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Vortrag

„Politischer Extremismus – Erfahrungen aus Sachsen“

Am 02. Mai organisierte das Europabüro,in Zusammenarbeit mit dem Verbindungsbüro des Freistaates Sachsen,eine Vortragsveranstaltung mit dem Staatsminister für Inneres des Freistaates Sachsen,Herrn Dr. Thomas de Maizière.

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Vortag

Europa muss sich keine Sorgen machen, so Dr. Thomas de Mazières einleitende Worte seiner Rede im Europabüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel. Die schlechten Nachrichten aus Sachsen, die Wahlerfolge der rechtsextremistischen NPD bei der Landtagswahl im September 2004, seien jedoch keine Lappalie. Auch die Ansicht, es handle sich dabei um eine „Normalisierung“, eine Anpassung an europäische Verhältnisse, teile er nicht.

De Maizière gab zunächst einen Überblick über die wichtigsten Ausprägungen des politischen Extremismus in Sachsen. Der sog. „Ausländerextremismus“, wie z.B. auch islamistischer Extremismus, zeige in Sachsen keine erkennbaren Strukturen.

Dem linkextremistischem Umfeld wurden im Jahre 2000 ca. 500 Personen zugerechnet, über die Hälfte davon sog. „Autonome“. Diese seien gewalttätig, gut organisiert, bundesweit vernetzt und reagierten auf die verstärkte Präsenz der Rechtsextremisten mit zunehmenden Gewalttaten und Angriffen gegen deren Strukturen und Logistik. Daneben wende sich die Szene auch gegen einen sog. „Geschichtsrevisionismus“, der angeblich die Verbindung Deutschlands mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust relativieren wolle.

Die extreme politische Rechte im Freistaat präsentiere sich weitaus heterogener, aber auch stärker, in Form von „Szenen“, Skinheads, Kameradschaften und neonationalsozialistischen Gruppierungen. Insgesamt gehörten diesem Bereich ca. 3000 Personen an. Die numerisch stärkste – mit knapp über 1000 Mitgliedern – und gefährlichste Kraft, sei die nun auch im Landtag vertretene NPD (Wahlergebnis 9,2%). Diese ziele auf die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und strebe die Etablierung einer „Volksgemeinschaft“ an. Nach außen präsentiere sie sich jedoch als Protestpartei und spiele mit Zukunftsängsten, der Furcht vor Identitätsverlust, vor Fremdbestimmung und Verlust nationaler Souveränität im Zuge der Europäisierung. Dabei verhalte sich die Partei aus taktischen Gründen extrem ruhig und gewaltfrei. Das Ziel der Bildung einer „deutschen Volksfront“ auch unter Einbindung von Neonationalsozialisten sorge allerdings für Spannungen innerhalb der extremen Rechten, die neben ihren gruppenegoistischen Differenzen auch einen Ost-West-Konflikt aufweise.

Im weiteren Verlauf seiner Rede wandte sich de Mazière den politischen Handlungsempfehlungen zu. Er nannte eine konsequente Strafverfolgung und schnelle Aufklärung aber auch Präventionsprogramme für Jugendliche und Heranwachsende als elementare Aspekte. Die Arbeit der Polizei und des Verfassungsschutzes könne nur ergänzend wirken. Die Vorbildfunktion engagierter Lehrer, Eltern und auch Vereinsarbeit und Zivilcourage sei dadurch nicht zu ersetzen.

