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Menschenwürde und Menschenrechte im Zeitalter der Globalisierung

von Dr. Karlies Abmeier, Dr. Michael Borchard, Dr. Angelika Klein
Positionspapier der Konrad-Adenauer-StiftungSant’Egidio, den 13.02.2009

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Das Konzept der Menschenwürde wurzelt im abendländisch, christlich, jüdischen Kulturkreis. Doch lassen sich diese Gedanken auch für Nichtchristen nachvollziehen. Für die Übertragbarkeit des Menschenrechtsgedankens ist es wesentlich, dass sich die Ideen auch in anderen Kulturkreisen finden und sich mit der Goldenen Regel umschreiben lassen: „Was Du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ Dieser Maxime wird in Deutschland vielfach mit Hinweis auf den Kategorischen Imperativ des Philosophen Kant zitiert: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“. Der Mensch darf niemals zum Objekt werden.

Das stärkste Argument aus christlicher Sicht zur Begründung der Menschenwürde lässt sich aus dem christlichen Menschenbild ableiten. Danach ist der Mensch Geschöpf und Ebenbild Gottes. Deswegen wird der Mensch nicht nur auf sein empirisch nachweisbares, irdisches Dasein beschränkt, sondern wesentlich ist die Perspektive auf ein Leben nach dem Tod.

In diesem Menschenbild wird der Mensch unverkürzt wahrgenommen von seinem allerersten Anfang an bis zu seinem Ende, in Krankheit und Behinderung, im Erfolg wie im Scheitern. Kein Mensch muss sein Lebensrecht und seine Menschenwürde erst durch seine Fähigkeiten und Leistungen verdienen, sondern diese sind mit seinem bloßen Dasein schon gegeben. Dabei wird auch anerkannt, dass der Mensch fehlbar ist und die zerstörerische Realität des Bösen kennt.

Mit der Orientierung an der Menschenwürde als ethischer Leitkategorie steht der konkrete Mensch als Individuum in der Gemeinschaft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Menschenwürde ist der jedem Menschen eigene, weil mit seinem Dasein gegebene und darum objektive Anspruch auf Achtung als Mensch. Die Sozialethiker fassen dies zusammen mit dem Satz: Würde ist Anspruch auf Achtung.

Das deutsche Grundgesetz sagt, dass der Anspruch auf Achtung unantastbar sei. Er darf nicht nur nicht angetastet werden, sondern muß auch vor Verletzungen geschützt werden. Er bleibt auch dort bestehen, wo Menschen ihn ignorieren, bestreiten oder mit Füßen treten, indem sie das Leben antasten oder Selbstbestimmungsrecht nehmen. Wegen dieser Gefahr verpflichtet sich das Grundgesetz die Menschenwürde zu schützen.

Im rechtlichen Kontext verdanken sich alle Rechtssätze einem Akt willkürlicher Festsetzung. Vertritt man – mit Blick auf Menschenwürde – die Auffassung, sie basiere auf nichts anderem als auf einer solchen willkürlichen Festsetzung, so gäbe es keinen Grund, mit Blick auf Staaten oder Gesellschaften, in denen es keine einschlägigen Verfassungsartikel gibt, die Missachtung von Menschenwürde oder die Verletzung von Menschenrechten zu bemängeln, zu beklagen oder zu kritisieren. Folglich gäbe es auch keinen Grund, Regime in Vergangenheit oder Gegenwart zu tadeln, zu verachten oder zu bekämpfen, in denen einem Teil der Bevölkerung – auf Grund ordnungsgemäß zustande gekommener Gesetze – Menschenwürde aberkannt, Menschenrechte bestritten oder eingeschränkt werden. Im Gegensatz dazu lässt sich im religiös-weltanschaulichen Kontext der Satz von der Unantastbarkeit der Menschenwürde sowie das Gebot ihrer Achtung und ihres Schutzes vom Sein des Menschen selbst herleiten. Solange Menschenwürde nur als kulturelle Konvention aufgrund menschlicher Setzungen verstanden wird, bleibt sie antastbar, verletzlich und entziehbar und kann nicht beanspruchen, auf andere Staaten und Gesellschaften ausgedehnt zu werden.

Menschenwürde als Leitbegriff: Konkrete Folgerungen

Die konkreten Folgerungen für politisches Handeln nennen fünf grundlegende Werte, die aber keine Lösungsvorschläge für tagesaktuelle politischen Einzelfragen beinhalten, sondern sich auf die Strukturen der Gesellschaft beziehen.

An erster Stelle steht das Lebensrecht als Voraussetzung für die Wahrnehmung der anderen Rechte. Es lässt sich einerseits als Abwehrrecht gegen willkürliche Tötung oder lebensbedrohende Menschenversuche oder auch gegen eine absichtliche Verweigerung des Existenzminimums verstehen. Anderseits lässt es sich als Entfaltungsrecht definieren, das neuem und entstehendem menschlichen Leben Chancen gibt, sich zu entwickeln. Dieser Aspekt hat zur Folge, dass kinderfreundliche Lebensbedingungen geschaffen werden müssen und ein leistungsfähiges, differenziertes Bildungsangebot bereitgestellt werden muss, das Begabungen entdeckt und fördert, um Berufs- und Lebenschancen zu eröffnen.

Der umfassende Charakter des Lebensrechtes sagt, dass der Mensch von der Befruchtung an als Mensch gilt und sich nicht erst zum Menschen hin entwickelt: Der Mensch ist Mensch in allen Phasen seines Lebens. Auch darf er nicht als Mittel zum Zweck medizinischer Forschung und Therapie benutzt werden. Hier zeigt sich sehr klar, dass die Würde des Menschen nicht gegen andere Güter, etwa das Ethos des Heilens, abgewogen werden darf.

Hinsichtlich der „Selbstbestimmung“ ist auf Formen dieses vielfach missbrauchten Begriffes hinzuweisen, die mit der Menschwürde unvereinbar sind, etwa wenn Menschen sich selbst verkaufen. Entscheidend ist das Verständnis von Freiheit. In christlicher Perspektive hat sie nicht den Charakter von grenzenloser Unabhängigkeit, Willkür oder beliebiger Selbstgesetzgebung, sondern den Charakter der Freiheit zu (eigen-)verantwortlicher Gestaltung und zum Tun des Guten und Rechten. Dieser Charakter des Selbstbestimmungsrechtes spielt besonders mit Blick auf das Ende des Lebens eine Rolle, wie die Diskussion um Sterbehilfe, Sterbebegleitung, Patientenverfügung sowie Verbesserung der Palliativmedizin zeigt.

Der Grundwert der Verantwortung weist darauf hin, dass zur Menschenwürde die Verantwortung für sich selbst, für das eigene Leben, die eigenen Angehörigen gehört, so weit dieses möglich ist. Strukturbildend ist und bleibt dabei das Prinzip der Subsidiarität. Diese Verantwortung, die sich aus der Achtung der Menschenwürde ergibt, schließt auch die künftigen Generationen ein, die in den heutigen politischen Entscheidungen hinsichtlich finanzieller und ökologischer Lasten ernst genommen und berücksichtigen werden müssen. Das Begriff der „Nachhaltigkeit“ ist in diesem Sinne ein Bestandteil der Achtung der menschlichen Würde.

So verstandene Verantwortung bedeutet auch, in wirtschaftlichen Zusammenhängen nicht nur auf den eigenen Nutzen zu schauen, sondern sich als Teil einer größeren Gemeinschaft zu sehen. Nicht erst seit der Finanzkrise wissen wir: Die Bereitschaft zu Solidarität und das Ansehen des Sozialstaats werden gefährdet, wenn Marktmechanismen rücksichtslos ausgenutzt oder soziale Sicherungssysteme missbraucht werden. Ein ausbalanciertes System des Interessensausgleiches und einer Ordnung, die Freiheit gewährleistet und soziale Exklusion verhindert, eine „soziale Marktwirtschaft“, erfüllt am ehesten den Anspruch, die Menschenwürde zu achten.

Der mit der Menschenwürde verbundene Grundwert der Solidarität richtet den Blick einerseits auf die Menschen, die sich selbst nicht helfen und für ihre Lebenserfordernisse nicht selbst sorgen können. Andererseits erwartet er von denjenigen, die dazu in der Lage sind, Hilfeleistungen und Unterstützung sowohl freiwillig als auch vertraglich abzusichern. Dabei ist zu beachten, dass diese Formen der Solidarität nicht ausgenutzt oder überstrapaziert werden dürfen.

Gerechtigkeit ist eine der konkreten Formen, in denen die Achtung der Menschenwürde ihren Ausdruck findet. Rechtsgleichheit ist eine unmittelbare Konsequenz aus dem Anspruch auf Achtung der Menschenwürde. Denn die Missachtung der Menschenwürde geht oft mit einer willkürlichen Aberkennung oder Einschränkung von Rechten einher.

Soziale Gerechtigkeit ist verletzt, wenn Einzelnen oder Gruppen der ihnen zustehende oder zum Leben benötigte Anteil an Entwicklungsmöglichkeiten willkürlich vorenthalten wird und sie dadurch in Not und Elend getrieben werden.

Gerechtigkeit bezieht sich nicht nur auf Bürgerrechte, sondern auch auf Menschenrechte und muss in regionaler wie globaler Verantwortung wahrgenommen werden.

Menschenrechte im Zeitalter der Globalisierung

Menschenwürde und Menschenrechte stehen in einem unauflösbaren, inneren Zusammenhang. Die Würde des Menschen ist die Begründung der Menschenrechte. Denn aus dieser dem Menschen angeboren, ihm qua seines Menschseins innewohnenden, unantastbaren, unteilbaren und unveräußerlichen Menschenwürde leiten sich die Menschenrechte ab: die Vorstellung von Rechten, die jedem Menschen zukommen. Die ihm zukommen allein dafür, daß er Mensch ist. Das macht die Menschenrechte - als Folge der Menschenwürde - universal.

