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reuters/Cecilia Puebla

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Ecuador am Scheideweg: Rückfall in den Correísmo oder Aufbruch in eine neue politische Ära?

Am vergangenen Sonntag, dem 7. Februar 2021, fand in Ecuador die erste Runde der Präsidentschafts- und Kongresswahlen statt. Aus ihr ging kein eindeutiger Sieger hervor. Andrés Arauz vom sozialistischen Bündnis UNES (La Unión por la Esperanza) konnte sich mit 32,57 Prozent als stärkster Kandidat für die notwendig gewordene Stichwahl am 11. April 2021 qualifizieren. Wer gegen ihn in der Stichwahl antreten wird, ist auch fünf Tage nach der Wahl noch ungewiss. Guillermo Lasso von der liberalen Partei CREO (Creando Oportunidades) und Yaku Pérez der indigenen Bewegung MUPP (Movimiento de Unidad Plurinacional Pachakutik) liegen nach momentanem Stand der Auszählung praktisch gleich auf. Der bemerkenswert knappe Vorsprung des zweitplatzierten vor dem drittplatzierten Kandidaten birgt Sprengstoff in sich.

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Innen- und geopolitische Bedeutung der Wahl

Der Ausgang der Wahlen hat sowohl innen- als auch geopolitische Bedeutung für die Region. Im innenpolitischen Kontext steht Ecuador vor einem Scheideweg zwischen der Rückkehr zum sozialistischen System des Correísmo oder einer Weiterentwicklung des vom scheidenden Präsidenten Lenín Moreno (2017-2021) eingeschlagenen Reformweges. Im lateinamerikanischen Kontext ist die Wahl nicht nur die erste seit Beginn der Pandemie, sondern neben denen in Chile, Haiti, Honduras, Nicaragua und Peru auch die erste von insgesamt sechs Präsidentschaftswahlen im Jahr 2021. Der Ausgang der Wahl könnte bei Sieg eines der linksgerichteten Kandidaten daher ein Indikator für einen möglichen Linksruck in der Region sein, den schon die Wahlen in Bolivien im letzten Jahr angedeutet haben. Der gegenwärtig in der Andenregion und ganz Lateinamerika wahrnehmbare steigende Einfluss Chinas und seine Nähe zu linksgerichteten politischen Kräften könnte zudem die Systemkonkurrenz auf dem ganzen Kontinent verschärfen. Ein Einzug des Mitte-Rechts-Kandidaten Lasso in die Stichwahl könnte jedoch weiterhin zu einem ganz anderen Ausgang der Wahlen führen und die Weiterführung der aktuellen Reform- und Liberalisierungspolitik des Landes bedeuten.

Entwicklung der ecuadorianischen Politik unter Präsident Moreno

Seitdem der ehemalige Vize-Präsident Lenín Moreno im Jahr 2017 die Amtsgeschäfte von der autoritären Regierung Rafael Correas übernommen hat, wurde eine weitreichende Liberalisierung des Landes angestoßen.

Zunächst musste Moreno die wirtschaftlich untragbare Aufblähung des Staatsapparates revidieren, da die Staatseinnahmen durch den Einbruch der Rohstoffpreise stark gesunken waren. Um Einsparungen im Staatshaushalt zu erreichen, setzte Moreno auf notwendige Reformen zur Restrukturierung des Staatsapparats, beispielsweise die Schließung von Ministerien. Treibstoffsubventionen sind ausgesetzt worden. Um das Außenhandelsdefizit auszugleichen und notwendige Devisen zu erhalten förderte Moreno ausländische Direktinvestitionen, zum Beispiel durch Steuer- und Zollerleichterungen. Zudem konnte Moreno durch Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) notwendige Mittel beschaffen, um damit ausstehenden Verbindlichkeiten nachzukommen und den Staatsbankrott zu verhindern. Die Mittel des IWF sind dabei an eine Steuerreform, die Einführung eines Anti-Korruptionsgesetzes und die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Zentralbank gekoppelt worden.

