Länderberichte
Am 4. Juni wurde in den Kommunen Kambodschas gewählt. Registriert waren 7,865,033 Millionen Kambodschaner, was in etwa 81 Prozent der Wahlberechtigten entspricht. Im Vergleich hierzu waren bei den letzten Kommunalwahlen 9,664,216 Millionen Menschen registriert. Dieser Unterschied ist auf die Aktualisierung der Wählerlisten und das neue Registrierungsverfahren zurückzuführen. Insgesamt standen zwar 94.595 Kandidaten von zwölf registrierten Parteien zur Wahl, doch der mediale Fokus lag auf den zwei großen rivalisierenden Parteien, der regierenden Kambodschanischen Volkspartei (KVP) und der Kambodschanischen Nationalen Rettungspartei (KNRP), die seit den Nationalwahlen 2013 eine ernstzunehmende Herausforderung für die Regierungspartei darstellt.
Nachdem die Wahllokale am Sonntag um drei Uhr geschlossen wurden und die Stimmauszählung begann, verkündete die Nationale Wahlkommission um sechs Uhr eine Rekordwahlbeteiligung. Von den 7,865,033 Millionen registrierten Wahlberechtigten gingen 7,040,594 zur Wahl und nahmen so ihr demokratisches Grundrecht wahr. In Prozenten liegt die Wahlbeteiligung somit bei 89,52 Prozent. Die Anzahl an Wählern entspricht der Wahlbeteiligung bei den Nationalwahlen 2013 und übersteigt diejenige der vorherigen Kommunalwahlen 2012 um rund 1,6 Millionen Teilnehmer. In fünf Provinzen betrug die Wahlbeteiligung über 90 Prozent, darunter Kep, mit 21.327 (92,52 Prozent) registrierten Wählern, die kleinste und Takeo, mit 501.297 (91,21 Prozent) registrierten Wählern eine der größten Provinzen. Die nichtabwaschbare Tinte zur Vermeidung von Wahlbetrug wurde dabei zum Social Media Event und Tausende Kambodschaner posteten ihren Zeigefinger, zuvor in lila Farbe getunkt, als Zeichen ihrer politischen Teilhabe.
Die vorläufigen Ergebnisse, die nach erneuter Prüfung von Beschwerden am 25. Juni bestätigt werden, sind hingegen weniger spektakulär. Die KVP bleibt stärkste Kraft, jedoch verliert sie zahlreiche Kommunen an die Opposition. In Zahlen ausgedrückt: Die KVP konnte bei den Kommunalwahlen 2012 1.592 von 1.632 Kommunen für sich gewinnen, dieses Jahr verliert sie knapp 500 Kommunen an die Opposition. Dennoch bleibt sie in über 1.100 Kommunen an der Spitze. Spannender als die Anzahl der gewonnen Kommunen, in denen fortan der Commune Chief von der jeweils siegreichen Partei gestellt wird, ist die Gesamtstimmenverteilung von knapp über 50 Prozent für die KVP und etwas über 45 Prozent für die KNRP. Dies bedeutet eine gleichhohe Stimmenzahl für die Regierungspartei verglichen mit den Nationalwahlen 2013, bei einer Zunahme von 500 000 Wählern für die führende Oppositionspartei. Beide Parteien hatten mit einem eindeutigeren Ergebnis gerechnet. Für die Nationalwahlen 2018 versprechen die Kommunalwahlen eine spannende und vermutlich konfliktreiche Zeit.
Demokratische Relevanz ─ ein Prüfstand für die Parteien
Im kommenden Jahr wird entschieden, ob der aktuelle Premierminister Hun Sen, seit 32 Jahren an der Macht, seine Position halten kann, oder ob die KNRP das Land in eine neue politische Zeit führt. Wurde die Macht Hun Sens bis vor den letzten Nationalwahlen 2013 als unantastbar betrachtet, änderte sich das mit dem damaligen Ergebnis. Die KNRP konnte 56 von 123 Sitzen in der Nationalversammlung unter dem Wahlbanner „Change or No Change“ gewinnen. Das Signal für die Regierungspartei war alarmierend.
Der Erfolg der Oppositionspartei, die damals den Sieg für sich beanspruchte, ist rückführbar auf den Zusammenschluss der Sam Rainsy Partei, geführt vom gleichnamigen Parteigründer, und der Menschrechtspartei, geführt von Kem Sokha. Die Bündelung dieser Kräfte und das Aufgreifen von sozial-politischen Themen hat die Regierungspartei in Bedrängnis gebracht. Dabei wurden speziell die grassierende Korruption, Vetternwirtschaft und Klientelismus von der Oppositionspartei adressiert. Und auch bei diesen Wahlen standen soziale Gerechtigkeit und Korruptionsbekämpfung ganz oben auf der Oppositionsagenda.
Ein weiterer zentraler Punkt ist die ausgeprägte Stadt-Land-Spaltung. Bei den Nationalwahlen 2013 konnte die Oppositionspartei überwiegend junge und gut gebildete Wähler in den urbanen Gebieten gewinnen. Die Regierungspartei hingegen gilt als administrativ sehr gut vernetzt in den ländlichen Regionen Kambodschas, in denen oft bildungsferne Schichten und arme Menschen leben. Diese haben oft nur Zugang zu Radio und TV als Informationsmedium. Beide Medien werden von der Regierungspartei kontrolliert. Das vorläufige Ergebnis der Kommunalwahlen unterstreicht dieses Phänomen. Die KNRP gewann überwiegend in urbanen Kommunen, darunter die Hauptstadt Phnom Penh, Siem Reap und Kampong Cham. Zu ihrem Wählerportfolio gehören viele Studenten, Fabrikarbeiter, junge Wähler und die kambodschanische Mittelklasse, wohingegen die KVP wie in den vorherigen Jahren sehr stark in ländlichen Gebieten und bei der Oberklasse mobilisieren konnte. Hauptursachen sind die starken ländlichen Parteistrukturen der KVP und die intensive Nutzung von Radio und Fernsehen.
Daneben war auch die Wahl der Themen entscheidend. Allgemein kann hier festgehalten werden, dass das nationale Wahlprogramm der Parteien im Vergleich zu kommunalen Themen eine übergeordnete Rolle gespielt hat. Dabei präsentierte die KVP einen dreizehn Punkteplan, der in den Themen Verbesserung der sozialen Dienstleistungen, Vorgehen gegen Drogenkonsum und Bandenkriminalität, Regulierung der Mikrofinanzinstitute, Erhöhung des Kommunalbudgets und der Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards mit dem Parteiprogramm der Opposition unisono ist. Jedoch konzentrierte sich die KVP mehr auf physische Aspekte wie Straßen, Wassersysteme und das Stromnetz. Die Opposition dagegen tendierte eher zur Verwendung von weichen Konzepten wie Förderung von mehr Partizipation, Menschenrechten und Empowerment.
Auch in Sachen Rhetorik unterscheiden sich die zwei Großen. Dementsprechend profiliert sich die KVP nach wie vor als einziger Garant für Sicherheit und Stabilität im Land. So wurde stets wiederholt, dass die KVP Kambodscha von den Khmer Rouge befreite und für die Entwicklung des Landes verantwortlich sei. Darüber hinaus wurden Hun Sen und seine Anhänger nicht müde zu betonen, dass im Falle eines Sieges der Opposition das Land wieder in einem Bürgerkrieg versinken könnte. Konträr dazu zeigt sich die Opposition zurückhaltender und verweist auf internationale Berichte, die Korruption, Vetternwirtschaft, mangelnde Demokratie und fehlende soziale Gerechtigkeit anprangern.
Faire und freie Wahlen? Politischer Wettkampf in Kambodscha
Salopp ausgedrückt, als Opposition hat man es nicht einfach in Kambodscha. Spätestens seit der Fusion der Sam Rainsy Partei und der Menschenrechtspartei zur KNRP nach den Kommunalwahlen 2012 und dem sehr guten Abschneiden der KNRP bei den Nationalwahlen 2013 wurde ersichtlich, über welche Mittel die Regierungspartei verfügt, um gegen den neuen politischen Herausforderer vorzugehen.
Proteste der KNRP gegen das Wahlergebnis 2013 wurden von der Regierung niedergeschlagen. Ein Jahr später schloss Sam Rainsy mit Hun Sen einen Kompromiss, der die Reform der Nationalen Wahlkommission beinhaltete. Ende 2015 ging der Oppositionsführer ins Exil, aufgrund von anscheinend politisch motivierten rechtlichen Verfahren gegen ihn.
Seinem Stellvertreter erging es im Jahr 2016 nicht besser. Kem Sokha musste sich fünf Monate lang in der Oppositionszentrale dem Zugriff der Polizei entziehen, denn auch gegen ihn wurden rechtliche Verfahren eingeleitet. In einem anscheinend politisch motivierten Verfahren wegen Prostitution wurde er zu fünf Monaten Haft verurteilt, weil er nicht vor Gericht erschien. Daraufhin erhielt Kem Sokha ein königliches Pardon.
Jedoch werden nicht nur die Oppositionsführer eingeschüchtert, bedroht und in rechtlich fragwürdigen Fällen belangt. Derzeit sitzen etwa 20 Vertreter der Zivilgesellschaft sowie Oppositionspolitiker, darunter Aktivisten und Abgeordnete der KNVP, im Gefängnis.
Ermöglicht werden die rechtlichen Verfahren durch vage Formulierungen und Anpassungen der Gesetzeslage. Beispielsweise wurde das Parteiengesetz so angepasst, dass vorbestrafte Personen keine Führungspositionen in Parteien einnehmen können. Darüber hinaus können Parteien verboten werden, sollten sie die Stabilität und Sicherheit Kambodschas gefährden. Zusätzlich ermöglicht das Diffamationsgesetz rechtliche Schritte gegen Aktivisten. Und auch das neue Gesetz zur Wahl der Kommunalräte schränkt NGOs in ihrer Handlungsfähigkeit ein, wohingegen Restriktionen politischer Partizipation von Militärs gelockert wurden.
Im Bereich Medien behält die Regierungspartei ebenfalls die Oberhand. Zumindest traditionelle Medien wie Radio und TV auf Khmer Sprache werden von der Regierungspartei kontrolliert. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Erschwerung oder Verhinderung von Werbespots der Oppositionsparteien. Deswegen ist es wenig verwunderlich, dass gerade soziale Medien von der Opposition genutzt werden. Die Regierungspartei hingegen kaufte für 1,5 Millionen Dollar am letzten Kampagnentag stundenweise Radiosendezeit.
Die Nationale Wahlkommission – Klare Verbesserung der Arbeit
Die Kommunalwahl 2017 kann auch als Test für die reformierte Nationale Wahlkommission betrachtet werden. In einem Kompromiss zwischen KVP und KNRP nach den Nationalwahlen 2013 wurde diese umstrukturiert. Seitdem ist die Nationale Wahlkommission paritätisch mit vier Repräsentanten der Regierungspartei und vier der Oppositionspartei, plus einen im Konsensverfahren bestimmten Vertreter aus der Zivilgesellschaft besetzt, welcher gleichzeitig Pressesprecher ist. Diese Konstellation, flankiert von rechtlichen Bestimmungen, hat in vielen Bereichen zu Verbesserungen des Wahlsystems geführt. Wahlbeobachtern und Experten nach waren die Kommunalwahlen 2017 die technisch einwandfreisten, die Kambodscha seit den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung 1993 unter der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Kambodscha (UNTAC) gesehen hat.
Die Wahlkommission konnte die Arbeit an den Wählerlisten deutlich verbessern. Durch regelmäßige Updates, die Neuregistrierung und stärkere Kontrollen konnten Doppelnamen, verstorbene Wahlberechtigte und andere Ungleichmäßigkeiten minimiert werden. Ein Problem blieb jedoch der Ablauf der Neuregistrierung. Den rund eine Millionen Migranten, die in Thailand arbeiten und für die Registrierung im November 2016 nicht in ihre Heimat reisen konnten, blieb die Teilnahme an der Kommunalwahl verwehrt. Hintergrund könnte ein politisches Kalkül der Regierungspartei sein, denn viele dieser Arbeitsmigranten stehen der Opposition nahe. Für die Nationalwahlen 2018 werden trotzdem aktuell Registrierungszentren an den Grenzen diskutiert. Technisch wäre diese Maßnahme möglich.
Aber auch rechtliche Reformen haben die Arbeit verbessert. Beispielsweise wurde ein Verhaltenskodex entwickelt, Wahlprozesse wurden optimiert und die Öffentlichkeitsarbeit hat stark zugenommen. Zusätzlich zeigte sich die Kommission deutlich aufgeschlossener gegenüber NGOs und Entwicklungspartnern. Insbesondere die Europäische Union unterstützt die Durchführung von Aktivitäten und Reformen des Wahlgesetzes und der technischen Durchführung von Wahlen. Im Rahmen des Verhaltenskodexes, der Kriegsrhetorik verbietet, wurde erstmalig Hun Sen öffentlich für seine Aussagen von der Nationalen Wahlkommission kritisiert. Zu einem formellen Beschwerdeverfahren ist es allerdings – mangels einer formalen Beschwerde durch eine dritte Person - nicht gekommen.
Generell galten die von der Nationalen Wahlkommission in einem partizipativen Prozess überarbeiteten Regeln zur Durchführung des zweiwöchigen Kommunalwahlkampfes für alle Parteien, die sich weitestgehend daran gehalten haben.
Ausblick – Intensität der politischen Auseinandersetzung dürfte zunehmen
Bei dem vorliegenden Wahlergebnis handelt es sich formell um das vorläufige Ergebnis. Jetzt beginnt die Zeit der Beschwerdeverfahren und Prüfungen des Wahlprozesses. Am 25. Juni werden die offiziellen Ergebnisse von der Nationalen Wahlkommission verkündet. Die detaillierten Ergebnisse werden dann weiterhin analysiert und lassen konkretere Aussagen über die Wählermilieus, Wahlbeteiligung von Frauen, jungen Menschen und Minderheiten sowie die Vertretung von Frauen in den Räten zu.
Langfristig bleibt abzuwarten, welche Schlüsse die Parteien aus den Erfahrungen im Wahlkampf und der Entwicklung innerhalb der politischen Landschaft ziehen. Das letztlich knappe Ergebnis dürfte jedoch nicht zu einer Entspannung des Verhältnisses der beiden großen Parteien führen. Klargeworden ist, dass die kambodschanische Bevölkerung wählen und ihre Entwicklung mitbestimmen will. Inwiefern sich nun das politische Umfeld verändert und ob die Stimmung für die Opposition rauer wird, bleibt abzuwarten.
Gerade mit Hinblick auf die Nationalwahlen 2018 sollte die Regierungspartei ihre Rhetorik und Zukunftsvision überdenken. Sollte die KVP weiterhin mit Bürgerkrieg drohen anstatt mit klaren Reformen zu punkten, steht die Nationalwahl unter einem schlechten Stern. Denn wahre Demokratie leitet sich nicht aus Repressalien und Einschüchterungen ab, sondern aus Dynamik, Kompromissfähigkeit und friedlichen Machtwechseln. Dass Wahlen in Kambodscha friedlich sein können, Irregularitäten abnehmen und die Menschen motiviert sind, hat die diesjährige Kommunalwahl eindeutig gezeigt.
Die KNRP hat nun die Möglichkeit, mehr kommunale Politik mitzugestalten. Auf welche Barrieren sie dabei stoßen wird und wie der Machtwechsel auf kommunaler Ebene ablaufen wird, bleibt spannend.