Asset-Herausgeber
Linksextremistische Umdeutungen des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944
Asset-Herausgeber
Das Attentat der Verschwörer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler vom 20. Juli 1944 widerspricht dem Weltbild von Linksextremisten. Danach gilt Faschismus lediglich als eine Variante des "Kapitalismus". Lediglich im Sozialismus bzw. Kommunismus gebe es angeblich keinen Faschismus. Weil Linksextremisten den "Kapitalismus", also rechtsstaatliche Demokratie und Soziale Marktwirtschaft, "überwinden" oder genauer zerschlagen und zertrümmern wollen, bekämpfen sie auch dessen geistige Grundlagen, zu denen das antitotalitäre Attentat vom 20. Juli 1944 gegen Hitler gehört. Das Datum zählt zu den wichtigsten der deutschen Geschichte. Denn die Verschwörer wollten mit Hitler den größten Verbrecher der Historie töten.
Ohne auch nur ansatzweise zu differenzieren, unterstellt die Agitation von Linksextremisten gegen das Attentat zunächst, Stauffenberg und seine Mitstreiter seien Reaktionäre bzw. ebenfalls Faschisten gewesen. Tatsächlich gab es unter den Verschwörern einige Protagonisten, die Hitlers Machtantritt anfangs unkritisch perzipiert oder gar begrüßt hatten, weil sie sich – wie viele Deutsche – von seiner Propaganda, seinen Lügen und Scheinerfolgen hatten blenden lassen, darunter seine Wendung gegen den Versailler Vertrag. Ebenso konnten sich viele von ihnen – ähnlich wie die damalige Mehrheit der Deutschen – anfangs kaum vorstellen, welche ungeheuerlichen Massenverbrechen gegen die Menschlichkeit Hitler und seine Helfer später begingen. Einige der späteren Verschwörer entwickelten nach dem 30. Januar 1933 erst allmählich eine kritischere Sicht auf Hitler und sein Regime. Grundsätzlich betrachteten Teile des Widerstandes – nach dem Scheitern der Weimarer Republik – die Parteiendemokratie als solche lange Zeit skeptisch, die in ihrer konkreten Ausgestaltung nach 1918/19 Aufstieg und Machteroberung Hitlers mit ermöglicht hatte.
Im Kampf gegen Hitler wollten viele Mitverschwörer daher alte politische Gräben überwinden. So agierte mit und hinter Stauffenberg – neben weiteren Militärs – eine große Vielfalt an rund 200 Persönlichkeiten, darunter Katholiken wie Alfred Delp, Protestanten wie Eugen Gerstenmaier (später Bundestagspräsident) und Sozialdemokraten und Gewerkschaftler wie Julius Leber und Wilhelm Leuschner. Sie überwanden viele jener Gegensätze, die sowohl zum Abstieg der Republik als zum Aufstieg der NSDAP beigetragen hatten. Dadurch legten sie, wie Bundeskanzler Helmut Kohl am 20. Juli 2004 betonte, gute Grundlagen für den demokratischen Grundkonsens der Bundesrepublik.
Andere Schmähkritik gerade auch linksextremistischer Provenienz unterstellt den Verschwörern um Stauffenberg, Friedrich Olbricht, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, Werner von Haeften, Ludwig Beck und Henning von Tresckow, sie hätten Hitler lediglich deshalb umbringen wollen, weil Deutschland 1944 eine militärische Niederlage drohte. Im Widerspruch dazu gab es bereits zuvor viele Attentatsversuche. Zu den Persönlichkeiten, die Hitler töten wollten, gehörte Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff. Er wollte sich im März 1943 auf einer Ausstellung über Beutewaffen aus dem Osten, die er Hitler erklären sollte, mit ihm im Berliner Zeughaus in die Luft sprengen. Das misslang, weil Hitler den Ort der geplanten Tat vorzeitig verlassen hatte. Ebenfalls im März 1943 schmuggelten Fabian von Schlabrendorff (später Richter am Bundesverfassungsgericht) und Henning von Tresckow eine Bombe in Hitlers Flugzeug. Doch der Zeitzünder versagte. Eberhard von Breitenbuch wiederum wollte Hitler im März 1944 bei Berchtesgaden erschießen, gelangte aber nicht in seine Nähe – alles nur wenige Beispiele vieler Versuche, Hitler zu töten.
Im Kern ging es den Verschwörern darum, Hitlers Herrschaft des Verbrechens zu beseitigen, seine singulären Massenmorde zu beenden und die Diktatur zu stürzen. Sie kämpften gegen das NS-Verbrecherregime und für Rechtsstaatlichkeit. Gerade Axel von dem Bussche und andere Mitverschwörer motivierten vor allem die monströsen Massenverbrechen des Hitler-Regimes zur Tat. Anfang Oktober 1942 hatte er in der Ukraine beobachtet, wie Hitlers Helfer tausende Juden exekutierten. Daraufhin erklärte er, er wolle sich mit dem Diktator bei der Vorführung neuer Uniformen in die Luft sprengen. Doch Hitler ließ den avisierten Termin mehrfach verlegen.
