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Falsche Vorbilder: Mao Tse-tung

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Durch Zitate wie „Rebellion ist gerechtfertigt.“ und „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.“ wurde Mao Tse-tung (1893–1976) – geboren als Bauernsohn, gestorben als „Großer Führer“ des bevölkerungsreichsten Landes der Erde – vielen im Westen bekannt. Sie begründen die Legende um eine der schillerndsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die in China wie in Europa nach wie vor von einigen Unbeirrbaren als Stimme der sich erhebenden Entrechteten verehrt wird. Doch was ist dran am „Mythos Mao“, dass Poster, T-Shirts und Pins mit seinem Konterfei nach wie vor zu finden sind?

Der Maoismus als politische Ideologie hat im Grunde ausgedient. In den 1970er Jahren inspirierte er in Deutschland vor allem die sog. K-Gruppen, nachdem der sowjetische Staatslenker Nikita Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 die Abkehr vom Stalinismus und die „friedliche Koexistenz“ westlich-kapitalistischer und sozialistischer Staaten forderte. Mao – und seine Getreuen – sahen darin einen Verrat am Marxismus-Leninismus. Was Maoisten im Westen darüber hinaus faszinierte, war wohl vor allem die von Mao propagierte Verbundenheit mit der „Dritten Welt“ im Kampf gegen die Supermächte, die Auffassung, dass die armen Bauern und Bäuerinnen (und nicht das Proletariat) die Hauptkraft der Revolution bilden („Einkreisung der Städte durch das Land“) und dass Klassenkampf wie Revolution auch unter sozialistischen Verhältnissen fortdauern, d.h. eine Dauermobilisierung der Massen wie auch eine ständige Umerziehung der Menschen erforderten. Daneben erfuhren Maos Ideen der Machteroberung durch einen Guerillakrieg im deutschen Linksterrorismus der RAF erhebliche Resonanz – diese bezog sich mehrfach auf ihn: Auf dem „Konzept Stadtguerilla“ von 1971, einem der frühen RAF-Grundsatzpapiere, prangt etwa das Mao-Zitat: „Zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen!“ Indes: In der Praxis stand der Maoismus allenfalls in einem lockeren Verhältnis zu Maos Schriften, der ohnehin mehr Praktiker denn Theoretiker war. Die sog. „Rote Bibel“ war denn auch mehr Zitate-Sammlung denn ausgereifte Ideologie. Ein Grund mehr, einen Blick auf das Wirken Maos zu werfen:

Am 1. Oktober 1949 rief Mao als Führer der Kommunisten und Kommunistinnen vom Tor des Himmlischen Friedens die Volksrepublik China aus, nachdem er sich gegen den nationalistischen Generalissimus Tschiang Kai-schek im Bürgerkrieg durchgesetzt hatte. Die „Mao-Tse-tung-Ideen“, die ursprünglich auf der stalinistischen Variante des Marxismus-Leninismus beruhten, fußten auf der Macht der Massen, der Arbeiter und der Bauern, die in einem breiten Bündnis China von Imperialisten und Großgrundbesitzern befreien sollten. Dementsprechend säuberte der „Große Steuermann“, wie einer seiner vielen Titel lautete, zunächst das Land von Anhängern und Anhängerinnen der alten Ordnung, von „Konterrevolutionären“ und „Banditen“. Mit dieser ersten groß angelegten Säuberungswelle bis zur Mitte der 1950er Jahre liquidierte er mehr als eine Million politischer Gegner, ließ sie in Umerziehungslager (die „Laogai“) stecken und überwachen.

Ein einprägsames Beispiel für Maos Idee, auch der Sozialismus sei nie abgeschlossen, ist wohl die Hundert-Blumen-Kampagne: Im Frühsommer 1957 wurden Kritiker und Kritikerinnen dazu ermuntert, ihren Unmut über Bürokratie und Missstände in der Partei zu äußern. Nachdem sich die KPCh erschrocken über das Ausmaß der Unzufriedenheit angesichts grassierender Korruption, Repressionen und niedriger Löhne zeigte, wurde sie abrupt beendet. Ihr folgte eine Welle der Repression, inklusive Quotenvorgaben, wie viele Kritiker und Kritikerinnen zu denunzieren seien.

Gemäß Maos Theorie der „Permanenten Revolution“ leitete dieser zudem (1956/57) den „Großen Sprung nach vorn“ ein, der China binnen kürzester Zeit von einem Bauernstaat in ein hochindustrialisiertes Land verwandeln sollte. Das utopische, die Wirklichkeit auf das Härteste ignorierende Wunschdenken, Verwaltungswirrwarr, übertriebene Erfolgsmeldungen und der Abzug vieler landwirtschaftlicher Arbeiter in die Industrie überforderten das Land, das 1959 unter einer katastrophalen Hungersnot zu kollabieren drohte. Mao hat in dieser Zeit die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen, um seinen Gegnern und Gegnerinnen im Inneren wie im Äußeren keine Angriffsfläche zu bieten. Nur indem er billigend den Tod von mehr als 20 Millionen Menschen in Kauf nahm, konnte er sich gestärkt vom Weg der Sowjetunion emanzipieren und die nächste Säuberungswelle gegen „Rechtsopportunisten“ fordern. Erst nach der Katastrophe deutete sich bei Mao ein Umdenken an – obwohl für die Hungersnot eben nicht Naturkatastrophen als Ursache anzuführen sind, sondern das Utopie-Denken der Parteikader.

Im Gedächtnis verhaftet bleibt vielen Chinesen daneben die „Große Proletarische Kulturrevolution“ ab 1966, eine weitere Säuberungswelle gegen Konterrevolutionäre in der Gesellschaft wie innerparteiliche Konkurrenten Maos. Der „Große Führer“ nutzte die jungen Revolutionäre, die „Roten Garden“, zur Denunziation, zu Mord und Demütigung der eigenen Elterngeneration. Die Kulturrevolution erhielt bald eine Eigendynamik, die den spontanen Terror in „Anarchischem Totalitarismus“1 münden ließ und die in den Griff zu bekommen die Armee Probleme hatte. Einer restaurativen Säuberungswelle ab 1968 fielen dann nochmals mehrere Millionen Menschen zum Opfer. Insgesamt war Mao damit verantwortlich für die größte nationale Tragödie in China.

Die drei Schlaglichter („Hundert-Blumen-Kampagne“, „Großer Sprung nach vorn“ und „Kulturrevolution“) verdeutlichen den Charakter des maoistischen Regimes. Die Menschenopfer galten als Kollateralschäden der „Permanenten Revolution“ im Zuge von Chinas Modernisierung, die Mao wiederum als Akte schöpferischer Zerstörung in Partei wie Gesellschaft sah. Nicht zuletzt deswegen nahm die KPCh von diesen Gedanken rasch nach Maos Tod Abstand.

 

Tom Mannewitz

 

Lesetipps:

  • Short, Philip, Mao: A Life, New York 1999.
  • Wemheuer, Felix, Mao Zedong, Reinbek bei Hamburg 2010.
  • Dabringhaus, Sabine, Mao Zedong, München 2008.

 


Margolin, Jean-Louis, China: Ein langer Marsch in die Nacht, in: Courtois, Stéphane, et al., Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München 1998.

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Felix Neumann

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