Veranstaltungsberichte
Müssen für journalistische Beiträge im Netz die gleichen ethischen Standards wie für die Printmedien gelten? Oder zerstört zuviel Regulierung die Freiheit und Kreativität, von der gerade das Internet lebt? „Was bekommen wir denn, wenn wir Mitglieder im Presserat werden?“, fragte gleich ein junger Workshop-Teilnehmer, der ein Web-Portal betreibt. Die weltweit wachsende Bedeutung von Online-Medien hat auch in Bosnien und Herzegowina eine Debatte über journalistische Berufsethik im Netz entfacht.
Die Arbeit eines Presserates steht einerseits für die Professionalisierung journalistischer Arbeit, andererseits bringt sie die zentralen Akteure gesellschaftlicher Kommunikation zusammen: die Medieneigentümer, die Journalisten und vor allem auch das Medienpublikum. Von einer solchen Institution kann auch der Internet-Journalismus profitieren. Hinzu kommt: Der mediale Wandel wirkt sich insbesondere auf das Berufsbild des Online-Journalisten aus. Liveblogs, User Generated Content (UGC), Facebook, Twitter, YouTube - die neuen Formen der Informationsbeschaffung und -aufarbeitung sind ihr tägliches Brot. Gleichzeitig wird von ihnen erwartet, „always on“ zu sein – jederzeit und überall verfügbar, immer schnell und aktuell. Die Gefahr, dass dies zu Lasten der Qualität der Berichterstattung und somit der Glaubwürdigkeit des Informationsgehaltes gehen kann, ist augenscheinlich.
Transparenz und Medienselbstkontrolle im Netz
Sich der publizistischen Selbstkontrolle zu unterziehen und auf die Einhaltung journalistisch-professioneller Standards zu achten, ist daher für den Onlinejournalisten ein ebenso notwendiger wie ambitionierter Schritt. Denn die journalistische Selbstkontrolle im Internet gestaltet sich in der Praxis gar nicht so eindeutig. Fragen der Anonymität von Internetusern sowie des redaktionellen Umgangs mit Nutzerkommentaren drängen sich hier auf. Es stellt sich auch die Frage, wie der Journalist mit der Datenflut aus den Sozialen Netzwerken umgeht. Flip Voets, Generalsekretär des flämisch-belgischen Presserates und auf dem Workshop in Neum als Experte eingesetzt, war hier unmissverständlich: „User Generated Content sind keine Nachrichten, die Internetnutzer sind für den Journalisten aber eine Quelle.“
Ein weiterer Aspekt spricht für die Öffnung des Pressekodex für Online-Medien: Transparenz, gerade auch im Journalismus, ist eines der Kerngebote des digitalen Zeitalters. Seit langem schon diskutieren Journalisten mit ihren Lesern bzw. Usern, und müssen oft Rechenschaft über ihre Recherchen ablegen. Sie sind einer beinahe minütlichen Qualitätskontrolle durch das Publikum ausgesetzt. Journalistische Selbstkontrolle kann hier ein sehr nützliches Mittel sein, um Glaubwüdigkeit und Vertrauen zu generieren. Denn ohne sie kommt heute ein Informationsangebot blitzschnell in Verruf bei der Nutzergemeinde.
In einem Land wie Bosnien und Herzegowina, das immer noch von politischer Lähmung und ethnischer Spaltung gekennzeichnet ist, existieren auch noch hausgemachte Probleme. Hier kommt die besonders hilfreiche Arbeit des Presserates unter Leitung der Geschäftsführerin Ljiljana Zurovac zum Tragen. Er ist einer der wenigen Institutionen im Land, die ihre Rolle auf gesamtstaatlicher Ebene ausführen. So waren auf dem Workshop Vertreter aus allen Entitäten präsent, selbst aus dem Sonder-Distrikt Brcko. Eine besondere Sensibilität müssen die bosnisch-herzegowinischen Webportal-Betreiber aber auch mit dem Gebrauch von ethnischer „Hasssprache“ in ihren Internetforen aufbringen. Eine jüngst im Auftrag des KAS-Medienprogramms herausgegebene Studie hat ergeben, dass Hassrede zwar kein Massenphänomen in der Region mehr ist, doch in vielen Foren Intoleranz und Diskriminierung weiter grassiert.
Vorreiterrolle auf dem Balkan
Eine fünfköpfige Kommission ist nun ein-gesetzt worden, die sich um die notwendigen Änderungsformulierungen im Pressekodex in Bosnien und Herzegowina kümmern wird. Geklärt werden muss noch, inwiefern die publizistischen Grundsätze auch für die Nutzerkommentare in den Foren der Nachrichtenportale gelten – die wohl schwierigste Abgrenzungsfrage. Die journalistische Selbstkontrolle bezieht sich natürlich in erster Linie auf die journalistisch-redaktionellen Veröffentlichungen. Mit Blick auf die Nutzerkommentare bietet sich aber an, dem Pressekodex Handlungsempfehlungen mit konkreten Entscheidungshilfen beizulegen.
Spätestens ab dem Sommer, wenn die Ergänzungen des Pressekodex unter Dach und Fach sind, werden nun auch die Bürgerinnen und Bürger in Bosnien und Herzegowina die Möglichkeit haben, sich über journalistisch-redaktionelle Veröffentlichungen im Netz beim Presserat zu beschweren. Der Presserat Bosnien und Herzegowinas untermauert damit seine Vorreiterrolle in Südosteuropa. Zwar sind bisher auch in Bulgarien, Serbien, Mazedonien, dem Kosovo und der Republik Moldau ähnliche Selbstregulierungsorgane eingerichtet worden, doch keines arbeitet so intensiv und bürgernah wie der in Sarajevo ansässige Rat.
„Dieser Schritt ist nicht nur für Bosnien und Herzegowina wichtig, sondern er ist ein Signal für die gesamte Medienlandschaft in Südosteuropa“, so der Leiter des KAS-Medienprogramms Südosteuropas, Matthias Barner. Denn bisher hat noch kein einziges Land in der Region einen vergleichbaren Schritt unternommen. Selbst in Deutschland hat der Deutsche Presserat erst seit 2009 seine Zuständigkeit auf die Online-Medien ausgeweitet. Mit spürbaren Konsequenzen: So gehen in Deutschland aktuell weitaus mehr Beschwerden gegen Online-Medien ein als gegen Printmedien.
Die Zusammenarbeit mit dem Presserat von Bosnien und Herzegowina ist nicht unbedeutend für die Medien-Projektarbeit der KAS auf dem Balkan. Das Medienprogramm Südosteuropa sieht seinen Schwerpunkt in länderübergreifenden Aktivitäten. Doch wenn nationale Maßnahmen auf die Region insgesamt ausstrahlen, dann werden sie für das Regionalprogramm interessant. Darüber hinaus ist seit diesem Jahr die Stärkung der digitalen Medien eines der Ziele des KAS-Medienprogramms in Südosteuropa.
Kurzum: Medienselbstkontrolle im Netz ist heute aktueller denn je. Transparenz und Kontrolle von onlinebasierter Kommunikation hat seine Tücken, aber große Chancen für die Entwicklung der Medienlandschaft. Bosnien und Herzegowina ist hier schon weiter als manch anderer europäischer Staat. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage des jungen Teilnehmers zum Mehrwert einer Mitgliedschaft im Presserat kam somit aus dem Teilnehmerkreis selbst: „Wir bekommen nichts Materielles, dafür aber Glaubwürdigkeit und öffentliche Anerkennung, weil wir uns dem Pressekodex verpflichten“, so die Replik von Milan Sutalo, dem Chefredakteur des Nachrichtenportals dnevnik.ba.