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Zum Tod von Erich Loest

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Zuletzt schien der Schriftsteller Erich Loest auch an Leipzig zu verzweifeln, denn sein letzter Wunsch bleibt bis heute unerfüllt: Die Oberen der Universität weigern sich noch immer, das Bild des Malers Reinhard Minkewitz aufzuhängen, das Opfer der SED-Diktatur an der Alma Mater Lipsiensis zeigt – noch immer hängt dort Werner Tübkes Gemälde „Arbeiterklasse und Intelligenz“, das die Täter feiert. Der „Leipziger Bilderstreit“, jahrelang ausgetragen in Dutzenden Briefen, öffentlichen Reden und Zeitungsartikeln war das letzte große Ringen im Leben des Erich Loest, es zehrte an seiner angeschlagenen Gesundheit, zermürbte, verbitterte ihn: „Meine Kraft ist aufgebraucht, mein Pulver verschossen“, schreibt er am 24. September 2010 in sein Tagebuch. Da war er 85, und es war schon zwölf Jahre her, dass er endgültig von Bonn nach Leipzig zurückkehrte. In die Stadt, wo er seine Freunde habe, aber auch seine Feinde, wie er einmal sagte – und an der der grantige, streitbare, unbeugsame Mann viel zu tadeln hatte: dass etwa 25 Prozent der Leipziger die Linkspartei wählen würden, dass sie ihren Einfluss im Stadtrat vergrößere, dass ein ehemaliger Stasimann an der Spitze ihrer Fraktion stehe.

Dennoch war Leipzig sein Sehnsuchtsort: Dort hatte er viele Jahre gelebt und gearbeitet, zuerst als Journalist bei der Leipziger Volkszeitung, später als freier Schriftsteller; dort ließ er die Figuren seiner Romane auftreten und an den Grundfesten des real existierenden Sozialismus rütteln, etwa Fredi Linden aus Völkerschlachtdenkmal (1987), der das Leipziger Wahrzeichen in die Luft sprengen und die Universitätskirche vor der Sprengung retten wollte, oder die Menschen aus der Nikolaikirche (1995), die zum Symbol der Friedlichen Revolution von 1989 wurde. Dort, in Leipzig, gelangte Loest zu seinem politischen Engagement, kritisierte, widersetzte sich, wurde schon in jungen Jahren zum politischen Dissidenten – wenn auch noch wider Willen. Denn er, der 1926 als Sohn eines Eisenwarenhändlers im sächsischen Mittweida zur Welt kam, der nach 1933 zum HJ-Führer avancierte, sich freiwillig zur Wehrmacht meldete, der in die NSDAP eintrat und im letzten Kriegsjahr als „Werwolf“ hinter den Frontlinien operierte, wurde 1947 Mitglied der SED: Er nahm ihr Versprechen von Freiheit und einer besseren Welt beim Wort, wie viele der Menschen, die er in seinem Buch Jungen, die übrig blieben (1950) beschrieb. Der autobiografische Roman war sein literarisches Debüt, er erregte Argwohn bei den Kommunisten: Der Protagonist war nicht klüger als Loest in den letzten Kriegsmonaten, er marschierte und kämpfte mit, tat das, was er als seine Pflicht begriff. „Standpunktlosigkeit“ warfen Loest daraufhin die Kritiker vor; es waren die Jahre des Hochstalinismus in der DDR, in denen auch ein Romanheld sich wandeln und am besten einen Kommunisten treffen musste, der ihm die Augen öffnete. Loest galt fortan als „bürgerliches Element“ und hatte sich in der „Produktion zu bewähren“.

Doch er schrieb weiter, darunter auch Krimis wie Die Westmark fällt weiter (1952), die auf Parteilinie lagen. Jahrzehnte später sollte er dieses Propagandamärchen vom dekadenten Westberlin und vom sauberen „demokratischen Sektor“ persiflieren: Loest konnte sich wundervoll über sich selbst amüsieren.

Der Bruch mit der SED kam für ihn mit dem 17. Juni 1953, als er sich in einem Artikel mit den streikenden Berliner Arbeitern solidarisierte; zwei Jahre später nahmen seine Gegner Rache: Anklage wegen „konterrevolutionärer Gruppenbildung“ und Parteiausschluss – sieben Jahre Zuchthaus folgten. Für Loest war es „gemordete Zeit“, die er im „Gelben Elend“ in Bautzen verbrachte. Dass er immer ein „eiserner Siezer“ blieb, war genauso Folge des Knasts, wo „ein jeder Arsch Du zu Dir sagte“; was er dort seelisch litt, schrieb er in Durch die Erde geht ein Riss (1981) nieder; was er körperlich durchmachte, war ebenfalls drastisch: Am Ende seines Lebens besaß er nur noch ein Drittel seines Magens.

Die Stasi überwachte den 1963 Entlassenen, schlug ihm über einen Mittelsmann vor, nur noch Krimis zu schreiben. Für ihn, der Vater dreier Kinder wurde, ging das einige Jahre gut. Doch in Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene von 1978 zeigte er schonungslos den vorgezeichneten Alltag in der DDR und den Frust all derer, die sich nach einem selbstbestimmten Leben sehnten. Das war zu viel für die roten Zensoren. Er solle streichen, verlangten sie. Doch Loest wollte längst nicht mehr; er protestierte öffentlich, trat aus dem Schriftstellerverband aus. Mit einem Drei-Jahres-Visum versuchte man, ihn ruhigzustellen – er nutzte es, um sich in Osnabrück und später in Bad Godesberg ein neues Leben aufzubauen.

Doch auch im Westen blieb Loest unbequem; er kritisierte den „Verband deutscher Schriftsteller“, der ihm zu nachgiebig gegenüber dem SED-Regime war, fiel überhaupt immer wieder denen ins Wort, die im Sozialismus eine Alternative sahen, wenn er nur besser gemacht würde, und als einer der wenigen linken Intellektuellen freute er sich aus tiefstem Herzen über die Deutsche Einheit.

Trotz des Leipziger Kleinkrieges um Geschichtsklitterei und das Tübke-Bild schrieb Loest in den vergangenen Jahren weiter, veröffentlichte Romane wie Löwenstadt (2009) und sein Tagebuch unter dem Titel Man ist ja keine achtzig mehr (2010). Seinen Rückzug vom literarischen Leben gab der 85-Jährige erst 2011 bekannt. In den Fingern juckte es ihn aber dennoch weiter. Einen Roman über die Hitlerjugend hatte er noch im Kopf. Aber er sei zu alt dafür, sagte er. Am Ende fehlte dem unermüdlichen Kämpfer doch die Kraft. Er schied am 12. September 2013 mit einem Sprung aus dem zweiten Stock des Leipziger Universitätskrankenhauses aus dem Leben.

 

Michael Böhm, geboren 1969 in Dresden, freier Publizist und Autor, unter anderem für „Du – Die Zeitschrift der Kultur“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur.