Schätzungen zufolge sind mehr als eine Milliarde Menschen - ca. 15 Prozent der Weltbevölkerung - in irgendeiner Form von einer Behinderung betroffen. Infolgedessen ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie bei der Verwirklichung ihrer grundlegenden Menschenrechte auf Hindernisse stoßen. Diese Herausforderungen betreffen die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte, wie den Zugang zu Bildung, Beschäftigungsmöglichkeiten und soziale Eingliederung aufgrund unzureichender Zugangswege, sowie die bürgerlichen und politischen Rechte, einschließlich begrenzter politischer Vertretung, Hindernisse bei der Ausübung des Wahlrechts und oder ein eingeschränkter Zugang zu Information und Kommunikation. Darüber hinaus leben 80% der Menschen mit Behinderungen im Globalen Süden, wo der Zugang zum und die uneingeschränkte Teilhabe am sozialen und öffentlichen Leben für sie noch schwieriger ist.
Als Reaktion auf diese Probleme veranstaltete der Multilaterale Dialog Genf der Konrad-Adenauer-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Universal Rights Group (URG) am 5. Februar 2025 einen Politikdialog, bei dem staatliche Vertreterinnen und Vertreter und führende Expertinnen und Experten die Implementierung und Auswirkungen der UN-Menschenrechtsempfehlungen für Menschen mit Behinderungen diskutierten. Die Veranstaltung wurde von den Ständigen Vertretungen Deutschlands, Mexikos und der Türkei in Genf sowie von der International Disability Alliance unterstützt.
Als Mitveranstalterin begrüßte die Vertreterin der deutschen Ständigen Vertretung bei den Vereinten Nationen in Genf die Initiative im Vorfeld des Weltgipfels für Menschen mit Behinderungen, welchen Deutschland gemeinsam mit Jordanien im April 2025 in Berlin gemeinsam ausrichten werden. Die Vertreterin betonte den hohen Mehrwert der Beteiligung an den UN-Menschenrechtsmechanismen und die Bedeutung der Umsetzung der daraus resultierenden Empfehlungen, welche durchaus einen erheblichen Einfluss auf die nationale Politik haben können. Darüber hinaus erinnern die Überprüfungen im Rahmen der allgemeinen Staatenüberprüfung (UPR) und der Vertragsorgane (z. B. UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen) die Staaten regelmäßig an die Notwendigkeit, die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen auf allen Ebenen sicherzustellen. Der Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“ wurde als Richtschnur hervorgehoben, um sicherzustellen, dass die Stimmen von Menschen mit Behinderungen auf nationaler und internationaler Ebene Gehör finden.
Der Vertreter der Ständigen Vertretung Mexikos in Genf, der ebenfalls als Mitveranstalter das Wort ergriff, begrüßte den Schwerpunkt der Diskussion auf Implementierung und die konkrete Umsetzung. Durch die Nutzung des internationalen Menschenrechtssystems, insbesondere des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD), kann die nationale Politik erheblich gestärkt werden. Neben dem UPR und dem CRPD spielte Mexiko in Partnerschaft mit Neuseeland eine Schlüsselrolle bei der Einführung des Mandats eines Sonderberichterstatters für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Menschenrechtsrat. Der Vertreter räumte zwar ein, dass es bei der Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen nach wie vor Herausforderungen gebe, darunter das Fehlen disaggregierter Daten, eine begrenzte Zuweisung von Mitteln oder diverse soziale Barrieren. Er wies aber auch auf wichtige Fortschritte hin, wie die aktive Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an der Politikgestaltung, die interinstitutionelle Zusammenarbeit sowie Schulungen und Maßnahmen zur Sensibilisierung. Zugleich forderte er stärkere und tiefgreifendere Fortschritte, einschließlich der Einrichtung robusterer Überwachungsmechanismen, der weiteren Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit und der Schaffung stärkerer Partnerschaften mit UN-Agenturen.
Die Direktorin der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Genf unterstrich daraufhin, dass es nicht ausreiche, Aktionspläne zu haben. Starke Überwachungsmechanismen und ein gesamtstaatlicher Ansatz seien für eine sinnvolle Umsetzung zentral.
Der Vertreter der International Disability Alliance (IDA), einem zivilgesellschaftlichen Mitveranstalter des Politikdialogs, lieferte einen ernüchternden Realitätscheck und erklärte, dass Ausgrenzung, Diskriminierung und mangelnder Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen nach wie vor weit verbreitet seien. Obwohl die CRPD vor 20 Jahren verabschiedet wurde, seien die Fortschritte deutlich langsamer als erwartet. Es wurden drei vorrangige Aktionsbereiche hervorgehoben: 1) die Entwicklung stärkerer bereichsübergreifender Partnerschaften, 2) der Aufbau der Kapazitäten von Organisationen von Menschen mit Behinderungen (OPDs), um eine sinnvolle Beteiligung zu gewährleisten, und 3) die Sicherstellung einer angemessenen Finanzierung sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene, um über rein rhetorische Ankündigungen hinauszugehen.
