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Länderberichte

100 Tage Regierung Manmohan Singh II

von Dr. Beatrice Gorawantschy, Martin-Maurice Böhme

Bilanz und Perspektiven für Indien

„Stärkung der Einheit und Integrität der Nation“ - so postulierte Manmohan Singh am indischen Unabhängigkeitstag seine Vision; das Wahlergebnis vom Mai sei bereits Ausdruck einer gestärkten Nation und einer säkularen Demokratie gewesen. In seiner Rede an die Nation beschrieb er die Ziele seiner Regierung im Bezug auf Wirtschaftswachstum, Agrarwirtschaft, Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Umwelt- und Klimawandel, Gleichstellung der Frauen, Kommunale Selbstverwaltung, Bürokratiereform, außenpolitische Prioritäten und definierte gleichermaßen die Bedrohung der inneren und äußeren Sicherheit.

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Nach nunmehr knapp vier Monaten Amtszeit der Regierung Manmohan Singh II soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, eine erste Bilanz im Hinblick auf Ziele und Umsetzung der Reformagenda der Kongressregierung zu ziehen. Darüber hinaus wird die Rolle der Opposition kritisch beleuchtet und schließlich erfolgt ein Überblick über die aktuellen außenpolitischen Leitlinien Indiens.

Reformagenda und aktuelle wirtschaftspolitische Entwicklungen

Seine zweite Amtszeit hat Manmohan Singh mit einer Hypothek begonnen. Nach dem klaren Wahlsieg war der Druck der Kongresspartei-Wähler für jedermann deutlich zu spüren. Die Erwartungen nach Veränderungen im Land sind groß, über ausreichende Mehrheiten verfügt die Regierung. Eine Bilanz der ersten 100 Tage macht deutlich, dass bereits einige politische Entscheidungen auf den Weg gebracht wurden, andererseits aber auch noch wesentliche Reformprozesse ausstehen.

So hat die Regierung Singh sich selbst und den Bundesstaaten auferlegt, dass Kinder zwischen 6 und 14 Jahren Anspruch auf eine Schulausbildung haben. Auch mit anderen Missständen im Bildungssektor hat die Regierung bereits aufgeräumt. Ein neues Akkreditierungsverfahren für Bildungsinstitutionen wurde eingeführt, so dass die Vergabe von Abschlüssen und Titeln in Zukunft transparenter und nachvollziehbarer verlaufen wird. Darüber hinaus wurden in Sachen Gleichberechtigung wichtige Weichenstellungen getroffen. Auf der unteren kommunalen Ebene wurde eine Frauenquote eingeführt, nach der künftig 50 Prozent aller Positionen mit Frauen besetzt werden müssen.

In der Vergangenheit wurde die Notwendigkeit von administrativen Reformen viel beschrieben. Hier will sich Indien den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen und für seine Bürger einen einheitlichen biometrischen Ausweis einführen. Diese Maßnahmen sollen den Schäden, die durch gefälschte Papiere angerichtet werden, in Zukunft einen Riegel vorschieben. Überdies hat sich die Regierung mit der drängenden Frage der Korruptionsbekämpfung befasst. Einem Gesetzentwurf zur Folge, soll Korruption härter bestraft werden und Aufklärungskampagnen sollen der breiten Bevölkerung die negativen Effekte der Korruption vor Augen führen. Überdies soll eine Vereinheitlichung von Steuernummern und Steuerdaten für einen Rückgang von Schwarzgeld und Schwarzarbeit sorgen. Erhebliche Teile der indischen Wirtschaftsleistung stammen aus dem so genannten „inoffiziellen“ Sektor.

Zur Verbesserung der Infrastruktur will die indische Regierung in den kommenden Jahren täglich 20 Kilometer Straße pro Tag bauen lassen. Im Bezug auf ein Land der Größe Indiens erscheint dies zunächst nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein, gerade auch weil die Infrastrukturentwicklung eines der dringendsten Probleme des Staates darstellt. Das Netz an Straßen ist bei weitem nicht ausreichend und die Qualität der Konstruktionen ist in vielen Fällen nicht den Witterungsbedingungen angepasst. Selbst ganz neue Straßen werden durch die ersten schweren Regenfälle im Herbst stark beschädigt. Die Regierung will für ihr Vorhaben in der Legislaturperiode 500 Milliarden Rupees investieren, das entspricht cirka 7 Milliarden Euro. Für ein Land, das etwa die 10-fache Fläche Deutschlands hat, erscheinen die Zahlen auch auf den zweiten Blick nur wenig ambitioniert. Eines der Wahlversprechen der Regierung lautete, mehr private Investoren für die Infrastrukturentwicklung in Indien zu gewinnen und hierfür einen Zeitplan vorzulegen. Dies ist bisher nicht geschehen, auch ist bisher kein Fortschritt zu erkennen, wenn es darum geht, mehr Projekte im Bereich Infrastruktur durch eine privat-öffentliche Zusammenarbeit (Public Private Partnership) zu verwirklichen.

