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Wie unterscheiden sich Linksextremisten von linken Demokraten?
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Sie teilen dieselben Anliegen, aber ihre Ziele sind denkbar unterschiedlich: Auf diese einfache Formel lässt sich die Antwort auf die Frage reduzieren. Soziale Gerechtigkeit und Abrüstung zum Beispiel: Linke Demokraten und Linksextremisten verbinden auf den ersten Blick die gleichen Forderungen. Doch während die einen auf dem Boden des demokratischen Verfassungsstaats agieren, sehen die anderen gerade in dessen Beseitigung den Schlüssel für die vermeintlich simple Lösung aller Probleme. Insofern haben Linksextremisten mit Rechtsextremisten mehr gemeinsam als mit linken Demokraten.
Der Unterschied zwischen Linksextremisten und linken Demokraten ist keineswegs graue Theorie, sondern hat konkrete historische Wurzeln, die bis ins deutsche Kaiserreich zurückreichen. Schon bei ihrer Gründung im Jahr 1875 focht die SPD – neben einem zunächst radikalen, marxistischen Ansatz im ökonomischen Bereich – für eine demokratische, parlamentarische Republik. Diese Auffassung vertrat freilich nicht jeder in der Partei. Allen voran Rosa Luxemburg lehnte die demokratisch-konstitutionellen Ideen ihres Kontrahenten Eduard Bernstein als „Sozialreformismus“ ab. Die Spaltung der Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg und die Gründung der KPD waren logische Folgen dieser Kluft. Die deutschen Kommunisten erblickten in Lenins Bolschewiki (siehe auch Falsche Vorbilder: Wladimir Iljitsch Lenin) ihr Vorbild und propagierten die Zerschlagung der Weimarer Republik. Unter ihrem Vorsitzenden Ernst Thälmann wurde die KPD zum treuen Vasallen des sowjetischen Terrorregimes unter Stalin. Nicht der aufkommende Nationalsozialismus galt der KPD als größte Gefahr, sondern die republiktreue SPD. Die radikale Gegnerschaft zum demokratischen Staat einte Hitlers NSDAP und Ernst Thälmanns KPD nicht nur theoretisch. Die Zusammenarbeit der antirepublikanischen Kräfte im Reichstag war durchaus real.1 Nach 1945 blieb der sogenannte „Sozialdemokratismus“ in der DDR nicht nur als „bürgerliche“ Ideologie, sondern als besonders heimtückischer „Hauptfeind“. Die Unterscheidung zwischen links und rechts war für Linksextremisten – auch wenn sie es anders darstellten - schon immer von untergeordneter Bedeutung.
Es gibt zwei wichtige Unterschiede zwischen linken Demokraten und Linksextremisten. Erstens: Während die einen – wie Bernstein – die parlamentarische Demokratie als optimale Bedingung für soziale Reformen ansehen, streben die anderen – wie Luxemburg – nach einem revolutionären Umsturz des freiheitlichen Systems. Dieser Gegensatz fußt – zweitens – auf einer grundsätzlich anderen Interpretation der Gesellschaft. Linke Demokraten sehen im „Kapitalismus“ eine Wirtschaftsform, die sozialen Maßstäben angepasst werden müsse. Demgegenüber verbinden Linksextremisten mit „Kapitalismus“ auch ein Herrschaftssystem. Für sie ist der demokratische Staat ausschließlich ein Mittel, mit dem „die Kapitalisten“ ihre Interessen gegen den Rest der Bürger durchsetzen.
Im Zentrum linksextremistischen Denkens steht eine absolut gesetzte Ideologie, die den „Kapitalismus“ überwinden und an seiner Stelle eine kommunistische Gesellschaft errichten will. In der Utopie marxistisch geprägter Linksextremisten geht der „Kapitalismus“ früher oder später an seinen inneren Widersprüchen zugrunde und macht einer sozialistischen Revolution Platz, in der die Arbeiterklasse die Macht ergreift und eine „Diktatur des Proletariats“ errichtet. Insofern ist auch der Unterschied von Demokratie und Diktatur für Linksextremisten zweitrangig. Linke Demokraten, die einmal in einer „Diktatur des Proletariats“ leben mussten, machen freilich eine andere Rechnung auf.
Linksextremisten versuchen oft, die sehr grundsätzlichen Unterschiede zwischen ihnen und linken Demokraten zu verwischen. Sie bedienen sich dazu der kommunistischen Strategie, demokratische Bewegungen und Organisationen für eigene Zwecke zu missbrauchen. Vordergründig werden in dieser Taktik die Anliegen linker Demokraten zunächst akzeptiert. Ein Beispiel: Im freien Westen Deutschlands konnte der Kommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg nicht Fuß fassen. Das galt auch für die stärkste Kraft des Spektrums, die 1968, zwölf Jahre nach dem Verbot der KPD gegründete und lange Zeit von der DDR finanzierte Deutsche Kommunistische Partei (DKP). Ihr Scheitern bei Wahlen führte sie zu neuen Einsichten. Sie verlegte sich darauf, gesellschaftlichen Protest für sich zu vereinnahmen. Anschaulich belegen das die „Friedenskampagnen“ der wahrlich nicht pazifistisch gesinnten DKP in den 1970er und frühen 1980er Jahren.2 Zum einen wurden die eigenen Leute in dieser Bewegung installiert. Zum anderen betrieb die DKP unterschwellig Propaganda für die eigenen Ziele: Die Friedensaktivisten sollten nach und nach von der Notwendigkeit eines sozialistischen Staates überzeugt werden. Geflissentlich schwieg die moskauhörige DKP jedoch zum Anteil der Sowjetunion an der Hochrüstung zu Zeiten des „Kalten Krieges“.
Das Beispiel zeigt, wie zynisch Kommunisten ein in einer Demokratie legitimes Anliegen für eigene Zwecke einspannten. Wahre Meister in Sachen Beeinflussung linksdemokratischer Gruppierungen sind im Übrigen die sogenannten Trotzkisten. Ihre Infiltrationsstrategie brachte sie etwa in das „globalisierungskritische“ Netzwerk ATTAC oder über die ehemalige westdeutsche Wahlinitiative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) in die Partei Die Linke. Dort wurden die Trotzkisten – was ihnen nicht immer widerfährt – an oberster Stelle mit offenen Armen empfangen. In linksextremistischer Strategie sind Themen Nebensache – sie müssen nur den Zweck der Mobilisierung einer Massenbewegung gegen den demokratischen Staat erfüllen. Dies führt in der Tat dazu, dass Linksextremisten und linke Demokraten viele Anliegen zu teilen scheinen, wenngleich jene nur ein instrumentelles Verhältnis dazu an den Tag legen. Die eigentlichen, weiterreichenden Ziele der Linksextremisten kommen deshalb nicht immer sofort zum Ausdruck.
Jürgen P. Lang
1 Vgl. Jürgen Plöhn, Extremismus im Reichstag der Weimarer Republik: Zum Zusammenspiel der Kräfte, in: Uwe Backes/Alexander Gallus/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie 22 (2010), S. 65–77.
2 Vgl. Udo Baron, Die Bündnis- und Kampagnenpolitik der DKP, in: Gerhard Hirscher/Armin Pfahl-Traughber (Hrsg.), Was wurde aus der DKP? Beiträge zu Geschichte und Gegenwart der extremen Linken in Deutschland, Brühl 2008, S. 48–65.