Asset-Herausgeber

Partei der Einheit

Die Entwicklung der CDU in den 1990er Jahren

Asset-Herausgeber

Der CDU-Bundesvorsitzende Helmut Kohl im Gespräch mit Peter Hintze, CDU-Generalsekretär und Ottfried Hennig (Mitte), CDU-Landesvorsitzender von Schleswig-Holstein. Regina Schmeken/Süddeutsche Zeitung Photo
Der CDU-Bundesvorsitzende Helmut Kohl im Gespräch mit Peter Hintze, CDU-Generalsekretär und Ottfried Hennig (Mitte), CDU-Landesvorsitzender von Schleswig-Holstein.

Wahlerfolge und -niederlagen

Bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 errangen CDU/CSU 43,8 Prozent der Stimmen und hielten damit fast ihr Ergebnis von 1987 (minus 0,5 Prozent). Bereits am 14. Oktober 1990 hatten Wahlen in allen neuen Bundesländern stattgefunden. Außer in Brandenburg konnte die CDU anschließend überall die Regierung anführen und den Ministerpräsidenten stellen. Vor allem die beiden Freistaaten Sachsen und Thüringen mit ihren beliebten Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und Bernhard Vogel blieben bis in die 2000er Jahre hinein Hochburgen der CDU. In Sachsen-Anhalt verlor die CDU 1994 die Macht, Mecklenburg-Vorpommern fiel im Herbst 1998 an die SPD. Bei der ersten Gesamt-Berliner Abgeordnetenwahl gelang es dem CDU-Spitzenkandidaten Eberhard Diepgen, der bereits von 1984 bis 1989 an der Spitze West-Berlins gestanden hatte, in das Amt des Regierenden Bürgermeisters zurückzukehren und die Geschicke Gesamt-Berlins für ein Jahrzehnt zu leiten.

Zum Annus horribilis der CDU wurde das Jahr 1991 mit zwei Wahlniederlagen, die beide zum Machtverlust führten. Der Euphorie über die Wiedervereinigung war auch in den alten Bundesländern Ernüchterung gewichen. Es wurde immer deutlicher, dass das Erbe der Planwirtschaft in der früheren DDR gravierender war als angenommen, und dass der so genannte „Aufbau Ost“ zu einer Mammutaufgabe werden würde. In dieser Situation sah sich die Regierung Kohl gezwungen, von ihrem Wahlkampfzusage abzugehen, wonach für die Bewältigung der Folgen der Deutschen Einheit keine Steuern und Abgaben erhöht oder erhoben werden sollten. Die Oppositionsparteien sprachen in der Folge wirkungsvoll von einer „Steuerlüge“. Unter diesen Voraussetzungen ging die erst vier Jahre zuvor errungene Macht in Hessen wieder verloren, ebenso endete im bisherigen Stammland Rheinland-Pfalz nach über 40 Jahren die Regierungszeit der CDU. Im CDU-Bundesvorstand kam Kohl am 22. April 1991 zu dem Schluss: „Rot-Grün als Schreckgespenst zieht nicht mehr, im Gegenteil, es ist für viele Wähler eine selbstverständliche Alternative geworden.“ Innerparteiliche Kritiker wie Geißler und Biedenkopf übten offene Kritik am Parteivorsitzenden und am Erscheinungsbild der CDU.

Im Juni 1994 folgte der Machtverlust in Sachsen-Anhalt, wo sich erstmals eine rot-grüne Minderheitsregierung durch die PDS tolerieren ließ („Magdeburger Modell“). Allerdings gelang es Kohl, vor der Bundestagswahl am 16. Oktober 1994 die öffentliche Stimmung in Teilen zu drehen. Unterstützung erfuhr er dabei vom neuen CDU-Generalsekretär Peter Hintze, der 1992 Volker Rühe abgelöst hatte, als dieser als Verteidigungsminister ins Bundeskabinett gewechselt war. In einer umstrittenen, aber wirkungsvollen Kampagne gegen eine sich abzeichnende Annäherung zwischen SPD, Bündnis 90/Grünen und der SED-Nachfolgepartei PDS – wie in Sachsen-Anhalt geschehen – präsentierte Hintze ein Wahlplakat mit dem Spruch: „Auf in die Zukunft…aber nicht auf roten Socken!“, das zur Polarisierung und zur Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft führte. Das Wahlergebnis war am Ende hauchdünn, CDU/CSU erreichten 41,4 Prozent (minus 2,4 Prozent), gemeinsam mit der FDP kam sie auf 341 Sitze, die Oppositionsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die PDS zusammen auf 331. Insofern war die am Wahlabend von Journalisten scherzhaft an Geißler gestellte Frage, ob er sein gefährliches Hobby, das Segelfliegen, jetzt nicht besser einstellen müsse, um die Mehrheit nicht zu gefährden, nicht ganz unberechtigt.

 

Personalentscheidungen

Als weiteren Erfolg konnte die CDU 1994 verbuchen, dass sie nach dem Ende der Amtszeit von Bundespräsident Richard von Weizsäcker mit der Person des bisherigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Roman Herzog weiterhin das Staatsoberhaupt stellte. Die Kandidatenauswahl war allerdings holprig verlaufen und hatte zu Kritik Anlass gegeben. Ursprünglich wollte Kohl als Zeichen der inneren Einheit einen Ostdeutschen nominieren. Mit dem sächsischen Justizminister Steffen Heitmann traf er allerdings eine unglückliche Wahl. Nach umstrittenen Äußerungen trat Heitmann im Herbst 1993 von der Kandidatur zurück. Herzog entwickelte sich in der Folge zu einem anerkannten Bundespräsidenten und blieb insbesondere mit seiner berühmten „Ruck-Rede“ vom 26. April 1997 in Erinnerung.   

Die zweite wichtige Personalentscheidung neben der Berufung Hintzes war die Übernahme des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzes durch Wolfgang Schäuble in der Nachfolge Alfred Dreggers Ende 1991. Eigentlich hatte die Staffelübergabe bereits früher erfolgen sollen, doch nach einem lebensgefährlichen Schusswaffenattentat auf Schäuble, das ihn in den Rollstuhl zwang, standen die Pläne in Frage. Doch er kehrte in die Politik zurück und wuchs immer mehr in die Rolle eines möglichen Kronprinzen hinein. Durch wirkungsvolle Reden wie etwa zugunsten eines Umzugs von Parlament und Regierung nach Berlin in der Plenardebatte vom 20. Juni 1991 oder im Oktober 1997 zur Einstimmung auf die kommende Bundestagswahl auf dem Leipziger CDU-Parteitag sowie mit der Buchveröffentlichung Und der Zukunft zugewandt, einer Bestandsaufnahme der Lage des vereinten Deutschlands 1994, wurde Schäuble zum bekanntesten CDU-Politiker neben Kohl. Nach seiner Leipziger Parteitagsrede, eigentlich nur der übliche Bericht des Fraktionsvorsitzenden, erhielt er stehende Ovationen der Delegierten.

„Freiheit in Verantwortung“ – ein neues CDU-Grundsatzprogramm

„Generationen von zeitgenössischen Kritikern haben die programmatische Stärke der Christlichen Demokraten verkannt“ schrieb Hintze 1995 in einem Vorwort zu einer Sammlung verschiedener Leitsätze und Resolutionen der CDU seit ihrer Gründung. Der Generalsekretär konnte sich zudem auf ein aktuelles Dokument berufen. Im Jahr zuvor hatte sich die CDU Deutschlands auf ihrem Parteitag in Hamburg unter dem Titel „Freiheit in Verantwortung“ ein neues Grundsatzprogramm gegeben. Der Anlass für die Überarbeitung des Ludwigshafener Programms von 1978 war erfreulich – die deutsche Wiedervereinigung und das Ende des Kalten Krieges. Für die CDU als Partei der Einheit war es wichtig, diesem Erbe auch inhaltlich gerecht zu werden. Den entsprechenden Beschluss hatte bereits der Vereinigungsparteitag am 1. Oktober 1990 gefasst. So wurde die CDU – zumal in Regierungsverantwortung stehend – 1994 die erste Partei mit einem gesamtdeutschen Grundsatzprogramm. Höhepunkt des Diskussionsprozesses war im Juni 1993 ein Grundsatzprogrammkongress mit über 800 Teilnehmern in Bonn. Verabschiedet wurde das neue Programm auf dem 5. Bundesparteitag der CDU Deutschlands, der vom 21. bis 23. Februar 1994 wiederum in Hamburg stattfand. Der positive Grundtenor des Programms spiegelte den optimistischen Zeitgeist der 1990er Jahre nach der Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas wider. Entsprechend standen Themen wie die Vertiefung der europäischen Integration, die Intensivierung der Beziehungen nach Osteuropa und der Bereich Ökologie als zentrale Herausforderung der Zukunft im Mittelpunkt des Programms. Der Deutschen Einheit sollte im nächsten Schritt die Einigung Gesamteuropas folgen.

