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Veranstaltungsberichte

Quo Vadis, Kuba?

von Frank Priess

Tagung der Konrad Adenauer Stiftung in Mexiko diskutiert Transitionsszenarien

Wie geht es auf Kuba nach der langen Agonie Fidel Castros weiter? Welches sind die zentralen Szenarien für Politik und Wirtschaft auf der Karibikinsel? Wie wahrscheinlich ist welche Entwicklung? Ein Tagungsbericht.

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Zentrale Fragen, die sich internationale Kuba-Experten, Diplomaten, Mitglieder von Nicht-Regierungsorganisationen, Journalisten und Vertreter der demokratischen Opposition auf Kuba bei einer Veranstaltung der Konrad Adenauer Stiftung stellten, die am 4. Dezember in der mexikanischen Hauptstadt stattfand. In einem waren sich alle einig: es wird Veränderungen geben und geben müssen. Umstritten sind allerdings ihr Ausmaß und ihre Geschwindigkeit.

Schon in seinem Einführungsvortrag stellte Professor Juan López von der Florida International University in Miami vier Alternativen gegenüber, die alle auch den USA eine zentrale Rolle zubilligten: In der von ihm als schlechtesten bezeichneten Alternative bleibt es beim status quo auf der Insel, ohne nennenswertes Engagement der Vereinigten Staaten. Nur wenig besser schneidet bei ihm die Lösung ab, die zwar ökonomische Reformen vorsieht, darüber hinaus aber keine Fortschritte bringt und auch die USA außen vor lässt. Ein gutes Szenario wäre für López, wenn sich ein verhandelter Übergang zur Demokratie zu den ökonomischen Reformen hinzugesellen würde und die USA sich für diese Demokratie engagierten – allerdings stünde sie gleichwohl auf schwachen Füssen. Ein verhandelter Übergang ließe der alten Elite in jedem Fall Macht- und Einflussanteile. Am besten hingegen wäre es, wenn Reformen einen Transitionsprozess von unten auslösen würden und die USA diesen aktiv begleiteten: eine starke Demokratie wäre die Folge. In jedem Fall riet López denUSA, ihre Hilfe für die Opposition auf Kuba zu erhöhen und nicht zuletzt die Programme von Radio und TV Martí als Informationsalternative zu unterstützen. Wenig Chancen sieht der Wissenschaftler für ein sogenanntes „chinesisches Modell“: Anders als in China sei in Kuba in der aktuellen Lage kaum mit nennenswerten Auslandsinvestitionen zu rechnen – zu fragwürdigen seien Rechtssicherheit und Finanzierungsmöglichkeiten. Auch stünde kein nennenswerter Binnenmarkt und kein annähernd unbegrenztes Heer billiger Arbeitskräfte zur Verfügung.

Zu etwas anderen Ergebnisse kam die aktuelle Faktenzusammenstellung von Frank Priess. Kuba habe sich nach der extremen Herausforderung durch das Ende der Sowjetunion und den Wegfall von über fünf Milliarden Dollar Hilfsgeldern jährlich mittlerweile wieder stabilisiert. Dazu hätten verschiedene Faktoren beigetragen: Die massive Hilfe Venezuelas, neue Kreditlinien aus China, Rekordpreise für Exportprodukte wie Nickel und Tabak, aber auch die Ölfunde in kubanischen Hoheitsgewässern. Sie deckten mittlerweile fast die Hälfte des kubanischen Bedarfs. Durchaus gäbe es Anzeichen, dass Raúl Castro begrenzte Wirtschaftsreformen a la China anstrebe, ebenfalls mit dem parallelen Wunsch, die Dominanz des „bürokratischen Sozialismus“ zu erhalten. Wichtiger Verbündeter dabei seien die Militärs, die ganz erhebliche Kontrolle über die kubanische Wirtschaft ausübten, noch dazu im eher technokratisch-pragmatischen Sinne, und zudem von ihrem Devisenzugang profitierten. Reformen auf Kuba könnten ganz ähnlich aussehen wie die, die in den neunziger Jahren aus der Not geboren, in Zeiten der Besserung der wirtschaftlichen Lage aber wieder weitgehend zurückgenommen worden seien.

