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Linksextremistische Umdeutungen des Umgangs der Bundesrepublik mit dem NS-Erbe

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Gerade Linksextremisten verstehen es, Begriffe umzudeuten. Das gehört zu ihren zentralen Kennzeichen. Um ihren "Kampf" gegen den "Kapitalismus", also rechtsstaatliche Demokratie und Soziale Marktwirtschaft, zu legitimieren, versuchen sie, die Bundesrepublik als zumindest latent "faschistischen Repressionsstaat" zu diskreditieren. Bereits seit seiner Gründung wurzele der Weststaat in braunem Morast und Sumpf. Damit zeichnen Linksextremisten ein besonders grobes Zerrbild der Bundesrepublik. Die Realitäten waren viel differenzierter.

 

Tatsächlich endete am 8. Mai 1945 eine totalitäre Diktatur sondergleichen. Das NS-Regime hatte einen beispiellosen Angriffskrieg entfesselt und einzigartige Massenverbrechen fabrikmäßig begangen. Hitler und seine Helfer hatten dadurch eine moralische Katastrophe verursacht und Deutschland aus dem Kreis der zivilisierten Staaten herausgeführt.

 

Der 8. Mai 1945 bedeutete realiter auch keine Stunde Null. Vielmehr agierten nach Kriegsende – trotz tiefgreifender Umbrüche – auch NS-belastete Figuren in einigen Spitzenfunktionen der Bundesrepublik (und der SED-Diktatur), darunter der Vertriebenen-Minister Theodor Oberländer. Ihn qualifizierte Hans-Peter Schwarz, Adenauer-Experte par excellence, als "einstmals tiefbraun" ("Anmerkungen zu Adenauer", München 2004, S. 159). Andererseits hatten sich maßgebliche Gründer des demokratischen Weststaates wie Konrad Adenauer, Eugen Gerstenmaier und Kurt Schumacher vom Nationalsozialismus ferngehalten oder die Hitler-Diktatur gar aktiv bekämpft. So hatten die Nationalsozialisten Adenauer frühzeitig aus dem Amt des Kölner Oberbürgermeisters gedrängt und verfolgt, um den Zentrumspolitiker nach dem 20. Juli 1944 einige Monate zu inhaftieren.

 

Nach dem Krieg betrieb die Regierung Adenauer gegen manche Widerstände frühzeitig eine politisch und rein moralisch gebotene Politik der „Wiedergutmachung“ gegenüber Israel und dem Judentum. Zudem verbot das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Regierung Adenauer bereits 1952 die „Sozialistische Reichspartei“ (SRP) als Formation glühender und gläubiger Hitler-Anhänger. Gerade das SRP-Verbot und das KPD-Verbot 1956 halfen „der jungen Demokratie durchzuhalten, bis die ersten politischen und ökonomischen Erfolge sichtbar und spürbar wurden“ (Peter Graf Kielmansegg). Im Kern basierten bereits sowohl die Verfassungsordnung als auch die innen- und außenpolitischen Grundlinien der Bundesrepublik auf einem Anti-Hitler-Konsens, ja ursprünglich sogar auf einem antiextremistischen und antitotalitären Fundament.

 

Andererseits hatten manche Haupttäter wie Albert Speer im Nürnberger Prozess ihren Kopf aus der Schlinge gezogen und nur eine geringe Strafe erhalten – gemessen an ihrer Mittäterschaft an Massenverbrechen gegen die Menschlichkeit. Vor allem am massenhaften Judenmord wollte der Teflon-Nazi Speer nicht beteiligt gewesen sein – er wollte davon nicht einmal gewusst haben. Typisch seine Bemerkung, ihm sei es „peinlich zu sagen, dass ich als Reichsminister von der sogenannten Endlösung der Judenfrage keine Kenntnis hatte“. Sogar als Widerständler wollte er in Nürnberg zeitweise gelten.

