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Die aktuelle Situation und die Herausforderungen der Migrationspolitik in Mexiko

von Janina Grimm-Huber

Expertenkreis

Am 9. Juni 2017 trafen sich politische, soziale und akademische Experten an den ITESO-Einrichtungen in Guadalajara, um die aktuelle Entwicklung der Migrationspolitik in Mexiko zu erörtern, Herausforderungen herauszuarbeiten und eine Liste möglicher Lösungen zu entwickeln. Die Ergebnisse dieses Arbeitstreffens werden als Grundlage für die Vorbereitung des dritten KAS Paper herangezogen.

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Zunächst wurde die Debatte über die aktuelle Situation und die Herausforderungen der Migrationspolitik in Mexiko von Janina Grimm-Huber, Projektkoordinatorin für die KAS Mexiko, die die von der KAS in Mexiko durchgeführte Arbeit und das Format der KAS Paper vorstellte, sowie von Dr. Adriana González Arias, Wissenschaftlerin und Dozentin am ITESO an der Fakultät für Internationale Beziehungen, welche die Autorin des dritten KAS Paper sein wird, eröffnet.

Von den politischen Experten eröffnete Salvador Berumen Sandoval, Mitglied der Unidad de Política Migratoria im Secretaría de Gobernación de México, die Diskussionsrunde mit der Information, dass nur 450.000 Menschen, die in Mexiko leben, als Ausländer gelten und die Gesellschaft Mexiko daher für die Herausforderungen, denen sie gegenüberstehe, nicht ausreichend sensibilisiert sei. Infolgedessen fehle es der mexikanischen Einwanderungsgesetzgebung und -politik seit langem an einer umfassenden Ausrichtung, die den Schutz und die Achtung der Menschenrechte nicht nur in Bezug auf die in Mexiko lebenden Ausländer, sondern auch in Bezug auf Menschen die durch Mexiko in die USA reisen und Mexikaner, die nach einiger Zeit im Ausland wieder nach Mexiko zurückkehren, adequat umsetze. Im Hinblick auf die Tatsache, dass Mexiko mit verschiedenen Profilen von Migranten und Migrationsströmen konfrontiert sei, kam Salvador Berumen zu dem Schluss, dass Gesetze die Dimensionen Zeit, Raum und die jeweilige Zielgruppe berücksichtigen müssten. In diesem Sinne beschrieb er das Migrationsgesetz (Ley Migratoria (LM)) von 2011 als einen guten Fortschritt, weil es Migration in ihrenverschiedenen Dimensionen Herkunftsland, Transitmigration, Ziel und Rückkehr von Migranten, betrachte. Darüber hinaus definiere es Grundsätze der Migrationspolitik und Rechte von Migranten und erleichtere Migrationsströme von und nach Mexiko. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Mexiko in der Migrationsregulierung voranschreite, sei die Umsetzung des Sondermigrationsprogramms (PEM) 2014-2018, das politische Leitlinien zu Migration in einer expliziten, umfassenden und multisektoralen Weise formuliere. Es enthalte auch viele Aspekte, die bisher nicht berücksichtigt wurden, wie der Schutz derMenschenrechte, die Unterscheidung des Geschlechts der Migranten, Nichtdiskriminierung, Migrationskultur und das Wohlergehen der Migranten.

Karina Arias, Beraterin der Comisión de Asuntos Migratorios del Senado de la República, stimmte Herrn Berumen zu, dass es einen Paradigmenwechsel im Hinblick auf die Einbeziehung der Menschenrechte in die mexikanische Migrationsgesetzgebung gegeben hat. Allerdings stellte sie auch fest, dass das Gesetz nicht nur positive Aspekte habe, sondern auch restriktiv sei. In diesem Sinne kritisierte sie das „Ley General de Población“ und das LM, da diese weiterhin die Inhaftierung von irregulären Migranten genehmigten. Daher begrüβe sie zwei neue Reformvorschläge, die derzeit in der Abgeordnetenkammer diskutiert würden. Der erste bezieht sich auf Artikel 111 und schlägt vor, die Zeit der Inhaftierung von illegalen Migranten zu reduzieren. Der zweite Vorschlag zielt darauf ab, inhaftierte Personen nicht länger über die Günde der Inhaftierung im Unklaren zu lassen, falls die inhaftierte Person über die Verletzung ihrer Rechte klagt. Darüber hinaus forderte sie mit Blick auf das LM, die Migration der Rückkehrer miteinzubeziehen, da das Gesetz streng genommen sonst nicht als Migrationsgesetz bezeichnet werden könne. Schließlich sprach sie über die Herausforderungen, vor denen das mexikanische Recht und die Verwaltung stehen. Diese seien einerseits das Gesetz zu vereinheitlichen und andererseits die Korruption und die Vorurteile, welche bei der Ausgabe von Migrationsdokumenten herrschen.

