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Ratsberichte

Weihnachtsgipfel des Europäischen Rates: Schicksalsmoment wird zur Kompromissformel

von Dr. Beatrice Gorawantschy, Meike Lenzner, Lavinia Klarhoefer, Jonas Althoff

Europäischer Ratsgipfel am 18.-19. Dezember 2025

Beim letzten Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs des Jahres stand für Europa viel auf dem Spiel. Mit den Themen Ukraine, Naher Osten, europäische Sicherheit und Verteidigung, Mehrjähriger Finanzrahmen (MFR), Erweiterung, Migration sowie Geoökonomie und Wettbewerbsfähigkeit war die Gipfelagenda gut gefüllt. Schlussendlich wurde jedoch die Nutzung russischer Vermögenswerte für die Ukraine zur Schicksalsfrage erklärt und die Erwartungen entsprechend hochgeschraubt. Nach der Kritik von US-Präsident Donald Trump, dass die EU nur reden, aber nicht handeln könne, hat der Gipfel zumindest die Handlungsfähigkeit in einem kritischen Moment bewiesen – auch wenn das erhoffte Signal der geopolitischen Gestaltungsfähigkeit ausblieb. Wenngleich man sich auch nicht über die Nutzung der eingefrorenen Zentralbankgelder verständigen konnte, wurde nach zähem Ringen eine pragmatische Einigung über weitere Finanzhilfen für die Ukraine aus dem EU-Haushalt erzielt.

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Beim letzten Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs des Jahres stand für Europa viel auf dem Spiel. Mit den Themen Ukraine, Naher Osten, europäische Sicherheit und Verteidigung, Mehrjähriger Finanzrahmen (MFR), Erweiterung, Migration sowie Geoökonomie und Wettbewerbsfähigkeit war die Gipfelagenda gut gefüllt. Schlussendlich wurde jedoch die Nutzung russischer Vermögenswerte für die Ukraine zur Schicksalsfrage erklärt und die Erwartungen entsprechend hochgeschraubt. Nach der Kritik von US-Präsident Donald Trump, dass die EU nur reden, aber nicht handeln könne, hat der Gipfel zumindest die Handlungsfähigkeit in einem kritischen Moment bewiesen – auch wenn das erhoffte Signal der geopolitischen Gestaltungsfähigkeit ausblieb. Wenngleich man sich auch nicht über die Nutzung der eingefrorenen Zentralbankgelder verständigen konnte, wurde nach zähem Ringen eine pragmatische Einigung über weitere Finanzhilfen für die Ukraine aus dem EU-Haushalt erzielt.

 

Hintergrund

 

Die Unterstützung der Ukraine dominierte den Ratsgipfel. Nachdem der umstrittene 28-Punkte-Friedensplan der USA erhebliche Zugeständnisse an Russland vorsah, wurde dieser dank verstärkter Diplomatie seitens der Ukraine und ihrer europäischen Verbündeten u.a. in Genf auf 20 Punkte verkürzt.  Zu Wochenbeginn konnte bei konstruktiven Verhandlungen von  Wolodymyr Selenskyi mit europäischen Verbündeten sowie US- und NATO-Vertretern in Berlin eine gemeinsame Erklärung der Europäer zu den Bedingungen eines möglichen Waffenstillstandes und langfristigen Friedens in der Ukraine verabschiedet werden.

Als Reaktion auf die feindseligen Töne der neuen US-Sicherheitsstrategie ringt Europa um einen selbstbewussten Umgang mit dem transatlantischen Verbündeten. In diesem Sinne galt es, die die Verhandlungsposition der Ukraine zu stärken und ihre Verteidigung nicht durch einen drohenden Staatsbankrott zu belasten. Daher wurde im Vorfeld des Gipfels mit Hochdruck an einer Einigung zur Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte für ein Reparationsdarlehen gearbeitet.

Belgiens rechtliche und finanzielle Bedenken als Sitzland des Finanzinstituts Euroclear - des Verwalters eines Großteils der Anleihen - sollten mit zusätzlichen Garantien und einer neuen Rechtsgrundlage ausgeräumt werden. Flankierend verabschiedeten die EU-Außenminister am 15. Dezember verschärfte Sanktionen gegen die russische Schattenflotte sowie hybride Bedrohungen aus Belarus.