Eine Vertreterin des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) erörterte die Rolle ihrer Feldbüros bei der Unterstützung der Umsetzung von UN-Empfehlungen. Obwohl die Kapazitäten begrenzt seien, engagierten sich derzeit zwei von drei OHCHR-Feldbüros für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, u.a. in Prozessen zu Gesetzesreformen, mit Workshops zum Kapazitätsaufbau, bei Überwachung und Sensibilisierungsinitiativen. Zu den wichtigsten Empfehlungen, um den Wandel voranzutreiben, gehörten ihrer Ansicht nach die Abgabe spezifischerer und qualitativ hochwertigerer Empfehlungen im Rahmen der allgemeinen Staatenüberprüfung (UPR), die Einbeziehung der CRPD in die Diskussionen über die Pflege- und Unterstützungswirtschaft, die Stärkung der nationalen Mechanismen für die Umsetzung, Berichterstattung und Follow-up (NMIRF) sowie die Gewährleistung, dass Menschen mit Behinderungen aktiv in die Überwachung und Umsetzung einbezogen werden. Innerhalb des UN-Systems wurde auch eine stärkere organisationsübergreifende Zusammenarbeit und eine höhere finanzielle Unterstützung für das OHCHR als federführende Stelle für Menschenrechte hervorgehoben.
Ein Vertreter der Universal Rights Group (URG) stellte daraufhin erste Ergebnisse einer gemeinsamen KAS-URG-Studie über die Umsetzung und die Auswirkungen von UN-Menschenrechtsempfehlungen auf Menschen mit Behinderungen vor. In der Studie wurden rund 13.000 relevante Empfehlungen der drei wichtigsten UN-Menschenrechtsmechanismen ermittelt, wobei die meisten von den Vertragsorganen stammen (rund 53 %, davon über die Hälfte vom CRPD-Ausschuss), gefolgt von der allgemeinen Staatenüberprüfung (rund 41 %) und den Sonderverfahren (rund 5 %). Die asiatisch-pazifische Region erhielt den höchsten Anteil an UPR-Empfehlungen (31 %), gefolgt von der afrikanischen Region (24 %), der Gruppe der westeuropäischen und anderen Staaten (19 %), der osteuropäischen Gruppe (14 %) und der lateinamerikanischen und karibischen Gruppe (13 %). Eine ähnliche Verteilung war bei den Regionen zu beobachten, die Empfehlungen aussprachen. Trotz dieser Fülle von Leitlinien deuten die ersten Ergebnisse darauf hin, dass die Umsetzung dieser Empfehlungen hinter den Rechten zurückbleibt, die in anderen UN-Verträgen geregelt sind, z. B. in Bezug auf Frauen oder Kinder. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass es keine spezielle UN-Agentur gibt, die für die Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen zuständig ist, so dass das Thema eher ein "Zusatz" als eine Priorität ist.
Ein Mitglied des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen äußerte sich besorgt über die schlechte Umsetzung der CRPD. Die Konvention sei einfach und ehrgeizig zugleich, denn sie bekräftigt, dass Menschen mit und ohne Behinderung die gleichen Rechte haben. Um dies zu erreichen, sei jedoch ein grundlegender Wandel der gesellschaftlichen Strukturen erforderlich, die in der Vergangenheit segregierte Systeme geschaffen hätten. Es wurde unterstrichen, wie wichtig die Zusammenarbeit mit den OPDs, der Aufbau von Kapazitäten und die Bereitstellung angemessener staatlicher Mittel sind. Der Vertreter hob auch hervor, dass der CRPD-Ausschuss trotz seiner potenziellen Rolle bei der Anleitung der Staaten zu einer wirksamen Umsetzung aufgrund der unzureichenden Finanzierung der Vertragsorgane selbst mit Ressourcenknappheit zu kämpfen hat.
Während des Dialogs meldeten sich Vertreterinnen und Vertreter einer Reihe weiterer Staaten, UN-Organisationen und NGOs zu Wort. Die Rednerinnen und Redner räumten ein, dass trotz des Paradigmenwechsels, den die CRPD beim Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen darstellt, die Umsetzung hinterherhinkt. Die Beseitigung diskriminierender Praktiken würde nicht nur die Menschenrechte fördern, sondern auch wirtschaftliche und soziale Vorteile mit sich bringen. Ein wichtiges Diskussionsthema war die Finanzierung, wobei einige Regierungsvertreter darauf hinwiesen, dass es notwendig sei, Investoren und die Industrie für eine behindertengerechte Entwicklung zu interessieren. Es wird erwartet, dass diese Diskussionen auf dem Weltgipfel für Menschen mit Behinderungen in Berlin fortgesetzt werden und weitere Möglichkeiten bieten, die Umsetzung der UN-Menschenrechtsempfehlungen für Menschen mit Behinderungen voranzutreiben. Im März werden KAS und URG die ersten Ergebnisse ihrer Studie auch dem Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorstellen.