Der Krieg ist allgegenwärtig. In den Kaffeehäusern, Bürogebäuden, Flughäfen, Schnellrestaurants und Wohnzimmern der Region verfolgen die Menschen über Fernsehsender wie „Al-Jazeera“ pausenlos neue, mit blutigen Szenen untermalte Schreckensmeldungen aus Gaza. Kaum ein TV-Kanal in der arabischen Welt greift nicht auf derartige, verstörende Bilder zurück. Die Menschen stehen vor den Bildschirmen und können teilweise live zusehen, wie israelische Flugzeuge ihre Bomben auf Gaza abwerfen und die Körper von Frauen und Kindern zerfetzen. Mit der Opferzahl steigt auch die arabische Wut. Der Gaza-Konflikt lässt Ressentiments gegen Israel offen ans Tageslicht treten.
In Amman versammelten sich 30.000 Menschen in den ersten Tagen nach Beginn des Einsatzes der IDF in einem Sportstadium, um die Aufkündigung des israelisch-jordanischen Friedensvertrages zu fordern. Mehrere hundert Protestler marschierten in der jordanischen Hauptstadt auch vor die israelische Botschaft. Dort kam es zu einem Handgemenge mit der Polizei, bei dem diese Tränengas einsetzte.
Reaktionen in Syrien


Proteste im Libanon



Der mit der Hizbullah alliierte Parteivorsitzende des „Free Patriotic Movement“, der maronitische Christ Michel Aoun, erklärte in einem Fernsehinterview mit dem Hizbullah-Fernsehsender „Al Manar“, egal wie viele Militäroperationen Israel im Rahmen dieses „verbrecherischen“ Krieges führe, werde es nicht gelingen den arabischen Widerstand zu brechen.
Auch die prowestlichen Führer des Libanon äußerten sich kritisch gegenüber Israel. Der sunnitische Ministerpräsident Fouad Siniora erklärte das israelische Vorgehen zu einem „kriminellen Akt“. Der „israelische Feind“ glaube, auf diese Art und Weise das Palästinenserproblem lösen zu können, irre in diesem Glauben jedoch. Durch den Krieg würde das arabische Streben nach einem palästinensischen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt nur verstärkt. Gleichzeitig unterstrich der Regierungschef aber auch die Notwendigkeit, den Libanon aus der bewaffneten Auseinandersetzung herauszuhalten. Allerdings werde man dem „palästinensischen Brudervolk“ auf humanitärem Weg helfen.
Syrien brach bereits am Tag nach dem Beginn der israelischen Luftschläge die von der Türkei vermittelten indirekten Friedensverhandlungen mit Israel ab. Ein Regierungssprecher wurde mit den Worten zitiert, die israelische Aggression schließe die Tür für eine friedliche politische Lösung der Spannungen zwischen beiden Staaten.
Syriens Staatspräsident Bashar al-Assad konzentrierte seine Aussagen vor allem darauf, eine internationale Beilegung der Krise zu fordern. Wie die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA meldete, habe Assad UN-Generalsekretär Ban-Ki Moon in einem Telefongespräch gebeten, der Sicherheitsrat möge eine Resolution beschließen, in der Israel aufgefordert werde „sofort seine Aggression gegen Gaza und seine Blockade“ aufzuheben. Gegenüber dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy bezeichnete Assad das Vorgehen Israels als „barbarische Aggression“ und als „Kriegsverbrechen“. Bevor weitere Vermittlungsschritte möglich seien, müsse es zu einem Waffenstillstand und einem Rückzug der israelischen Truppen aus Gaza kommen.
Auch der jordanische König Abdullah II. forderte die internationale Gemeinschaft auf, der israelischen „Aggression“ ein Ende zu bereiten und die Grenzen des Gaza-Streifens für humanitäre Hilfe zu öffnen. Ministerpräsident Nader Dahabi stellte sogar den 1994 geschlossenen Friedensvertrag mit Israel zur Disposition: „Jordanien wird sich alle Optionen offen halten, auch die, seine Beziehungen zu Israel zu überprüfen“ , so der Regierungschef vor dem jordanischen Parlament in Amman. Eine Gruppe von jordanischen Parlamentariern hatte zuvor die Ausweisung des israelischen Botschafters aus Jordanien Amman gefordert.
Die Regierung aller drei Staaten brachten zudem umfangreiche Hilfslieferungen für Gaza auf den Weg.
Viele Äußerungen zur Gaza-Krise, besonders aus dem Libanon, sind nach innenpolitischen und machtstrategischen Gesichtspunkten zu beurteilen. So sieht die Hizbullah in einer scharfen Rhetorik gegenüber Israel die Chance, sich einmal mehr als Volkes Stimme zu präsentieren. Dies, so die Hoffnung, könnte das von ihr angeführte Oppositionslager „Bewegung des 8. März“ zu einem Sieg bei den voraussichtlich am 7. Juni stattfindenden Parlamentswahlen tragen. Der Hizbullah-Fraktionschef im libanesischen Parlament, Mohammed Raad, erklärte die Parlamentswahlen dann auch gleich zu einer „Fortsetzung des Krieges von 2006“, bei dem Israel die Hizbullah angegriffen hatte. Die Libanesen hätten an den Urnen die Wahl zwischen dem von Hizbullah verkörperten „Widerstand“ gegen Israel und den Kräften, welche diesen „Widerstand besiegen“ wollten.