Das Thema Erweiterung stand vor dem Hintergrund der jüngsten Fortschritte Montenegros im Beitrittsprozess sowie des EU-Westbalkan-Gipfels in der Gipfelwoche ebenfalls auf der Agenda, gemeinsam mit den Verhandlungen zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) sowie der Migration.

Die Positionierung der EU im zunehmend härteren geoökonomischen Wettbewerb mit den USA und China kam ebenfalls zur Sprache, während der anvisierte Abschluss des Mercosur-Abkommens letztlich aufgrund der Intervention Italiens von der Kommissionspräsidentin auf Januar vertagt wurde.

Das antisemitisch motivierte Terrorattentat in Sydney vom 13. Dezember veranlasste den Rat, ein zusätzliches Kapitel zum Kampf gegen Antisemitismus in die Schlussfolgerungen aufzunehmen.

 

Ergebnisse des Europäischen Rats[1]

 

Ukraine

Wie bereits bei früheren Gipfeltreffen wurden anstelle einer gemeinsamen Erklärung zur Ukraine zwei getrennte Dokumente angenommen: die allgemeinen Schlussfolgerungen aller 27 Mitgliedstaaten sowie gesonderte Schlussfolgerungen zur Ukraine im Namen von lediglich 25 Staats- und Regierungschefs. Während Ungarn die Erklärung zur Ukraine zum wiederholten Male nicht mitträgt, verweigerte erstmals auch ein weiterer Mitgliedstaat die Zustimmung zu diesem Dokument.

Die allgemeinen Schlussfolgerungen verweisen zunächst darauf, dass der Europäische Rat den Finanzbedarf der Ukraine erörtert und sich mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj ausgetauscht habe. Zentral ist jedoch die Einigung im darauffolgenden Absatz, „der Ukraine ein Darlehen in Höhe von 90 Milliarden EUR für die Jahre 2026-2027 auf der Grundlage von EU-Anleihen auf den Kapitalmärkten zu gewähren“. Konkret sieht das Vorhaben vor, dass die EU Mittel am Kapitalmarkt aufnimmt und diese der Ukraine anschließend als zinslosen Kredit zur Verfügung stellt. Der Kredit soll über den Handlungsspielraum des EU-Haushalts abgesichert werden, wodurch grundsätzlich alle Mitgliedstaaten gemeinsam haften. Ausgenommen hiervon sind Ungarn, Tschechien und die Slowakei, die sich nicht an den Kosten des Darlehens beteiligen werden. Möglich wird dies durch einen Rückgriff auf Artikel 20 EUV im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit.

Die gesonderten Ukraine-Schlussfolgerungen, die jedoch lediglich von 25 Mitgliedsstaaten unterstützt wurden, enthalten nähere Details zu besagtem Darlehen. Die Ukraine müsse das Darlehen erst nach Erhalt von Reparationszahlungen durch Russland zurückzahlen. Geschehe dies nicht, behält sich die Union vor, die in der EU eingefrorenen russischen Vermögenswerte „in vollem Einklang mit dem EU-Recht und dem Völkerrecht für die Rückzahlung des Darlehens zu verwenden“. Ein Reparationsdarlehen auf Basis der Vermögenswerte ist damit keineswegs vom Tisch: Rat und Europäisches Parlament werden ausdrücklich zur Ausarbeitung der rechtlich-technischen Details eines solchen Darlehens aufgerufen. Verwiesen wird zudem auf die Entscheidung der Vorwoche, die russischen Vermögen in der EU dauerhaft auf der Grundlage von Artikel 122 AEUV einzufrieren.

Neben dem zentralen Durchbruch bezüglich des ukrainischen Finanzierungsbedarfs signalisieren die Schlussfolgerungen gleichzeitig Kontinuität. So wird die „fortgesetzte und unverbrüchliche Unterstützung für die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine“ betont. Ebenso unterstreichen die Staats- und Regierungschefs die EU-Beitrittsperspektive der Ukraine unter Würdigung bisheriger Fortschritte im Integrationsprozess. Zudem ruft der Europäische Rat zu einem Waffenstillstand und einem dauerhaften Frieden auf, der nur im Einvernehmen mit der Ukraine möglich sei.

