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Veranstaltungsberichte

Die Zukunft der Transatlantischen Partnerschaft

von Dr. Wolfgang Schäuble
Rede von Bundesminister des Innern Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich des Deutsch-Französischen Zukunftsforums der Robert Schumann Stiftung und der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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Als ich zuletzt im Oktober 2007 vor dem Deutsch-Französischen Zukunfts-Forum sprach, bewegte uns alle die Abschaffung der Grenzkontrollen in Mittelosteuropa. Ich hielt das damals für die für mich als Innenminister politisch schwierigste Aufgabe in dieser Legislaturperiode. Viele Menschen hatten Angst vor steigender Kriminalität. Tatsächlich hat sich seither die Sicherheit in Europa verbessert – ein großer und wichtiger Erfolg für die Europäische Union und die Idee eines geeinten Europa.

Heute stehen wir vor ganz anderen Herausforderungen, mit denen damals so kaum einer gerechnet hat. Wenn wir uns über die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft Gedanken machen, geht das nicht, ohne über die größte wirtschaftliche Erschütterung der westlichen Industrienationen seit dem II. Weltkrieg zu sprechen. Alle Volkswirtschaften stehen in dieser ersten wirklich globalen Wirtschaftskrise vor einer Bewährungsprobe. Die wirtschaftlich und politisch seit langem führenden Staaten des Westens aber sind doppelt herausgefordert.

Die eine Dimension dieser Herausforderung, sie beschäftigt uns schon länger, ist die der Sicherheit. Seit den Anschlägen des 11. September 2001 erleben wir eine beispiellose Privatisierung der Gewalt. Die Folge sind asymmetrische Bedrohungen, die uns alle – die gesamte Bevölkerung, unsere kritischen Infrastrukturen – treffen können, obwohl ihr Ausgangspunkt tausende Kilometer entfernt liegt.

Die andere Dimension der Herausforderung ist die wirtschaftliche Basis jeder Sicherheitspolitik, unser Wohlstand. Die Finanzkrise hat offenbart, dass westliche Banken unverantwortliche Risiken eingegangen sind. Was durch diese Übertreibung an Wirtschaftskraft zerstört wurde, lässt sich an den Börsen ablesen. Es reicht aber weit darüber hinaus, weil im Moment niemand abschätzen kann, wann es wieder ausreichend Vertrauen in die Finanzmärkte gibt und die Vergabe von Krediten wieder reibungslos funktioniert.

Bis dahin ist das Risiko eines andauernden Abschwungs groß und der Bedarf nach Kapital und Aufträgen für die Unternehmen auch. Das verstärkt – auch wenn die Wolkenkratzer in Dubai, Moskau und Peking nicht mehr ganz so schnell in den Himmel schießen – die globale Umschichtung zu Gunsten von dynamischen Schwellenländern und Staaten mit Ressourcen und Geldreserven. Fareed Zakaria hat das als „The Rise of the Rest“ bezeichnet. Und es verstärkt den Druck auf Regierungen, heimische Unternehmen und Arbeitsplätze zu schützen – ob in Frankreich, Deutschland oder den Vereinigten Staaten.

Auf beide Herausforderungen muss der Westen eine Antwort finden, und zwar möglichst gemeinsam. Viele Menschen trauen das dem neuen US-Präsidenten Barack Obama zu. Sein engagierter Wahlkampf hat hohe Erwartungen geweckt. Im Hoffen vieler Europäer auf Obama drückt sich aber auch eine mindestens seit der Irak-Debatte anhaltende Fehleinschätzung aus: So wenig vorher allein die Vereinigten Staaten alle Probleme verursacht haben, so wenig können wir uns jetzt darauf verlassen, dass eine neue US-Regierung alle Probleme lösen wird.

Was wir nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers erlebt haben, hatte tiefere Ursachen als die Geschäftspraktiken einiger Banken, die zu ungehemmter Spekulation und entsprechenden Risiken führten. Die jahrelang laxe Geldpolitik der Notenbanken, das sozial- und integrationspolitisch motivierte Anheizen des amerikanischen Immobilienmarktes, die verhängnisvolle Entscheidung der Securities and Exchange Commission zur Aufhebung der Verschuldungsgrenzen für Wertpapierhandelshäuser: All das hat mit dazu beigetragen, dass Kredite verantwortungslos vergeben wurden.