So sehr man sich auch um die Gleichstellung der Frauen auf lokaler Ebene bemüht, bleibt man doch auf nationaler Ebene hinter seinen Ambitionen zurück. Die United Progressive Alliance konnte sich bisher noch nicht auf einen Gesetzentwurf einigen, nach dem 33 Prozent der Sitze in der Lok Sabha für Frauen reserviert seien sollen. Auch ein Plan zur Entwicklung der ländlichen Regionen Indiens, in welchen der größte Teil der Bevölkerung lebt, konnte bisher nicht verabschiedet werden. Noch zu häufig sind Entscheidungen im Rahmen des so genannten „Rural Development“ von Korruption und Intransparenz geprägt.

Auch im Bereich der sozialen Absicherung bleibt in der zweiten Amtszeit dieser Regierung noch viel Arbeit zu leisten. So ist im Moment noch keine Entwicklung in Bezug auf die Renten für Geringverdiener, Beschäftigte des privaten Sektors und Arbeitnehmer des so genannten inoffiziellen Sektors feststellbar. Wegen der mangelnden sozialen Absicherung ist die überwiegende Mehrheit der Inder dazu gezwungen, bis ins hohe Alter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Tageszeitung „Hindustan Times“ hat in einer Umfrage Wähler in Chennai, Kolkata, Mumbai und Delhi nach ihrer Bewertung der Regierung in den ersten 100 Tagen befragt. Demnach sind 69 Prozent mit der Leistung Manmohan Singhs zufrieden. Davon beurteilen 12 Prozent seine Arbeit als exzellent. Lediglich 31 Prozent der Befragten würden sich noch eine bessere Leistung des Premierministers wünschen. Im Bezug auf die gesamte Regierung sind 57 Prozent der Befragten zufrieden, 43 Prozent der Umfrageteilnehmer wünschen sich eine andere Politik und mehr Engagement. Aufgeteilt auf einzelne Politikfelder ergibt sich ein differenzierteres Bild. Etwa im Bereich der Außenpolitik konnte der bisher blass wirkende Außenminister Krishna nicht zu einer Mehrung des Ansehens der Regierung beitragen. Die Mehrheit der Befragten ist mit der Leistung in diesem Bereich unzufrieden. Gleiches gilt für das Landwirtschaftsministerium, das für den starken Anstieg der Lebensmittelpreise verantwortlich gemacht wird. Ein anderes Bild zeichnet sich im Feld der inneren Sicherheit. Hier sind die Teilnehmer der Umfrage mit der Leistung des „Home Ministers“ Chidambaram, der nach den Anschlägen von Mumbai Ende letzten Jahres eingesetzt worden war, sehr zufrieden.

Trotz globaler Finanzkrise konnten sich die indischen Wachstumsraten im zweiten Quartal des Fiskaljahres steigern - mit einem Bruttoinlandsprodukt von 6,1 Prozent gegenüber 5,8 Prozent zum Jahresauftakt. Die Regierung strebt 6,25-7,75 Prozent Wachstum an. Das ist gegenüber den Wachstumsraten in Höhe von 8 und 9 Prozent der vergangenen Jahre ein herber Einbruch, aber dennoch ist Indien im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern nicht so stark betroffen, da die indische Volkswirtschaft auch nicht im gleichen Maße abhängig von der Ausfuhr ist; allerdings hat Indien auch größere soziale Verpflichtungen. Hinzu kommt die Unkalkulierbarkeit der Monsun-Regenfälle, die in diesem Jahr bislang zu gering ausfallen, so dass 40 % des Landes von Dürre betroffen sind. Die indische Wirtschaft ist stark vom Sommerregen abhängig mit einer Landwirtschaft, die durchschnittlich jährlich 18 % zum GDP beiträgt. Der in diesem Jahr sehr spät einsetzende Monsun und die vergleichsweise geringen Regenfälle wirken sich auch negativ auf den Energiesektor aus. Hydroenergie beispielsweise stellt ein Viertel der indischen Elektrizitätsquellen. Ganz allgemein können die indischen Wachstumsraten dauerhaft nicht aufrecht erhalten werden, wenn nicht grundlegende Reformansätze in die Politik einfließen - beispielsweise im Hinblick auf Schaffung von Anreizen für verstärkte ausländische Direktinvestitionen, Wettbewerbsförderung, stärkere Nutzbarmachung des Energiesektors und der Ankurbelung der einheimischen Nachfrage. Darüber hinaus gilt es die Inflation einzudämmen – derzeit betragen die Preissteigerungen bis zu 13 Prozent bei Lebensmitteln. Indien gehört weltweit zu den größten Zuckerkonsumenten, aber auch zu einem der größten Zuckerproduzenten. Aufgrund der mangelnden Regenfälle in vielen Landesteilen ist die Rohzuckerproduktion derzeit um 40 Prozent zurückgegangen und die Preise dementsprechend in die Höhe geschnellt.

Die aktuellen dennoch optimistisch stimmenden Wirtschaftswachstumsdaten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass mindestens 38 Prozent der Inder in absoluter Armut leben, so eine Studie des Wirtschaftsexperten SD Tendulkar. Er liegt damit in seiner Einschätzung um 10 Prozent höher als die offiziellen Regierungsdaten, die die Zahl derer, die unterhalb der Armutsgrenze leben, mit 27,5 Prozent angeben. Ein Bericht des Ministeriums für ländliche Entwicklung vom Beginn dieses Jahres hat dagegen konstatiert, dass 50 Prozent der Bevölkerung in Armut leben. Sicherlich sind diese Unterschiede auch in der Definition von Armut zu suchen, aber fest steht, dass Armutsbekämpfungsprogramme die oberste Priorität der UPA-Koalition haben, aber auch gleichermaßen die größte Herausforderung für alle Verantwortlichen darstellen.

Identitätskrise der Opposition

Die in den 1950er Jahren entstandene Bharatiya Janata Party (BJP) erfreut sich erst seit den 1980er Jahren wachsender Beliebtheit und hat sich zum rechtskonservativen Counterpart des INC entwickelt. Im Jahre 1996 gelang es der BJP, stärkste Kraft in der Lok Sabha zu werden. Drei Jahre später konnte sie mit anderen Partnern eine Koalitionsregierung bilden, die erst 2004 wieder durch eine INC-geführte Parteienkonstellation abgelöst wurde.

Im Jahr 2002 wurde erhebliche Kritik an der BJP laut, weil die Partei im Verdacht stand und steht, ethnisch-religiös motivierte Ausschreitungen zwischen Hindus und Moslems im Bundesstaat Gujarat angefacht oder zumindest als Regierungspartei nicht rechtzeitig eingedämmt zu haben. Die BJP bestreitet ein Fehlverhalten, jedoch haftet ihr spätestens seit dieser Zeit das Label der hindu-nationalistischen Ausrichtung an, was sie auch bei den letzten Wahlen nicht abzulegen vermochte.

