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Länderberichte

Die Aufarbeitung hat begonnen

Politische Verfolgung in der sozialistischen Mongolei

Die Mongolei war fast 70 Jahre lang eine sozialistische Diktatur, der zehntausende Menschen zum Opfer fielen. Die Aufarbeitung dieser Geschichte hat vor allem mit Blick auf die Opfer begonnen: Denkmäler sowie ein Nationaler Erinnerungstag wurden geschaffen und eine Rehabilitationskommission nahm nach der friedlichen Revolution ihre Arbeit auf.

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Von Dr. Daniel Schmücking und Raffaela Helf

Es gibt aber auch noch einiges zu tun: Die Verfolgung wird bislang auf einen kurzen geschichtlichen Abschnitt reduziert und die Frage nach den Tätern bleibt außen vor. Ganz im Gegenteil werden die führenden Figuren dieser Zeit paradoxerweise auch heute noch verehrt. Welchen Hintergrund hat dieser Umgang mit der eigenen Vergangenheit und was bedeutet das für die junge mongolische Demokratie? Diesen Fragen geht der folgende Länderbericht nach.

Mit dem Tod des religiösen Führers der Mongolei, dem Bogd Khan, im Jahre 1924 übernahm die Mongolische Revolutionäre Volkspartei (MRVP) die Macht. Die kurz vor der Revolution 1921 gegründete Partei rief die Mongolische Volksrepublik aus, den weltweit zweiten sozialistischen Staat. Dieser bestand so bis zur friedlichen Revolution 1990. In beinahe 70 Jahren kommunistischer Diktatur wurden Tausende von Mongolen politisch verfolgt und umgebracht. Die Zahl der Opfer wird mit 35.000 bis 36.000 Toten beziffert. Insgesamt spricht die Forschung heute von mehr als 100.000 Verfolgten, wahrscheinlich ist die Zahl sogar noch deutlich höher. In einem Land, das in den 1930er Jahren nur etwa 800.000 Einwohner zählte, kann dabei kaum eine Familie verschont geblieben sein.

Die Verfolgung wurde zu großen Teilen von der Sowjetunion aus gesteuert, die starken Druck auf mongolische Funktionäre ausübte . Gerade Kh. Tschoibalsan, Revolutionsführer, Mitbegründer der MRVP und später Regierungschef der Mongolei soll unter dem massiven Einfluss Stalins gestanden haben, aber auch sein Nachfolger, Yu. Tsedenbal pflegte eine enge Partnerschaft mit Moskau. Auf diese Weise konnte die UdSSR ihren Einfluss über die Mongolei erhalten und die sozialistische Regierung stützen. Zur Sicherung der Herrschaft wurde die gesamte Gesellschaft heftigen Repressionen ausgesetzt.

Diese begannen mit der Hinrichtung des ersten Premierministers der Mongolei, D. Bodoo 1922. Danach weitete sich die Verfolgung schnell auf Mönche, Adelige und Politiker aus. Bis zur Gründung der Generalbevollmächtigten Sonderkommission gab es jedoch noch vergleichsweise wenige Opfer. Die Sonderkommission tagte ab dem 10. September 1937 unter der Führung Tschoibalsans bis zur Einstellung ihrer Arbeit am 22. April 1939 insgesamt 51-mal. Sie verurteilte mehr als 20.000 Menschen zum Tode und mehr als 5.000 zu Gefängnisstrafen von fünf oder zehn Jahren.

Am härtesten traf es die Mönche: Ende der 1930er, auf dem Höhepunkt der Verfolgungen, wurden 18.700 Mönche verfolgt und 17.000 von ihnen hingerichtet. Über die Übrigen weiß man bis heute kaum etwas. Auch Partei- und Regierungsmitglieder, die den politischen Kurs teils selbst mit zu verantworten hatten, wurden aus ihren Ämtern entfernt und ermordet oder verschwanden unter ungeklärten Umständen. Gleich in den ersten Tagen der Sonderkommission wurden vierzehn einflussreiche Persönlichkeiten aus Politik und Militär wegen angeblicher Kollaboration mit Japan zum Tode verurteilt. Insgesamt waren nur acht der 33 Staats- oder Parteichefs in der Mongolei zwischen 1922 und 1990 nicht von der Repression betroffen.

