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Gerd Gies, Wahlkampfplakat 1990. Gerd Gies, Wahlkampfplakat 1990. © KAS/ACDP 10-036 : 1

Gerd Gies

Tierarzt, Ministerpräsident Dr. med. vet. 24. Mai 1943 Stendal/Altmark
von David Grehn

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Wirken in der DDR vor 1990

Gerd Gies wurde am 24. Mai 1943 in Stendal geboren. Er studierte Veterinärmedizin und wurde 1973 zum Dr. med. vet. promoviert. Von 1970 bis 1981 war er als Tierarzt in der Staatlichen Gemeinschaftspraxis Osterburg tätig. Danach kehrte er in seine Heimatstadt zurück, wo er bis 1984 erneut Tierarzt in der örtlichen Staatlichen Gemeinschaftspraxis und anschließend bis 1990 Obertierarzt am Stendaler Schlachthof war, der dem VEB Fleischkombinat Magdeburg angehörte.

Schon 1970 war er der CDU beigetreten. Während seiner Zeit in Osterburg fungierte er bereits von 1975 bis 1979 als CDU-Kreisvorsitzender, 1987 übernahm er dasselbe Amt im Kreis Stendal. Später behauptete Gies, er habe sich noch im selben Jahr „innerlich vom Sozialismus losgesagt“ und versucht „im Kleinen“ auf die Verbesserung von Missständen hinzuwirken. Äußerlich scheint ein solcher Sinneswandel allerdings nicht wahrnehmbar gewesen zu sein: in der Rückschau beschrieben ihn Zeitgenossen als linientreuen Gefolgsmann der SED. Als Kreisvorsitzender der CDU Stendal lobte Gies die „wegweisenden Beschlüsse des XX. SED-Parteitags zur Sicherung des Friedens“ so überschwänglich, dass er dafür mit einer namentlichen Erwähnung in der zweibändigen „Geschichte der SED im Bezirk Magdeburg“ bedacht wurde. Bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 trat er als Kandidat der Nationalen Front an und warb für die „Friedenspolitik der DDR“, der man „aus christlicher Verantwortung“ zustimmen solle. Gies war außerdem Mitglied in der SED-treuen Christlichen Friedenskonferenz und laut Aussagen von Mitgliedern der evangelischen Kirche in Stendal, die 1991 vom Magazin „Der Spiegel“ befragt wurden, stets bemüht, regimekritischen Tendenzen in der Kirche entgegenzuwirken. So soll er beispielsweise versucht haben, den Auftritt der Oppositionellen Stephan Krawczyk und Freya Klier in einer Stendaler Kirche zu verhindern.

Nach der Wende

Im Februar 1990 wurde Gies zum ersten Vorsitzenden des neugegründeten Landesverbands der CDU in Sachsen-Anhalt gewählt. Bei der ersten freien Volkskammerwahl erzielte die CDU unter seiner Führung sogleich sehr gute Ergebnisse: sie erreichte im Bezirk Halle 45,1% und im Bezirk Magdeburg 44,2% der Stimmen und lag damit jeweils mit großem Vorsprung vor der SPD. Auch Gies selbst wurde in die Volkskammer gewählt und gehörte ihr bis zu der Wiedervereinigung an. Aus den Protokollen der CDU/DA-Fraktion geht hervor, dass Gies sich intern gegen die Bildung eines überparteilichen Ausschusses zur Überprüfung der neugewählten Volkskammerabgeordneten auf eine mögliche frühere Zusammenarbeit mit der DDR-Staatssicherheit einsetzte. Er sei, gab Gies bei der zweiten Sitzung der Fraktion am 2. April 1990 zu Protokoll, zwar bereit sich persönlich überprüfen zu lassen, keinesfalls aber von „Bündnis 90, PDS, Bürgerinitiativleuten, die also alle mehr als dubios sind“. Freilich gab er damit nur die anfängliche Mehrheitsmeinung in der Fraktion wieder, die sich aber schließlich doch dem öffentlichen Druck beugte und der Einrichtung eines „Zeitweiligen Prüfungsausschusses zur Überprüfung der Abgeordneten auf eine Stasi-Mitarbeit“ in der Volkskammer zustimmte.

