„Wenn man die kurze Zeit nimmt, seit der die Union besteht, so ist es geradezu ein Wunder, wie wir auf einmal da sind, groß und mächtig geworden sind, um eine neue große Partei ins Leben zu rufen. In letzter Linie ist diese Partei in den Konzentrationslagern geboren worden. Dort hat man erkannt, wie nahe wir menschlich oft beieinander stehen und wie nur durch falsche politische Orientierung eine richtige politische Zusammenarbeit sich seither nicht hat erledigen lassen.“ (Josef Andre bei der ersten Parteitagung der CDU der sowjetisch besetzten Zone und Berlins am 16. Juni 1946, ACDP 07-011-2177, S. 12)
Herkunft und Ausbildung
Josef Andre wurde am 16. Februar 1879 im württembergischen Marktflecken Schramberg geboren. Sein Vater war in einer Strohhutfertigung angestellt. Nach dem Besuch der örtlichen Volksschule absolvierte er zwischen 1896 und 1899 eine Schreinerlehre. In den auf die Lehre folgenden Jahren ging er auf die übliche Wanderzeit und arbeitete schließlich als Schreiner in Hamburg und Stuttgart. Er gründete in Stuttgart zunächst den Christlichen Holzarbeiterverband mit und engagierte sich vermehrt beim Katholischen Arbeiterverein Stuttgart. Dessen Spiritus rector Pfarrer Joseph Eckard, der bereits die politische Karriere Matthias Erzbergers angestoßen und gefördert hatte, benötigte eine Unterstützung im Arbeitersekretariat. Deshalb absolvierte Andre – auf eigene Kosten – beim „Volksverein für das katholische Deutschland“ im heutigen Mönchengladbach staatspolitische und volkswirtschaftliche Fortbildungskurse zur Weiterbildung zum Arbeitersekretär.
Politische Betätigung im Kaiserreich
Bereits im Königreich Württemberg begann Andre seine politische Karriere in der Jugendorganisation des Zentrums, dem Windthorstbund und trat in das Zentrum ein. Innerhalb der Partei gehörte er dem Arbeiterflügel an. Auf der regionalen Ebene stieg er zum Vorsitzenden der Untergliederung der Region Ulm auf.
Am 1. März 1904 begann er seine Tätigkeit als Arbeitersekretär in der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB), sein Vorgänger in diesem Amt war Matthias Erzberger. Andre sollte dieses Amt mit Verve bis 1926 ausüben.
Seit 1906 vertrat Andre außerdem das Oberamt Oberndorf am Neckar als Abgeordneter im württembergischen Landtag. In einer äußerst knappen Entscheidung hatte er das Direktmandat in der Nachwahl mit acht Stimmen Vorsprung gewonnen. Im selben Jahr heiratete er seine erste Frau Maria Balbine (geb. Faist), mit der er sechs Kinder bekam. Dem Landtag gehörte Andre bis zu dessen Auflösung im Jahr 1918 an. Hier machte er sich schnell einen Namen.
Während des Ersten Weltkriegs diente Andre ab dem 1. Mai 1916 für ein halbes Jahr im Rekrutendepot Urach im Landsturm.
In der Weimarer Republik
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war Andre, über Platz 6 der Landesliste abgesichert, für das Zentrum Mitglied in der verfassungsgebenden Landesversammlung. Ab 1919 gehörte er dem württembergischen Landtag an und fungierte ab 1924 als dessen erster Vizepräsident. Bereits früh positionierte er sich hier in seinen parlamentarischen Reden gegen den aufkommenden Nationalsozialismus und gehörte zu den bekanntesten Politikern des württembergischen Zentrums.
Des Weiteren war er Mitglied der verfassungsgebenden Nationalversammlung in Weimar. Als Vertreter des Zentrums wurde er 1919 Mitglied des Reichstags, dem er bis 1930 angehörte. Aus seiner Abgeordnetentätigkeit im Reichstag blieb besonders die Vorbereitung des 1927 in Kraft tretenden Arbeitslosenversicherungsgesetzes in Erinnerung. Andre galt als profilierter Sozialpolitiker.
Seit 1920 amtierte er als Landesvorstand der Katholischen Arbeitervereine in Württemberg. 1924 wurde er Chefredakteur der „Schwäbischen Arbeiterzeitung“.
Im württembergischen Wirtschaftsministerium wurde er 1927 zum Regierungsrat im Landesgewerbeamt Stuttgart ernannt. Seine Berufung war aufgrund seines beruflichen Hintergrunds als Nichtakademiker für zeitgenössische Verhältnisse bemerkenswert.
Am 31. Oktober 1928 schied er wieder aus dem Reichstag aus. Anschließend wurde er zum Präsidenten der Landesversicherungsanstalt Württemberg ernannt.
Während des Nationalsozialismus
Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten verblieb Andre zunächst an der Spitze der Landesversicherungsanstalt, wurde letztlich jedoch schnell aus dem Amt entfernt. Seine Entlassung erfolgte auf Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Im September 1933 fand er eine Anstellung als Rechtsberater bei einer sozialen Beratungsstelle des Caritasverbandes. Er war jedoch mit einem Rede- und Schreibverbot belegt worden, aufgrund seiner Einstufung als „führender Mann der Systemzeit“ durch den Sicherheitsdienst wurde sein Büro außerdem regelmäßig durchsucht. Seine vorzeitige Entlassung aus der Landesversicherungsanstalt führte dazu, dass er nur über eine kärgliche Pension verfügte, was seine kinderreiche Familie vor erhebliche wirtschaftliche Probleme stellte.
