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Antisemitismus im Islamismus

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Antisemitismus findet sich auch im Islamismus. Diese Aussage macht eine Definition der Bezeichnung notwendig, denn gegenteilige Auffassungen gehen von einer einseitigen bis falschen Deutung aus. Antisemitismus steht in der Forschung allgemein für eine Sammelbezeichnung, die alle Einstellungen und Handlungen gegen Juden begrifflich erfassen will. Für die hier zu behandelnde Frage sind dabei folgende Aspekte von Bedeutung: Antisemitismus richtet sich nicht gegen alle Angehörigen der Sprachfamilie der Semiten, wozu etwa auch das Arabische gehört. Demnach können Araber und Araberinnen auch Antisemiten und Antisemitinnen im Sinne von Judenfeinden sein. Und Antisemitismus ist nicht begrenzt auf eine rassistische Grundposition, es gibt auch andere Ideologieformen der Judenfeindschaft. Dazu können etwa politische, ökonomische oder religiöse Grundlagen von Aversionen und Vorurteilen gehören. Gerade diese Formen findet man auch als ideologische Basis des Antisemitismus im Islamismus, der demgegenüber keine biologistische bzw. rassistische Variante kennt.

Antisemitismus im Islamismus stellt ideengeschichtlich eine Mischung von klassischen und neueren Formen dar. Im erstgenannten Bereich geht es um Bezüge zur Frühgeschichte des Islam, in der nach offizieller Überlieferung der Prophet Mohammed im Konflikt mit drei jüdischen Stämmen stand. Diese habe er zur Akzeptanz seiner Glaubensinterpretation bekehren wollen, allerdings ohne Erfolg. Aufgrund der Enttäuschung sei es zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit einem jeweils siegreichen Ende für Mohammed gekommen. Die Angehörigen des dritten Stammes habe man hingerichtet oder versklavt. Einige der negativen Kommentare im Koran erklären sich durch diese Auseinandersetzung, die den inhaltlichen Grund für eine Darstellung der Juden und Jüdinnen als betrügerisch und unbelehrbar erklärt (vgl. Sure 2, 100, Sure 3, 78, Sure 4, 46, 155, 161). Da nun dieses religiöse Grundlagenwerk des Islam bis in die Gegenwart häufig wortwörtlich verstanden wird, bildete die Judenfeindschaft bereits seit jenen Jahren einen integralen Bestandteil des religiösen Selbstverständnisses.

Gleichwohl konnten die Juden und Jüdinnen fortan als Schutzbefohlene – zumindest im Unterschied zum christlichen Abendland – ein relativ sicheres Leben in den islamisch geprägten Ländern führen. Erst im Kontext der Kolonialisierung fanden auch dort Auffassungen des europäischen Antisemitismus wie etwa die Legende vom jüdischen „Ritualmord“ ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr Verbreitung. Insofern handelte es sich hier um ein importiertes Phänomen, das aber in der erwähnten religiösen Sicht auf die Juden und Jüdinnen einen Anknüpfungspunkt fand. Nachdem es dann in den 1920er Jahren zu einem Anstieg der Einwanderung von europäischen Juden nach Palästina kam, eskalierten einschlägige Aversionen gegen die Neuankömmlinge bis hin zu Gewalttaten und Massakern. In diesem Kontext fanden die erwähnten antisemitischen Behauptungen mit europäischem wie islamischem Hintergrund immer mehr Verbreitung. Bereits in den 1930er Jahren kursierten denn auch in der „Muslimbruderschaft“, der „Mutterorganisation“ des Islamismus, einschlägige Schriften.

Die Gründung des Staates Israel 1948 ließ entsprechende Aversionen und Feindbilder noch mehr eskalieren, vor allem nach dem militärisch gescheiterten Krieg der arabischen Staaten gegen das kleine Land. Für diese Niederlage bedurfte es einer Erklärung. Sie fanden islamistische wie säkulare Feinde Israels in der Behauptung einer jüdischen Verschwörung. Der spätere ägyptische Präsident Abd el Nasser hatte bereits 1950 die antisemitische Fälschung der „Protokolle der Weisen von Zion“ als echtes Dokument bezeichnet. Und der damalige Chefideologe der Muslimbruderschaft, Sayyid Qutb, publizierte im gleichen Jahr eine Schrift mit dem Titel „Unser Kampf gegen die Juden“. Darin sprach er von einem jahrhundertelangen Krieg der Juden und Jüdinnen gegen den Islam. Solche Behauptungen kursierten fortan in der arabischen Welt, was insbesondere an den Massenauflagen für die erwähnten „Protokolle der Weisen von Zion“ ablesbar ist. Israels Existenz führte man auf die Folge einer diabolischen „jüdischen Weltverschwörung“ zurück.