Konkret führte er zuerst an, Politik zu fordern und zu fördern: Man dürfe sich also nicht damit begnügen, die Probleme zu beschreiben, sondern müsse selbst deutlich machen, wofür man stehe. Eine reine Negativdiskussion käme lediglich erneut Negativparteien wie der NPD zugute. Als zweite Handlungsempfehlung nannte er die Aufklärung: Dazu gehöre, dem Wähler das programmatische Ziel der NPD zu erklären. Der Wähler gebe also keiner Protestpartei seine Stimme, sondern einer antidemokratischen, die Menschenwürde, die Gewaltenteilung und die Einbindung Deutschlands in die Wertegemeinschaft der Völker ablehnenden Partei. Drittens dürfe man den Extremisten nicht die politische Tagesordnung und damit auch die Monopolstellung bei Themen wie Ausländerpolitik, Globalisierung, Vaterlandsliebe oder Kritik am demokratischen Entscheidungsverfahren überlassen. Es sei wichtig, deutlich zu machen, dass Problemlösungen überhaupt nur mit Hilfe und in der freiheitlich demokratischen Grundordnung herbeizuführen seien. Es sei viertens eine wichtige Aufgabe, die zivile Erinnerungskultur zu stärken. Auch diese dürfe nicht von Extremisten monopolisiert werden. Weiter rief er dazu auf, die Politik im Kampf gegen Extremismus nicht alleine zu lassen. Politik sei eine „res publica“. Die inneren Kräfte einer Gesellschaft müssten daher aktiviert und der Wertekanon der Demokratie hochgehalten werden. Auch die Medien nahm de Mazière hier in die Verantwortung. Die klassischen Elemente der Personalisierung müssten hinterfragt werden. Journalisten sollten verstärkt dazu übergehen, Rechtsextremisten Fragen der Gegenwart zu stellen, anstatt sie durch einen Bezug auf die Vergangenheit – durch einen „betroffenen Emotionsjournalismus“ – entlarven zu wollen. Nicht zuletzt mahnte er zur Vorsicht bei der Wahl der Verbündeten. Seiner Auffassung nach sei die PDS keine uneingeschränkt demokratische Partei. Die politische Mitte müsse gestärkt werden: Die PDS sei daher kein geeigneter Bündnispartner.

Abschließend hob der Staatsminister hervor, dass die Situation in Sachsen wie auch in ganz Deutschland unvergleichlich stabiler sei als die der Weimarer Republik. Sachsen und die Bundesrepublik befänden sich in einer Bewährungsprobe, eine Gefahr für Deutschland und Europa bestehe jedoch nicht.

Nachfolgend finden Sie den Redetext von Herrn Staatsministers Dr. Thomas de Maizière abgedruckt:

„Bad news from Saxony“ – schlechte Nachrichten aus Sachsen vermeldete der britische ECONOMIST am 23. September 2004 angesichts der Ergebnisse der Landtags-wahlen. Das ostdeutsche Musterland auf Abwegen? Eilige Kommentatoren zogen einen Vergleich zur Situation ge-gen Ende der Weimarer Republik in Deutschland. Muss Europa sich also Sorgen machen? Ich teile diese Auffas-sung nicht. Ebenso wenig teile ich allerdings die Ansicht, dass es sich bei den Wahlerfolgen von Rechtsextremisten lediglich um eine Lappalie oder um eine Normalisierung, eine Anpassung an europäische Verhältnisse handelt.

Mein Thema heute Abend sind die Erfahrungen im Frei-staat Sachsen mit allen Formen des politischen Extremis-mus. Ich möchte zunächst die wichtigsten Ausprägungen des politischen Extremismus in Sachsen skizzieren. Im zweiten Teil widme ich mich der Frage, was wir, der Staat und seine Bürger, dem entgegensetzen.

Überblick

Ich beginne mit dem, was wir mit Ausländerextremismus umschreiben: Also verfassungsfeindliche Bestrebungen, die ihren Hintergrund in politischen Konflikten im Aus-land haben. Zwar hat diese Spielart von Extremismus generell - mit Blick auf den internationalen Terrorismus - an Bedeutung gewonnen. In Sachsen ist das entsprechende Potential jedoch als gering einzuschätzen (Stichwort PKK und Nachfolgeorganisationen). Dieser Befund gilt derzeit ebenfalls für islamistische Organisationen. Im alten Bundesgebiet und in anderen europäischen Staaten präsente Gruppierungen, wie etwa die Muslimbruderschaft oder die Islamische Heilsfront, verfügen in Sachsen über keine erkennbaren Strukturen.