Neu ist die explizite Bereitschaft der Mitgliedstaaten, zu robusten und glaubwürdigen Sicherheitsgarantien für die Ukraine beizutragen. Die Integration der ukrainischen und europäischen Verteidigungsindustrien soll vertieft und weitere Investitionen unterstützt werden. Darüber hinaus fordert der Europäische Rat die rasche Verabschiedung eines neuen Sanktionspakets gegenüber Russland, begrüßt die Ausweitung der Sanktionen gegen die russische Schattenflotte, verurteilt russische Angriffe auf Zivilisten und nukleare Anlagen und spricht sich für die Operationalisierung eines Sondergerichtshofs für den Angriffskrieg gegen die Ukraine aus.

 

Nahost

Mit Blick auf Gaza begrüßt der Europäische Rat die Resolution 2083 des UN-Sicherheitsrates zur Einrichtung des Friedensrates und einer internationalen Stabilisierungsmission zur Implementierung des Plans zur Beendigung des Gaza-Konflikts und ruft alle Parteien zur konsequenten Umsetzung auf.

Zudem erneuert der Rat sein nachdrückliches Bekenntnis zu einer dauerhaften Friedenslösung auf Basis der Zwei-Staaten-Lösung. Die EU stehe bereit, diese Friedenslösung u. a. durch die Stärkung bestehender Missionen (EU BAM Rafah und EUPOL COPPS) zu unterstützen und zur Einrichtung des Friedensrates beizutragen.

Der Rat erneuert ebenfalls seine Forderung nach sofortigem, ungehinderten humanitären Zugang zum Gazastreifen und ruft daher Israel dazu auf, von der Umsetzung der Registrierungsvorschriften für NGOs abzusehen.

Zudem unterstreicht der Rat die Rolle internationaler und regionaler Akteure beim Wiederaufbau und der Entwicklung Gazas und betont anhand des ersten Treffens der Palästina-Gebergruppe die Bereitschaft der EU zur Mitwirkung. Ebenfalls erneuert der Rat seine Unterstützung für die Palästinensische Autonomiebehörde sowie deren Reformagenda als Voraussetzung für eine erneute Kontrolle Gazas. Es wird an Israel appelliert, unverzüglich für die Arbeit der Behörde benötigte Steuer- und Zolleinnahmen freizugeben.

Ebenso verurteilt der Rat die Zunahme der Siedlergewalt im Westjordanland und Ostjerusalem und hält die israelische Regierung zur Rücknahme der illegalen Siedlungsausweitung an; Sanktionen gegen extremistische Siedler sollen vorangetrieben werden.

Angesichts der anhaltenden Konfrontation zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon ruft der Rat zur regionalen Deeskalation auf und erneuert seine Unterstützung der Regierung bei der Stabilisierung der Sicherheits- und Wirtschaftslage sowie dem Wiederaufbau. Jüngste Attacken auf die UNIFIL-Friedenstruppe werden scharf verurteilt und alle Parteien zur Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens von November 2024 aufgefordert.

Ein Jahr nach dem Sturz des Assad-Regimes unterstreicht der Rat seine Unterstützung für einen friedlichen und inklusiven politischen Übergang in Syrien ohne ausländische Einflussnahme und mahnt interne wie externe Akteure zur Achtung von Syriens Unabhängigkeit.

 

Sicherheit und Verteidigung

Angesichts zunehmender hybrider Bedrohungen verurteilt der Europäische Rat nachdrücklich alle jüngsten Angriffe gegen die EU und ihre Mitgliedstaaten. Er fordert verstärkte Maßnahmen zur Resilienz, zum Schutz kritischer Infrastrukturen sowie zur wirksamen Prävention, Abschreckung und Reaktion auf intensivierte hybride Angriffe, einschließlich restriktiver Maßnahmen gegenüber Russland und Belarus.

 

Zudem zieht der Rat eine Zwischenbilanz zur Umsetzung seiner bisherigen Schlussfolgerungen mit dem Ziel bis 2030 verteidigungsfähig zu werden. Er betont nachdrücklich, dass Russlands Krieg in der Ukraine in einem sich ändernden globalen Sicherheitsumfeld eine existenzielle Bedrohung für Europa darstelle. Auf Grundlage der Defence Readiness Roadmap sollen strategische Abhängigkeiten reduziert und kritische Fähigkeitslücken im Rahmen eines umfassenden 360°-Ansatzes geschlossen werden. In diesem Zusammenhang überprüfte der Rat die Fortschritte der mitgliedstaatlich geführten Fähigkeitskoalitionen, die 2026 konkrete Projekte umsetzen sollen. Diese werden durch die Instrumente wie SAFE und das Europäische Verteidigungsindustrieprogramm (EDIP) unterstützt. Der Rat begrüßt zudem die Beteiligung Kanadas an SAFE und die Förderung verteidigungsbezogener Investitionen durch den EU-Haushalt. Er ruft die Co-Gesetzgeber dazu auf, den Gesetzesentwurf des Defence Omnibus zur Unterstützung der Verteidigungsindustrie sowie zur Militärmobilität prioritär zu betrachten.