Derartige Behauptungen fanden sich fortan in der öffentlichen Agitation der unterschiedlichsten islamistischen Organisationen: Der Begründer der „Milli Görüş“-Bewegung in der Türkei, Necmettin Erbakan, behauptete etwa 1991 in seiner Schrift „Gerechte Wirtschaftsordnung“, dass der Zionismus ein Glaube und eine Ideologie mit einem Zentrum in den Banken der Wall Street sei. Damit bediente er sich einer klassischen antisemitischen Aussage, wonach das Finanzkapital von den Juden und Jüdinnen beherrscht sei. Auch die im Umfeld der „Milli Görüş“-Bewegung kursierende Tageszeitung „Milli Gazete“ enthielt immer wieder einschlägige Behauptungen. Da diese auch in Deutschland bei dem hiesigen Ableger der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş“ (IGMG) geschätzt ist, fanden derartige judenfeindliche Stereotype über diesen Umweg auch bei türkischen Migranten und Migrantinnen inhaltliche Verbreitung. Zwar bildete meist der Bezug auf den Nahostkonflikt den Anlass von Kommentaren, aber der Antisemitismus hinter der Israelfeindlichkeit blieb unverkennbar.

Dies gilt auch für andere islamische Organisationen wie etwa die „Hamas“, die sich als palästinensischer Ableger der „Muslimbruderschaft“ versteht. In ihrer Charta von 1988, einer Art Grundsatzprogramm, findet man deutliche Worte. Bereits zu Beginn wird kaum verklausuliert zur Tötung von Juden und Jüdinnen sowie zur Vernichtung Israels aufgerufen. Der folgende Text liefert dann eine Fülle von antisemitischen Aussagen, die ebenfalls von einer „jüdischen Konspiration“ gegen den Islam ausgehen. Bereits die Französische Revolution, dann aber auch die Gründung der Vereinten Nationen wurde auf das verschwörerische Wirken dieser „Feinde“ zurückgeführt. Selbst die erwähnten „Protokolle der Weisen von Zion“, die auch für die NS-Propaganda von großer Bedeutung waren, gelten in der Charta als Beleg für die weltweite Verschwörung. Im Text lässt sich übrigens die erwähnte Mischung von klassischen und neueren Elementen des Antisemitismus gut belegen: Man beruft sich ebenso auf die Aussagen hinsichtlich der Juden und Jüdinnen im Koran wie auf die Inhalte des europäischen Judenhasses.

Dies gilt auch für die libanesische „Hizb’ Allah“, wobei hier die antisemitische Agitation nicht in gleicher Eindeutigkeit konstatiert werden kann. Indessen finden sich auch hier bei führenden Funktionären und in Publikationsorganen einschlägige Behauptungen: Mit Rekursen auf den Koran werden Juden und Jüdinnen als gefährliche und hinterhältige Gegner und Gegnerinnen des Islam dargestellt. Darüber hinaus bezeichnet man sie als Feinde der Menschheit, die über ihre finanzielle Macht die Welt dominieren. Zusammen mit den Freimaurern hätten sich die Juden und Jüdinnen zu Weltverschwörern entwickelt und trügen die Schuld an allen Übeln – von Kriegen über Revolutionen bis zu Wirtschaftskrisen. Selbst die Krankheit Aids führte man auf eine jüdische Konspiration zur Zerstörung der islamischen Gesellschaften zurück. Hier gilt, ebenso wie bei der „Hamas“, dass derartige Auffassungen durch Anhänger und Anhängerinnen der beiden islamistischen Gruppen auch in Deutschland unter Muslimen und Musliminnen inhaltliche Verbreitung finden. Antisemitismus dient dann in der Ferne zur scheinbaren Erklärung des Nahostkonfliktes.

Ferner kann man auch bei dem terroristischen Netzwerk „al-Qaida“ bei einzelnen Aktivisten sowie Bekenntnissen und Gewalthandlungen judenfeindliche Grundpositionen konstatieren. Dafür stehen die gescheiterten Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Berlin und Düsseldorf 2002, die durchgeführten Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Casablanca oder die Gewaltaktionen gegen zwei Synagogen in Istanbul 2003. In der von Osama bin Laden maßgeblich mitinitiierten Erklärung der „Internationalen Islamischen Front für den Dschihad gegen Juden und Kreuzritter“ von 1998 wurde bereits in einer ideologischen Verkopplung von Antiamerikanismus und Antisemitismus ausdrücklich dazu aufgerufen, militärische wie zivile Amerikaner und Amerikanerinnen sowie Juden und Jüdinnen auf der ganzen Welt zu töten. Und Mohammed Atta, der Anführer der Todespiloten des 11. September 2001, hatte vor den Anschlägen in seinem persönlichen und politischen Umfeld immer wieder eine beabsichtigte Ausrottung des Islam durch eine Verschwörung des „Weltjudentums“ unterstellt.