Ebenso wurden andere Bevölkerungsgruppen verfolgt, von denen revolutionäres Gedankengut ausgehen konnte: Adelige, Intellektuelle wie Wissenschaftler und Schriftsteller, Beamte, Soldaten, junge Menschen und Mongolen, die ab Mitte der 1920er Jahre in Deutschland und Frankreich gelebt hatten und in den frühen 30ern zurückgerufen wurden. Unter den Folgen litten nicht zuletzt auch die Angehörigen der Verfolgten, die geächtet und ausgegrenzt wurden.

Den Säuberungen fielen zudem große Teile des mongolischen Kulturgutes zum Opfer. Fast alle buddhistischen Klöster wurden zerstört und damit viele Zeugnisse mongolischer Kunst. Auch nomadische Traditionen verschwanden, ebenso die traditionelle mongolische Schrift, die seit den 1940ern durch das kyrillische Alphabet ersetzt und trotz ihrer Wiedereinführung kaum noch verwendet wird.

Aufarbeitung während des Sozialismus

Die Aufarbeitung der brutalsten Zeit der Verfolgung Ende der 1930er Jahre begann paradoxerweise bereits durch Tschoibalsan selbst. Er gründete 1939 eine Kommission, die 2.015 Personen rehabilitierte, die von Untereinheiten des Innenministeriums fälschlicherweise angeklagt worden waren. Diese Kommission war in den folgenden Jahren die einzige, die diese Fälle bearbeiten durfte.

Kritischer betrachtet wurde Tschoibalsans Rolle erst nach der Rede N. S. Chruschtschows beim XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion 1956. In einer geheimen Sitzung im Anschluss an den Parteitag legte dieser Stalins Vergehen offen und setzte damit den Prozess der Entstalinisierung in Gange. Die mongolischen Teilnehmer an diesem Parteitag hielten nach ihrer Heimkehr im April desselben Jahres ebenfalls einen Parteitag der MRVP ab. Dort kritisierten sie den 1952 verstorbenen Tschoibalsan heftig für seinen an Stalin orientierten Personenkult. Daraufhin wurde im Innenministerium eine Kommission gegründet, die Nachforschungen zu Fällen einiger hochrangiger Politiker zwischen 1937 bis 1947 anstellen sollte. Im darauffolgenden Jahr wurde erneut eine Kommission gegründet, die sich mit der Aufarbeitung der Verfolgung Ende der 1930er Jahre beschäftigte und insgesamt 294 Personen rehabilitierte.

Allerdings war deren Arbeit stark eingeschränkt, da viele Personen, die persönlich an der Verfolgung beteiligt gewesen waren, noch öffentliche Ämter und Leitungspositionen in Partei und Regierung innehatten, und die Verfolgung fortsetzten. Zudem durfte sich die Kommission laut Beschlüssen des Zentralkomitees von 1960 nur um die Rehabilitierung von Personen bemühen, die nicht dem Adel (als „schwarze Feudale“ bezeichnet) angehörten oder Mönche („gelbe Feudale“) gewesen waren. Ende 1961 legte T. Genden, der Leiter der Untersuchungskommission, eine umfassende, 600 Seiten lange Untersuchung vor. Bereits zu Beginn des Jahres 1962 wurde die Arbeit der Kommission für beendet erklärt, das Gremium aufgelöst und der Bericht verschwand.

Die Rehabilitierungsarbeit wurde daraufhin an das Oberste Gericht sowie an das Ministerium für öffentliche Sicherheit übertragen. Im gesamten Zeitraum von 1939 bis 1989 wurden jedoch nur 2.926 Personen rehabilitiert. Dann wurde erneut eine Kommission ins Leben gerufen, die die Aufgabe hatte, sich ausschließlich mit den zwischen 1930 und 1940 begangenen Verbrechen zu befassen und sich hauptsächlich mit der Rehabilitierung von Personen beschäftigte, die hohe Positionen in Partei und Regierung inne gehabt hatten.

Gleichzeitig setzte sich die politische Verfolgung unter Tsedenbal jedoch fort. Insgesamt forderte die Verfolgung seit dem Führungswechsel nicht mehr so viele Opfer und war weniger offensichtlich. Trotzdem fand sie kein Ende und betraf ab 1964 vor allem Intellektuelle, denen die Verwirrung des Volks und Ablehnung der Ideologie vorgeworfen und von denen viele verbannt wurden. Wie viele Menschen in dieser Zeit genau betroffen waren, was mit ihnen geschah und wer im Einzelnen für ihre Schicksale verantwortlich war, ist bis heute größtenteils ungeklärt. Während die Verfolgung unter Tschoibalsan meist auch öffentlich als solche gesehen wird, ist über die Verfolgung ab den 50er Jahren fast nichts bekannt.

Nach der friedlichen Revolution

Schon kurz vor der friedlichen Revolution wurde durch den Einfluss der russischen Perestroika eine weitere Kommission gegründet. Doch erst nach der Demokratisierung 1990 wurden tatsächlich Anstrengungen zur Aufarbeitung der Geschehnisse unternommen. Auf Initiative des derzeitigen demokratischen Präsidenten der Mongolei, damals Leiter der Staatskommission Ts. Elbegdoj, entschuldigte sich die mongolische Regierung 1996 offiziell bei den Opfern. Im selben Jahr wurde der 10. September, der Tag der Gründung der Generalbevollmächtigten Sonderkommission 1937, zum Gedenktag ernannt und seither regelmäßig begangen. In Ulaanbaatar gibt es ein Museum der politisch Verfolgten. Über 200 Denkmäler, religiöse Stätten und Leuchttafeln finden sich heute in der Stadt und anderen Regionen des Landes sowie in Butovo (Russland). Straßen und Plätze wurden nach Opfern benannt, es findet eine teilweise Aufarbeitung in Dokumentationen, Kunst und Wissenschaft statt.

Der wichtigste Schritt und Grundlage der staatlichen Aufarbeitung war jedoch die Gründung der Staatskommission zur Aufarbeitung der politischen Verfolgung im Jahr 1990, direkt nach der friedlichen Revolution. Sie ist die einzige Kommission dieser Art in einem postsozialistischen Land, die heute noch arbeitet. Sie bearbeitet theoretisch Fälle aus allen Phasen der Verfolgung seit 1922. Dabei stellt sie Nachforschungen an, damit Verfolgte gemäß dem 1998 verabschiedeten Gesetz zur „Rehabilitierung der politisch Verfolgten und Entschädigung der Opfer“ entschädigt werden können. Dadurch konnten bisher mehr als 31.000 Personen rehabilitiert werden. Ausgehend von den offiziellen Zahlen sind das beinahe 90 Prozent der Verfolgten. Die Kommission hat in diesem Zusammenhang viel publiziert: die Namen der Toten wurden gesammelt. Es sind biografische Studien und wissenschaftliche Aufsätze erschienen. Doch auch hierbei handelt es sich hauptsächlich um die Fälle der „Großen Säuberung“ zwischen 1937 und 1939. Und so ist, obwohl sich das Land in den 1990er Jahren auf einem guten Weg zu befinden schien, heute der politische Wille zu einer tiefgreifenden Aufarbeitung nicht erkennbar.

Probleme der Aufarbeitung

Beispielsweise wird der staatlichen Kommission wie der freien bzw. zivilen Forschung bis heute der Zugang zu relevanten Dokumenten, gerade aus der Zeit Tsedenbals verweigert. Das Rehabilitierungsgesetz von 1998, das bis heute die gesetzliche Grundlage für die Arbeit der Kommission darstellt, hatte ursprünglich aus zwei Teilen bestanden. Es konnte schließlich nur deshalb verabschiedet werden, weil die Demokratische Partei (DP) der MRVP entgegenkam und den zweiten Teil strich. Dieser hätte vorgesehen, dass das MRVP-Archiv, das derzeit noch der Partei selbst gehört und viele Dokumente über die Verfolgung enthält, in Staatsbesitz übergegangen wäre. Bis heute sind das Archiv der MRVP, das Geheimdienstarchiv und auch die einschlägigen Archive in Russland für die Wissenschaft nur teilweise zugänglich. Forscher finden meist nur die Dokumente, die die Verfolgung in der Zeit bis in die frühen 40er Jahre betreffen.

Auf der anderen Seite zeigt sich am Beispiel der „Vereinigung der Opfer politischer Verfolgung“ der prekäre Zustand der zivilen Aufarbeitung. Die Vereinigung wurde 1991 gegründet und vertritt bis heute die Interessen der Opfer. Sie besteht hauptsächlich aus Personen, die selbst Opfer der Repressionen wurden oder deren Verwandte betroffen waren. Allerdings ist der Verband stark unterfinanziert und kann keine eigene Recherche betreiben. Stattdessen versucht er, politisch tätig zu werden, setzt sich beispielsweise dafür ein, die Verfolgung offiziell als Genozid zu bezeichnen und dem nationalen Gedenktag eine höhere Bedeutung beizumessen.