Hinter diesen Entscheidungen stand der Glaube, dass „entfesselte Märkte“ – so der Titel eines wegweisenden Buchs des McKinsey Beraters Lowell Bryan aus dem Jahre 1996 – den Vereinigten Staaten und der Welt einen nie dagewesenen Wohlstand bringen könnten. Und eine Zeit lang ging das auch gut. Das Modell beruhte aber auf der falschen Annahme, dass die Immobilienpreise immer weiter steigen würden und dass es immer so weiter gehen konnte mit sinkenden Handelsüberschüssen, steigenden Haushaltsdefiziten und steigender Verschuldung der privaten Haushalte.

Vielleicht haben wir das alle nicht wahrhaben wollen, schließlich hatten die USA ja auch in den 1980er Jahren schon einmal ein „Double Deficit“. Aber die Situation heute ist eine andere. Die Vereinigten Staaten sind in den letzten Jahren in immer stärkeren Maß abhängig geworden von Kapitalimporten, vor allem aus China. Der britische Historiker Niall Ferguson sieht die Verflechtung der USA mit China schon als so gravierend an, dass er von „Chimerica“ spricht.

Was das für die transatlantische Partnerschaft bedeutet, werden wir in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erleben. Schon jetzt aber ist klar, dass die Vereinigten Staaten ihre globale Vormachtstellung und unser aller Freiheit und Sicherheit nicht in der gleichen Weise werden verteidigen können, wie wir es bisher kennen.

Für Europa ist das eine zweischneidige Veränderung. Zunächst bedeutet es höhere Eigenverantwortung – und auch höhere Kosten – für unsere Sicherheit. Zugleich ist es aber auch eine Chance. Denn in dem Maße, in dem die Vereinigten Staaten ihre Verbündeten in Asien und Europa in die Pflicht nehmen, werden wir Europäer gezwungen sein, unsere Rolle in der Welt selbst zu definieren und die Verantwortung, die sich daraus ergibt, selbstständig wahrzunehmen. Dabei kommen auf uns eher mehr denn weniger Aufgaben zu.

Deshalb müssen wir uns – bei aller Freude über die sich gerade verbessernden transatlantischen Beziehungen – die Frage stellen, auf welchen Gebieten wir Europäer mehr Zusammenarbeit als notwendig ansehen und welche Anforderungen das an die Europäische Union stellen wird. Dafür müssen wir genauso gründlich auf Fehler und Defizite in Europa schauen wie das viele gerne bei den Vereinigten Staaten tun.

Dazu gehört als erstes anzuerkennen, dass die meisten Staaten der Europäischen Union bisher zu wenig tun, um die Lage in Afghanistan zu verbessern. Ich glaube niemand kann widersprechen, wenn ich sage: was wir mit EUPOL beim Aufbau der Polizei und rechtsstaatlicher Strukturen in Afghanistan leisten ist sehr anerkennenswert, aber noch zu wenig. Hier wird die US-Regierung, und das wurde ja schon in einigen Äußerungen deutlich, bald mehr Unterstützung und auch Eigenverantwortung der Europäischen Union einfordern. Was für Afghanistan gilt, trifft uns insgesamt: In dem Maße, in dem die Vereinigten Staaten ihr Engagement in der Krisenregion des Nahen und Mittleren Ostens zurückfahren, werden wir Europäer uns mit den Auswirkungen von Kriegen, Konflikten, aber auch Armut, Krankheit, dem Mangel an Wasser und Lebensmitteln in unserer geopolitischen Nachbarschaft auseinandersetzen müssen. Deshalb brauchen wir eine strategische Debatte, einen strategischen Konsens in der Europäischen Union, wie wir mit diesen Problemen umgehen wollen.

Weil wir sie aber nicht ohne unsere atlantischen Partner werden lösen können, sollten wir uns verstärkt darüber Gedanken machen, wie wir das Handeln der Europäischen Union effektiv und effizient mit dem der NATO verschränken. Die Vorzeichen dafür stehen gut. Die Rückkehr Frankreichs in die Militärorganisation der NATO wird es uns leichter machen, zu einer koordinierten europäischen und transatlantischen Sicherheitspolitik zu kommen. Ich kann dem Französischen Präsidenten zu diesem historischen Schritt – der ja in Frankreich durchaus kontrovers diskutiert wird –, nur gratulieren. Der von Frankreich und Deutschland ausgerichtete Gipfel zum 60. Jubiläum der NATO wird ein schönes Symbol für die Freundschaft unserer Länder sein und auch für unser Streben nach mehr gemeinsamem Handeln in der NATO.

Ermutigend ist auch, dass sich auf der anderen Seite des Atlantiks die Anzeichen für eine stärker multilaterale Außen- und Sicherheitspolitik der USA mehren. Die Signale von Präsident Obama gegenüber Russland in der Frage der Abwehr ballistischer Raketen sprechen für eine sehr sachliche und konstruktive Herangehensweise. Und die wieder gewachsene Popularität der Vereinigten Staaten in Europa wird unseren Regierungen helfen, auch schwierige Eisen gemeinsam mit den USA anzupacken.

Dabei muss aber auch klar sein: Mehr hilft nicht unbedingt mehr. Nur eine Aufstockung der Mittel bringt uns etwa in Afghanistan einer Lösung nicht näher. Wir sollten Erfolge wie auch Misserfolge genauer analysieren – im zivilen wie im militärischen Bereich, bei Kampfeinsätzen gegen die Taliban ebenso wie bei der Stabilisierung der Provinzen und beim Aufbau „guter“, verantwortlicher Regierungsstrukturen. Ich bin überzeugt, dass wir in Afghanistan eine nachhaltigere Sicherheit erreichen können. Das wird zum Teil auch mehr Einsatz erfordern, vor allem aber eine weitsichtige Integration aller Mittel, die uns zur Verfügung stehen. Wir brauchen einen nachhaltig wirksamen, ganzheitlichen und damit glaubwürdigen Ansatz. Dafür müssen wir uns intensiver mit den kulturellen und gesellschaftlichen Prägungen Afghanistans auseinandersetzen. Sonst gehen unsere modernen Politikinstrumente über die Empfindungen der Menschen hinweg. Es muss für die Afghanen nachvollziehbar werden, wie eine neutrale, rechtsstaatliche Polizei und Justiz funktioniert. Nur dann werden sie selbst ein rechtsstaatliches Gemeinwesen wollen und sich aktiv dafür einsetzen. Und nur dann kann das Land endlich zur Ruhe kommen.

In Afghanistan und auch im Irak zeigt sich besonders deutlich: unilaterale Entscheidungen tragen nicht. Ausschlaggebend für Erfolg ist heute die Fähigkeit, eine Vielzahl von Akteuren – mehr oder weniger befreundete Staaten, aber auch private Kräfte wie Unternehmen und NGO’s – für ein gemeinsames Vorgehen zu gewinnen. Transnationale Gefahren verlangen vernetztes Denken und vernetztes Handeln.

Niemand verfügt dafür über bessere Voraussetzungen als die Staaten und Gesellschaften der transatlantischen Partnerschaft. Sie sind wirtschaftlich, politisch und intellektuell in hohem Maße integriert. Wir brauchen aber einen intensiveren strategischen Dialog, über die Stabilisierung von Krisengebieten ebenso wie über drohende Ressourcen-Konflikte, die Gefährdung kritischer Infrastrukturen, den Umgang mit sensiblen Daten und die Spielregeln in der Weltwirtschaft.

Die Finanzkrise ist auch ein Weckruf, der uns daran erinnert, wie essentiell die wirtschaftliche Zusammenarbeit für die transatlantische Partnerschaft ist. Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union erwirtschaften heute die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung. Sie prägen durch internationale Institutionen auch maßgeblich den Ordnungsrahmen, in dem sich der weltwirtschaftliche Austausch vollzieht. Wenn wir diese Vormachtstellung des Westens verteidigen wollen, müssen wir gemeinsame Antworten auf die aktuelle Krise geben und Konsequenzen ziehen. Nur so können wir bei Produzenten und Konsumenten wieder Vertrauen schaffen. Vertrauen aber ist Voraussetzung für den Austausch von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Ideen.

Eigentlich ist das auch allen klar. Leider führen aber die realwirtschaftlichen Folgen der Finanzkrise gerade dazu, dass die Parlamente und Regierungen immer stärker unter Druck geraten, heimische Arbeitsplätze gegen internationale Konkurrenz zu schützen. Wir haben das an der geplanten „Buy American“-Klausel im Konjunkturpaket des US-Kongress gesehen. Aber auch in Europa wurde erheblicher Druck auf Unternehmen ausgeübt, damit sie nicht die Möglichkeiten des freien Europäischen Marktes nutzen, sondern „zu Hause“ zu investieren.

Protektionismus ist aber genau die falsche Antwort auf unsere schwierige Situation. Die Krise der Weltwirtschaft wird sich angesichts der internationalen Arbeitsteilung nicht durch einen Rückzug aus der Globalisierung bewältigen lassen. Amerikaner und Europäer müssen deshalb als zentrale „Stakeholder“ rasch – noch vor dem Treffen der G-20-Regierungschefs in London – Einigkeit darüber erzielen, nach welchen Prinzipien sie die globale Marktordnung weiterentwickeln wollen.

Dass wir sie weiterentwickeln müssen, daran kann kein Zweifel bestehen. Wir brauchen einen Ordnungsrahmen, der Anreize für Freiheit und Verantwortung setzt. Natürlich muss es weiter innovative Finanzprodukte geben und auch Kapitalgeber für risikoanfälligere Branchen. Gerade deshalb brauchen wir aber umfassendere Informations-, Aufsichts- und Kontrollverfahren. Wir brauchen Institutionen, die Markt- und Risikotransparenz herstellen und so Vertrauen ermöglichen. Auch bei Vergütungen und Abfindungen bedarf es wirksamerer Anreize für längerfristige Wertschöpfung. Dort muss das Leistungsprinzip gelten, wenn wir das Auseinanderdriften von Wirtschaft und Gesellschaft aufhalten wollen – gerade in Europa mit seiner auf Ausgleich und Mäßigung ausgerichteten politischen Kultur.

Dabei ist auch klar: Nicht in allen Detailfragen kann es einen transatlantischen Konsens geben. Die ökonomische Kultur in den Vereinigten Staaten wird doch vermutlich stärker eher eine individualistische und risikoorientierte bleiben. In Europa dagegen sehen sich nun viele in Marktskepsis und Staatsgläubigkeit bestätigt. Was wir aber brauchen ist eine gemeinsame Ordnungspolitik, sind funktionierende Strukturen. Dazu müssen wir auch die aufstrebenden Wirtschaftsmächte verlässlicher einbinden. Das werden wir nur schaffen, wenn wir auf dem bevorstehenden G20-Gipfel konsensfähige Vorschläge für die Reform internationaler Institutionen vorlegen.

Die Aufgaben, die vor uns Europäern und unseren amerikanischen Partnern liegen, sind gewaltig. Aber auch das Potential für transatlantische Kooperation ist groß. Gerade hat mich meine neue amerikanische Amtskollegin Janet Napolitano besucht, die zu G6-Gesprächen in Berlin war. Die Atmosphäre war sehr gut und wir haben bei vielen Themen – zum Beispiel beim sicheren Datenaustausch oder beim Umgang mit den Guantanamo-Häftlingen – eine gemeinsame Position. Und nachdem wir bereits vor einem Jahr ein an den Prüm-Vertrag angelehntes Abkommen abgeschlossen haben, werden wir in Zukunft – dafür ist meine Ministerkollegin Schavan zuständig – auch bei der Sicherheitsforschung eng zusammenarbeiten. Das am Wochenende vereinbarte Deutsch-Amerikanische Forschungsprogramm wird uns helfen, die Sicherheit von Personen- und Warenströmen kooperativ zu regeln. Genau solche Potentiale müssen wir nutzen, wenn wir die Sicherheit und den Wohlstand der westlichen Staaten schützen wollen.

Zugleich sollten wir uns aber vorsehen, nicht unrealistische Erwartungen aneinander zu stellen. Wir sollten nicht versuchen, die Uhr zurückzudrehen. Die enge wirtschaftliche und politische Verschränkung, wie sie den Westen in der Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Imperium prägte, hat sich durch die Herausbildung einer multipolaren Welt verändert. Das bedeutet, dass wir heute um Probleme zu l ösen nicht mehr – wie es Henry Kissinger, den ich letzte Woche hier in Berlin getroffen habe, einmal für Europa gefordert hat – eine Telefonnummer anrufen, sondern mehrere.

Die transatlantische Partnerschaft wird das nicht beeinträchtigen, weil es nirgendwo anders Menschen gibt, mit denen wir Europäer mehr gemeinsam haben als in Amerika. Ich bin mir sicher, dass sich das auch auf dem Gipfel in Strassburg, Kehl und Baden-Baden zeigen wird – und dass davon eine neue Aufbruchstimmung ausgehen wird.

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