Nach dem schlechten Abschneiden der BJP bei den diesjährigen indischen Parlamentswahlen – der bereits zweiten Wahlniederlage auf nationaler Ebene in Folge - hatte der parlamentarische Oppositionsführer L.K. Advani zunächst seinen Rücktritt angekündigt. Man war davon ausgegangen, dass die Partei nunmehr bemüht ist, im Rahmen einer Transitionsphase einen Image- und Generationenwechsel einzuleiten. Stattdessen durchlebt die Partei derzeit die wahrscheinlich größte Identitäts- und Führungskrise seit ihrer Gründung. Nachdem sich die Medien nach dem unerwartet deutlichen Sieg der Kongresspartei auf die Reformpolitik der Regierung Manmohan Singh II konzentrierten, war es zunächst merklich still um die Opposition geworden - auch von Rücktrittsankündigungen war nichts mehr zu hören. Eine Buchpräsentation des BJP-Parteiveteranen Jaswant Singh - ehemaliger Finanz- und Außenminister - bot schließlich Ende August den Anlass zu einer größeren innerparteilichen Krise. In dem Buch „Jinnah: India-partition-independence“, das sich der Rolle des Staatsgründers Pakistans, Mohammad Ali Jinnah widmet, argumentiert der Autor, dass Jinnah in Indien zu Unrecht „dämonisiert“ werde - eine Sichtweise, die sich deutlich von der mehrheitlich nationalistischen Lehrmeinung abgrenzt. Die BJP-Parteispitze hat das Buch des Parteigenossen umgehend scharf verurteilt und Jaswant Singh aus der Partei ausgeschlossen. Der Chiefminister von Gujarat ging sogar soweit, die Lektüre in Gujarat zu verbieten, diese Entscheidung wurde allerdings mittlerweile vom Obersten Gerichtshof wieder aufgehoben. Der Streit um die Buchveröffentlichung war letztlich nur der Anlass einer neuen Diskussion um die Ziele der Partei und vor allem um die Zusammensetzung der Parteiführung. Die Wurzeln der parteiinternen Querelen liegen indes tiefer: Die BJP hat es seit ihrer Wahlniederlage im Jahr 2004 nicht geschafft, ihre Systemkrise zu überwinden. Bei einer indischen Gesellschaft, in der nahezu zwei Drittel der Wählerschaft unter 30 Jahre alt ist, war ein 81-jähriger Kandidat für das Premierministeramt der größten Oppositionspartei einfach nicht mehr zeitgemäß. Bei den Wahlen im April/Mai 2009 sind nun auch einige jüngere BJP-Abgeordnete ins Parlament gewählt worden, die Parteiführung hat es jedoch versäumt, die Nachfolge an der Spitze eindeutig zu regeln. Es geht inzwischen allerdings um mehr, als nur um die unmittelbare Nachfolge des Oppositionsführers, der zum Jahresende voraussichtlich zurücktreten wird, sondern auch bereits um einen Kandidaten für die nächsten Parlamentswahlen im Jahr 2014. Darüber hinaus ist die Partei gefordert, auch ihre Inhalte gänzlich neu zu definieren. Beim letzten Wahlkampf präsentierte sich die BJP, die einst als Partei des Wandels angetreten ist, um sich von den anderen zu unterscheiden, als rückwärtsgewandte Gruppierung. Während es der Kongresspartei mit der neuen Jugendikone Rahul Gandhi gelungen ist, die zahlreichen Jung- und Erstwähler anzusprechen und mit ihrem Programm zukunftsorientiert zu überzeugen, konnte die BJP keine Alternative bzw. nur die Verherrlichung der Vergangenheit offerieren. In einem Land wie Indien, in dem ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung muslimischen, aber auch christlichen Glaubens ist und es eine große Sikh-Gemeinde gibt, ist religiöse Polarisierung – in diesem Falle einer hindunationalistischen Ideologie - äußerst problematisch.

Indiens Außenpolitik

Nach den Wahlen im April/Mai 2009 wurde S.M. Krishna überraschend als Außenminister in das indische Kabinett berufen. Auch wenn Indiens Premierminister Manmohan Singh wesentliche außenpolitische Funktionen wahrnimmt, werden an Krishna hohe Erwartungen gestellt. Auf der Agenda steht beispielsweise die Aussöhnung mit Pakistan. Außerdem ist Indien als führende Macht in Südasien bestrebt, seine Kooperation mit den SAARC-Staaten zu intensivieren. Das gilt vor allem für Bangladesh, Sri Lanka und Nepal, aber auch für die Malediven.

Beziehungen zu wirtschaftlich / militärisch führenden Nationen

Das Verhältnis zu China ist auch in der zweiten Amtszeit von Manmohan Singh nicht frei von Spannungen und Misstrauen, was traditionell auf das Bündnis Beijings mit Pakistan sowie Grenzstreitigkeiten und die Tibet-Frage zurückzuführen ist. Immer wieder sorgen Grenzstreitigkeiten an der chinesisch-indischen Grenze für Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern. Erst im Juni dieses Jahres hat Indien die Truppenstärke an der Grenze zu China im Bundesstaat Arunchal Pradesh mit dem Ziel erhöht, die „zukünftige Herausforderung an die nationale Sicherheit“ zu bewältigen.

Im Vorfeld des 60. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Indien und China im Jahr 2010 wurden allerdings jüngst eine Vielzahl vertrauensbildender Maßnahmen beschlossen – so erklärte Indien das Jahr 2010 zum „Freundschaftsjahr mit China“ und zwischen Premierminister Manmohan Singh und dem chinesischen Premier Wen Jiabao beziehungsweise Präsident Hu Jintao wurde eine „Hotline“ eingerichtet, um regelmäßige Kontakte auf höchster Ebene zu ermöglichen. Das im vergangenen Jahr beim Besuch von Manmohan Singh in Beijing unterzeichnete Dokument einer „gemeinsamen Vision für das 21. Jahrhundert“ wird vom indischen Sicherheitsberater Narayanan als Grundlage für eine prioritäre Außenpolitik gegenüber China bewertet.

Wirtschaftspolitisch ist China in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Partner Indiens geworden, allerdings spielt in umgekehrter Sichtweise Indien als Handelspartner nur eine untergeordnete Rolle für China. Indische Wirtschaftsfachleute beklagen derzeit, dass es immer noch gewisse Vorbehalte in der indischen Wirtschaft gebe, mit chinesischen Partnern zu interagieren, für Investments in Indien zu werben und gleichzeitig im chinesischen Wachstumsmarkt ein stärkeres Engagement zu entwickeln.

Mit Blick auf das Verhältnis zu den USA war für Premierminister Manmohan Singh vor allem der Abschluss des amerikanisch-indischen Nuklearpaktes ein wichtiger außen- und sicherheitspolitischer Erfolg. Die sicherheitspolitische Schwerpunktsetzung der neuen Obama-Regierung auf eine Befriedung Afghanistans und auf den Kampf gegen Al-Qaeda und die Taliban im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet hatte in indischen Regierungskreisen Besorgnis hervorgerufen, Washington könne im Konflikt der rivalisierenden Nachbarländer Partei für Pakistan ergreifen. Während des Besuchs der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton in Indien im Juli 2009 bemühte sich diese um Klarstellung, dass die USA keine Einmischung in die Kaschmirfrage anstreben. Clinton adelte Indien als „Supermacht“ und es wurden zahlreiche Rahmenverträge zum Export von Militärgerät und zur Beteiligung amerikanischer Firmen am Bau neuer indischer Atomkraftwerke unterzeichnet. Dennoch bleibt der indische Argwohn gegenüber der amerikanischen Pakistan-Politik bestehen.

Mit Blick auf die wirtschaftspolitischen Beziehungen beider Länder wird in Indien davon ausgegangen, dass die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise spätestens in drei bis vier Jahren überwunden und damit auch das gegenseitige Vertrauensverhältnis wieder hergestellt sein wird. Auf lange Sicht blieben die USA eine bedeutende wirtschaftliche, militärische und politische Macht und damit auch ein wichtiger Partner für Indien.

Die Europäische Union ist noch vor den USA der wichtigste Wirtschaftspartner Indiens. Durch jährliche Gipfeltreffen zwischen Indien und der EU und auf der Grundlage des seit 2005 verabredeten „Joint Action Plans“ – einer strategischen Partnerschaft – konnten die Beziehungen stetig vertieft werden. Auf dem letzten EU-Indien Gipfel in Marseille im September 2008 wurde der bestehende Joint Action Plan überarbeitet und auf neue Politikfelder der strategischen Partnerschaft erweitert, ein gemeinsames Arbeitsprogramm zu Energie, Umwelt und Klimawandel aufgestellt, ein ziviles Luftfahrt-Abkommen beschlossen sowie die Gründung eines European Business and Technology Centers in Indien initiiert. Beim diesjährigen EU-India Summit in Neu-Delhi am 5. November stehen die Themenbereiche Klimawandel, Lösungen der internationalen Finanzmarktkrise und die Reform internationaler Institutionen auf der Agenda.

Die EU-Strategie für Indien sieht für die Jahre 2007-2013 Direktinvestitionen von 470 Millionen Euro vor. Aus wirtschaftlicher Perspektive existieren in Indien noch zu wenig Investitionsoptionen. Auch wenn das Land einen bemerkenswerten Öffnungsprozess betrieben hat, muss die Liberalisierung der Märkte weiter voranschreiten, meinen Vertreter der Europäischen Delegation in Indien. Gemeinsame Interessen zwischen Indien und der EU existieren in vielen Bereichen und sprechen für eine verstärkte Vernetzung: Wirtschaft, Sicherheit, Terrorismusbekämpfung und -prävention.