Auch das staatliche „Forschungszentrum für die Opfer der politischen Verfolgung “ wurde schon nach wenigen Jahren wieder geschlossen, offiziell, weil nicht mehr genügend finanzielle Mittel zur Verfügung standen. Dabei hatte die Arbeit des Zentrums damals einen entscheidenden Beitrag zur Rehabilitierung von bis zu 20.000 Personen geleistet. Seitdem sind dort nur noch wenige Forscher beschäftigt. Die Zahl der Fälle, die noch aufgearbeitet werden, ist stark zurückgegangen. Demensprechend werden auch kaum noch Entschädigungen ausgezahlt und der jährliche Bericht der Regierungskommission enthält jedes Jahr denselben Satz zum Status Quo.

So steht sowohl die private, als auch die staatliche (wissenschaftliche) Auseinandersetzung und Forschung zum Thema still. Es scheint, als sei das Rehabilitationsgesetz bereits der offizielle Schlussstrich unter der Aufarbeitung gewesen.

Eine breite öffentliche Debatte über das Thema hat ohnehin nicht stattgefunden. Während die Rehabilitierung der unschuldig Verurteilten und Ermordeten immerhin teilweise begonnen wurde, ist die Schuld- und Täterfrage nie gestellt worden. Es gab keine Gerichtsverfahren, Täter wurden nie bestraft, geschweige denn verurteilt. Die Forschung beschränkt sich auf die Rehabilitation und meidet das Thema. Viele tendieren dazu, der Sowjetunion die Schuld in die Schuhe zu schieben. Russland übernimmt jedoch laut Staatsvertrag von 1993 keinerlei Verantwortung für die Verbrechen der UdSSR an Mongolen.

Folgen der mangelhaften Aufarbeitung

Für die Öffentlichkeit ist es schwierig, sich überhaupt über das Thema zu informieren. Das Nationalmuseum der Mongolei beschäftigt sich in nur in einer einzigen Vitrine mit der Verfolgung. Es gibt ein Museum für politisch Verfolgte, das sich in T. Gendens altem Haus befindet und von seinem Enkel privatfinanziert wird. Nach jahrelangem bürokratischem Kampf mit den zuständigen Behörden kann das einsturzgefährdete Haus jetzt renoviert werden, wird aber wohl nicht vor Ende 2017 wiedereröffnet. Doch auch die Informationen dort sind dürftig und das Interesse am Museum geht zurück. So herrscht in der Bevölkerung große Unwissenheit über die Geschehnisse. Bis heute wissen die Mongolen nicht, wer für die Repressionen, unter denen sie oder ihre Verwandten leiden mussten, verantwortlich war.

Die Regierung vertritt dabei eine widersprüchliche Haltung. Nicht einmal die großen Persönlichkeiten der Verfolgung wurden durch die Regierung öffentlich verurteilt, ganz im Gegenteil. Sie werden als russische Marionetten bezeichnet und damit ihr Verhalten gerechtfertigt. Einerseits wurden nach 1990 die Statuen von Stalin und von Lenin abgerissen. Anlässlich der Entfernung der Lenin-Statue im Jahr 2012 nannte der ehemalige Gouverneur und Bürgermeister der Hauptstadt E. Bat-Uul Lenins Ideologie als Grund für den Tod von dreißig tausend Menschen, weshalb die Statue abgerissen werden solle. Andererseits stehen die Statuen vieler anderer kommunistischer Führer bis heute überall in Ulaanbaatar und im ganzen Land. Obwohl Tschoibalsan auch als „Stalin der Mongolei“ bezeichnet wird, steht vor der Nationaluniversität immer noch eine Statue von ihm und sogar eine Provinzhauptstadt trägt den Namen des ehemaligen Ministerpräsidenten. Mitte 2016 wurde dort sogar eine neue Statue von ihm errichtet.

Noch schlechter steht es um die Wahrnehmung Tsedenbals. Er wurde 1984 abgesetzt und lebte seitdem in Russland. Während der Zeit der Perestroika wurde starke Kritik an ihm laut, sodass er 1988 aus der Partei geworfen und ihm alle Titel aberkannt wurden. 1995, vier Jahre nach seinem Tod, wurde diese Entscheidung jedoch bereits wieder rückgängig gemacht. Auch seine Statue steht bis heute vor dem Nationaltheater in Ulaanbaatar. Seinen einhundertsten Geburtstag am 17. September 2016 ließ die Regierung öffentlich fei ern. Anlässlich dieses Datums wurde ein Kraftwerk nach ihm benannt. Seinem in Russland lebenden Sohn wurde erneut die mongolische Staatsbürgerschaft verliehen und auch das Nationalmuseum zeigte eine Sonderausstellung. Die Lobpreisungen seiner Leistungen überschlugen sich geradezu, während seine Verwicklung in die politische Verfolgung nicht thematisiert wurde.