Kurz nach der Wiedervereinigung fand am 14. Oktober 1990 die erste freie Landtagswahl in Sachsen-Anhalt seit 1946 statt. Mit Gies als ihrem Spitzenkandidaten gewann die CDU auch diese Wahl deutlich: sie erreichte 39% der Stimmen und lag damit vor der abgeschlagenen SPD (26%) sowie FDP (13,5%), PDS (12%) und Grünen (5,3%). In der Folge wurde eine schwarz-gelbe Koalition gebildet und Gies am 28. Oktober 1990 zum ersten Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt gewählt. Seine Amtszeit sollte allerdings nicht einmal ein Jahr währen und wurde von Affären überschattet. Für negative Schlagzeilen sorgte zunächst Landesinnenminister Wolfgang Braun (CDU): Dieser hatte den hessischen Privatdetektiv Klaus-Dieter Matschke als Kriminaloberrat bei der Landespolizei eingestellt. Matschke war offenbar hauptsächlich damit befasst ehemalige Agenten der Staatssicherheit ausfindig zu machen. Der Spiegel berichtete darüber hinaus aber auch, dass Matschke mit Wissen von Innenminister Braun den Plan entwickelt habe, eine im Rauschgiftmilieu Frankfurt am Mains aktive Person zur medienwirksamen Verhaftung nach Magdeburg zu locken. Zustande kam dieser Plan zwar nicht, das Ansehen der Landesregierung wurde nichtsdestotrotz durch spöttische Medienberichte über die „Posse“ aus „Deutschlands wildem Osten“ (Spiegel) beschädigt. Der Spiegel deckte außerdem auf, dass Braun einstmals selbst unter dem Decknamen „Becker“ für die Staatssicherheit Informationen gesammelt hatte. Zu alledem kam hinzu, dass Bundeskanzler Helmut Kohl Brauns mangelhaftes Sicherheitskonzept öffentlich für den „Eierwurf von Halle“ mitverantwortlich machte, der sich beim Besuch des Kanzlers ebenda am 10. Mai 1991 ereignet hatte.

Dass all dies auf den Ministerpräsidenten zurückfallen würde war abzusehen, zumal Gies schon bald auch persönlich in die Kritik geriet. Hauptursache dafür war wiederum eine Affäre, die noch vor Gies’ Wahl zum Ministerpräsidenten ihren Anfang genommen hatte. Im Vorfeld der Konstituierung des Landtags am 28. Oktober 1990 hatten die designierten Landtagsabgeordneten der CDU ihrer Überprüfung auf eine mögliche Stasi-Vergangenheit zugestimmt. Ralf Geisthardt (CDU), zuvor stellvertretender Vorsitzender des Volkskammer-Sonderausschusses zur Kontrolle der Stasi-Auflösung, wurde von der Fraktion als Vertrauensperson nach Berlin entsandt, um beim neuen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Joachim Gauck Auskunft über die Mitglieder der Landtagsfraktion einzuholen. Die fraglichen Namen gab Geisthardt anschließend an Gies und den Fraktionsvorsitzenden Joachim Auer weiter. Diese entschieden sich, die verdächtigen Abgeordneten einen Tag vor der Konstituierung des Landtags persönlich mit den Vorwürfen zu konfrontieren und zum Mandatsverzicht aufzufordern. Den Aussagen betroffener Abgeordneten zufolge glichen diese Gespräche Verhören. Drei Abgeordnete verzichteten daraufhin tatsächlich auf ihr Mandat, darunter der Hallenser Oberbürgermeister Peter Renger, der als Gies’ schärfster innerparteilicher Rivale galt. Dies und der Umstand, dass Gies selbst, Geisthardt und Braun an Stelle der zurückgetretenen Abgeordneten in den Landtag nachrückten (die CDU hatte bei der Landtagswahl 48 von 49 Direktmandaten gewonnen, weshalb Gies als Spitzenkandidat zunächst nicht über die Landesliste ins Parlament einziehen konnte), begann schon bald den Verdacht zu nähren, dass die „Verhöre“ aus eigennützigen Motiven durchgeführt worden waren.