Deutschland und Indien haben traditionell gute Beziehungen, die auch in der Regierungszeit Manmohan Singh II ihre Kontinuität erfahren. Anknüpfend an die Ergebnisse der beiderseitigen hochrangigen Besuche - Premierminister Manmohan Singh kam im Jahr 2006 nach Deutschland, im Jahr 2007 erfolgte der Gegenbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. – behalten die wesentlichen Inhalte der „Agenda für die Deutsch-Indische Partnerschaft im 21. Jahrhundert" aus dem Jahr 2000 weiterhin Gültigkeit. Als weitere Vertiefung ist die so genannte "Gemeinsame Erklärung" von Bundeskanzlerin Merkel und Premierminister Singh über die strategische Partnerschaft Deutschlands und Indiens zu verstehen, die auch in der Zukunft für die Beziehungen zwischen beiden Ländern Bedeutung haben wird. Deutschland ist Indiens wichtigster Handelspartner innerhalb der EU. Im Jahr 2008 erreichte das Handelsvolumen mit rund 13,5 Milliarden Euro seinen bisherigen Höchststand. Neben der engen politischen Abstimmung und der Wirtschaftsförderung bestehen Felder der Zusammenarbeit in Energiefragen, Umwelt- und Ressourcenschutz, Entwicklungszusammenarbeit, Bildung, Wissenschaft und Technologie, Finanzsystementwicklung sowie Verteidigung.

Besondere Aktualität besitzt das Streben nach einer engen Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung durch einen höheren Grad der Vernetzung. Die aktuelle Arbeit der bilateralen Parlamentarierforen sowie der deutsch-indischen Beratergruppe spricht darüber hinaus für eine fortschreitende Vernetzung in den genannten Bereichen.

Das mögliche Potential der bilateralen Beziehungen von Russland und Indien wird kaum genutzt. Deshalb dominierten die Diskussionen um eine Ausweitung der Beziehungen beider Länder den Besuch von Präsidentin Pratibha Patil bei ihrem russischen Amtskollegen Dmitry Medvedev im Kreml im September 2009. Medvedev betonte Russlands strategisches Engagement für eine intensive Partnerschaft mit Indien. Immerhin ist der bilaterale Handel im vergangen Jahr um 20 Prozent auf 8,4 Milliarden US-Dollar gestiegen. Patil und Medvedev stimmten darin überein, dass die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder eine gute Basis für die Kooperation in vielen anderen Bereichen darstelle, wie etwa bei der Wissenschaftszusammenarbeit in forschungsintensiven Industrien, im Bereich der Nuklearenergie sowie der Außen- und Sicherheitspolitik.

Indien und Japan messen der Intensivierung der bilateralen Beziehungen auch in der zweiten Amtszeit Manmohan Singhs einen hohen Stellenwert zu, was durch hochrangige Politikerbesuche zum Ausdruck gebracht wird. Im Vordergrund der Gespräche auf höchster Regierungsebene steht die Verstärkung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, die noch wenig entwickelt sind. Die indische Regierung hofft insbesondere auf japanische Investitionen in die zum Teil marode indische Infrastruktur. Diese Haltung gegenüber Japan ist auch Teil der indischen „containment“-Politik gegenüber China. Darüber hinaus sieht Indien Chancen in der Adaption japanischer Technologien, die auch in Indien einen hohen Stellenwert genießen. Joint-Ventures sollen für den nötigen Wissenstransfer sorgen.

Indiens Beziehungen zu seinen Nachbarn

Die aktuelle Politik gegenüber Pakistan bleibt auch in der zweiten Amtszeit von Manmohan Singh eine Kernherausforderung. Das Verhältnis zwischen Pakistan und Indien ist weiterhin gespannt. Dies ist sowohl auf die historische Teilung des britischen Kolonialreiches, als auch auf die aktuellen politischen Entwicklungen in Pakistan zurückzuführen. Dabei bleibt offen, wie die Zukunftsperspektive für Pakistan zu beurteilten ist. Die pakistanische Wirtschaft ist schwach und das Land leidet unter eklatanten Demokratiedefiziten. Taliban-Gruppen haben die Herrschaft über große Landesteile übernommen und verüben auch in Pakistan vermehrt Terroranschläge. Indien muss daran gelegen sein, den Einfluss des pakistanischen Militärs und der islamistischen Fundamentalisten in Pakistan zu mindern. Ein Anfang hierfür ist gemacht: Gerade in der Zeit nach den Terroranschlägen in Mumbai hat sich Indien seinem Nachbarn gegenüber besonnen verhalten, obwohl Pakistan zugegeben hatte, dass die Anschläge von Terroristen im eigenen Land geplant wurden. Manmohan Singh hat kürzlich in einer Regierungserklärung erneut beteuert, dass man auf Pakistan zugehen wolle und dies gerade für die Terrorismusbekämpfung gelte. Allerdings erwartet man ein aktives Handeln von der Administration in Islamabad und einen deutlich sichtbaren Willen zu guten Beziehungen mit Indien.