Später sprach Stauffenberg mit dem jungen Ewald Heinrich von Kleist darüber, ob er bereit sei, sich mit Hitler in die Luft zu sprengen. Von Kleist überlegte, das Attentat selbst auszuführen, erbat sich aber noch Bedenkzeit, um sich mit seinem Vater zu beraten, der befand: „Ja, das musst Du tun. Wer in einem solchen Moment versagt, wird nie wieder froh in seinem Leben.“ Doch Hitler ließ auch diese Uniformvorführung mehrfach absagen. Hitlers Massenmorde und seinen Eroberungs- bzw. Vernichtungskrieg zu beenden, gehörte zu den Hauptmotiven des Widerstandes.
Heute wäre es einseitig, zu behaupten, das Attentat vom 20. Juli 1944 sei gescheitert – immerhin hatte sich Goebbels kurz nach dem Attentat schon Zyankali organisiert. Zwar misslang es, Hitler zu töten, Deutschland aus seinem Innern heraus von der NS-Diktatur zu befreien und damit wahrscheinlich viele jener Millionen Menschenleben zu retten, die nach dem 20. Juli 1944 durch den von Hitler entfesselten Krieg und durch NS-Massenmorde starben. Doch mit ihrer aufopferungsvollen und mutigen Tat, zu der sie sich durchgerungen hatten, gelang es den Verschwörern, der Welt zeigen, wie absurd es gewesen wäre, Deutschland pauschal als monolithisch-homogenes Land von Fanatikern, Kollaborateuren und Mitläufern abzuqualifizieren.
Tatsächlich erleichterte das Attentat nach dem Ende der „Hitlerei“ (Sebastian Haffner) die Rückkehr Westdeutschlands in den Kreis der Demokratien. Das bestätigte nach dem Krieg unter anderem Winston Churchill, der das Attentat im Krieg noch als "dog eats dog-Affäre abqualifiziert hatte. Auch die Mehrheit der Westdeutschen würdigte Geist und Tat des Attentats nach dem Krieg erst allmählich. Gerade in den 50er Jahren galten Stauffenberg und seine Mitverschwörer vielen Bundesbürgern als Verräter, wie Umfragen zeigen. Unter solchen Kritikern dies- und jenseits hoher Funktionen in Staat und Gesellschaft befanden sich seinerzeit viele frühere Mitläufer oder gar –täter.
Gerade auch linksextremistische Schmähkritik am späten Zeitpunkt des Attentats Stauffenbergs übergeht und ignoriert nicht nur die diversen Versuche weit vor dem 20. Juli 1944, Hitler zu töten, sondern auch grundsätzliche Schwierigkeiten, unter den Bedingungen eines „Widerstandes fast ohne Volk“ mit Hitler den Diktator eines totalitären Regimes zu eliminieren. Einen früheren Erfolg eines Attentats erschwerte u.a. das ursprüngliche Ziel vieler Verschwörer, Hitler möglichst nur gleichzeitig mit Göring und Himmler zu beseitigen. Denn gerade Himmler verfügte mit der SS über eine potentielle Bürgerkriegsarmee. So scheitere im März 1943 der Plan, Hitler und Himmler bei einem Frontbesuch zu erschießen, weil der SS-Chef seine Teilnahme kurzfristig abgesagt hatte. Grundsätzlich hegten viele Wehrmachtsoffiziere anfangs schwere Bedenken, ihren Eid auf den „Führer“ zu brechen. Hierbei verkannten sie ihre Pflicht, soldatischen Gehorsam zu verweigern, wenn Wissen und Gewissen es verbieten, Befehle eines Verbrecher-Regimes zu befolgen. Axel von dem Bussche bemerkte 1947, einen solchen Eid könnten beide Seiten brechen und Hitler habe ihn vielfach gebrochen.
Auch zweifelten manche Offiziere am Anfang des Krieges, als Hitler militärisch von Erfolg zu Erfolg eilte und in der Bevölkerung viel Unterstützung genoss, an der Chance, einen Umsturz überhaupt erfolgreich durchzuführen. Denn nie gab es in Deutschland – anders als in besetzten Ländern – eine Massenbewegung gegen Hitler, die den Widerstand hätte ermutigen oder gar mitreißen können. Ebenfalls blockierte viele Militärs der Gedanke, ausgerechnet im Krieg gegen die totalitäre Sowjetunion die eigene Führung zu eliminieren. Aufgrund ihrer Erfahrungen in der Weimarer Republik fürchteten sie eine neue Art von Dolchstoßlegende.
Umso wichtiger waren Mut und Tatkraft des Katholiken Stauffenberg und seiner Mitstreiter, zu deren Kompass und Kraftquellen gerade auch ihr christlicher Glaube gehörte. Im deutlichen Widerspruch zu linksextremistischer Schmähkritik gilt letztlich: Die tapferen Verschwörer um Stauffenberg handelten wie „Lichtgestalten in finsteren Zeiten“ (Horst Möller). Stauffenbergs todesmutiges Attentat "kennt in der deutschen Geschichte ebenso wenig eine Parallele wie die Verbrechen Hitlers“ (Peter Hoffmann).
Harald Bergsdorf