Auch den Landesvorstand der Katholischen Arbeitervereine musste er nach der Unterzeichnung des Reichskonkordats aufgeben, denn Andre, der sich öffentlich deutlich gegen den Nationalsozialismus positioniert hatte, galt als politisch unbotmäßig. Innerhalb der eigenen Diözese übte man Druck auf ihn aus, auf den er mit seiner Kündigung reagierte.
Ende Juli 1944 wurde Andre im Nachgang des gescheiterten Attentats vom 20. Juli 1944 im Zuge der Aktion „Gewitter“ in seinem Heimatort Schramberg am eigenen Mittagstisch verhaftet. Es folgten Haftaufenthalte im Stuttgarter Landespolizeigefängnis, etwas weniger als zwei Monate im Schutzhaftlager Welzheim sowie ein Monat im Arbeitserziehungslager Oberndorf/Neckar im Lautenbachtal. Am 1. November 1944 wurde er aus der Haft entlassen.
In der jungen Demokratie
Unmittelbar nach Kriegsende beteiligte sich Josef Andre am Aufbau demokratischer Strukturen sowie der CDU. Im Norden Württembergs initiierte er die Gründung einer überkonfessionellen christlichen Sammlungspartei und wurde deren erster Vorsitzender. Am 22. Juli 1945 beteiligte er sich an der Gründungsversammlung der Berliner CDU im Theater am Schiffbauerdamm. Zu dieser Zeit entfaltete er eine rege publizistische Tätigkeit, in der er zum staatlichen Wiederaufbau aufrief.
Am 12. September 1945 gründete Andre zusammen mit elf anderen Mitstreitern im Stuttgarter Kolpinghaus die Christlich-Soziale Volkspartei (CSVP), eine Vorgängerin der CDU. Im September 1945 wurde Andre zudem im Kabinett von Reinhold Maier zum Wirtschaftsminister des Landes Württemberg-Baden berufen. Dieses Amt verlor er am 31. Mai 1946 allerdings wieder aufgrund politischen Drucks seitens der amerikanischen Militärregierung. Danach war er bis zum 20. Dezember 1946 Minister zur besonderen Verwendung.
1946 wurde Andre zum Ersten Vorsitzenden der CDU Nordwürttemberg gewählt und bekleidete das Amt bis 1948. Der überkonfessionelle Ansatz der CDU kam im „Ländle“ in der Praxis bereits zum damaligen Zeitpunkt durch die Aufstellung der Gemeinderatskandidaten nach religiösem Proporz zum Ausdruck, wie Herbert Czaja später zu berichten wusste. Ebenfalls von 1946 an vertrat Andre den Wahlkreis Schwäbisch Gmünd im Landtag von Württemberg-Baden.
Als erster Präsident der Landesversicherungsanstalt Württemberg war er ein wichtiger Unterstützer für die nachhaltigen Entnazifizierungsbemühungen in den Landesversicherungsanstalten Baden und Württemberg.
Andre starb am 15. März 1950 in Stuttgart. Sein letztes Geleit auf dem Pragfriedhof zeichnete sich nicht nur durch die Anwesenheit politischer Prominenz aus, sondern gerade auch durch die Vielzahl an Teilnehmern aus der breiten Bevölkerung. In seinem Heimatort Schramberg erinnert bis zum heutigen Tage eine Straße an den Politiker.
Ungeachtet der Tatsache, dass Josef Andre nicht viele Jahre in der Bundesrepublik Deutschland vergönnt waren, ist sein Einfluss in der Gründergeneration nicht zu unterschätzen. Seine Popularität half entscheidend dabei mit, die CDU in Nordwürttemberg zu begründen und zur stärksten Kraft zu entwickeln. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel würdigte ihn anlässlich einer Abendveranstaltung 2018 mit den Worten: „Diese Männer und Frauen, die schon in der Weimarer Republik für Demokratie gekämpft hatten, waren oft, auch nach leidvollen Erfahrungen, Geburtshelfer unserer freiheitlichen Ordnung.“
Der Nachlass von Josef Andre befindet sich im Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) in Sankt Augustin.
Lebenslauf
- Schreinerlehre
- 1904–1926 Arbeitersekretär
- 1926–1928 Regierungsrat im Landesgewerbeamt Stuttgart
- 1928–1933 Präsident der Landesversicherungsanstalt Württemberg
- 1906–1918 und 1920–1933 MdL Württemberg (Zentrum)
- 1919-20 Mitglied der Deutschen Nationalversammlung
- 1920–1928 Mitglied des Reichstages
- 1945–1946 Wirtschaftsminister bzw. Minister zur besonderen Verwendung in Württemberg-Baden
- 1946–1948 1. bzw. stellvertretender Vorsitzender der CDU in Nordwürttemberg
- 1946–1950 MdL Württemberg-Baden
Literatur
- Fehrenbacher, Franz: Josef Andre (1879 - 1950). Ein Schramberger in höchsten Staats- und Parteiämtern. In: "D’Kräz". Beiträge zur Geschichte der Stadt und Raumschaft Schramberg. Heft 12 (1992), S. 45–61.
- Grimm, Franziska: Josef Andre (1879-1950). Arbeitersekretär und Landesvorstand der Katholischen Arbeitervereine der Diözese Rothenburg. In: "D’Kräz". Beiträge zur Geschichte der Stadt und Raumschaft Schramberg. Heft 30 (2010), S. 21–29.
- Haunfelder, Bernd: Reichstagsabgeordnete der Deutschen Zentrumspartei 1871–1933. Biographisches Handbuch und historische Photographien. Photodokumente zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Band 4. Düsseldorf 1999, S. 293.