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Der "Pakt für Mexiko"

von Prof. Dr. Stefan Jost

Eine Dreier-Allianz oder ein fragiles Konzertationsexperiment?

Nach mehrwöchigen Geheimverhandlungen haben die drei größten Parteien Mexikos (PRI: Partido Revolicionario Institucional, PAN: Partido Acción Nacional und PRD: Partido de la Revolución Democrática) wenige Tage nach Amtsantritt des neuen mexikanischen Staatspräsidenten Enrique Peña Nieto im Dezember 2012 den „Pakt für Mexiko“ unterzeichnet. Dieser Pakt, in der politischen Realität Mexikos eher ein Novum, wurde in der breiten Öffentlichkeit zwar begrüßt. Ob und inwieweit er aber tragen wird, muss sich erst noch erweisen.

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Die Überraschung war groß, als die neue Regierungspartei PRI und die beiden größten Oppositionsparteien PAN und PRD der Öffentlichkeit den „Pakt für Mexico“ vorstellten. Zwar waren vor allem bereits die beiden letzten „Sexenien“ der im Juli 2012 abgewählten PAN-Regierungen von dem „gobierno dividido“ gekennzeichnet. Darunter wird in Mexico die Situation verstanden, dass der Staatspräsident in den beiden Kammern des Kongresses über keine eigene Mehrheit verfügt und daher auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen ist. In dieser Situation seiner beiden PAN-Vorgänger Vicente Fox und Felipe Calderón befindet sich auch der mit rund 38% zum Staatspräsidenten gewählte Enrique Peña Nieto, dessen PRI zwar in beiden Kammern stärkste Partei ist, aber eben nicht über die absolute Mehrheit verfügt. Insofern war erwartet worden, dass sich Peña Nieto und die PRI um die zumindest punktuelle Unterstützung wenigstens einer der beiden größten Oppositionsparteien PAN oder PRD würde bemühen müssen. Nun stellt dieser „Pakt für Mexico“ kein Regierungsbündnis dar, dennoch ist diese Form politischer Absprachen zwischen Parteien auf nationaler Ebene ungewöhnlich. In der mexikanischen Politik wird traditionell Konzertation eher mit dem Gebaren der PRI verbunden, die unter ihrem Dach alle Aushandlungsprozesse konzentrierte.

Zwei Monate nach Unterzeichnung des Paktes haben auch die Grünen, die zunächst nur Beobachterstatus hatten, den Pakt unterschrieben. Der frühere Präsidentschaftskandidat des Linksbündnisses PRD, Andrés Manuel López Obrador, der sich kurz nach den Wahlen vom PRD getrennt hatte, behauptete, auch er sei gefragt worden, habe jedoch abgelehnt, was wiederum von seinen Kontrahenten umgehend dementiert wurde.

Die Inhalte des Paktes

Unbestritten ist, dass in Mexiko ein Politik- und Reformstau besteht. Wesentlichen Anteil daran trägt die PRI.

Nicht, dass es in den Jahren der beiden PAN-Regierungen keine Zusammenarbeit seitens des PRI oder des PRD gegeben hätte. Aber in zentralen Fragen hatte sich die PRI immer wieder verweigert. Gerade ihre Verweigerungsthemen, allen voran eine Reform des Steuersystems und des staatlichen Ölkonzerns PEMEX, entdeckte die PRI dann im Wahlkampf urplötzlich als die dringend anstehenden Modernisierungsfelder.

Die 95 Themen des Paktes sind fünf strategischen Achsen zugeordnet:

  1. Gesellschaft der Rechte und Freiheiten,
  2. Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit,
  3. Sicherheit und Gerechtigkeit,
  4. Transparenz, Rechenschaftslegung und Korruptionsbekämpfung,
  5. Regierungsfähigkeit.
Allein 73 Vorschläge entfallen auf die ersten beiden Politikbereiche. Darin enthalten sind Vorschläge wie allgemeiner Zugang zum Gesundheitssystem, Arbeitslosenversicherung, Rente ab 65; allein neun Vorschläge befassen sich mit der Verbesserung des Schulsystems, sechzehn mit Fragen des Menschenrechtsschutzes und der Stärkung indigener Gemeinschaften.

Eine Reform des Telekommunikations- und Energiesektors, die Problematik der Verschuldung der Bundesstaaten und Kommunen, eine den Föderalismus stärkende Steuerreform, Subventionsabbau, Polizeikoordination zwischen den Bundesstaaten, Aufbau einer „Gendarmería Nacional“, nationale und bundesstaatliche Anti-Korruptions-instanzen, Parteiengesetz, Wahlrechtsreform einschließlich der Wiederwahlfrage für den Kongress stellen weitere komplexe und schwierige Regelungsmaterien dar.

Die Stiftung FRPH (Fundación Rafael Preciado Hernández) der PAN hat in einer Ursprungs- und Konsensanalyse ermittelt, dass 70 Vorschläge zwischen PRI, PAN und PRD konsensfähig seien, 12 nur zwischen PAN und PRD, 4 nur zwischen PAN und PRI, während die PRI mit 2, die PAN mit 5 und der PRD mit 2 Initiativen bislang ohne Verbündete dastehen. Interessanterweise bestehen zwischen PRI und PRD keine ausschließlich bilateralen Gemeinsamkeiten.

Reformen ohne modernisierte PRI?

Zu welchen tatsächlichen Reformen die PRI in der Lage sein wird, hängt wesentlich davon ab, ob die PRI sich dieser bislang ja nicht inhaltlich konkretisierten Reform- und Modernisierungspolitik verschreiben kann, ohne sich selbst als Partei strukturell und programmatisch hinreichend modernisiert zu haben. Dieser denkbare Grundkonflikt wird zumindest in Teilen der PRI verstanden. Die Partei befindet sich in einem Prozess, der in einen Parteitag zur Statuten- und Programmreform einmünden soll.

Interessant ist der Umstand, dass Peña Nieto nicht von seiner verfassungsrechtlichen Möglichkeit Gebrauch macht, wie es etwa Felipe Calderón in den letzten Monaten seiner Amtszeit mit der Arbeitsrechtsreform machte, Gesetzesinitiativen in den Kongress einzubringen, über die dieser dann innerhalb einer bestimmten Frist entscheiden muss. Bleibt die Frage, ob Peña Nieto diesen Weg nicht begeht, weil er die Machtprobe mit einem mehrheitlich oppositionellen Kongress oder mit den Meinungsunterschieden innerhalb der PRI (noch) scheut. Der „Pakt für Mexiko“ bietet ihm demgegenüber die Möglichkeit, zunächst die Einbindung der Opposition zu versuchen, dadurch in der Öffentlichkeit als dialogorientiert zu gelten, auf diesem Wege aber auch die PRI auf einen Kompromisskurs zu zwingen.

Der „Pakt für Mexiko“ und das Parteiensystem

Während aus der PRI zumindest offiziell keine kritischen Stimmen zu vernehmen sind, drangen Dissonanzen aus der PRD an die Öffentlichkeit. Diese sind zum einen auf die ideologische Bandbreite dieses Bündnisses zurückzuführen, zum anderen aber auch auf die befürchtete Konkurrenz zu ihrem ausgetretenen ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Andrés Manuel López Obrador, der sich im Prozess der Umwandlung seiner Organisation Morena zu einer Partei befindet.

Palastrevolutionen in den Parteien sind nicht zu verzeichnen. Bei den bislang nur internen Vorbehalten der PAN ist zudem auch nicht ganz leicht einzuschätzen, ob die entsprechenden Argumente nun ernst gemeint oder nur zur innerparteilichen Auseinandersetzungen verwendet werden.

Auch besteht in den beiden Parteien der Eindruck, dass die Parteiführungen es der PRI zu einfach gemacht haben und der politische Preis für die Unterzeichnung des Paktes nicht hoch genug war.

Klar erklärter Wille aller Beteiligten ist, dass es sich bei diesem Pakt nicht um eine Art versteckter Koalitionsregierung handelt. Dieser Pakt bedeutet zunächst keinen Ausschluss anderer strategischer Orientierungen oder den Verzicht auf eine eigene gesetzgeberische Agenda im Kongress. So haben die Senatsfraktionen der PRD und des PAN für die anstehende Sitzungsperiode des Kongresses eine Zusammenarbeit vereinbart.

Die Kompetitivität des Parteiensystems wird erhalten bleiben. Dies schließt Koalitionsbildungen gerade vor den anstehenden Regionalwahlen im Juli 2013 nicht aus, wobei sich wie bereits in den vergangenen Jahren PAN und PRD stark aufeinander zu bewegen, um PRI-Regierungen zu verhindern.

Cui bono? - Die offene Frage

Insgesamt ist der Pakt als etwas sehr Positives in der veröffentlichten Meinung aufgenommen worden. Die große Unbekannte im Spiel ist die Frage, wem eine erfolgreiche Umsetzung des Paktes politisch nützt. Historische Vorbilder und Erfahrungen fehlen.

Die Interpretationsmöglichkeiten sind vielfältig.

Die PRI und ihr Präsident als Meister der Konzertation und des Dialogs, und dies nicht nur im Einflussbereich der PRI, sondern mit der Opposition? Die anderen Parteien nur als programmschwache und optionslose Erfüllungsgehilfen oder als Verkörperung einer sich dem Wohl des Landes nicht verweigernden, sondern sich konstruktiv einbringenden und damit einen neuen Oppositionsstil prägenden politischen Kräfte?

Die Frage des cui bono ist entscheidend, da von ihrer Beantwortung die Haltbarkeit dieses Paktes abhängt. Noch ist es zu früh, diese Frage zu beantworten, aber die Juli-Wahlen dürften von den Parteien auch unter diesen Vorzeichen interpretiert werden.

Bei diesen Wahlen in 14 Staaten wird über eine eine Gouverneursposition, 270 Landtagsabgeordnete und 1348 Bürgermeister entschieden.

Sollte die PRI als der große Gewinner daraus hervorgehen, dürften in der PAN und der PRD diejenigen an Einfluss gewinnen, die auf eine stärkere Abgrenzung zur Regierung und eine härtere Gangart in der Opposition drängen. Dies gilt in besonderer Ausprägung für die PRD, die in dieser Paktpolitik öffentlich stärker zerstritten ist als die PAN.

Sollte die PRI nicht nur an einer strategischen Pause interessiert sein, in der sie ihre Machtposition in den Kommunen und den Bundesstaaten auszubauen gedenkt, dann müsste ihr an einem dauerhaften Pakt gelegen sein. Sie kann in den Kommunen und Staaten noch so viel gewinnen und ihre Machposition ausbauen – im Kongress wird sich an der Situation des „gobierno dividido“ bis zu den Wahlen der Abgeordnetenkammer im Jahre 2015, der Halbzeit der Präsidentschaft von Peña Nieto, nichts ändern.

Peña Nieto müsste, will er einen Politikstau oder gar eine Situation der „ingobernabilidad“ (Unregierbarkeit) vermeiden, sehr daran gelegen sein, dass PAN und PRD bei den Juli-Wahlen nicht auf breiter Front verlieren. Dies hat auch damit zu tun, dass in der 12-jährigen Oppositionszeit des PRI die Gouverneure der PRI ihre Machtpositionen ausgebaut haben und Peña Nieto von dieser Seite nicht von vornherein mit uneingeschränkter Unterstützung rechnen kann.

Einiges deutet jedoch darauf hin, dass die Regierungsmaschinerie alles auf einen roll over des PRI setzt. So wurde beispielsweise der groß angekündigte „Kreuzzug gegen den Hunger“ ausgerechnet in den Staaten gestartet, in denen die Wahlen stattfindet.

Sollte sich der Eindruck verstärken, dass sich der PRI wie in alten Zeiten mit den alten Instrumentarien im Präsidentenpalast festsetzen will, dann könnte dies eine nicht unbeträchtliche Gegenbewegung gerade auch seitens der Zivilgesellschaft bewirken und auch der parteipolitischen Opposition neuen Aufschwung geben.

Kurzer Frühling oder belastbare Grundlage?

Wie lange der Pakt in der Alltagsrealität mexikanischer (Partei)politik Bestand haben wird, bleibt daher abzuwarten. Die noch nicht definitive Entscheidung des Nationalen Wahlinstitutes (Instiotuto Federal Electoral, IFE), die PRD wegen Überschreitung der erlaubten Wahlkampfkosten mit einer Geldbuße von rund 8 Millionen Euro zu bestrafen, hat zu Empörung bei der PRD, aber auch der PAN geführt. Während das IFE in einer äußerst umstrittenen Entscheidung die regierende PRI von allen Vorwürfen illegaler Wahlkampffinanzierung freigesprochen hat, wurde ausgerechnet die Partei, die das Verfahren gegen die PRI vor dem IFE angestrengt hatte, nun bestraft. Nicht nur, dass schwer vorstellbar ist, dass die PRD mehr Geld als die PRI zur Verfügung gehabt haben soll – so werden dadurch Fälle wie der inzwischen als „monexgate“ bekannte Fall seitens des IFE unter den Teppich gekehrt.

Die PRD hat bereits angekündigt, dass diese Entscheidung eine Überprüfung des Verbleibs der PRD im „Pakt für Mexico“ bedeuten kann. Die Senatsfraktion hat der Parteiführung freie Hand gegeben.

Die Einigung auf überwiegend salvatorische oder einen breiten Interpretationsspielraum lassende Formulierungen des Paktes haben dessen Abschluss erleichtert. Auch zeigt die FRPH-Analyse des Paktes, dass die Schnittmenge der Verständigung sehr groß ist.

Dennoch wird die konkrete Ausformulierung der einzelnen Paktpolitiken genügend Konfliktstoff bieten.

Als eines der herausragenden Beispiele ist die Reform des Energiesektors und dabei vor allem die Umgestaltung des Staatskonzerns „Petróleos Mexicanos“ (PEMEX) zu nennen.

Hier wird die Notwendigkeit einer umfassenden Modernisierung gesehen, Teilprivatisierungen oder andere Formen der privaten Kapitalbeteiligung eingeschlossen, während andere Analysten demgegenüber die Auffassung vertreten, dass PEMEX sehr wohl selbst die Mittel aufbringen könnte, wenn es seine Gewinne nicht an den Staatshaushalt abführen müsste. Der mexikanische Staatshaushalt wird zu rund 40% von PEMEX finanziert.

Schon lange bevor ein konkreter Gesetzesentwurf auf dem Tisch liegt, schlagen die Wogen hoch. Peña Nieto sah sich schon veranlasst klarzustellen, dass eine Privatisierung von PEMEX nie zur Debatte gestanden hätte. Widerstände in der PRI, vor allem aber in der PRD, den Gewerkschaften und durch die neue Partei Morena von Andrés Manuel López Obrador werden dieses Reformprojekt vor erhebliche Probleme stellen.

Der Staatspräsident steht mit dieser Thematik vor der Quadratur des Kreises.

Misslingt eine Beteiligung privaten Kapitals, muss PEMEX, wenn es die Investitionen für eine künftig gesicherte Ölförderung selbst legen will, seine Abführungen an den Staatshaushalt deutlich reduzieren. Dies könnte nur dann gelingen, wenn die Regierung eine Reihe von Subventionen, nicht zuletzt den Benzinpreis, auf den Prüfstand stellen würde. Ob hierfür eine Mehrheit im Kongress zu bekommen ist, ist fraglich.

PAN und PRD haben bereits Widerstand gegen die angekündigte Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und Medikamente angekündigt.

Elitengesteuertes Übereinkommen versus Bodenhaftung

Der „Pakt für Mexiko“ kann aus aktueller Sicht durchaus als Ergebnis eines Reifungsprozesses mexikanischer Parteien verstanden werden. Im Kern ist dieser Pakt ein von (Teilen) der Parteieliten beschlossenes Abkommen. Er birgt die Chance, frontale Oppositionsstrategien zu vermeiden, den Politikstau in Mexiko aufzulösen und das Land voranzubringen. Dennoch bleibt er ein Experiment.

Dieser Pakt wird nur dann Bestand und Erfolg haben, wenn zur Elitensteuerung eine belastbare Basis in der Breite der Parteien und der Gesellschaft hinzukommt.

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