In Bezug auf Afghanistan hat Indien aus geostrategischen Gesichtspunkten ein großes Interesse am nachhaltigen Wiederaufbau des afghanischen Staates. Die Beziehungen sind traditionell gut. So gab es nach 9/11 eine schnelle Initiative Indiens zur Unterstützung Afghanistans. Seither hat man in Afghanistan mehr als eine Milliarde Dollar an Aufbauhilfe geleistet und 3.500 zivile Helfer in das Land am Hindukusch entsandt. Indien fördert insbesondere den Aufbau von politischen Institutionen in Afghanistan und investiert in die Infrastrukturentwicklung. Indiens Botschafter in Afghanistan, Jayant Prasad, bestätigte kürzlich in den Medien das nachhaltige Interesse Indiens am Wiederaufbau Afghanistans. Man werde sich auch in Zukunft engagieren und sein Engagement noch ausbauen, hieß es. So hat die indische Regierung angekündigt, im Bereich der Nahrungsmittelsicherheit noch mehr Unterstützungsleistungen für Afghanistan anzubieten. Mit dem Ergebnis der afghanischen Präsidentschaftswahlen haben sich die Inder zufrieden gezeigt, man pocht zwar auf eine Aufklärung der Fälschungsvorwürfe, sieht aber in Präsident Karzai einen verlässlichen Partner.

Nepals Premierminister Madhav Kumar suchte in den vergangenen Wochen zunehmend politische Schützenhilfe beim großen Nachbarn Indien. Nach einem fünftägigen Staatsbesuch im August 2009 schloss er ein strategisches Abkommen mit der Administration in Neu-Delhi und betonte öffentlich seinen Wunsch nach guten und engen bilateralen Beziehungen. Auf diese Weise versucht der Premier, seine schwache Position im Inland zu stärken. China, das naturgemäß den maoistischen Kräften in Nepal näher steht, erteilte der Premierminister in Bezug auf eine verstärkte Kooperation beider Länder eine Absage. Die wichtigsten Aspekte aus dem Abkommen zwischen Nepal und Indien sind Folgende: 1) Um den nepalesischen Außenhandel zu fördern, stellt Indien seinen Hafen in Visakhapatnam zur Verfügung. 2) Beide Staaten werden in Kürze ein Handelsprogramm auflegen, das indische Investitionen in Nepal fördern und eine Doppelbesteuerung auf Unternehmensgewinne verhindern soll. 3) Die bilaterale Beratergruppe in Sicherheitsfragen wird sich in den kommenden Wochen zu Verhandlungen treffen, um zu klären, wie die offene Grenze zwischen Indien und Nepal besser vor terroristischen Aktivitäten geschützt werden kann. 4) Der Ausbau von Infrastrukturverbindungen zwischen beiden Ländern, insbesondere im Bereich der Eisenbahnstrecken, soll den gegenseitigen Handel fördern und 5) Indien wird sein Engagement im Bereich Wissenschaft und Technik innerhalb Nepals ausbauen.

Auch nach dem Ende des Bürgerkrieges in Sri Lanka im Mai 2009 bleibt die Situation für Indien schwierig. Es sind nun etwas mehr als drei Monate vergangen seit Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapaksa erklärt hat, dass die Nation von den Tamil Tigers befreit sei. Immer noch leben mehr als 300.000 Flüchtlinge in eilig errichteten Camps. Indien akzeptiert die territoriale Integrität Sri Lankas, will aber auch die Rechte der Tamilen geschützt sehen. Eine positive Zukunft der bilateralen Beziehungen hängt insbesondere von drei Punkten ab. Zum einen hat Sri Lanka bisher von Indien Entwicklungshilfe erhalten, diese sollte auch in Zukunft an den Fortschritt politischer Reformprozesse geknüpft werden. Sri Lanka muss es gelingen, indische Sicherheitsbedenken, im Speziellen in Bezug auf Chinas Engagement im Land, zu zerstreuen. Drittens ist es im Interesse beider Länder, ihre Wirtschaftsbeziehungen weiter ausbauen; dieser Prozess soll trotz der politischen Konfrontationen in Sri Lanka voranschreiten.