Aller harten Rhetorik zum Trotz fällt es auf, dass im Libanon bisher kein wichtiger politischer Vertreter davon spricht, in den Konflikt eingreifen zu wollen. Selbst Hizbullah-Chef Nasrallah hält sich bisher mit derartigen Forderungen zurück und schwelgt stattdessen lieber in Durchhalteparolen und diffusen Märtyrerphantasien. Die Erinnerung an den Krieg 2006 und die schweren Schäden in der libanesischen Infrastruktur, die bis heute noch nicht alle behoben sind, sind noch zu frisch, als dass man das Land in einen neuen bewaffneten Konflikt hineinziehen möchte. Deshalb blieb es auch bei der Hizbullah bislang bei wortgewaltigen Muskelspielen.
Auch die syrische Führung versucht, durch starke Rhetorik ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Dabei übt Damaskus vor allem Kritik an Israel. Unterstützung der Hamas-Kämpfer war von offizieller syrischer Seite allerdings kaum zu vernehmen. Die auf Initiative der türkischen Regierung eingeleiteten indirekten Friedensverhandlungen zwischen Syrien und Israel sind vorerst ausgesetzt. Ob sie nach Beendigung der Kampfhandlungen im Gaza-Streifen schadlos wieder aufgenommen werden können, ist fraglich, aber durchaus möglich. Nicht nur muss Präsident Assad die Wiederaufnahme von Verhandlungen innenpolitisch rechtfertigen, sondern auch Israel muss seine Bereitschaft zeigen. Assads vornehmliches Interesse bleibt jedoch, keinesfalls in seine während der letzten Monate zunehmend durchbrochene internationale Isolation zurückfallen. Aus diesem Grund drängt er auf Lösungen im internationalen Rahmen. Auch die Bedeutung, die die staatliche Nachrichtenagentur SANA den Treffen und Gesprächen Assads mit hochrangigen Persönlichkeiten der Weltpolitik wie Ban-Ki Moon oder Nicolas Sarkozy beimisst, deutet in die Richtung, dass es Damaskus vor allem darauf ankommt, sein internationales Gewicht nach innen, aber auch nach außen zur Schau zu stellen.
Jordanien schließlich bleibt seiner Rolle als langjähriger Balancehalter zwischen arabischen Sensibilitäten und guten Beziehungen zum Westen treu. König Abdallah hielt sich mit scharfen Worten diplomatisch zurück und schickte stattdessen seinen Regierungschef Dahabi vor. Dass dieser sogar die diplomatischen Beziehungen zu Israel in Frage stellte, kann einerseits durchaus als ein deutliches Warnsignal aufgefasst werden. Zum anderen jedoch steht ein solcher Bruch des Friedensvertrages in Jordanien nicht ernsthaft zur Debatte. So sehr den jordanischen Eliten und insbesondere dem Volk, welches zu einem Großteil aus Palästinensern besteht das Vorgehen Israels auch missfallen mag, sind sie sich doch im Klaren darüber, welche Vorteile der Frieden mit Israel dem Land politisch und wirtschaftlich bringt und ist daher nicht bereit, diese aufs Spiel zu setzen.
In allen drei Ländern wird viel davon abhängen, wie lange der Krieg noch andauern wird. Während der Zorn der Bevölkerung und auch vieler Medien auf Israel mit jedem Tag der Offensive stetig wächst, haben es die Politiker bisher verstanden, in ihren Äußerungen zwar den Volkszorn zu reflektieren, anderseits jedoch im Sinne der Realpolitik Überreaktionen zu vermeiden. Am labilsten ist die Situation dabei im Libanon, wo der Staat durch seine chronische institutionelle Schwäche am ehesten durch öffentliche Unruhen überrollt werden kann. Vor allem die Hizbullah ist dabei das Zünglein an der Waage, da sie mit einem einzigen Aufruf das gesamte Staatsgefüge aus den Angeln heben kann. Hassan Nasrallah genießt es sichtlich, dass das ganze Land darauf wartet, ob er Israel den Krieg erklärt oder nicht. Gleichzeitig verbreitet sich sein Ruf als Chef-Gegner Israels weiter in der arabischen Welt. Trotz aller Ideologie hat Nasrallah in der Vergangenheit jedoch bewiesen, dass er eiskalt zu kalkulieren versteht. Ein erneuter Krieg gegen Israel könnte die Hizbullah stark schwächen und auch ihren Wahlerfolg im Juni gefährden. Von daher ist es momentan wahrscheinlicher, dass es bei einem rhetorischen Krieg der radikalislamischen Miliz bleibt.
Die Katjuscha-Raketenangriffe aus dem Nordlibanon auf israelisches Staatsgebiet am Morgen des 8. Januar stellten zweifelsohne eine weitere Eskalation der Situation dar, insbesondere auch, da Israel das Feuer erwidert hat. Bereits Ende Dezember waren auf Israel gerichtete Raketen im Südlibanon entdeckt worden. Damals hatte Hizbullah erklärt, mit den Raketen nichts zu tun zu haben. Auch bei den jüngsten Rakenangriffen wird sogar von der israelischen Presse bisher gemutmaßt, dass einzelne Palästinenser sie aus dem Südlibanon abgefeuert hätten. Auch aus libanesischen Armeekreisen verlautete die gleiche Vermutung. Allerdings hat dieses erste Feuergefecht an der israelisch-libanesischen Grenze seit Ausbruch des Gaza-Konfliktes den Zedernstaat in den Alarmzustand versetzt. Premierminister Fouad Siniora beeilte sich, die Angriffe sowie die israelische Antwort zu verurteilen. Sollten sich derartige Vorfälle an der Grenze in den nächsten Tagen wiederholen und israelisches Antwortfeuer vielleicht im Libanon ernsthafte Schäden anrichten, könnte die Situation jedoch schnell ausser Kontrolle geraten. Nasrallah könnte dann, wie schon 2006 argumenti
eren, es seien die Israelis gewesen, welche einen erneuten liabanesisch-israelischen Konflikt verursacht hätten.Alle Fotos © KAS Amman