Eine schonungslose Bilanz der bisherigen US-Politik lieferte Carlos Saladrigas von der Cuba Study Group, die im wesentlichen von exil-kubanischen Unternehmern getragen wird. „Sie hat versagt“, so der Analytiker, und erheblich zur Legitimation Fidel Castros beigetragen. Ferner habe sie zur Delegitimierung der inneren Opposition beigetragen, die nun in Übergangszeiten sogar eine Art neuen „Vertrag von Paris“ befürchte, in dem wie schon im kubanischen Unabhängigkeitskampf letztlich über ihre Köpfe hinweg entschieden werde. Allerdings seien auch Lateinamerika und Europa mit ihrer Kuba Politik nicht erfolgreicher gewesen. Veränderungen würden letztlich von innen kommen, trotz der sieben Säulen Castroscher Legitimationsversuche: Sie basierten auf der Sündenbockrolle der USA, einer geschlossenen Ideologie, dem Charisma Fidel Castros, einer effektiven Repression, einer kompletten Desinformation und Isolation der Bevölkerung, ihrer Angst vor dem Wandel, einer gespaltenen Opposition und schließlich dem Ventil Migration.

Raúl Castro, so Saladrigas, sei zu Veränderungen gezwungen, schon weil ihm Fidels Charisma als Machtressource fehle, der Glanz kubanischer „Revolutions-Errungenschaften“ immer mehr verblasse und er sich letztlich eine dauerhafte Konfrontation mit den USA nicht leisten könne und wolle. Resultate aber seien nur durch signifikante, strukturelle Reformen zu erzielen. Diese aber könnten zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Es sei nämlich nicht richtig, dass Instabilität zu Öffnung führer, vielmehr sei es umgekehrt: Öffnung führe zu Instabilität! Das habe die kubanische Führung verstanden und davor habe sie Angst. Eine unkontrollierte Öffnung wiederum könne im schlimmsten Fall zu einer „Haitianisierung“ Kubas führen. Die Grundfrage sei, wie schnell nach einer Öffnung die Phase der Instabilität wieder überwunden werden könne.

In seiner Abwägung aller Fakten kam er schließlich zu fünf möglichen Szenarien, bei denen er graduelle Reformen, beginnend in der Wirtschaft als wahrscheinlich einstufte. Eine mittlere Wahrscheinlichkeit hätte auch das Szenario weiter Inmobilität, während er sowohl signifikante Reformen, eine offene Machtübernahme der Militärs oder einen Regimekollaps, einen „Big Bang“, für unwahrscheinlich hielt. Das Problem der USA sei, dass diese letztlich nur auf das letzte Szenario, das mit der geringsten Wahrscheinlichkeit, vorbereitet seien. Allerdings stiege die Wahrscheinlichkeit dieser Option, wenn das Regime Reformen komplett verschleppe. Dies sei auch den reformistas und den inmovilistas auf Kuba klar.

Von außen könne man durchaus Einfluss ausüben: alle Akteure seien dazu aufgefordert, einen kommenden Wechsel zu erleichtern und vor allem die Beziehungen zwischen den USA und Kuba zu verbessern. Extremisten auf beiden Seiten seien unbedingt zu bremsen, eine sprachliche Sensibilität sei angebracht und eine klare Absage an jede Form von Gewalt vonnöten. Auch müsse die Souveränität Kubas unbedingt gewahrt bleiben. Solidarität allerdings, so Saladrigas, ist keine Einmischung. Man müsse aktiv den Wandel prämieren und die Kosten für Inmobilität hoch halten. Allerdings dürfe dies nicht auf Kosten der Bevölkerung gehen. Die USA wären gut beraten, wenn sie gerade Exil-Kubanern Reisen auf die Insel erlaubten, unilaterale Vorleistungen erbrächten, auf Multilateralität setzten und andere Akteure ins Boot holten und schließlich die Hand zur Versöhnung ausstreckten. Isolierung und Konfrontation seien kontraproduktiv. Dies heiße allerdings nicht, auf Wirtschaftssanktionen zu verzichten. Anreize allerdings seien effektiver, wie das Beispiel der Hürden für Neu-Mitglieder bei der Europäischen Union zeige, die auch erst Reform-Fortschritte vorweisen mussten, ehe sie in den Genuss begünstigter Beziehungen oder sogar der Vollmitgliedschaft kommen konnten.

Eine wichtige Rolle bei den Beratungen spielte auch die Frage, welchen Einfluss das kubanische Exil in den USA ausübe. Auch dort, so die einhellige Meinung, gäbe es mittlerweile erhebliche Veränderungen, die nicht zuletzt einem Generationswechsel geschuldet seien. Nach wie vor dominierten zwar im Einfluss auf die Politik in Washington die Falken, viele Exil-Kubaner aber seien der erfolglosen Rhetorik müde und suchten neue Formen im Reflektionsprozess. Viele junge Leute verlangten nach konkreten Fortschritten, 70 Prozent der „Miami-Kubaner“ seien mittlerweile davon überzeugt, dass das Embargo ein Fiasko sei.

