bevormundenden Menschenbild vieler derzeit noch amtierender Kommissare verabschiedet.

Auch hier kann die neue Verfassung helfen. Bei allen Verbesserungswünschen die man gegenüber dem Konventsentwurf vortragen kann, die Sachthemen des Gipfels haben deutlich gemacht, wie nötig eine rasche Verabschiedung des Verfassungsvertrages ist: Vorziehen der Solidaritätsklausel, bessere Handlungsfähigkeit durch institutionelle Reformen, klarere Aussagen zu Kompetenzen und Zuständigkeiten. Insofern ist die Bekundung des politischen Willens, noch im Juni das Projekt unter Dach und Fach zu bringen, sicherlich ein Erfolg der irischen Präsidentschaftsdiplomatie aber auch nicht mehr und nicht weniger als logisch zwingend.

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