Von größerer Bedeutung sind die übrigen Akteure des extremistischen Spektrums:

Auf der linksextremistischen Seite wird es gebildet von sog. Autonomen sowie von orthodox-kommunistische Bestrebungen. Diesem Umfeld wurden im Jahr 2004 etwa 500 Personen zugerechnet. Mit fast der Hälfte stellen Au-tonome den größten Anteil innerhalb des linksextremistischen Spektrums im Freistaat Sachsen. Den Rest bilden verschiedene Gruppierungen aus dem orthodoxkommunistischen Bereich, die aber in Sachsen keine be-sondere Rolle spielen.

Diese sog. Autonomen sind gewalttätig, gut organisiert und bundesweit vernetzt. Wenn die Rechtsextremisten demonstrieren und sich aus taktischen Gründen gewaltfrei verhalten, schlagen die Linksextremisten zu, was bei einem Teil der Bevölkerung wieder der NPD nutzt.

Die extreme politische Rechte im Freistaat präsentiert sich heterogener und stärker: Mehrere Parteien, sowie losere Gruppierungen in der Form von „Szenen“ oder Milieus- insbesondere rechtsextremistische Skinheads und Kameradschaften. Hinzu kommen neonationalsozialistische Gruppierungen. Alles in allem gehören diesem Bereich ca. 3000 Personen an.

Ausprägung rechts

Die numerisch stärkste und gefährlichste Kraft (knapp1000 Mitglieder) stellt hier die NPD. Deren Wahlerfolg bei der Landtagswahl im letzten Jahr mit 9,2 % der Stimmen, hat viele Menschen – nicht nur in Deutschland – aufgerüttelt: Es ist eine neue Erfahrung für die junge sächsischen Demokratie, dass ihre erklärten Feinde nun auch im Parlament ihre unerträglichen Parolen verbreiten. Nicht erst der unsägliche Auftritt der NPD zum Gedenken an die Bombenangriffe auf Dresden und seine entsprechende me-diale Aufbereitung haben in Deutschland – ja in ganz Eu-ropa – Aufsehen erregt.

Wofür steht diese NPD? Eine umfassende systematische Beschreibung würde den heutigen Rahmen sprengen: Deshalb nur soviel:

Sie zielt auf eine Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Deutschlands und die Etablierung einer (am liebsten von ihr) politisch geführten Volksgemeinschaft. Die offen propagierte ideologische Anlehnung an den Nationalsozialismus ist nicht nur historische Verklärung sondern knallharte Programmatik. Ihr ist strategisch jedes Mittel recht.

Sie gibt sich aber nach außen als Protestpartei. Im Wahlkampf hat sie mit Ängsten argumentiert und gespielt: Die Furcht, die heimatliche Identität zu verlieren, die Furcht fremdbestimmt zu werden, (Stichwort Globalisierung). Die Furcht, in der persönlichen Sicherheit bedroht zu sein oder zu werden. Die Furcht vor einer Europäisierung zu Lasten nationaler Souveränität. Und die Furcht vor der Zukunft. Mangelndes Vertrauen in die demokratische Ordnung, als Gerechtigkeitslücken empfundene Probleme der marktwirt-schaftlichen Ordnung und eine systematisch betriebene Entfernung der politischen Führung von der Bevölkerung („die da oben hauen sich doch nur die Taschen voll, uns nimmt man den letzten Groschen ab“) taten ihre Wirkung.

Das Wahlergebnis in Sachsen sieht die NPD selbst als wichtige Etappe auf dem Weg zum Einzug in den Deut-schen Bundestag im Jahr 2006. Dazu hat sie sich die Bildung einer „deutschen Volksfront“ auf die Fahnen ge-schrieben: Die Partei geht dazu Bündnisse und Kooperatio-nen ein, integriert ausgewiesene Neonationalsozialisten, räumt ihnen Führungsfunktionen ein. Mit der DVU hat sie gemeinsame Listen für die Bundestags- und Europawahl vereinbart.