Diese Überlegungen spiegelten sich auch in den Darstellungen der christlich-demokratischen Parteien Kubas, die Mitglieder der lateinamerikanischen Regionalorganisation ODCA sind. Marcelino Miyares, der Vorsitzende der PDC-Kubas und stellvertretende ODCA-Vorsitzende berichtete von der Arbeit des Consenso Cubano , dem fast 30 Exil-Organisationen ganz unterschiedlicher Provenienz angehörten. Sie sei auf Versöhnung und einen friedlichen Übergang ausgerichtet, die ideologische Differenzen zunächst zurückstelle. Die Atominisierung des Exils, so Miyares, sei immer ein Problem gewesen, dass durch concertación gelöst werden müsse. Nur so werde man sich als wichtiger Transitionsakteur etablieren können.

Javier de Cespedes, Vorsitzender des „Directorio Democrático Cubano“ gab seiner Erwartung Ausdruck, dass ein tiefer Wandlungsprozess auf Kuba selbst bereits im Gange sei und vor allem von der jungen Generation getragen werde. 70 Prozent der Kubaner, so glaubwürdige Zahlen des Umfrageinstituts Gallup , befürworteten mittlerweile einen Wandel, die Unzufriedenheit steige enorm. Auch seien die Kubaner immer weniger bereit, sich in Repressionsaktionen des Regimes gegen oppositonelle Demokraten einspannen zu lassen. Selbst die Parteipresse komme nicht an der Nachricht vorbei, dass die Kooperationsbereitsschaft der Bürger auf allen Ebenen nachlasse, nicht nur bei der Arbeitsdisziplin. Aktionen der Regimegegner seien von 44 im Jahr 1997 auf nachgewiesene 3200 Aktivitäten im vergangenen Jahr angestiegen. Die Kampagne des „Yo no coopero“ trage ihre Früchte und habe eine innere Dynamik entwickelt, die selbst die Hilfsmöglichkeiten von außen manchmal überrolle.

Francisco de Armas vom „Movimiento Cristiano Liberación” des Sacharow-Preisträgers Oswaldo Paya berichtete in die gleiche Richtung: die neue Initiative Foro Cubano habe erheblichen Zulauf, ganz im Anschluss an das erfolgreiche Proyecto Varela des Jahres 2002, dem es in kürzester Zeit gelungen sei, 14.000 Unterschriften für ein Verfassungsreferendum zu mobilisieren, oder die Programminitiative Todos Cubanos, in der man umfangreiche inhaltliche Änderungsvorschläge unterbreitet habe. 3.000 Unterstützergrupen gäbe es im ganzen Land, ein echtes Bürgerkomitee habe man als Initiative von unten im Sinn. „Man muss die Alternative sichtbar machen“, fordert de Armas. Nicht verhandelbar seien allerdings die grundlegenden Bürger- und Menschenrechte sowie die Freiheit für die politischen Gefangenen. Interessant sei die Komponente Venezuela: Warum, so fragen sich viele Kubaner nach dem gescheiterten Referendum des Hugo Chávez, können nicht auch wir so ein Referendum über eine neue Verfassung haben?

In der Analyse der Bewegung von unten pflichtete auch der Kuba-Experte Hernán Yanes – er war per Video-Konferenz zugeschaltet - den Oppositinsvertretern zu: Fidel Castro könne die bisherige Hegemonie nicht mehr stabilisieren, wie es ihm in der Vergangenheit gelungen sei. Das System sei brüchig geworden.

Eine wichtige Rolle spielten bei den Betrachtungen die Einflüsse weiterer externer Akteure in Lateinamerika und Europa:

Gabriel Salvia von der argentinischen CADAL schilderte die Probleme lateinamerikanischer Führer, Fidel Castro als Diktator zu sehen und auch zu bezeichnen. Selbst Kritiker wie der brasilianische Staatschef Lula da Silva wählten vorsichtige Worte und bezeichneten sich als amante de la revolución cubana. Für die demokratische Opposition auf Kuba sei dies schmerzlich – sie fühle sich alleingelassen und sehe etwa in Institutionen wie den Ibero-Amerika-Gipfeln keiner Sinn und Unterstützung für ihre Position und die Freiheit auf Kuba. Bezeichnend sei, dass Kuba für seine Mitgliedschaft im neuen UN-Menschenrechtsrat 135 Stimmen zusammenbekomme und das US-Embargo, fälschlich als „Boykott“ bezeichnet, sogar mit 191 Stimmen der UNO-Mitglieder abgelehnt werde. Kuba habe allerdings einen außerordentlich erfolgreichen „außenpolitischen Klientelismus“ betrieben, gestützt auf ein System von Stipendien, Preisen, medizinischer Hilfe („diplomacia médica“). Demgegenüber verfügten die lateinamerikanischen Staaten in der Regel nicht über eine „auswärtige Menschenrechtspolitik“. Auch wolle man in Lateinamerika nicht als Anhängsel der USA oder der „internationalen Rechten“ angeprangert werden – getarnt werde diese Haltung durch die Berufung auf das Prinzip der „Nichteinmischung in innere Angelegenheiten souveräner Staaten“.

