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Veranstaltungsberichte

Nordrhein-Westfalen: Land der neuen Integrationschancen

Rede von Thomas Kufen, Integrationsbeauftragter der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in Amman

Rede anlässlich des KAS-Al Quds Politischen Dialogforums zum Thema: „Konfliktprävention: Immigration, Integration und das Flüchtlingsproblem in Jordanien und Deutschland" am 1. Juni 2009

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Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, heute in Amman mit Ihnen gemeinsam diskutieren zu dürfen. Es ist eine besondere Veranstaltung, in einer besonderen Stadt. Seit einigen Tagen bin ich in Jordanien und bin begeistert von diesem Land.

Das heutige Thema unserer Runde ist Integration. Deutschland ist - davon bin ich überzeugt - ein interessanter Fall, was dieses Thema angeht, weil es hier in den vergangenen Jahren politische und rechtliche Reformen der Einwanderungs- und Integrationspolitik gegeben hat, die viele nationale und internationale Beobachter diesem Land gar nicht zugetraut haben.

Erinnern wir uns: Trotz millionenfacher Einwanderung von lange so genannten Gastarbeitern und ihren Familienangehörigen, von Spätaussiedlern, Aussiedlern und Flüchtlingen seit den 1950er Jahren hielt die politische Elite unseres Landes trotzig daran fest, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist.

Immer wieder wurde betont: die Ausländer in Deutschland sind gar keine Einwanderer und die Anwerbepolitik der 1950er bis 1970er Jahre ist auch keine Einwanderungspolitik, da ja nur ein zeitlich befristeter Aufenthalt geplant ist.

Eingewandt wurde auch, die Aussiedler und Spätaussiedler aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion - das sind keine Einwanderer, das sind Deutsche, und Deutsche können nicht in ihr eigenes Land einwandern.

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass sich Deutschland einwanderungs- und integrationspolitisch in weiten Teilen "neu erfunden" (re-invented) hat.

Es hat einen wirklichen "policy change" gegeben. Denkverbote wurden überwunden, neue politische Koalitionen sind entstanden.

Alte Gräben zwischen einer ideologischen "Laissez-faire-Multi-Kulti-Politik" auf der einen Seite und einem ebenso ideologischen Leugnen, dass es überhaupt Einwanderung gibt, auf der anderen Seite, wurden eingeebnet.

Wir können heute quer durch die politischen Lager – von den Extremisten rechts und links sehe ich einmal ab – differenziert über die Vor- und Nachteile von Einwanderung sprechen.

Dieser im Ton und in der Sache gemäßigte und moderate Diskurs ist die Voraussetzung für tragfähige politische Lösungen, die die gesamte Gesellschaft mitnehmen.

Kurz gesagt: es hat einen "pragmatic turn" in der deutschen Einwanderungs- und Integrationspolitik gegen.

Ich möchte das an einigen Beispielen erläutern:

1) Seit dem 1. Januar 2005 ist Deutschland auch de jure und nicht mehr nur de facto ein Einwanderungsland.

Das neue Einwanderungsgesetz enthält zum ersten Mal Regelungen für die gezielte Anwerbung (recruitment) von Hochqualifizierten und selbständigen Unternehmern (entrepreneurs).

Dass es im exportorientierten Deutschland einen Bedarf an Fachkräften und Hochqualifizierten gibt, ist inzwischen unstreitig. Der Ausbau qualifizierter Beschäftigung ist ein Schlüssel, um die Leistungskraft und Innovationsfähigkeit der heimischen Wirtschaft dauerhaft zu sichern.

Es ist allerdings fast schon ironisch zu nennen, dass Deutschland sich heute als Einwanderungsland definiert, es aber kaum noch Einwanderung gibt.

Der Familiennachzug (familiy migration) geht zurück, die Aussiedlerzuwanderung (ethnic Germans) ist fast zum Erliegen gekommen, es kommen nur noch wenige Asylbewerber. Die Zeiten hoher Wanderungsüberschüsse wie in den 1980er und 1990er Jahren sind vorbei.