Dieses Vorgehen sorgt allerdings auch für Spannungen innerhalb der extremen Rechten.

Mit dem Versuch, neonationalsozialistische als auch andere rechtsextremistische Kräfte einzubinden, befindet sich die Partei auf einem schmalen Grat. Es bleibt zweifelhaft, ob ideologische, strukturelle und gruppenegoistische Dif-ferenzen zwischen den Parteien und der zersplitterten neo-nationalsozialistischen Szene überwunden werden.

Erste Grenzen der vermeintlichen Integrationskraft der NPD deuten sich bereits an: Das Ergebnis der Landtags-wahl in Schleswig-Holstein zeigt, dass das erhoffte „Signal zum Aufbruch“ nach der Wahl in Sachsen ausgeblieben ist. Aus Sicht der Partei enttäuschend war auch das Ergebnis der Bürgermeisterwahl in Leipzig: Dort spielte der NPD-Kandidat mit nur 2,3 % der Stimmen keine Rol-le. Hinzu treten parteiinterne Konflikte. Es streiten Funkti-onäre aus dem Osten gegen Parteikader aus dem Westen. Die heutigen Führungsfiguren der Partei sind aus den alten Ländern zugereist, wo sie politisch stets irrelevant geblie-ben waren.

Es ist natürlich noch viel zu früh, diese Dinge abschließend zu bewerten.

Ausprägung links

Auf die verstärkte Präsenz der Rechtsextremisten reagie-ren im linksextremistischen Bereich vor allem die Auto-nomen. Deren Hauptaktionsfeld ist nach wie vor der „re-volutionäre Antifaschismuskampf“, wobei - je nach Ausprägung - übrigens auch das bestehende demokratische System als „faschistisch“ im Sinne der Ideologie gilt. Im Zuge der Ergebnisse der Rechtsextremisten, sowohl bei den Kommunalwahlen als auch bei der Landtagswahl, mussten wir eine Zunahme linksextremistischer Gewalttaten feststellen. Darunter Anschläge auf Fahrzeuge, Wohnungen und Wahlwerbematerialien vermeintlicher oder tatsächlicher Rechtsextremisten . Autonome wenden sich verstärkt auch gegen Strukturen und Logistik von Rechts-extremisten.

Daneben wendet sich die autonome Szene gegen den - wie sie es formuliert - Geschichtsrevisionismus. Sie unter-stellt dabei eine „neue Rolle Deutschlands in Europa“. Der Vorwurf: Der bürgerliche Staat wolle die Verbindung Deutschlands mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust relativieren, verharmlosen und schließlich umdeu-ten. Besondere Symbolik hat in diesem Kontext der Jah-restag der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg am 13. Februar 1945 erfahren. Durch die Erinnerung des Staates und der bürgerlichen Gesellschaft an die Ereignisse von 1945 würden Täter als Opfer dargestellt. Es werde so ein eigener „Opfermythos“ installiert. Autonome machen keinen Unterschied zwischen dem „bürgerlichen“ Gedenken an diesem Jahrestag und dem „Gedenken“ durch Rechtsextremisten.

Am 13. Februar dieses Jahres versuchten daher 800 bis 1.000 Autonome, eine von Rechtsextremisten angemeldete Demonstration vor rund 5.000 Demonstranten durch ge-walttätige Störungen und Blockaden zu behindern.

II. Was wir tun

Wie begegnen wir dem politischen Extremismus, dessen Erscheinungsformen ich kurz skizziert habe?

Als Innenminister bin ich verantwortlich für Polizei und Verfassungsschutz. Diese sind zuständig für die Vorbeugung und Bekämpfung von Straftaten sowie für die Beobachtung extremistischer verfassungsfeindlicher Tendenzen. Der demokratische Rechtsstaat bietet eine Reihe präventiver und repressiver Instrumente und Maßnahmen.