Susanne Käss von der Konrad Adenauer Stiftung in Mexiko schilderte, angelehnt an eine überzeugende Zusammenfassung des CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Weiss den Zickzack-Kurs der Europäischen Union seit 1996. Eine gemeinsame Haltung zu Kuba sei derzeit mehr als brüchig: während vor allem die mittel- und osteuropäischen EU-Mitglieder, deren eigene Totalitarismuserfahrung noch frisch sei, klar auf eine konsequente und sanktionsbewehrte Menschenrechtspolitik gegenüber Kuba setzen, seien Länder wie Spanien eher auf Dialog mit der Regierung aus, auch wenn es in den Fragen der Menschenrechte keine Fortschritte gebe. So sei es schwierig, dass Europa mit einer Stimme spreche.

Mit der Rolle Mexikos beschäftigten sich schließlich der Vizepräsident des mexikanischen Abgeordnetenhauses, Cristián Castaño und die Wissenschaftlerin Ana Covarrubias vom Colegio de México. „Ni imperialismo, ni dictadura – democracia para Cuba“ sei nach wie vor ein gutes Motto für das, was anzustreben sei. Man könne, so Castaño, nicht einfach den Tod Fidel Castros abwarten und nichts tun. Gerade die Abgeordneten seien hier gefordert, eine klare Sprache sei der richtige Anfang. Von der mexikanischen Botschaft in Kuba gingen dabei durchaus Impulse aus.

Ana Covarrubias wies darauf hin, dass Kuba in allen lateinamerikanischen Ländern auch ein Faktor der Innenpolitik sei. Mexiko bilde da keine Ausnahme und müsse sich immer im Dreieck mit Kuba und den USA sehen. Für Lateinamerika sei es dabei durchaus schwierig, immer auf US-Maßnahmen zu reagieren und die Kuba-Frage im Kontext der eigenen Beziehungen zum Nachbarn im Norden auszurichten. Dabei sei „Kuba“ oft genug eher benutzt worden: von Regierungen wie denen von Carlos Menem in Argentinien oder der von Vicente Fox, um durch eine scharfe Abgrenzung zu Kuba die Annäherung an die USA zu dokumentieren, von den mexikanischen PRI-Regierungen, um das Prinzip der Nicht-Einmischung zu verteidigen und nicht zuletzt für sich selbst in Anspruch zu nehmen.

Eine Beziehung, wie sie zwischen den PRI-Regierungen Mexikos und Fidel Castro bestanden habe, so Covarrubias, sei heute nicht wiederzustellen. Mexiko sei pluraler geworden, mehr Akteure spielten eine Rolle. Allerdings verliere die Regierung von Felipe Calderón auch nichts dabei, das seit der Amtszeit von Vicente Fox gestörte Verhältnis zur kubanischen Regierung zu reparieren. Nicht zuletzt bei Fragen der Migration oder des internationalen Drogenhandels habe dies für Mexiko sogar Vorteile. Calderón s innenpolitisch orientierte agenda zeige sich gerade bei der Schwerpunktsetzung auf diese Themen, inklusive der Frage kubanischer Altschulden mit Mexiko. Allerdings müsse Mexiko definieren, was es von und mit Kuba wolle. Das Land müsse vermeiden, zwischen die USA und Kuba zu geraten – weder zu einer Isolierungspolitik noch zu einer Politik des „constructive engagement“ sei Mexiko in der Lage.

In der abschließenden Diskussion wurde deutlich, wie bedeutsam ein geordneter kubanischer Transitionsprozess für die ganze Region ist. Mexiko, so die Teilnehmer, könne dabei durchaus versuchen, eine ähnlich konstruktive Rolle zu spielen wie bei den früheren Friedensinitiativen in Mittelamerika, bei der Contadora-Gruppe oder der Grupo de amigos. Vor allem die Exilpolitiker aber warnten Mexiko davor, bei der Suche nach guten Beziehungen zum kubanischen Regime nicht die Sympathie des kubanischen Volkes restlos zu verspielen. Mexiko werde dort traditionell und basierend auf den PRI-Zeiten nicht als hilfeich gesehen, sondern vielmehr als „Alliierter der Diktatur“. Das sei mit der Politik von Vicente Fox und Jorge Castañeda aufgebrochen und das sei auch die Chance für einen Neubeginn, gerade für PAN-geführte mexikanische Regierungen.

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