Im Zweiten Weltkrieg wurde Japan – ebenso wie Deutschland – besiegt und von den Alliierten besetzt. Eines der Ziele, die sich die Alliierten bei der Besetzung vorgenommen hatten, lag in der Entmilitarisierung Japans. Tatsächlich wurden die kaiserliche Armee und Marine aufgelöst und das Land dadurch entwaffnet. Anschließend erstellte man im Rahmen dieser Politik auf Anweisung der Besatzungsmacht eine neue Verfassung. Diese wurde am 3. November 1946 öffentlich verkündet und trat am 3. Mai 1947 in Kraft. In Artikel 9 der Verfassung ist Folgendes festgelegt.
Art. 9, 1. In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Waffengewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten.
2. Um das Ziel des vorhergehenden Absatzes zu erreichen, werden keine Land-, See-, und Luftstreitkräfte oder sonstige Kriegsmittel unterhalten. Ein Recht des Staates zur Kriegführung wird nicht anerkannt.
Bei der Art des Krieges, auf den in Artikel 9 der Verfassung verzichtet wird, handelt es sich um einen Angriffskrieg. Dies ist angesichts des Völkerrechts nichts Besonderes. Stattdessen liegt die Besonderheit dieses Artikels in dem „Verbot des Unterhalts von Streitkräften“ in Absatz 2, welches besagt, dass keine Land-, See- und Luftstreitkräfte oder sonstige Kriegsmittel unterhalten werden dürfen.
Die Existenz dieses Artikels hat sogar zu der überspitzten Behauptung geführt, dass Japan weder sein Recht zur Selbstverteidigung ausüben, noch irgendeine Wehrkraft aufrechterhalten kann. Dies wäre jedoch völlig unrealistisch, weshalb nach einer hitzigen Debatte die japanische Regierung bis Mitte der 1950er Jahre die Meinung vertrat, dass Japan auch unter Artikel 9 der Verfassung unter bestimmten Einschränkungen sein Recht zur Selbstverteidigung ausüben und eine Wehrkraft aufrechterhalten könne. Die heutigen Selbstverteidigungsstreitkräfte wurden am 1. Juli 1954 gegründet.
Russlands Überfall auf die Ukraine, der am 24. Februar 2022 begann, sowie das Risiko einer chinesischen Invasion in Taiwan, das in den letzten Jahren immer wieder Anlass zur Sorge gibt, haben einen großen Einfluss auf die Sicherheitsperspektive der japanischen Bevölkerung. In einer Meinungsumfrage der Asahi Shimbun vom April 2022 sprachen sich mehr als 60 % der befragten Wähler dafür aus, dass Japan seine Wehrkraft weiter stärken solle. Im Zusammenhang mit der am 16. Dezember desselben Jahres vorgenommenen Revision der drei Dokumente in Bezug auf die grundlegende Sicherheitsrichtlinie, nämlich der „Nationalen Sicherheitsstrategie“, der „Nationalen Verteidigungsstrategie“ und dem „Plan zum Aufbau der Wehrkraft“, lag der Schwerpunkt sowohl auf der Erhöhung des Verteidigungshaushalts von etwa 1 % auf etwa 2 % des BIP sowie auf der Aufrechterhaltung der Fähigkeit zum Gegenschlag, um u. a. die Raketenabschussbasen feindlicher Länder, die Japan im Visier haben, angreifen zu können.
Jedoch ist die Nachkriegsverfassung, einschließlich Artikel 9, bis heute nicht geändert worden. Für die Verfassungsrevision ist die Zustimmung von mindestens zwei Dritteln aller Mitglieder des Ober- und Unterhauses sowie eine Mehrheit in einem Referendum erforderlich, was eine enorm hohe Hürde darstellt. Die Frage, wie das japanische Sicherheitsumfeld mit den Einschränkungen aus Artikel 9 der Verfassung in Einklang gebracht werden kann, wird bei den Diskussionen über die japanische Sicherheitspolitik auch weiterhin ein unvermeidbarer Streitpunkt bleiben.
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