Als die Gauck-Behörde acht Monate später die Ergebnisse ihrer offiziellen Überprüfung der Landtagsabgeordneten bekannt gab, wurde das Vorgehen Gies’ in noch schlechteres Licht gerückt. Nämlich stellte sich heraus, dass Gies und Auer neben tatsächlich belasteten Abgeordneten auch solche einem „Verhör“ unterzogen hatten, die selbst Opfer der Stasi-Überwachung gewesen waren. Woher Gies und Auer die Namen der unbelasteten Abgeordneten erhalten hatten, war unklar, denn auf der veröffentlichten „Gauck-Liste“ standen sie gar nicht. Gegenüber dem Spiegel gab Geisthardt entsprechend an Gies müsse noch eine zweite Liste verwendet haben. Der Ursprung einer solchen Liste, deren Existenz Gies bestritt, war Gegenstand von Spekulationen. Fest stand nur, dass nicht sauber zwischen Stasi-Opfer und Stasi-Tätern differenziert worden war.

Restlos aufgeklärt wurde die Angelegenheit zwar nicht, das Vertrauen der CDU-Fraktion in Gies aber war endgültig verloren gegangen. Wegen der bereits erwähnten Affären um Innenminister Braun, der detaillierten Berichterstattung über Gies’ DDR-Vergangenheit und der aus Sicht der Fraktion mangelhaften Abstimmung politischer Vorhaben mit den Abgeordneten, war der Unmut über Gies zuvor ohnehin schon angewachsen. Der ebenfalls an den „Verhören“ beteiligte Fraktionschef Auer schob bereits Ende Juni gegenüber dem Spiegel alle Verantwortung für den Skandal auf den Ministerpräsidenten ab: Er selbst habe im guten Glauben daran gehandelt, die Schuld der verhörten Abgeordneten stehe eindeutig fest. Von Gies sei er „vor einen Karren gespannt worden.“ „Blockflöte Gies soll zurücktreten“ titelte die taz am 02.07.1991: „Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Gerd Gies (CDU), soll zurücktreten. Auch innerhalb der CDU will man ihn jetzt absägen.“ Zwei Tage nach Erscheinen dieses Artikels trat Gies vom Amt des Ministerpräsidenten zurück. Ende November gab er auch den Landesvorsitz der CDU Sachsen-Anhalt ab. Sein Nachfolger in beiden Funktionen wurde der bisherige Landesfinanzminister Werner Münch. Gies blieb aber Mitglied des Landtags und wurde 1994 noch einmal wiedergewählt.

Späteres Leben

Nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag Ende 1998 wechselte Gies in die Energiewirtschaft. Von 2014 bis 2019 war er ehrenamtlich 1. Vorsitzender des Bundesverbands Tierschutz. Unter seiner Führung startete der Verband unter anderem 2016 die Kampagne „Der Ringelschwanz gehört mir“, deren Ziel das bundesweite Verbot des Abschneidens von Ferkelschwänzen war. Vereinzelt meldet sich Gies bis heute auch zur Tagespolitik zu Wort: 2019 kritisierte er die Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel, welche zur programmatischen Aushöhlung der CDU führe, und sprach sich gegen eine Annäherung der Landes-CDU an die Linkspartei aus. Im April 2025 kritisierte Gies die Zustimmung der CDU zum Infrastruktur-Sondervermögen und forderte eine Mitgliederbefragung über den Koalitionsvertrag mit der SPD.

 

Lebenslauf

  • 1949–1961 Besuch der Grund- und Oberschule
  • 1961–1963 Viehpfleger
  • 1963–1969 Studium der Veterinärmedizin an der Universität Leipzig
  • 1969 Promotion
  • 1970 Referent des Kreistierarztes in Osterburg
  • 1970–1984 Tierarzt in den Kreisen Osterburg und Stendal
  • 1984–1990 Obertierarzt im Stendaler Zweigbetrieb „Altmark“ des VEB Fleischkombinates Magdeburg
  • 1990-1998 MdL Sachsen-Anhalt
  • 1990-91 Landesvorsitzender der CDU Sachsen-Anhalt und Ministerpräsident.

 

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