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Länderberichte

Freihandelsabkommen Peru – USA und die Folgen für südamerikanische Integrationsbestrebungen

von Dieter Konold
Die Wirtschaftspolitik von Perus Präsident Alejandro Toledo ist gekennzeichnet von Handelsliberalisierungen und einer Öffnung der Märkte nach außen. Letztes und ehrgeizigstes Projekt seiner Amtszeit ist die Verwirklichung eines Freihandelsabkommens mit den USA. Die derzeitige Verhandlungspause lädt dazu ein, wirtschaftliche Chancen und integrationspolitische Risiken vor einer Unterzeichnung noch einmal gegeneinander abzuwägen.

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Bei allen Schwierigkeiten und Rückschlägen, mit denen die Regierung Toledo zu kämpfen hatte und für die sie zum Teil selbst verantwortlich zeichnet, hat sie gegen Ende ihrer Amtszeit zumindest auf ökonomischer Seite einige Erfolge vorzuweisen. Alle makroönomischen Indikatoren bestätigen die positive Entwicklung des Landes. Die Inflationsrate ist niedrig, der Haushalt fast ausgeglichen, die Wirtschaft wächst seit 2002 kräftig und der konjunkturelle Aufschwung erlebt in diesem Jahr mit einer Steigerung des BIP um fast sechs Prozent einen neuen Höhepunkt. Motor dieses Wirtschaftswachstums ist die Exportwirtschaft, die seit Jahren beachtliche Steigerungsraten aufweist. Das bisherige Exportrekordjahr 2004 wird in diesem Jahr deutlich übertroffen werden, der Handelsbilanzüberschuss beträgt für das erste Halbjahr bereits über zwei Milliarden Dollar.

Vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen Toledos zu sehen, mit Hilfe von Wirtschafts- und Freihandelsabkommen die Absatzmöglichkeiten für peruanische Produkte im Ausland zu verbessern und so den Exportsektor weiter zu fördern. Eine ganze Reihe derartiger Initiativen kennzeichnete die peruanische Außenpolitik der letzten vier Jahre. Mit Chile wurden Verhandlungen über Handelsliberalisierungen geführt. Seit dem 19. November besteht ein noch zu ratifizierender Vertrag mit Thailand, der immerhin für 70 Prozent der Güter im bilateralen Handel eine Aufhebung von Zollbeschränkungen vorsieht. Schon 2003 wurde ein Rahmenabkommen mit den Staaten des Mercosur unterzeichnet, das als Grundlage für eine zukünftige wirtschaftliche Annäherung dienen soll. Daneben bemühte sich Peru um ein Freihandelsabkommen mit der EU, die aber eine entsprechende Vereinbarung nur mit der Andengemeinschaft als Einheit schließen will. Und schließlich begannen im Mai 2004 Gespräche zwischen den drei lateinamerikanischen Staaten Peru, Kolumbien und Ekuador auf der einen und den USA auf der anderen Seite mit dem Ziel, ein Freihandelsabkommen zu beschließen. Nach zähem Ringen wurde am 23. November das vorläufige Scheitern der Verhandlungen bekanntgegeben. In den beiden Hauptstreitpunkten Landwirtschaft und geistiges Eigentum konnte keine Einigung erzielt werden. Die peruanische Seite bemüht sich aber, sich noch vor dem Beginn der Welthandelsrunde am 13. Dezember erneut mit den US-Unterhändlern an einen Tisch zu setzen.

Wirtschaftliche Konsequenzen eines Abkommens mit den USA

Angesichts der bedeutenden Rolle, die die USA als wichtigster Handelspartner Perus spielen, scheint es nur folgerichtig, die wirtschaftlichen Beziehungen auf eine solide vertragliche Basis zu stellen, die den zollfreien Zugang zum nordamerikanischen Markt langfristig sichert. Das gilt um so mehr, als die US-Zollpräferenzen, die bislang knapp die Hälfte der peruanischen Exportgüter von tarifären Handelshemmnissen ausnehmen, Ende 2006 auslaufen. Da annähernd 30 Prozent der peruanischen Ausfuhren in die USA gehen, hätte der ersatzlose Wegfall dieser Sonderkonditionen erhebliche Auswirkungen auf die Exportwirtschaft. Wenn nicht spätestens Anfang 2007 ein Freihandelsabkommen das Präferenzsystem ablöst, könnten einer Studie im Auftrag des Arbeitsministeriums zufolge 85000 Arbeitsplätze verloren gehen. Das wäre ein herber Schlag für ein Land, in dem der Großteil der 28-Millionen-Bevölkerung arbeitslos, unterbeschäftigt oder im informellen Sektor tätig ist.