Das umfasst zunächst die konsequente Strafverfolgung und die schnelle Aufklärung extremistischer Straftaten. Die Verunsicherung der extremistischen Szene durch ei-nen permanent hohen Verfolgungsdruck, ist z.B. Aufgabe einer Sonderkommission Rechtsextremismus (SOKO REX), die beim sächsischen Landeskriminalamt angesie-delt ist.

Daneben kontrollieren mobile Einsatz- und Fahndungs-gruppen (MEFG) offensiv Treffpunkte von Jugendlichen und Heranwachsenden (z.B. Musikkonzerte), von denen erfahrungsgemäß häufig Gewalt ausgeht.

Der Prozess der Herausbildung extremistischer Einstellungen ist beeinflussbar. Präventionsprogramme für Jugendliche und Heranwachsende sollen dazu führen, dass Jugendliche sich von diesem Gedankengut distanzieren, nicht zu Mitläufern werden. Insgesamt werden 320 Polizeibeamte für Präventionsmaßnahmen an Schulen und Kindereinrichtungen eingesetzt.

Soweit die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen, ma-chen wir auch vom Instrument der Vereinsverbote Gebrauch und unterbinden verfassungsfeindliche Organisationsformen. So geschehen bei der rechtsextremen „Kameradschaft Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) und ihrer „Aufbauorganisation“.

Dass es sich hierbei um eine heikle Materie handelt, zeigt das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren. Auch dies eine Thematik, die ich jetzt hier nicht vertiefen kann.

Anrede,

Soweit so gut. Es wäre aber fa lsch, den Innenminister und die Polizei zu den Hauptverantwortlichen in der Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus zu machen. Die erfolgreiche Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz kann die politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus nur ergänzen. Sie können engagierte Lehrer, Eltern, Vereinsarbeit, Zivilcourage und Vorbild durch politisches Handeln ebenfalls nicht ersetzen.

Was also ist darüber hinaus tun?

Lassen Sie mich dazu noch einige wenige Thesen vortra-gen, die wir in der anschließenden Diskussion vertiefen sollten:

1. Politik fordern und fördern statt Protest ermutigen

Wir arbeiten den Extremisten von rechts bis links in die Hände, wenn wir als Angehörige der demokratischen Partei nur die Schwächen der jeweils anderen Positionen herausheben, die Unzufriedenheiten der Menschen nur verstärken, um andere schlecht zu machen, wenn wir nur Probleme beschreiben. Natürlich gehört dies alles auch zur Politik. Aber Probleme beschreiben können die, die unseren Staat und unsere Gesellschaft ablehnen, immer besser, als die, die Teil des Systems sind. Deshalb muss neben aller Kritik, neben dem Aufdecken politischer Fehler anderer, immer auch ein Kennzeichen demokratischer Parteien und demokratischer Politik sein, dass man selbst sagt, wofür man steht. Mit welchen Mitteln man die Probleme lösen oder mindestens mildern kann. Wir reden in Deutschland viel zu viel darüber, welche Probleme bestehen. Und wir reden viel zu wenig darüber, wie Probleme gelöst werden. Eine reine Negativdiskussion nützt immer Negativparteien. Und die negativste Partei ist immer die Partei, die die Lösung der Probleme nur in der Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sieht.

2. Aufklärung hilft

Wir werden keinen Erfolg mit der NPD haben, wenn wir ihr nur vorwerfen, dass sie die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen verharmlost. Wir werden auch dann keinen Erfolg haben, wenn wir nur vortragen, sie betreibe mit Hartz IV-Ängsten populistische Panikmache. Zur Aufklärung gehört, ihr programmatisches Ziel zu erklären. Jeder Bürger muss wissen, wem er seine Stimme gibt, wenn er NPD wählt. Er gibt sie nicht einer harmlosen Protestpartei, nicht einem Anwalt des kleinen Mannes, sondern er gibt sie sich selbst ernannten oder sich selbst ernennenden Antidemokraten, die die Menschenwürde, die Gewaltenteilung, die Einbindung Deutschlands in die Wertegemeinschaft der Völker ablehnen.