María Victoria Mercado Sánchez, Bundesabgeordnete der Partido Movimiento Ciudadano, Sekretärin der Comisión de Atención a Grupos Vulnerables und Mitglied der Comisión de Asuntos Migratorios de la Cámara de Diputados, machte auf die kritische Situation aufmerksam, in der sich Transitmigranten in Mexiko befinden. Sie würden Opfer von Erpressung, Entführung, Belästigung und Gewalt, und das nicht nur von illegalen Gruppen, sondern auch von mexikanischen Behörden. Ihrer Ansicht nach sei der bestehende Rechtsrahmen nicht weit genug gefasst und nicht präzise genug, um die schlechte Behandlung von Transitmigranten zu verhindern. Ein weiterer Aspekt, der sie zu einer sehr anfälligen Gruppe von Menschen macht, seidie Tatsache, dass sie aufgrund von Misstrauen und Angst vor den Behörden keinen Zugang zu öffentlichen Gesundheitsdiensten erhalten. Infolgedessen wende sich die überwiegende Mehrheit (88,3 Prozent) der Kranken oder Verletzten an Migrantenzentren (casas migratorias). Angesichts dieser gravierenden Umstände sei es notwendig, rechtliche Voraussetzungen und eine Politik mit einem humanistischen Ansatz zu schaffen, welche mit dem Schutz der Menschenrechte im Einklang stehe. In dieser Hinsicht wies sie darauf hin, dass ihre Partei hierzu schon mehrere Initiativen vorgeschlagen habe, wie beispielsweise das Inkrafttreten einer Regelung, die Migranten das Recht auf freie Durchreise durch das Land mit maximal 180 Tagen zugestehe. Eine andere Initiative sei die Schaffung einer Datenbank, in welcher Migranten einheitlich registriert werden. Zum Schluss, forderte sie, dass größere Anstrengungen unternommen werden müssten, um die Freiheit der Migranten zu garantieren, sobald sie Mexiko betreten oder durchqueren.

Leonel Cordero Lerma, Bundesabgeordneter der Partido Acción nacional (PAN) und Sekretär der Comisión de Migración de la Cámara de Diputados, erkannte zunächst an, dass das Gesetz an sich gut sei, aber es nicht ordnungsgemäß umgesetzt werde. Dies sei seiner Meinung nach unter anderem die Folge der mangelnden Koordination zwischen Instanzen der Bundes- und Landesregierungen, die sich mit Migration befassen, was sich beispielsweise darin bemerkbar mache, dass sie nicht einmal über die Existenz der 2014-2018 PEM Bescheid wüssten. Weiter sei die fehlende Umsetzung eine Konsequenz der Ineffizienz in den Gesetzgebungsprozessen in der Abgeordnetenkammer. Das Secretaría de Gobernación (SEGOB) und das Instituto Nacional de Migración könnten hier einen entscheidenden Einfluss haben, da diese die zuständigen Organe für diese Fragen seien. Das SEGOB, die wichtigste Einwanderungsbehörde des Landes, und das mexikanische Außenministerium (SRE), zuständig für die Außenpolitik Mexikos ist, hätten jedoch den Nachteil, dass sie gleichzeitig für viele Themengebiete zuständig seien. Auch gebe es keine Koordination zwischen dem SAT, dem Zoll oder dem SRE n Bezug auf Migranten, die auf der Suche nach Arbeit in Nachbarländer migrierten und nun zurück nach Mexiko kämen. Die INM hingegen führe nur Verwaltungsmaßnahmen für Ausländer in Mexiko und Transitmigranten durch, aber nicht für Mexikaner, die unregelmäßig außerhalb des Landes leben. Ein Aspekt, der von den bisherigen Gesprächspartnern nicht diskutiert wurde, aber die Fortschritte bei der Bewältigung von Migrationsfragen stark beeinflusse, sei außerdem der Mangel an finanziellen Mitteln. Mit Blick auf seine Kritik schlug er daher vor, eine stärkere Mittelzuweisung für Migrationsprogramme anzustreben.

Patricia Zamudio, Bürgerberaterin (Consejera ciudadana) des INM, nahm an der Diskussion als Vertreterin der Zivilgesellschaft teil und stellte zu Beginn die Arbeit des INM vor. Die Stärkung des Dialogs zwischen Zivilgesellschaft und Hochschulen, die Formulierung von Vorschlägen und der generelle Meinungsaustausch seien die Hauptziele der 13 Räte, die aus verschiedenen Teilen des Landes kämen. Die Hauptthemen der verschiedenen Arbeitsgruppen seien unter anderem: Regulierung der Migration, minderjährige Migranten, Rückkehrer, Visa und Aufenthalte aus humanitären Gründen, institutionelle Stärkung, Reformen des LM und internationaler Schutz. Sie stellte ein Pilotprojekt vor, das eine Alternative zur Inhaftierung von minderjährigen Migranten anbietet. So würden Orte außerhalb der etablierten Migrationsstationen gesucht, um minderjährigen Migranten ihrem Alter entsprechend unterzubringen.

Melissa Vertiz, Mitglied einer Arbeitsgruppe für Migrationspolitik und eines Netzwerks von NROs, Unterkünften und Fachleuten, die den Aufbau normativer Rahmenbedingungen und politischer Maßnahmen zur menschlichen Mobilität mit Fokus auf Menschenrechte und Geschlecht fördern, und Berenice Valdez Rivera, Mitglied des Instituto para las Mujeres en la Migración, A.C. (IMUMI), stimmten mit der Diagnose ihrer Kollegen überein. Sie fügten hinzu, dass die Gesetzgebung und die öffentliche Ordnung einen regionalen Ansatz haben müsse und dass Vorschläge unterbreitet werden müssen, die auch Gesundheit, Bildung und andere Sektoren beinhalten. Sie bekräftigten auch die Notwendigkeit, den Rechtsrahmen im Einklang mit den internationalen Verträgen anzupassen. Melissa Vertiz betonte, dass in der Praxis Diskriminierung und unrechtmäßige Verfahren die Rechte der Migranten verletzen. Angesichts der Unfähigkeit des Staates, Bedingungen für Nichtdiskriminierung und Fremdenfeindlichkeit zu schaffen, sei die Zivilgesellschaft zunehmend in der Verantwortung, Migranten zu schützen. Deshalb betonte sie die Verantwortung des Staates, die Menschenrechte zu schützen und zu verteidigen. Berenice Valdez schlug vor, die Verantwortlichkeiten des INM so umzustrukturieren, dass dieser sich generell aus der Politik, welche sich mit Reintegration und Rückkehrern beschäftigt, heraushalte, da dies außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches liege und der INM nicht über die notwendige Struktur verfügte.

Aldo Partida, ein Mitglied des equipo jurídico des kommunalen Abgeordneten Pedro Kumamoto in Jalisco, erinnerte an den Entstehungsprozess des Ley de Hospitalidad , das im Oktober 2016 genehmigt wurde. So sei das eigentliche Ziel des Gesetzes gewesen, die Rechte der Migranten in Jalisco anzuerkennen und ein umfassendes Verständnis von Gastfreundschaft, Akzeptanz und Integration zu schaffen. Dazu gehörten Reformen für alle relevanten staatlichen Gesetze (Ley orgánica de la Fiscalía General, Ley de Salud, Ley de Educación, Ley de Registro Civil, Ley de Administración Pública), um Migranten in Jalisco in den Alltag zu integrieren und ihre Rechte zu garantieren. So würde es den Migranten beispielsweise ermöglicht, auf Gesundheits- und Bildungsdienste zuzugreifen. Leider wurde das Gesetz letztendlich aber nur in Teilen verabschiedet.

Aus dem akademischen Bereich nahm Ofelia Woo Morales, Professorin und Wissenschaftlerin an der Universidad de Guadalajara, welche die Migrationsströme von Rückkehrern in den städtischen Gebieten von Tijuana, Guadalajara und Mexiko-Stadt studiert, an der Diskussion teil. Sie berichtete über die Ergebnisse ihrer Studien, die mithilfe von Interviews die Erfahrungen der aktuellen Rückkehrer in Mexiko analysieren. Sie stellte fest, dass ein Register für Minderjährige benötigt werde, welche bereits Erfahrungen in zweisprachiger Bildung hätten und eine staatliche Politik, die die zweisprachige Ausbildung in das aktuelle Bildungssystem integriere und multikultureller und interkultureller Erziehung eine größere Bedeutung zuspreche. Darüber hinaus unterstrich sie die Notwendigkeit, in der mexikanischen Migrationspolitik die unterschiedlichen Dimensionen von Geschlecht und Alter stärker zu berücksichtigen.

Sofía de la Peña und Ileana Martínez, beide Professorinnen am ITESO und Mitglieder des Programa de Asuntos Migratorios del ITESO (PRAMI), stellten die Arbeit und Herausforderungen des PRAMI vor, welches die Forschung und die Zivilgesellschaft über die Probleme im Zusammenhang mit Migration sensibilisieren möchte. PRAMI sei nicht nur am Plan Estatal de Desarrollo beteiligt, sondern auch an speziellen Unterprogrammen für Migranten. Ileana Martínez betonte, dass, obwohl viele relevante Akteure auf der regionalen, nationalen und lokalen Ebene an Migrationsthemen arbeiteten, fehle eine gemeinsame nationale Agenda, die alle Arten von Migration miteinbeziehe. Sie forderte daher, eine nationale Politik zu entwickeln, die die relevanten Sekretariate auf den verschiedenen Regierungsleveln besser verknüpfen würde. Sofia de la Peña berichtete, dass das PRAMI den kommunalen Verwaltungen eine Vereinfachung der Verfahren für die doppelte Staatsangehörigkeit vorgelegt habe und derzeit an einem Pilotprojekt arbeite, das breit über das Programm "Soy México" informiere. Sie betonte auch, dass es für Migranten Ansprechpartner auf kommunaler Ebene geben müsse.

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