 

Schließlich betont der Rat, dass seine Schlussfolgerungen im Verteidigungsbereich nicht in die spezifische Ausrichtung der nationalen Verteidigungspolitik eingreifen würden, sondern lediglich die Interessen aller Mitgliedsstaaten im Rahmen der EU-Verträge wahren.

 

Nächster Mehrjähriger Finanzrahmen

Der Europäische Rat hat die Vorbereitungen des dänischen Ratsvorsitzes zur Präsentation des Entwurfs des mehrjährigen Finanzrahmens der Europäischen Union für die Jahre 2028 bis 2034 zur Kenntnis genommen. Darauf basierend fand ein Austausch statt. Der künftige Ratsvorsitz wird aufgefordert, an dem Entwurf weiterzuarbeiten, sodass vor Ende 2026 eine Einigung im Europäischen Rat erzielt werden kann. Auf dieser Grundlage soll eine rechtzeitige Annahme von Rechtsakten im Jahr 2027 ermöglicht werden. Der Europäische Rat begründet die Notwendigkeit einer schnellen Einigung damit, dass die EU-Finanzmittel im Jahr 2028 ohne Unterbrechung bei den berechtigten Empfängern ankommen können. 

 

Erweiterung

Mit Blick auf eine mögliche Erweiterung der Europäischen Union unterstreicht der Europäische Rat die zentrale Bedeutung der Erweiterungspolitik als „geostrategische Investition in Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand“. Die Beitrittskandidaten werden aufgefordert, Reformen weiterhin konsequent im Rahmen des leistungsbasierten Ansatzes voranzutreiben. Zugleich hebt der Europäische Rat die Notwendigkeit interner Reformen der EU hervor.    

 

Migration

Der Rat erinnert an die Schlussfolgerungen vorangegangener Ratsgipfel und zieht Zwischenbilanz über deren Implementierung. Konkret gemeint sind damit vor allem die Umsetzung des Asyl– und Migrationspakts, die externe Dimension der Migration sowie die Frage der Rückführungen. Er ruft dazu auf, die Anstrengungen zu intensivieren und die Angelegenheiten priorisiert weiter zu verfolgen im Einklang mit europäischem und Völkerrecht.

 

Geoökonomie und Wettbewerbsfähigkeit

Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage hat der Europäische Rat eine strategische Diskussion über die Auswirkungen auf die globale Wettbewerbsfähigkeit geführt. Eine Einigung über die Ratifizierung des Freihandelsabkommens zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union konnte nicht erzielt werden.  

 

Weitere Themen

Der Rat begrüßt die Schlussfolgerungen des EU-Ministerrates zum Pakt für den Mittelmeerraum und fordert deren rasche Implementierung.  Zudem gedenkt der Europäische Rat den Opfern des antisemitischen Attentats in Sydney, verurteilt erneut alle Formen von Antisemitismus und Rassismus aufs Schärfste und verweist auf die kommende Antirassismus-Strategie der Kommission. In diesem Zuge werden Kommission und Mitgliedsstaaten zum verstärkten Kampf gegen Antisemitismus ermutigt.

Mit Blick auf die Kommunikation der Kommission zum EU-Demokratieschild setzt sich der Rat erneut für die Stärkung der demokratischen Resilienz Europas gegen Desinformation und ausländische Einflussnahme ein. Überdies beauftragt der Rat die Kommission mit der Entwicklung einer regionalen Strategie für den Atlantikraum.

 

Kommentar

Bereits im Vorfeld des Gipfels hätten die Erwartungen an eine Lösung des Finanzierungsbedarfs der Ukraine kaum größer sein können. So warnte Bundeskanzler Friedrich Merz etwa, dass ein Scheitern in dieser Frage die EU „für Jahre massiv schädigen“ werde. [2] Der belgische Premierminister Bart de Wever ging sogar noch einen Schritt weiter und sprach vom „ultimativen geopolitischen Versagen Europas”, sollte es zu keiner Einigung kommen.[3] Dass es letztendlich gelungen ist, sich auf die Bereitstellung des Darlehens zu verständigen, ist sowohl für Brüssel als auch für Kyjiw ein wesentlicher Durchbruch. Für Kyjiw sind die dringendsten Finanzierungsfragen dank der Herausgabe von EU-Anleihen geklärt. Gleichzeitig demonstriert Brüssel Handlungsfähigkeit in einer Schicksalsfrage.

Die somit erzielte Einigung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nicht dem ursprünglich bevorzugten Ansatz vieler europäischer Staaten entspricht. Eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, hatte sich im Vorfeld dafür ausgesprochen, die eingefrorenen russischen Vermögenswerte direkt als Grundlage für einen Kredit an die Ukraine zu nutzen.[4] Bis kurz vor Ende des Europäischen Rates konzentrierten sich die Beratungen weiterhin auf diesen Vorschlag.[5] Eine Einigung hierüber kam jedoch selbst nach 17-stündigen Verhandlungen nicht zustande.

Ausschlaggebend hierfür waren offenbar die weitreichenden Garantien, die Belgien für eine Nutzung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte verlangte.[6] Da das Land einen Großteil der russischen Vermögen verwahrt, fürchtete es milliardenschwere Klagen aus Moskau und pochte entsprechend auf umfassende Absicherungen. Diese Forderungen gingen jedoch zahlreichen Ländern, darunter auch Frankreich und Italien, zu weit.[7] Folglich rückten alternative Finanzierungsmöglichkeiten - und damit die Herausgabe von Anleihen - in den Fokus des Europäischen Rates.

Unterdessen bleibt die Nutzung russischer Vermögenswerte weiterhin unklar. Denn in seinen Schlussfolgerungen rief der Europäische Rat den Rat und das Parlament zwar explizit dazu auf, die Arbeiten an einer möglichen Verwendung der russischen Vermögen fortzusetzen. Der konkrete Mechanismus, wie dies funktionieren soll, ist jedoch unklar.[8] Die Entscheidung über die Nutzung der russischen Vermögenswerte wurde damit vertagt.

 

Bezüglich des Nahen Ostens demonstrieren die Schlussfolgerungen, dass sich Europa geschlossen hinter den US-Friedensplan für Gaza als „only show in town“ stellt, trotz diverser offener Fragen zu dessen Umsetzung.[9] Die umfassende Zustimmung des UN-Sicherheitsrats zu besagtem Plan gilt als diplomatischer Triumpf für Präsident Trump, bei dem die Europäer kaum Änderungen einbringen konnten.

Parallel versucht die EU weiterhin, sich als zentraler Geldgeber für den Wiederaufbau des Gazastreifens zu positionieren. Jedoch blieb das von den Schlussfolgerungen hervorgehobene Treffen der Palästina-Gebergruppe Ende November hinter den Erwartungen zurück, da keine neuen Mittel zugesagt wurden[10]  und die USA der Konferenz bezeichnenderweise fernblieben. [11] Darüber hinaus fordert die EU nach wie vor einen Sitz im von der UN gebilligten Friedensrat unter dem Vorsitz Trumps[12], um auch geopolitisch Einfluss auszuüben – dies wird allerdings in den Schlussfolgerungen nur indirekt formuliert.

Der Rat knüpft im Verteidigungsbereich mit der Bewertung der Fortschritte der Defence Readiness Roadmap[13] an den letzten Gipfel an. Erstmals wird Russlands Krieg in der Ukraine – unter dem Umstand, dass die USA als traditionelle Verbündete feindselig auftreten – sogar zur existenziellen Bedrohung Europas erklärt. Während die Eingliederung Kanadas in das SAFE-Instrument begrüßt wird, bleibt hingegen unerwähnt, dass selbige Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich als wichtigem Partner vorerst scheiterten.[14] Neu in den Schlussfolgerungen ist, dass der Rat explizit unterstreicht, dass er die Souveränität der Mitgliedstaaten wahrt. Dies liest sich als eine Antwort an die militärisch neutralen Mitgliedstaaten, wie etwa Irland und Malta, die in den vergangenen Wochen erneut ihre Neutralität betont haben, wenngleich sie die russische Bedrohung als solche anerkennen. [15]

 

Die Schlussfolgerungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen (2028-2034) sehen eine zügige Fortsetzung der Ausarbeitung des Entwurfs vor. Dabei wird nicht auf die konkrete Ausgestaltung des Mehrjährigen Finanzrahmens eingegangen, sondern lediglich die Dringlichkeit einer Einigung vor Ende 2026 betont. Unklar bleibt, wie schnell eine Einigung gefunden werden kann.

EU-Ratspräsident António Costa betont nach dem Ratsgipfel, dass der Fokus auf einem flexiblen und zukunftsfähigen EU-Haushalt liegen soll[16]. Demnach soll ein größerer Teil des neuen MFR nicht vorab an Projekte oder Pläne gebunden werden[17]. Costa unterstreicht, dass der neue Haushaltsrahmen auf die veränderten geopolitischen und wirtschaftlichen Realitäten der Gegenwart abgestimmt sein muss. Damit ist insbesondere eine stärkere Gewichtung der Bereiche Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit gemeint.

 

Im Bereich der Erweiterung enthalten die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates insgesamt nur wenig Konkretes. Bemerkenswert ist insbesondere, welche Aspekte unerwähnt bleiben: So nehmen die Schlussfolgerungen weder Bezug auf die Ergebnisse des EU-Westbalkan-Gipfels vom Vorabend noch auf das erstmalige Fernbleiben Serbiens bei diesem Treffen. Darüber hinaus enthält die finale Fassung der Schlussfolgerungen keinen Verweis mehr auf die am 16. Dezember verabschiedeten Schlussfolgerungen des dänischen Ratsvorsitzes zur Erweiterung. Eine ausdrückliche Billigung dieser durch den Europäischen Rat war in früheren Versionen der Schlussfolgerungen vorgesehen, wurde jedoch möglicherweise aufgrund des Widerstands von Seiten Ungarns gestrichen. Ungarn hatte bereits besagte Schlussfolgerungen des Ratsvorsitzes nicht mitgetragen, insbesondere aufgrund seiner ablehnenden Haltung gegenüber einem möglichen EU-Beitritt der Ukraine.

 

Wie auch bei den vorangegangenen Gipfeln konzentrierte sich der Rat beim Thema Migration vor allem auf die Umsetzung der bisherigen Beschlüsse. Wenn auch Migration, wie beim letzten Gipfeltreffen, ein Randthema bleibt, mindert es nicht die Dringlichkeit der sich die Mitgliedstaaten ausgesetzt sehen. Als weiterer Erfolg kann die Einigung im Trilog der Gesetzgeber in der Nacht vor dem Ratsgipfel zu sicheren Drittstaaten gewertet werden. Somit können Asylanträge als unzulässig gelten, wenn Schutzsuchenden bereits in einem sicheren Drittstaat effektiver Schutz zugestanden hätte.[18]

 

Die Schlussfolgerungen zur geoökonomischen Situation spiegeln eine zurückhaltende Position wider, da sich der Europäische Rat lediglich auf strategische Diskussionen über die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU verständigte. Im Fokus stand insbesondere die Entscheidung zur Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Staaten, die auf Bitte Italiens kurzfristig auf Januar verschoben wurde. Vor dem Gipfel hatte Bundeskanzler Friedrich Merz eindringlich für eine rasche Ratifizierung geworben. Die Entscheidung im Januar wird nun als letzte Gelegenheit betrachtet, eine Einigung zu erzielen und das Handelsabkommen zu finalisieren.

 

Fazit

Die Notwendigkeit einer Einigung zur langfristigen Finanzierung der Ukraine war von Anfang an gesetzt, wie Ratspräsident Costa betonte: “Wir gehen nicht auseinander, ohne die Finanzierung der Ukraine sichergestellt zu haben”[19]. Dies ist gelungen: Die letztliche Verständigung auf einen Kompromiss war ein zähes Ringen mit harten Bandagen. Die russischen Gelder bleiben weiter eingefroren und die Ukraine wird durch ein Darlehen der EU-Kommission finanziert. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine Kompromissformel, in der das Darlehen weiter durch die eingefrorenen Vermögenswerte abgesichert wird. Während die einstimmige Zustimmung Geschlossenheit signalisiert, verblasst diese wieder, da mit dem pragmatischen E24-Kompromiss nicht alle Mitgliedsstaaten das Risiko mittragen. Für Ungarn, Tschechien und die Slowakei, die keine weiteren Verpflichtungen für die Ukraine eingehen wollten, enthält der Darlehensplan keine finanziellen Auswirkungen.