3. Den Extremisten nicht die politische Tagesordnung überlassen

Die beispielsweise von der NPD im Wahlkampf angespro-chenen Themen wie Ausländer, EU-Osterweiterung, sozia-le Gerechtigkeit, Globalisierung, Vaterlandsliebe, Kritik am demokratischen Entscheidungsverfahren dürfen nicht allein deswegen nicht weiter diskutiert werden, weil auch die NPD sie thematisiert. Im Gegenteil ist es Aufgabe demokratischer Parteien, gerade an den Beispielen, die die NPD zur Überwindung der freiheitlich demokratischen Grundordnung herbeiführen will, zu zeigen, dass Problemlösungen überhaupt nur mit Hilfe und in der freiheitlich demokratischen Grundordnung herbeizuführen sind.

In dem Prozess der Globalisierung etwa – auch in der EU - ist es legitim, deutsche Interessen zu vertreten. Da muss man nicht die Globalisierung als Ganzes ablehnen. (Beim Thema Globalisierung trifft sich der Rechtsextremismus im Übrigen mit militanter Kapitalismuskritik von linksaußen). Bei einer Ausländerpolitik, die dem Ziel der Begrenzung der Zuwanderung und der Integration von Ausländern gleichermaßen verpflichtet ist, kann es bleiben, auch wenn die NPD alle Ausländer „rückführen“ will.

Und Vaterlandsliebe, aufgeklärter Patriotismus, Nationalbewusstsein oder schließlich nur die Freude über einen Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft sind erlaubt und können ganz unverkniffen und selbstbewusst vorgetragen werden, ohne dass sie aus Scham vor deutscher Schuld in der Geschichte verschwiegen wird und ohne dass man ein schlechtes Gewissen haben muss.

4. Zivile Erinnerungskultur stärken

Wir dürfen nicht zulassen, dass Erinnerung monopolisiert wird und in die Tradition einer ganz bestimmten Bewegung oder Weltsicht gestellt wird.

In Sachsen haben Extremisten beider Seiten den Versuch unternommen, den 60. Jahrestag der Zerstörung Dresdens einseitig zu vereinnahmen, und das traditionelle Gedenken der Dresdner an die Bombennacht und ihre schrecklichen Ereignisse zu instrumentalisieren. Die Trauer vieler Men-schen um das Leid ihrer Verwandten und Vorfahren, ihre Erinnerungen daran sollte als Bühne für jene dienen, die historische Zusammenhänge verkürzen und Geschichte nachträglich umschreiben wollen.

Es stellt hohe Anforderungen an jeden einzelnen Demokraten, sich in diesem Spannungsfeld extremistischer Aktivitäten von links und rechts nicht von gegenseitigen Beleidi-gungen oder sogar Gewalt beeindrucken zu lassen, und gleichzeitig für unterschiedliche Meinungen offen zu bleiben.

Es hat mich beeindruckt, wie an diesem die Bürger Dresdens - und zahllose Gäste aus aller Welt - dem kruden Ge-schichtsverständnis und einer durchsichtigen politischen Instrumentalisierung des Erinnerns tausendfach ein ein-drucksvolles Zeichen des stillen Gedenkens und der echten Versöhnung entgegengesetzt haben. Diese Haltung gilt es aktiv zu stärken.

5. Die Politik im Kampf gegen die Extremisten nicht allein lassen

Die Auseinandersetzung mit Extremisten findet nicht alleine im Sächsischen Landtag statt. Sie ist nicht allein Aufgabe der Sächsischen Staatsregierung oder insbesondere des Innenministers. Ich sagte es bereits schon. Gerade, weil das Ansehen der Politiker im Moment nicht besonders hoch ist, dürfen diejenigen, die der NPD entschlossen entgegentreten wollen, nicht die Lösung von der Politik allein erhoffen. Wir haben unseren Beitrag zu leisten, alle anderen aber auch und noch mehr. Politik ist eine res publica, eine öf-fentliche Sache.