Auch außenpolitisch schlug Moreno einen neuen Kurs ein. Im April 2019 entzog er dem WikiLeaks-Gründer Nicolas Assange das Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London und distanzierte sich damit von der konfrontativen Politik Correas gegenüber den USA. Zudem stärkte er die Zusammenarbeit mit den USA auf operativer Ebene, zum Beispiel durch die Rückkehr zur multinationalen Militärübung UNITAS im Jahr 2018 und durch das Freihandelsabkommen mit Washington im Jahr 2020. Auch auf regionaler Ebene hat sich Moreno neu positioniert. Er strebte eine assoziierte Mitgliedschaft in der wirtschaftsliberalen Pazifikallianz an und sprach sich als Beobachter der Lima-Gruppe gegen das Maduro-Regime aus.

Moreno distanzierte sich auch von Correa selbst, als er sich öffentlich über die „zügellose Korruption“ seines Vorgängers empörte.[1] Correa war im Jahr 2017 nach Belgien geflüchtet, wo er aufgrund der belgischen Staatsbürgerschaft seiner Frau Exil fand. Er wurde im April 2020 vom obersten Gericht Ecuadors zu acht Jahren Haft in Abwesenheit verurteilt. Das Urteil ist im selben Jahr rechtskräftig geworden, sodass seine Kandidatur für die aktuellen Präsidentschaftswahlen ausgeschlossen war. Mittlerweile wurde ein internationaler Haftbefehl gegen ihn erlassen. Trotz seiner Verurteilung und der Flucht ins Exil genießt Correa weiterhin großen Zuspruch in seinem Heimatland und beeinflusst damit im Hintergrund das politische Geschehen.

Schließlich stand Moreno neben den oben genannten finanzpolitischen Problemen des Landes vor allem vor der Herausforderung, die Opposition der indigenen Bewegung von seinem Kurs zu überzeugen. Diese hatte sich im Oktober 2019 zu weitreichenden Protesten gegen die Sparpläne der Regierung formiert und soziale Unruhen ausgelöst. Hinzu kamen die mit dem Ausbruch der Pandemie einhergehenden Herausforderungen seit Beginn des Jahres 2020. Das Ausmaß der Folgen, die durch das unzureichende Gesundheitssystem des Landes und mangelnde Eindämmung der Pandemie durch die Regierung verursacht worden waren, hat die ganze Welt mit Bildern aus Guayaquil schockiert. Die Wirtschaftsleistung ist um neun Prozent eingebrochen, sodass Ecuador aktuell mit einer der schwersten Wirtschaftskrisen Lateinamerikas zu kämpfen hat.[2] Das Krisenmanagement der Regierung Moreno genießt folglich keine große Zustimmung. Nach Umfragewerten des Instituts Atlas vom 22. Januar 2021 sprachen nur 7,6 Prozent der Bevölkerung ihre Zustimmung für den Präsidenten aus.[3]

Es kann festgehalten werden, dass sich Moreno mit seiner Politik stark von seinem Vorgänger Correa abgrenzt hat, der die demokratischen Institutionen des Landes unterlaufen und sich international gegen westliche Politik positioniert hatte. Die Wahlen sind deshalb ein wichtiger Indikator dafür, ob Ecuador den Reformprozess Morenos fortsetzt, umkehrt oder eine alternative Richtung einschlagen wird.

Wahlergebnis

In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 7. Februar 2021 standen sich 16 Kandidaten gegenüber. Andrés Arauz vom sozialistischen Bündnis UNES (La Unión por la Esperanza) konnte sich mit 32,57 Prozent als stärkste politische Kraft für die Stichwahl am 11. April 2021 qualifizieren. Nach Auszählung von 99,89 Prozent der Stimmen (Stand 11. Februar 2021, 04:22 Uhr, Quito), steht momentan noch nicht offiziell fest, wer sein Gegenkandidat wird. Höchstwahrscheinlich setzt sich aber Guillermo Lasso der liberalen Partei CREO (Creando Oportunidades) durch, der mit 19,68 Prozent der Wählerstimmen sehr knapp vor Yaku Pérez der indigenen Bewegung MUPP (Movimiento de Unidad Plurinacional Pachakutik) mit 19,51 Prozent liegt. Mit 15,78 Prozent der Wählerstimmen konnte Xavier Hervas der sozialdemokratischen Partei ID (Izquierda Democrática) ein unerwartet gutes Ergebnis erzielen. 12,64 Prozent der Wähler gaben ungültige oder leere Stimmzettel ab.[4] Da sich kein Kandidat mit vierzig Prozent der Stimmen und mindestens zehn Prozent Abstand zum Zweitplatzierten eine absolute Mehrheit sichern konnte, wird es nun am 11. April 2021 zur entscheidenden Stichwahl kommen.

Neben den Präsidentschaftswahlen fanden auch Wahlen für die 137 Abgeordneten der Nationalversammlung statt. Hier konnte die sozialistische UNES mit 31,21 Prozent die meisten Stimmen erzielen. Dahinter konnten die Partei der Indigenen Bewegung MUPP 18,01 Prozent und die sozialdemokratische ID 12,65 Prozent der Wählerstimmen gewinnen. Die liberale Partei CREO bleibt mit 9,67 Prozent der Stimmen hinter den Erwartungen zurück. Als fünfstärkste Kraft konnte sich schließlich die konservative PSC (Partido Social Cristiano) mit 9,16 Prozent durchsetzen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam es in der Wahl für das weniger bedeutende Andenparlament.[5]

Einschätzung und Ausblick

Die Wahlen indizieren eine klare Tendenz des politischen Spektrums nach links, denn zusammen genommen konnten die drei linksgerichteten Kandidaten etwa 68 Prozent der Stimmen erzielen. Die Ergebnisse der ersten Wahlrunde unterstreichen den Wunsch der Bevölkerung nach sozialem Ausgleich. Denn die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise haben den sozialen Status vieler Menschen merklich verschlechtert und sie erhoffen sich von der Politik konkrete Linderung ihrer akuten Not.

Für den führenden Kandidaten Andrés Arauz sind 32,53 Prozent der Stimmen ein ernüchterndes Ergebnis. Denn seine Partei hatte auf einen direkten Sieg ihres Kandidaten spekuliert. Er verlor viele Stimmen an die ebenfalls linksausgerichteten Kandidaten Pérez und Hervas. Falls der junge Wirtschaftswissenschaftler Arauz die Stichwahl für sich entscheiden sollte, könnte dies zu einer schrittweisen Rückentwicklung zum System des Correísmo mit steigender Beteiligung des Staates in der Wirtschaft und einer möglichen Abschaffung des US-Dollars als Landeswährung führen. Auch eine Rückkehr von Rafael Correa aus dem Exil ist nicht auszuschließen. Er könnte als Chefberater der neuen Regierung an politischem Einfluss gewinnen. Das könnte nicht nur zu einer Revision der liberalen Reformen, sondern auch zu einer Rückkehr zum antiamerikanischen Kurs führen.

Guillermo Lasso, der zum dritten Mal in Folge als Präsidentschaftskandidat von CREO antritt, hat mit 19,68 Prozent ein für ihn enttäuschendes Ergebnis erzielt. Seine Kampagne war im Gegensatz zu seinen Mitstreitern wenig innovativ. Sein kühles Profil und seine Nähe zu erzkonservativen katholischen Kreisen haben Teile der gemäßigten bürgerlichen Kräfte abgeschreckt. Die Zugeständnisse gegenüber der sozialen Bewegung, den Mindestlohn um 25 Prozent auf 500 US-Dollar pro Monat zu erhöhen, konnte Wähler aus dem linken Spektrum nicht überzeugend ansprechen. Zudem konnte CREO als Gesamtbewegung nicht genügend Stimmen der konservativen und liberalen Wählerschaft bündeln, sodass Lasso wichtige Stimmen an weniger bedeutende Kandidaten des fragmentierten mitte-rechts Spektrums verlor. Sollte es der erfahrene Bankier schaffen, in die Stichwahl einzuziehen und diese mit Hilfe der Stimmen der Correísmo-Gegner für sich zu entscheiden, würde er für die internationale Gemeinschaft einen verlässlichen Partner darstellen, dem weitere Kredite und Investitionen in Aussicht gestellt werden würden. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Kongress bliebe aber abzuwarten, ob er seine wirtschaftsliberalen Ideen umsetzen könnte.

Für Yaku Pérez war das Wahlergebnis hingegen eine positive Überraschung. Er schaffte es trotz der fragmentierten Interessenlage innerhalb der indigenen Bevölkerung genügend Unterstützung zu gewinnen, um sich möglicherweise für den Einzug in die Stichwahl zu qualifizieren. Nicht zuletzt konnte er durch seine Wahlkampfthemen (u.a. Schutz der Wasserressourcen und Minderheitenrechte) auch außerhalb der indigenen Bevölkerung punkten. Kritisiert wird der politische Aktivist von großen Teilen der Bevölkerung für die Infragestellung des rohstoffbasierten Wirtschaftssystems, das Ecuador unter Correa zu beachtlichen Staatseinkünften verholfen hatte, die großzügig an die Bevölkerung weitergegeben wurden. Pérez kündigte jedoch an, bestehende Verträge mit Investoren respektieren zu wollen. International ist Pérez kaum bekannt und wenig erfahren, weshalb er voraussichtlich offen mit verschiedenen geopolitischen Lagern kooperieren könnte, nicht zuletzt, um Legitimität auf dem internationalen Parkett zu gewinnen. Im Falle eines Einzugs in die Stichwahl müsste Pérez genauso wie Guillermo Lasso die Correísmo-Gegner mobilisieren, um die Präsidentschaft zu gewinnen.

Die größte Überraschung der Wahl war das Ergebnis des relativ unbekannten Geschäftsmannes Xavier Hervas, der durch seine Nischen-Kampagne aus dem Stand knapp 16 Prozent der Wähler hinter sich vereinen konnte. Er konnte vor allem die Zustimmung junger Menschen gewinnen, die er durch seinen innovativen Wahlkampf auf sozialen Medien wie TikTok erreicht hatte. Nach Experteneinschätzungen erhielt Hervas aufgrund seiner Persönlichkeit hohen Zuspruch, nicht aber wegen der politischen Agenda seiner sozialdemokratischen Partei.

Fazit

Dass die Wahlen trotz der zweiten Welle der Pandemie ohne nennenswerte Zwischenfälle im Rahmen pandemiebedingter Schutzvorkehrungen und durch die Kontrolle internationaler Wahlbeobachter problemlos stattfinden konnten, ist sehr zu begrüßen. Es wurde aber auch deutlich, dass sich das politische Spektrum in den letzten Jahren stark weiterentwickelt hat, besonders, wenn man bedenkt, dass Rafael Correa im Jahr 2013 noch mit 57,17 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreicht hatte. Die fortschreitende Fragmentierung deutet eine zunehmende Ablehnung der Bevölkerung gegenüber traditionellen Parteistrukturen an sowie den Trend zum Personenwahlkampf, wie er in großen Teilen Lateinamerikas zu beobachten ist.

Der Ausgang der Stichwahlen am 11. April 2021 bleibt damit ungewiss. Klar ist nur, dass der nächste Präsident des Landes vor immensen Herausforderungen stehen wird. Es wird darum gehen die Wirtschaft wiederzubeleben, die Gesundheitskrise zu bewältigen, soziale Reformen umzusetzen und mit internationalen Geldgebern zu verhandeln – und das wahrscheinlich ohne mehrheitlichen Rückhalt im Kongress.

 

[1] https://www.abc.es/internacional/abci-lenin-moreno-estoy-espeluznado-corrupcion-galopante-gobierno-correa-201712140224_noticia.html (abgerufen am 10.02.2021).

[2] https://www.bbc.com/mundo/noticias-55893628 (abgerufen am 10.02.2021).

[3] https://www.atlasintel.org/poll/ecuador-national-2021-01-22 (abgerufen am 10.02.2021).

[4] https://resultados2021.cne.gob.ec/ (abgerufen am 11.02.2021).

[5] Ebd.

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Johannes Hügel

Johannes Hügel

Leiter des Auslandsbüros Ecuador

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