Auch in Europa können immer wieder Gewalthandlungen und Hasspropaganda von Islamisten und Islamistinnen konstatiert werden: Am 24. Mai 2014 erschoss ein islamistischer Syrien-Heimkehrer im Jüdischen Museum in Brüssel vier Menschen. Und am 9. Januar 2015 überfiel in Paris ein islamistischer Attentäter einen jüdischen Supermarkt, wobei ebenfalls vier Menschen ums Leben kamen. Bereits am 29. Juli 2014 hatten in Wuppertal drei Palästinenser einen Brandanschlag auf die dortige Synagoge versucht. Und bei Demonstrationen im Sommer 2014 anlässlich des Gaza-Konflikts riefen nicht nur islamistische Demonstranten und Demonstrantinnen auf deutschen Straßen judenfeindliche Parolen wie: „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“, „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“, „Juden raus“ oder „Tod den Juden“. In allen genannten Fällen bot die Ablehnung von Israels Politik gegenüber den Palästinensern den formalen Anlass; indessen richtete sich die Gewalt und der Hass gegen nicht-israelische Juden und Jüdinnen. Insofern hat man es eben auch mit Antisemitismus als Judenfeindschaft zu tun.

Dies ließ sich auch im Mai 2021 feststellen, kam es doch erneut zu einer Eskalation der Konflikte zwischen der islamistischen Hamas und dem Staat Israel. Diese Ereignisse lösten mehrere Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten aus, woran sich mehrheitlich Menschen mit arabischem und türkischem Migrationshintergrund beteiligten. Bemerkenswert waren bereits die gewählten Orte, handelte es sich doch meist um Synagogen. Doch inwieweit sollten die in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen für die Politik des Staates Israel verantwortlich sein? Diese Entscheidung zur Ortswahl erklärt sich letztendlich durch eine judenfeindliche Grundhaltung, die alle Juden und Jüdinnen objektiv mit Israel zum Konstrukt eines „Weltjudentums“ zusammendachte. Darüber hinaus wurden bei Demonstrationen eindeutig antisemitische Parolen gerufen, so etwa in Gelsenkirchen mehrfach mit „Scheißjuden, Scheißjuden, Scheißjuden“. Andere Rufe, die eine Freiheit für Palästina vom Fluss bis zum See forderten, würden auf die Auflösung oder gar Vernichtung Israels hinauslaufen.

Bei einer Eskalation des Nahost-Konfliktes lässt sich regelmäßig auch ein Anstieg des Antisemitismus feststellen. Dies gilt insbesondere im islamistischen Bereich, denn dort findet eine agitatorische Kombination des klassischen religiösen mit dem neueren israel-feindlichen Antisemitismus statt. Folglich stellt einschlägige Propaganda sowohl auf eine religiöse Einstellung als auch auf tagespolitische Aktualität ab.

 

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber

 

Lesetipps:

  • Yehuda Bauer, Der islamische Antisemitismus. Eine aktuelle Bedrohung, Münster 2018.
  • Wolfgang Benz/Juliane Wetzel (Hrsg.), Antisemitismus und radikaler Islamismus, Essen 2007.
  • Michael Kiefer, Antisemitismus in den islamischen Gesellschaften. Der Palästina-Konflikt und der Transfer eines Feindbildes, Düsseldorf 2002.
  • Ruud Koopmans, Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit. Muslime und Christen im europäischen Vergleich, in: WZB Mitteilungen, Heft 142, Dezember 2013, S. 21-25.
  • Matthias Küntzel, Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg, Freiburg 2003.
  • Bernard Lewis, Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, München 1987.
  • Bernard Lewis, „Treibt sie ins Meer!“ Die Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt a.M./Berlin 1987.
  • Armin Pfahl-Traughber, Antisemitismus im Islamismus. Ideengeschichtliche Bedingungsfaktoren und agitatorische Erscheinungsformen, in: Helmut Fünfsinn/Armin Pfahl-Traughber (Hrsg.), Extremismus und Terrorismus als Herausforderung für Gesellschaft und Justiz. Antisemitismus im Extremismus, Brühl 2011, S. 112-134.
  • Robert Wistrich, Muslimischer Antisemitismus. Eine aktuelle Gefahr, Berlin 2011.

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