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Medien-Dschihad: Entwicklung, Inhalte und Ziele

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Islam = Islamismus = Dschihadismus – diese völlig falsche und gefährliche Gleichung wird zu häufig in den westlichen Medien gemacht und von einer breiten Öffentlichkeit aufgegriffen. Daher gilt es herauszustellen, dass ein sehr großer Teil der 1,6 Milliarden Muslime weltweit keine Islamisten und erst recht keine Dschihadisten sind; sie sehen den Islam vielmehr als private Glaubenssache an und befürworten eine Trennung von Religion und Politik.

Islamismus ist ein schwierig zu handhabendes und weit gefächertes Konzept. Es wurde erst in den 1980er-Jahren durch die europäischen Sozialwissenschaften eingeführt und erst später von »islamistischen Gruppen« übernommen. Der Begriff kennzeichnet alle Bewegungen und Gruppierungen, die Elemente des Islam als Kernbestandteile politischer und gesellschaftlicher Systeme und als Lösung für deren Probleme sehen. Innerhalb des sunnitischen Islam lässt sich der Islamismus wiederum grob in drei Strömungen aufteilen: den politischen Islam, den Salafismus und den Dschihadismus.

Als politischer Islam werden gemeinhin alle Ableger der ursprünglich in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft sowie weiterer Gruppierungen bezeichnet, die an politischen Prozessen teilhaben wollen. Hierbei handelt es sich zum Teil um relativ moderate Gruppen wie die tunesische Ennahda und die türkische Regierungspartei AKP, aber auch um radikalere Organisationen wie die palästinensische Hamas.

Der Salafismus geht auf den Begriff der »frommen Altvorderen« (arabisch al-salaf al-salih) aus der Frühzeit des Islam zurück und ist eine pietistische Strömung des sunnitischen Islam, die den Koran und die Überlieferungen des Propheten als einzige Quellen des »wahren Glaubens« betrachtet. Sie ist stark von der in Saudi-Arabien staatstragenden Doktrin des Wahhabismus beeinflusst. Der Salafismus gilt als die im Moment am schnellsten wachsende Strömung des sunnitischen Islam, sowohl im arabischen Raum als auch in Europa. Die Salafisten lehnen politisches Engagement zumeist ab und sind in der Regel nicht gewalttätig. Jedoch vertreten sie häufig radikale Interpretationen des Islam, die sich auch im Dschihadismus wiederfinden.

Der Dschihadismus lässt sich als die extremistischste Auslegung des sunnitischen Islam definieren. Das Konzept des Dschihad, welches im Islam vielfältige Bedeutungen hat – etwa die einer inneren Glaubensanstrengung – wird hier allein auf den bewaffneten Kampf reduziert (siehe auch Die Legitimation des Jihad im Islam). Dieser Kampf wiederum gilt nicht nur als das wichtigste Instrument zur Lösung der meisten Probleme der muslimischen Welt, sondern auch als der alleinige Weg zur persönlichen Erlösung im Paradies.

Die Geschichte der dschihadistischen Propaganda, ihrer strukturellen Entwicklung und ihrer Ausbreitung lässt sich grob in vier Phasen einteilen: Erstens ihre Vorgeschichte im Afghanistankrieg gegen die Sowjetunion (1979 bis 1989), während der die dschihadistische Propaganda vor allem über klassische Printmedien, Audiokassetten sowie die ersten damals noch sehr kostspieligen VHS-Videos verbreitet wurde; zweitens die Ausweitung der Propagandaanstrengungen auf die westliche Welt und die Gründung der ersten Webseiten (1990 bis 2001), während der erstmals gezielte Überlegungen zu einer dschihadistischen Kommunikationsstrategie angestellt wurden; drittens die Globalisierung des dschihadistischen Internets (2002 bis 2006) nach dem 11. September 2001, der darauf folgenden Intervention in Afghanistan und vor allem dem Ausbruch des Irakkrieges 2003, der den Dschihadisten viele neue Sympathisanten verschaffte; und viertens die Nutzung der sozialen Netzwerke und neuen Medien durch die Dschihadisten (2006 bis heute). Die aktuelle Phase des Cyber-Dschihad führte seit 2014 vor allem durch die Aktivitäten des so genannten „Islamischen Staats (IS)“ zu einer wahren Schwemme dschihadistischer Propaganda. In ihr wird die dschihadistische Symbolik mit den Codices westlicher Jugendkultur und der Ultra-Brutalität gewisser Videospiele vermischt und so zu einer Anti-Kultur des Dschihads, die auch Europas Jugend mehr und mehr infiziert.

Diese durch das so genannte Web 2.0 eingeleitete, sich teilweise mit der dritten überlappende vierte Phase des Cyber-Dschihad wird durch drei Hauptentwicklungen geprägt. Erstens begannen die Propagandisten des Dschihad, ihre Aktivitäten auf die sozialen Netzwerke und sogar auf die Smartphones auszuweiten. Somit erreichten sie auch die westliche Welt. Zweitens versuchten die Dschihadisten, beliebte Mainstreamforen in der islamischen Welt zu kapern. Drittens verstärkten sie ihre Aktivitäten im so genannten deep dark net, dem versteckten Netz. Vor allem soziale Netzwerke wie Facebook, Videoportale wie YouTube und Nachrichtendienste wie Twitter sind zu wichtigen Propagandaträgern geworden. Die Inhalte sozialer Plattformen finden sich zudem häufig in klassischen Medien oder Propaganda-Instrumenten wieder, etwa in dschihadistischen Printpublikationen oder Flugblättern. Es entstehen so genannte Crossmedia – eng miteinander vernetzte, flexible Medien.