Das Resultat dieser staatlichen Darstellung, der mangelnden Aufarbeitung und der daraus resultierenden fehlenden Information ist eine stark ambivalente bis sogar positive Wahrnehmung der kommunistischen Vergangenheit: So wird es Tsedenbal zugeschrieben, die sozialistische Demokratie in der Mongolei etabliert und die Aufarbeitung der Verfolgung begonnen zu haben.

Das bleibt nicht ohne Folgen für die junge Demokratie: Zum einen ist es immer noch heikel, die Fragen nach der mongolischen Schuld und den mongolischen Verantwortlichen zu stellen. Die damalige kommunistische Einheitspartei MRVP ist heute noch als MVP im Parlament vertreten. Ihre Beteiligung an der Verfolgung ist noch lange nicht geklärt und wird auf eine reine Opferrolle reduziert; auch hat sich die Partei nie offiziell bei den Opfern entschuldigt. Offenbar hatte sie damit Erfolg, denn die Partei wurde 1990 bei den ersten freien Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung und zwei Jahre später bei den Parlamentswahlen mit großer Mehrheit wiedergewählt. Sie stellte daraufhin die Regierung, seither mehrere Präsidenten und ist auch derzeit wieder in Regierungsverantwortung.

Die mangelnde Aufarbeitung hat auch heute Auswirkungen auf die Wertschätzung der Demokratie in der Bevölkerung. Im jährlich erscheinende Politbarometer der Sant Maral Stiftung äußern mehr als 40 Prozent der Befragten 2016, dass ein starker Präsident Parteien überflüssig mache und mehr als 30 Prozent stimmten der Aussage zu, dass unter gewissen Umständen eine Diktatur besser sei als eine Demokratie.

Die Aufklärungsarbeit der NGOs und die bisherige Forschung kommen kaum bei den Menschen an. Die wenigsten Mongolen verstehen, was sich während der Zeit der kommunistischen Herrschaft abgespielt hat – weder die Alten, die die Grausamkeit noch selbst miterlebt haben, noch die Jungen, die über Schulen und Universitäten erreicht werden könnten. Viele wollen bis heute nicht glauben, dass die Verfolgung überhaupt stattgefunden hat oder denken, dass sie richtig gewesen sei.

Fazit

Mit Blick auf die Aufarbeitung hat die Mongolei 27 Jahre nach der friedlichen Revolution einiges erreicht. Es bleiben aber auch noch viele Fragen unbeantwortet. Die größte und problematischste Lücke ist die Frage nach den Tätern und deren Verantwortung für die Verfolgung. Um diese Frage beantworten zu können, ist weitere Forschung und vor allem der Zugang zu den Archiven eine entscheidende Vorrausetzung. Nur so kann geklärt werden, welche Schuld sich einzelne Personen, die MRVP oder auch die Sowjetunion aufgeladen haben. Die Mongolei sollte sich deshalb einer breiten Diskussion um die eigene Vergangenheit stellen, denn nur so kann auch herausgearbeitet werden, welche Errungenschaften die Demokratie gebracht hat. Taktgeber dieses Diskurses könnte die Demokratische Partei sein, die aus der Oppositionsbewegung von 1990 hervorgegangen ist. Bislang hatte es die Partei versäumt, die Vergangenheit der MVP zu thematisieren und eine tiefgehende Aufarbeitung zu forcieren. Vor allem in ihren Regierungszeiten hätte sie die Aufarbeitung vorantreiben können und z.B. die staatliche Untersuchungskommission in eine zivile, unabhängige Kommission umwandeln können. Vorbild für eine solche Kommission könnte die Deutsche Stasi-Unterlagenbehörde sein. Deren Leiter Roland Jahn beschrieb seine Arbeit einmal mit den Worten: „Je besser wir Diktatur verstehen, umso besser können wir Demokratie gestalten.“ Dies gilt auch 27 Jahre nach der friedlichen Revolution für die Mongolei. Die Aufarbeitung ist noch nicht abgeschlossen. Sie sollte als gesamtgesellschaftlicher Prozess fortgesetzt werden.

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Museum der Politisch Verfolgten Mongolei

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