Die Universalität und Übertragbarkeit ist daher - wie für die Menschenwürde - auch das Kriterium für Menschenrechte: nicht eine bestimmte historische oder kulturelle Interpretation, nicht etwas Wünschenswerte oder gewisse soziale Standards. Die Idee der Menschenrechte steht und fällt mit ihrer Universalität: „Menschenrechte sind universal oder sie sind nicht“ (di Fabio).

Diese Universalität gilt es zu verteidigen. Und zwar weltweit. Denn gerade im Kontext der Globalisierung wird sie zunehmend in Frage gestellt. Unterschiedliche Weltanschauungen treffen aufeinander, Glaubens- und Lebensweisen vermischen sich. Auf internationalem Parkett bestimmen andere inzwischen mit: Vertreter anderer Kulturkreise und Religionen, die sich auf eigene Überzeugungen berufen, die Universalität der Menschenrechte in Frage stellen, sie als „westlich“ diskreditieren. Allzuoft wird dabei die eigene Kultur oder Religion instrumentalisiert, werden Gegensätze aufgebaut, verstärkt oder vorgeschoben, um eigene Machtinteressen zu verschleiern.

Die Definition von Menschenrechten darf jedoch nicht politischer Willkür oder einem bestimmten kulturellen Blickwinkel überlassen werden: Dies ist eine konkrete politische Folgerung aus der Menschenwürde als Leitbegriff. Menschenrechte sind eine Folge der Menschenwürde und verlangen weltweite Achtung und Schutz.

Voraussetzung dafür ist der Rechtsstaat: Menschenrechte können nur in einem demokratischen und rechtsstaatlichen Umfeld gedeihen. Und auch durchsetzen lassen sie sich nur, wenn die entscheidenden Rahmenbedingungen dafür gegeben sind. Der Aufbau einer leistungsfähigen Rechtsordnung, der Einsatz für Gewaltenteilung und eine anerkannte und unabhängige Justiz ist eine politische Aufgabe weltweit. So auch die Gewährleistung von Meinungs- und Pressefreiheit: Menschenrechtsverletzungen werden zuerst durch die Medien bekannt gemacht. Die Meinungsfreiheit ist zudem selbst ein Gradmesser für die demokratischen Verhältnisse in einem Land. Eine freie und verantwortungsvolle Berichterstattung und rechtsstaatliche Strukturen sind ein unverzichtbares Fundament und Instrument, damit aus Menschenrechten Menschenpflichten werden – und zwar weltweit.

Diese sind die Bestimmungen der Menschenwürde, die als Rechte, als Menschenrechte, weltweit eingefordert und durchgesetzt werden müssen:

Der Mensch ist im Bilde Gottes und damit frei geschaffen - Bevormundung und Unterdrückung sind mit der Würde des Menschen nicht vereinbar. Hieraus folgt das Recht auf Freiheit - die Freiheit der Person, ihrer Gedanken und Meinungen, ihrer Religion. Die Freiheitsrechte des Individuums zu verteidigen - gegen den Kollektivzwang, nicht gegen das Kollektiv als solches - gehört zu den bedeutsamsten und dringlichsten Aufgaben einer an Menschenwürde orientierten Politik.

Die Freiheit des Menschen geht aber auch mit Verantwortung einher. Das Prinzip der Solidarität und das Recht auf Teilhabe gehören zusammen: Grundlegende soziale Rechte bekommen im Lichte der Globalisierung eine neue Dimension. Extreme Armut ist mit der Menschenwürde unvereinbar. Daran zu erinnern ist gerade in diesen Zeiten aktueller denn je, in denen der Markt sich von seiner Verantwortung zu lösen, sich autonom zu entwickeln scheint. In vielen Ländern werden ganze Bevölkerungsgruppen von der Entwicklung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt, gerät das Gemeinwohl aus dem Blick. Die elementaren sozialen Rechte des Individuums einzuklagen, gehört in Zeiten der Globalisierung mehr denn je zu einer am Menschen orientierten Wirtschaftspolitik.

Dem Begriff „Verantwortung“ kommt im Kontext der Globalisierung zudem eine neue und umfassende Bedeutung zu: als eine Verantwortung für die Welt als Ganzes. Umweltzerstörung wirkt sich weltweit aus. Im Bilde Gottes geschaffen zu sein, beinhaltet aber auch den Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung. Der Kontext der Globalisierung erfordert es umso mehr, an diese gemeinsame Verantwortung zu appellieren.

Die Globalisierung ist eine Herausforderung für unser Wertefundament. Globalisierung, soll sie nachhaltig gelingen, muß gestaltet und nicht nur verwaltet werden. Ihre Dynamik bedarf eines ethischen Rahmens. Das Begriffspaar Menschenwürde und Menschenrechte kann hierfür ein Wegweiser sein.

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Symposium
13. Februar 2009
Piazza Sant' Egidio, 3/A
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