So hat dieser Gipfel eindeutig gezeigt: Europa steht an der Seite der Ukraine. Auch wenn man sich nicht auf den ursprünglichen Plan verständigen konnte, hat die EU in einem kritischen Moment pragmatische Handlungsfähigkeit demonstriert. Die gesicherte Unterstützung der Ukraine ist im Ergebnis ein Erfolg, wenngleich das Signal eines geeinten Europas, das glaubwürdig als proaktiver globaler Gestalter auftritt, stärker hätte sein können. Dadurch, dass der belgische Premier Bart De Wever unter innenpolitischem Druck stand und auf den letzten Metern auch Frankreich, Italien und Luxemburg Zweifel einräumten, ist die Erpressbarkeit durch Russland nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Europa kann sich somit dem Eindruck nicht vollends entziehen, getrieben zu sein und reaktiv nach Alternativlösungen zu suchen.

Auch eine andere Erkenntnis hat der Gipfel hervorgebracht: Nichts geht ohne Italien, weder in der Frage der russischen Vermögenswerte noch bei dem wichtigen Mercosur- Handelsabkommen. Letzteres steht exemplarisch für die Interdependenz von den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik mit Handels- und Wirtschaftsfragen in geopolitisch angespannten Zeiten. Schließlich begleiteten die Nachklänge der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA – wenngleich nicht namentlich genannt - unweigerlich das Gipfeltreffen.

Mit diesem Gipfel geht auch die dänische Ratspräsidentschaft zu Ende, unter deren Vorsitz in turbulenten Zeiten wegweisende Kompromisse erzielen werden konnten, etwa zur EU-Asylreform, der europäischen Verteidigungsbereitschaft und Wettbewerbsfähigkeit. Indes nehmen die Herausforderungen für Zypern, das zu Jahresbeginn den Vorsitz übernimmt, nicht ab - insbesondere hinsichtlich der MFR-Verhandlungen.

 

[1] Hauptquelle, die dieser Publikation zu Grunde liegt, sind die offiziellen Ratsschlussfolgerungen: 20251023-european-council-conclusions-en.pdf. Schlussfolgerungen zur Ukraine: 20251023-text-ukraine-en.pdf

[2] EU will be ‘severely damaged for years’ if assets plan fails, says Germany’s Merz – POLITICO

[3] Summit ends with leaders turning to joint debt to keep Ukraine afloat — as it happened – POLITICO

[4] Politico Brussels Playbook, 19. Dezember 2025.

[5] Politico Brussels Playbook, 19. Dezember 2025.

[6]Table Briefings: “Weshalb die EU für die Finanzierung der Ukraine zum Plan B übergehen musste”, Stephan Israel, Security Table vom 19. Dezember 2025.

[7] Politico Brussels Playbook, 19.12.2025.

[8] Politico Berlin Playbook, 19. Dezember 2025.

[9] ECFR: Taming Trump’s Gaza plan: A European-Arab initiative for lasting peace

[10] Euronews: EU reiterates support for Palestinian Authority, but offers no additional money

[11]Euractiv: US a no-show at EU donor conference for the Palestinian Authority

[12] Euronews: EU will Sitz in Trumps Gaza-Friedensrat, sagt EU-Kommissarin für den Mittelmeerraum

[13] Lesen Sie hierzu auch unsere neuste Ausgabe des Security Snapshots: The Road Ahead: How Europe Wants to Defend Itself - Europabüro Brüssel - Konrad-Adenauer-Stiftung

[14] The Guardian: Talks for UK to join EU defence fund collapse in blow to Starmer’s bid to reset relations | European Union

[15] The Guardian: Talks for UK to join EU defence fund collapse in blow to Starmer’s bid to reset relations  | The Malta Independent: Malta reaffirms neutrality while backing EU defence and energy initiatives, Abela tells Parliament

[16] Consilium: Remarks by President António Costa at the press conference following the European Council meeting of 18-19 December 2025

[17]IW:  Europäische Union: Mehrjähriger Finanzrahmen 2028 bis 2034

[18] Europäische Kommission: Safe third country concept: Commission welcomes political agreement

[19]Euractiv: LIVE: Ein entscheidendes EU-Gipfeltreffen

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