2) Seit dem 1. Januar 2000 haben wir ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht, das sich von alten, fest sitzenden, ethnisch-nationalen Vorstellungen gelöst hat.

Zentrale Elemente des "ius soli" wurden in das Gesetz aufgenommen. Deutschland hat sich damit in seiner Einbürgerungspolitik dem Modell klassischer Einwanderungsländer angenähert.

Das Gesetz hat weitreichende Folgen! So werden heute in Deutschland kaum noch ausländische Kinder geboren: 19 von 20 in Nordrhein-Westfalen geborenen Kindern sind deutsche Staatsangehörige. Nur mehr jedes 20. Kind wächst ohne den deutschen Pass auf.

Die übergroße Mehrheit der Kinder von Einwanderern hat von Geburt an alle staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Wer hätte das vor 20 Jahren für möglich gehalten?

Wir brauchen in Deutschland eine neue Willkommenskultur. Wer sich hier zuhause fühlt, soll auch zuhause sein und deutscher Staatsbürger werden.

3) Neueinwanderer werden nicht mehr wie in der Vergangenheit nach ihrer Einreise allein gelassen, sondern erhalten Sprach- und Orientierungskurse.

Wer neu nach Deutschland einwandert und die deutsche Sprache nicht beherrscht, hat einen Anspruch auf 600 bis 900 Stunden Sprachtraining verbunden mit einem Orientierungskurs von 45 Stunden.

Das Ziel des Orientierungskurses ist die Vermittlung von Grundkenntnissen zur Rechtsordnung, Geschichte und Kultur in Deutschland.

Damit sollen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte mit den Lebensverhältnissen in Deutschland so weit vertraut gemacht werden, dass sie ohne Hilfe und Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können.

Bis zum Jahresende 2006 wurden bundesweit 1.851 Kursträger, die insgesamt an mehr als 5.800 Standorten tätig sind, zur Durchführung von Integrationskursen zugelassen. Damit wurde ein flächendeckendes Integrationskursangebot sichergestellt.

Die Kosten trägt ganz weitgehend der Steuerzahler. Einwanderer zahlen lediglich einen symbolischen Beitrag von 1 Euro je Stunde Sprachtraining. Ganz umsonst sollte dieses Angebot auch nicht sein.

Wenn wir ein vergleichbares Integrationsprogramm schon in den 60er und 70er Jahren gehabt hätten, dann wären viele aktuelle soziale Folgeprobleme gar nicht aufgetreten. Aber besser zu spät, als gar nicht.

4) Es gibt massive Anstrengungen, mehr für die frühe Bildung von Einwandererkindern zu tun.

Das Schul- und Erziehungssystem in Deutschland hat vor der Einwanderung lange Zeit die Augen verschlossen. Viele Kindergärten und Schulen taten so, als gäbe es gar keine Schüler, die mit einer anderen als der deutschen Sprache aufwachsen.

Die soziale und kulturelle Zusammensetzung der Schüler ist aber heute viel heterogener als in den 60er und 70er Jahren. Das verlangt nach neuen Konzepten!

Auch hier gibt es positive Veränderungen. Eine neue Studie der Integrationsminister der Länder zeigt, dass heute bundesweit bei allen Kindern vor Beginn der Schulzeit festgestellt wird, ob sie gut deutsch sprechen oder nicht.

Wenn sie Schwierigkeiten haben, bekommen sie besondere Unterstützung. Von dieser Maßnahme verspreche ich mir, dass es erst gar nicht zu einer Negativspirale aus fehlenden Deutschkenntnissen, schulischem Versagen und beruflicher Ausgrenzung kommt.

Nordrhein-Westfalen - das Land mit den meisten Menschen mit Zuwanderungsgeschichte - ist Vorreiter bei der frühkindlichen Sprachförderung.

5) Endlich sprechen Politiker und Zuwanderer miteinander, anstatt nur übereinander zu sprechen.

Ich bin davon überzeugt: Das gemeinsame Gespräch ist der erste Schritt zur erfolgreichen Integration.

Dafür stehen zum Beispiel die zwei Nationalen Integrationsgipfel, die auf Einladung der Bundeskanzlerin stattgefunden haben. Und in Nordrhein-Westfalen steht dafür der Integrationsbeirat, der dazu beiträgt, dass Integration in Nordrhein-Westfalen besser gelingt. Ihm gehören selbstverständlich auch Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Migrantenselbstorganisationen an.

Dieser Dialog ist notwendig, und es ist bedauerlich, dass wir ihn nicht schon viel früher begonnen haben. Viel zu lange haben verantwortliche Politiker in Deutschland darüber hinweg gesehen, welche Interessen die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte haben. Zuweilen wurden sie nicht einmal zur Kenntnis genommen: Menschen, die in mehr als 50 Jahren zu uns gekommen sind und in der Mitte unserer Gesellschaft leben, die hier ihre Steuern zahlen, arbeiten, vielleicht ein Haus bauen und eine Familien gründen wollen.

6) Es gibt Gespräche auf höchster staatlicher Ebene mit den Organisationen der Muslime.

In Deutschland leben über 3 Millionen Muslime. Die meisten kommen aus der Türkei. Gespräche staatlicher Vertreter mit den Organisationen der Muslime, so wie es sie mit den christlichen Kirchen gibt, haben bis vor wenigen Jahren nicht stattgefunden.

Das war ein Fehler, denn der Islam ist eine Realität in unseren Städten. Er ist integraler Bestandteil der Gesellschaft.

Heute gibt es die "Deutsche Islam Konferenz", einen organisierten regelmäßigen Dialog mit hohen Repräsentanten des deutschen Staates und den Sprechern der 5 großen islamischen Verbände (inkl. Aleviten).

Diese Gespräche helfen, Misstrauen auf beiden Seiten abzubauen. Auch sie wären vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen.

Die Anerkennung der kulturellen Vielfalt bedeutet aber nicht multikulturelle Beliebigkeit. Unter dem Kunstbegriff „Multikulti” wurde jahrelang eine falsch verstandene Toleranz gelebt, und wenn es Konflikte gab, hat man weggeschaut.

Dieses Wegschauen hat dazu geführt, dass ein nicht zu unterschätzender Teil der Einwanderer in ihren eigenen ethnischen Kolonien - teilweise ohne die deutsche Sprache gebrauchen zu müssen - lebt.

Aber ein bloßes Nebeneinander bringt uns nicht weiter. Denn ohne ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit erträgt eine Gesellschaft auch keine Vielfalt. Das Fundament unserer Gesellschaft muss die Beherrschung der deutschen Sprache und eine gemeinsame Wertebasis auf Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sein. Dies ist für alle verbindlich.

Denn auch das gehört zur Integration: Der Wille der Zugewanderten, Teil unserer Gesellschaft zu werden, und die Entschlossenheit, den gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen.

Es gibt die Vorbilder, die alle Hürden gemeistert haben und der den Kindern und Jugendlichen den Weg weisen können.

Mesut Özil ist nur ein Beispiel. Viele weitere Fußballspieler wie Gerald Asamoah, Sänger wie Xavier Naidoo, oder Moderatoren wie Nazan Eckes sind öffentlich präsent und zeigen, dass die Hürden der Integration zu meistern sind. Und nicht nur die ganz großen Stars, die jeder sieht, auch die vielen anderen können Orientierung und Kraft geben. Es gibt natürlich zahlreiche Vorbilder, die medial nicht in Erscheinung treten. Viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die in keiner Schlagzeile auftauchen, stehen für die gelungene Integration. Vorbilder und gute Beispiele vermitteln wirksamer Zuversicht und ermuntern schneller zum Handeln als alle Theorien oder Appelle.

Die Chancen der Zugewanderten sind immer auch unsere Chancen, die Chancen der aufnehmenden Gesellschaft.

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