Jenseits notwendigen staatlichen Handelns und neuer Programme erscheint es mir unabdingbar, die „inneren Kräfte“ der Gesellschaft zu aktivieren. Extremisten erzielen mit ih-ren Beeinflussungsversuchen immer dann leichter Erfolge, wenn das geistige Klima in ihren Aktionsgebieten dies zulässt und der Wertekanon der Demokratie nicht geschätzt wird ist. Verkürzt gesagt: Auch zivile Gleichgültigkeit nutzt der Ausbreitung extremistischer Ideologien.

Wenn Extremisten von links und rechts vom Protest leben, dann kann ihnen der Protest entgegenschallen, so wie er-folgreich und vorbildlich am 13. Februar dieses Jahres in Dresden erfolgt.

6. Verantwortung der Medien

Schließlich gilt es die Rolle der Medien - und wie wir mit Ihnen umgehen, zu überdenken. Wir sollten uns fragen, ob z.B. die klassischen Elemente der Personalisierung, der emotionalen und symbolischen Darstellung von Positio-nen, die oft reißerisch daherkommt aber den Inhalt vernachlässigt, nicht Extremisten in die Hände spielt. Was haben deren Vertreter denn wirklich anzubieten außer dröhnender Selbstdarstellung, die um Aufmerksamkeit kämpft? Macht es wirklich immer Sinn, dass Journalisten Rechtsextremisten öffentlich durch einen Bezug auf die Vergangenheit entlarven wollen, aber deren Meinung zu Fragen der Gegenwart vernachlässigen? Ist es nicht viel entlarvender herauszufinden, dass Extremisten zu politischen Fragen der Gegenwart nichts zu sagen haben? Ist betroffener Emotionsjournalismus immer das richtige Mittel?

7. Sorgfalt bei der Wahl der Verbündeten

Ich weiß, dass ich mit dieser These Widerspruch hervorrufe. Ich möchte nicht die NPD der PDS gleich setzen. Aber wir sollten nicht mit der PDS die NPD bekämpfen. Meiner Auffassung nach ist die PDS keine uneingeschränkt demokratische Partei. Dies ist aber heute nicht Gegenstand meines Vortrages. Jedenfalls gehört die PDS nicht zur politischen Mitte. Und die politische Mitte muss gestärkt werden. Die PDS möchte von einem antifaschistischen „Bünd-nis“ profitieren. Sie möchte aus der Schmuddelecke. Ich sage hier auch nicht mehr oder weniger, dass im Kampf gegen die NPD nicht jeder Bündnispartner gleich willkommen ist. Und die PDS ist aus meinem Verständnis ein ungeeigneter Bündnispartner.

Schluss

Die Wahlen des Jahres 2004 und die dadurch ausgelöste Entwicklung haben viele wachgerüttelt. Die Demokratie in Deutschland auch in Sachsen und in allen ostdeutschen Ländern ist unvergleichlich stabiler als die Weimarer Republik. Berlin ist von Weimar politisch weit entfernt und Dresden auch. Unsere Demokratie befindet sich gewiss in einer Bewährungsprobe. Sie wird sie aber bestehen. Der Extremismus der NPD ist gefährlich, aber er ist keine echte Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland und damit auch nicht für Europa. Dies gilt jedenfalls, solange und soweit es genügend Demokraten gibt, die sich zur Menschenwürde bekennen, die in und mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung arbeiten möchten, die ihr Vaterland lieben und deswegen die NPD bekämpfen.

Und das dies die ganz überwiegende Mehrheit der Sachsen so sieht, da bin ich ganz zuversichtlich.

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Veranstaltungsort

Europabüro der Konrad-Adenauer-Stiftung, Avenue de L´Yser 11, 1040 Brüssel

Referenten

  • Herrn Dr. Thomas de Maizière
    • Staatsminister für Inneres des Freistaates Sachsen
      Kontakt

      Dr. Peter R. Weilemann †

      „Politischer Extremismus – Erfahrungen aus Sachsen“

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      Bereitgestellt von

      Europabüro Brüssel