Die rasante, offene, direkte und globale Kommunikation auf verschiedenen Kanälen und emotionsgeladene multimediale Inhalte von persönlichen Angaben, Texten, Musik und Videos erzeugen bei den Nutzern das Gefühl, Teil einer internationalen Gemeinschaft oder auch einer dschihadistischen Anti-Kultur zu sein, die in den neuen Medien quasi gleichberechtigt mit anderen Gemeinschaften und Kulturen besteht. Unter Nutzung der Codes, Gesten und Ästhetik europäischer Subkultur prägen dschihadistische E-Natives die Propaganda des Cyber-Dschihads, seine Symbolik und somit eine neue Generation von machtvollen Propagandisten des globalen Terrors. Dabei kapern sie geschickt die Symbolik des Islam, wie das schwarze Banner, das bereits vom Propheten Mohammed und seinen Gefährten als Kampfflagge benutzt wurde und das Siegel des Propheten. Gleichzeitig schaffen sie visuelle Ikonen, etwa durch ihre Darstellung des Paradieses, und verstoßen somit gegen das von ihnen eigentlich strikt geforderte Bilderverbot (siehe auch Jihad-Rekrutierung im Zeitalter des Web 2.0).

Ohne die vereinende und identitätsbildende Wirkung der audiovisuellen Propaganda gäbe es die weltumspannende dschihadistische Bewegung vermutlich gar nicht mehr. Vor allem aber ist es den Dschihadisten durch die Umdeutung und Annektierung von islamischen Konzepten und Symbolen gelungen, eine eigene Bildsprache und letztlich eine Anti-Kultur des Dschihad zu erschaffen. Durch das Wegfallen von Sprachbarrieren wurde der Wirkungskreis der Propaganda stark erweitert. Jugendliche können sich einfacher als je zuvor mit den Dschihadisten als Vorbildern identifizieren, wodurch die Hemmschwelle sinkt, sich dschihadistischen Organisationen anzuschließen.

In allen dschihadistischen Propagandaproduktionen werden komplexe theologische Inhalte auf phrasenhafte Dichotomien reduziert, die zu einem kompromisslosen „Wir (= die ,wahren‘ Muslime) gegen Euch (= alle anderen)“ destilliert werden.

Gleichzeitig ist das virtuelle Dschihadistan des IS eine Welt des totalen Horrors und neu inszenierter Ultragewalt.

Die Ziele dschihadistischer Propaganda sind komplex und vielschichtig. Zum einen geht es darum, ein Maximum medialer Aufmerksamkeit zu erregen und so junge Muslime zur finanziellen, materiellen und physischen Unterstützung des Dschihads zu rekrutieren. Zweitens versuchen die Dschihadisten, ein geschlossenes Weltbild zu schaffen und die muslimische Gemeinschaft zu überzeugen, dass sie die alleinigen Vertreter des wahren Glaubens sind. Hierbei streben sie nach der Deutungshoheit über islamische Schlüsselkonzepte und Symbole, was ihnen zum Teil auch gelungen ist. Drittens versuchen die Dschihadisten, durch die Manipulation dieser Konzepte und Symbole ihre eigene Mythologie und Heilslehre zu etablieren. Diese Eschatologie beinhaltet eine Kosmologie, in der Dschihadisten die einzigen wahren Gläubigen sind; nur sie kommen ins Paradies. Die Führer dschihadistischer Gruppen werden zu den einzig legitimen Verkündern der göttlichen Offenbarung stilisiert und mit ihrem Heilsversprechen durch den Märtyrertod zu selbsternannten Propheten im Weberschen Sinn. Die Selbstmordattentäter wiederum werden nach diesem Verständnis als Märtyrer zu Heiligen, die vor allen anderen Muslimen ins Paradies gelangen.

Dr. Asiem El Difraoui

 

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Kapitel „Islamistische Medien: Vom Wahhabismus über die Muslimbrüder zum Cyber-Jihad“ aus dem kürzlich erschienenem Buch „Arabische Medien“ (s.u.).

 

Lesetipps:

  • El Difraoui, Asiem: Al Qaida par l‘image. La prophétie du martyre. Paris 2013.
  • El Difraoui, Asiem: jihad.de. Jihadistische Online-Propaganda: Empfehlungen für Gegenmaßnahmen in Deutschland. SWP-Studien 2012/S 05, Februar 2012.
  • El Difraoui, Asiem: Propaganda und Märtyrertum: Drei Jahrzehnte Videodschihad. In Blätter für deutsche und internationale Politik, 6/2013, S. 43-51.
  • El Difraoui, Asiem: Islamistische Medien: Vom Wahhabismus über die Muslimbrüder zum Cyber-Jihad, in: Asiem El Difraoui & Carola Richter (Hrsg.), Arabische Medien. Konstanz 2015, S. 117-128.
  • Winter, Charlie: The Virtual ‘Caliphate’: Understanding Islamic State’s Propaganda Strategy, Quilliam July 2015.

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