 

Gerade das Beispiel "Speer" offenbart Schattenseiten des Umgangs der Bundesrepublik mit der NS-Diktatur und deren Massenverbrechen. Welche Rolle Speer nach seiner Haftentlassung 1966 in der bundesdeutschen Gesellschaft spielte, lässt bereits eine Anekdote aus der Autobiographie Marcel Reich-Ranickis erahnen. So erhielt der Literaturkritiker mit seiner Frau Tosia Mitte der 70er Jahre eine Einladung zu einem Empfang eines renommierten Verlages. Als das Paar auf der Veranstaltung eintraf, bemerkte es eine Menschentraube um einen Gast, den damaligen Bestseller-Autor Albert Speer. Das verschlug dem Paar natürlich fast den Atem.

 

Mit seinen Büchern und Auftritten gerierte sich Speer damals als Topzeitzeuge, der als langjähriger Hitler-Vertrauter aus nächster Nähe über den Diktator und sein Regime berichten konnte. Zugleich betonte der Architekt aus kirchenfernem Großbürgertum gern seine angebliche Distanz zum Nationalsozialismus samt seinen primitiven Parvenüs mit groben Visagen und Stiernacken. Gerade der Historiker Magnus Brechtken zerlegt und zertrümmert in seiner Speer-Biografie viele Lügengebäude des NS-Architekten.

 

Speer wusste nicht nur von den NS-Massenmorden, sondern beteiligte sich nachweislich am Ausbau des KZ-Systems. Ebenfalls engagierte er sich für die Verlängerung des Krieges und trug damit Mitverantwortung für Millionen Tote. Letztlich zeigt Brechtkens wissenschaftliche Hinrichtung des vermeintlich „noblen Nazis“, wie der Rüstungsminister nach dem Krieg seine Lügen bzw. Halbwahrheiten verbreitete und damit lange Zeit kaum auf Kritik stieß. Vielmehr errang er als willkommener Entlastungszeuge bei ehemaligen Mitläufern viel Zustimmung, weil selbst er von NS-Massenverbrechen keine konkrete Kenntnis gehabt haben wollte, wie er behauptete. Sogar Willy Brandt hatte Speers Tochter Hilde zur Haftentlassung ihres Vaters 1966 Blumen geschickt.

 

Die meisten Deutschen, darunter Millionen Ex-NSDAP-Mitglieder, bekannten sich nach dem Krieg, bei wachsendem Wohlstand, erst allmählich zur rechtsstaatlichen Demokratie – aus opportunistischen Gründen oder aus innerer Überzeugung. Regierung und Opposition konnten sich damals eben kein neues Volk suchen. Dafür war die Zahl der NS-Verstrickten nach dem Krieg zu hoch. Alle NS-Belasteten politisch auszuschließen, hätte wie ein Förderprogramm für Rechtsextremismus wirken können. Erst mit wachsendem Abstand zur Hitler-Zeit stieg langsam die Ablehnung des „Dritten Reiches“ durch die Mehrheit. Die abstrakte Abkehr von Hitler in Umfragen begleitete lange Zeit freilich eine oft schwache Neigung, konkrete Fragen nach persönlicher Mitverantwortung bzw. Schuld zu beantworten. Dass letztlich der Aufbau der rechtsstaatlichen Demokratie nach zwölf Jahren totalitärer Diktatur gelang und der politische Extremismus in den ersten Jahrzehnten kaum Wahlerfolge feierte, daran hatte Adenauer mit seiner Politik des prinzipienfesten Pragmatismus einen hohen, bisweilen auch heute noch unterschätzen Anteil.

 

Insgesamt scheinen – bei aller erforderlichen Differenzierung – die linksextremistisch motivierten Versuche, die Bundesrepublik als angeblich restaurierten, „faschistischen Repressionsstaat“ zu diskreditieren, fast vollständig realitätsfern. Letztlich lassen sie sich eher mit ideologischer Verblendung als mit belegbaren Fakten erklären. Die Kollektivschuld, die Linksextremisten der Bundesrepublik anlasteten, eignete sich obendrein, die persönliche und konkrete Schuld realer NS-Täter zu vernebeln.

 

Harald Bergsdorf

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Kontakt Felix Neumann
Felix Neumann
Referent Extremismus- und Terrorismusbekämpfung
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