Am 11. September 2009 hat die Außenministerin Bangladeschs, Dipu Moni einen dreitägigen Besuch in Neu-Delhi abgeschlossen. Zum wiederholten Male haben die Regierungen ihre Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, die bilaterale Kooperation beider Länder zu stärken. Eine Kernherausforderung beider Nationen besteht in der Abschreckung von Terroristen. In einem Übereinkommen zwischen Indien und Bangladesch wurde das Verfahren zum grenzüberschreitenden Rechtsbeistand bei Straftaten, zum Transfer von verurteilten Personen und zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegen das organisierte Verbrechen und den Drogenhandel geregelt. Mit dem Übereinkommen existiert auch erstmals ein rechtlicher Rahmen für die Abschiebung von Rebellen nach Indien, die in Bangladesch Zuflucht gesucht haben. Beide Länder stimmten auch überein, ausstehende Probleme bei Grenzfragen (Dahagram und Angarpote Enklave, Tin Bigha Korridor) und Fragen der gerechten Verteilung von Trinkwasserressourcen auf der Arbeitsebene schnell zu lösen. Darüber hinaus wollen sich Indien und Bangladesch in Zukunft bemühen, die Handelsströme auszuweiten.

Der indische Verteidigungsminister Antony unterzeichnete im August ein Abkommen für eine Reihe von gemeinsamen Maßnahmen auf den Malediven, so dass die Verteidigungskooperation zwischen beiden Ländern gestärkt und die Malediven ins Sicherheitsnetz Indiens eingebunden werden. Der Besuch stellt den Anfang der bilateralen Sicherheitszusammenarbeit dar. Vereinbart wurde die Stationierung von Küstenradaren, regelmäßige Luftaufklärungseinsätze und die Hilfe beim Aufbau einer eigenen Luftwaffe der Malediven. Darüber hinaus stimmten beide Länder verbesserten Patrouillen der Küstenwache und der Marine sowie dem Aufbau eines Militärkrankenhauses in Male zu. Nach den gezielten Terroranschlägen auf ausländische Touristen in Mumbai im November 2008 waren auf den Malediven die Ängste gewachsen, dass ein ähnlicher Anschlag in dem Inselstaat den Tourismus, die Haupteinnahmequelle des Landes, erheblich beschädigen könnte.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die vom Indian National Congress geführte Koalitionsregierung einen klaren Wahlauftrag zur Umsetzung eines ambitionierten Reformprogramms hat. In den ersten 100 Tagen der Regierung Manmohan Singh II konnten einige Reformvorhaben bereits initiiert werden. Allerdings müssen in der Zukunft noch wesentliche Herausforderungen gelöst werden. Die Bilanz der Regierungspolitik fällt in den ersten Monaten – auch vor dem Hintergrund einer deutlich geschwächten Opposition – positiv aus.

Am 13. Oktober finden in drei Bundesstaaten – Maharashtra, Haryana und Arunchal Pradesh – Parlamentswahlen statt. Dies wird ein erster Stimmungstest für die Reformpolitik der Kongresspartei bei den Wählern, aber auch für eine mögliche Neuorientierung der BJP. Insbesondere das Ergebnis in Maharashtra, in dem sich die Finanzmetropole Mumbai (Bombay) befindet, wird sich richtungsweisend auf die zukünftige Politik von Regierung und Opposition auswirken.

Neben der innenpolitischen Reformagenda und den außenpolitischen Schwerpunktsetzungen wird sich die indische Regierung in Zukunft verstärkt dem Thema innere Sicherh eit, insbesondere der Gefahr einer Eskalierung mit den Naxaliten in Westbengalen und in anderen Landesteilen, annehmen müssen. Premierminister Singh konstatierte dieser Tage, dass es sich bei dieser links-extremistischen Gruppierung um die derzeit größte Bedrohung der inneren Sicherheit des Landes handle.

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21. Juli 2009
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