 

Machtverlust

Steigende Arbeitslosigkeit, die Unfähigkeit zu wirtschaftspolitischen Reformen und Probleme bei der Transformation in Ostdeutschland sorgten seit Mitte der 1990er Jahre für einen zunehmenden Ansehensverlust Kohls und der christlich-liberalen Koalition. In der Presse war von „Kanzlerdämmerung“ die Rede. Seit dem Herbst 1997 hatte die rot-grüne Opposition eine Mehrheit im Bundesrat und machte davon Gebrauch, indem sie Gesetze der Regierung blockierte. Daher konnten zu spät auf den Weg gebrachte Reformprojekte wie die Einführung eines demographischen Faktors in der Rentenversicherung sowie das Projekt einer großen Steuerreform zur Entlastung von Bürgern und Unternehmen nicht mehr umgesetzt werden. Bei der Bundestagswahl am 27. September 1998 erreichten die Unionsparteien nur noch 35,1 Prozent (SPD: 40,9 Prozent) und mussten zum zweiten Mal nach 1969 den Weg in die Opposition antreten. Kohl trat nach 25 Jahren vom Vorsitz der CDU zurück. Sein Nachfolger wurde Wolfgang Schäuble.  Beim Bundesparteitag am 7. November 1998 in Bonn wurde er mit 93,4 Prozent der Stimmen gewählt.

        

Quellen und Literatur:

  • Michael Borchard: Stationen der programmatischen Entwicklung der CDU, in: Norbert Lammert (Hg.): Handbuch zur Geschichte der CDU. Grundlagen, Entwicklungen, Positionen, 2. überarbeitete und erweiterte Ausgabe. Darmstadt 2023, S. 79–107.
  • Günter Buchstab: Die CDU in der Ära Kohl, in: Norbert Lammert (Hg.): Handbuch zur Geschichte der CDU. Grundlagen, Entwicklungen, Positionen, 2. überarbeitete und erweiterte Ausgabe. Darmstadt 2023, S. 165–196.
  • Ders./Hans-Otto Kleinmann (Bearb.): Helmut Kohl. Berichte zur Lage 1989–1998. Der Kanzler und Parteivorsitzende im Bundesvorstand der CDU Deutschlands. Düsseldorf 2012.
  • Peter Hintze (Hg.): Die CDU-Parteiprogramme. Eine Dokumentation der Ziele und Aufgaben. Bonn 1995.
  • Helmut Kohl: Erinnerungen 1990–1994. München 2005.
  • Philip Rosin: Bundeskanzler. Die Ära Kohl 1982–1998. (https://www.bundeskanzler-helmut-kohl.de/biographie/seite/bundeskanzler-die-aera-kohl-1982-1998/)
  • Wolfgang Schäuble: Erinnerungen. Mein Leben in der Politik. Stuttgart 2024.
  • Hans-Peter Schwarz: Helmut Kohl. Eine politische Biographie. Stuttgart 2012.
  • Ders.: Kanzlerfraktion unter Wolfgang Schäuble 1991–1998, in: Ders. (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009, S. 181–199.

Asset-Herausgeber

Kontakt Dr. Philip Rosin
Philip Rosin
Referent Zeitgeschichte
philip.rosin@kas.de +49 30/26996-3952 +49 30/26996-53952

Asset-Herausgeber