Freilich ist keineswegs ausgeschlossen, dass die USA das Zollpräferenzabkommen entgegen anderslautender Beteuerungen doch verlängern. Das Umfragetief, in dem US-Präsident Bush sich gegenwärtig befindet und die anstehenden mid-term-Wahlen könnten ein Ratifizierungsverfahren des Freihandelsabkommens mit den Andenstaaten im US-Kongress noch im Jahr 2006 verhindern. Schon die Mehrheit für ein vergleichbares Vertragswerk mit den zentralamerikanischen Ländern Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nikaragua sowie der Dominikanischen Republik (CAFTA) war äußerst dünn. Vor diesem Hintergrund wäre die Beibehaltung des Status quo der politisch einfachere Weg für Bush. Sollte sich diese Prognose bewahrheiten, könnte noch einige Zeit vergehen, bis das Freihandelsabkommen in Kraft tritt. Dieses Szenario wäre für Peru nicht das schlechteste. Denn die Liberalisierung des Handels mit dem Wirtschaftsriesen USA bietet nicht nur große Chancen sondern enthält auch erhebliche Risiken für die Wirtschaft des Landes.

Die bereits erwähnte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Realisierung des Freihandels mit dem Abbau einiger zehntausend Arbeitsplätze einhergehen würde. Der Grund hierfür liegt in den gewaltigen Asymmetrien zwischen den beiden Volkswirtschaften. Ohne Zweifel könnten spezialisierte Betriebe und einzelne Branchen vom freien Zugang zum US-Markt profitieren. Die meisten peruanischen Unternehmen aber können sich kaum messen mit ihren großen nordamerikanischen Konkurrenten, die in der Regel nicht nur effizienter arbeiten sondern auch über eine jahrzehntelange Erfahrung auf internationalen Märkten verfügen. Nach einer Rangliste des World Economic Forum zur Wettbewerbsfähigkeit belegt Peru Platz 68 von 117 untersuchten Staaten. Die USA dagegen werden – hinter Finnland – auf dem zweiten Rang geführt. Insbesondere landwirtschaftliche Betriebe in Peru hätten große Probleme, mit US-Unternehmen zu konkurrieren, die zudem von hohen staatlichen Subventionsleistungen profitieren. 70 Prozent der peruanischen Bauern bearbeiten weniger als fünf Hektar Land, und die Rentabilität ist entsprechend niedrig. Auch wenn viele dieser Kleinbauern nur für den Eigenbedarf produzieren, steht zu befürchten, dass gerade im Agrarsektor ein Wegfall der Zölle für viele Beschäftigte mit finanziellen Einbußen verbunden sein würde, wenn von staatlicher Seite keine umfangreichen Ausgleichszahlungen gewährt werden. Diesen Schluss legt nicht zuletzt auch das Beispiel zahlreicher mexikanischer Bauern nahe, die seit der Handelsliberalisierung im Rahmen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA auf staatliche Entschädigungen angewiesen sind.

Sollte das Abkommen zustande kommen, dürfte neben der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit vor allem die Frage des geistigen Eigentums, die für die USA an erster Stelle steht, negative Effekte für die peruanische Bevölkerung mit sich bringen. Am deutlichsten wird sich das in den Preisen für Medikamente niederschlagen. Schätzungen gehen davon aus, dass die Einhaltung des Patentschutzes mit deutlichen Kostenerhöhungen für Medikamente einhergehen wird. Die Preissteigerung für patentgeschützte Produkte wird sich insgesamt vermutlich auf über eine Milliarde Dollar belaufen.

Folgen für den Integrationsprozess

Während diese Problematik aber durchaus in politischen Kreisen und den Medien thematisiert wird, findet ein weiterer Aspekt eines Freihandelsabkommens mit den USA nur wenig Beachtung. Die negativen Auswirkungen einer solchen Vereinbarung auf den südamerikanischen Integrationsprozess scheinen in der Debatte um das Für und Wider des Abkommens kaum eine Rolle zu spielen. Das zeigt deutlich, wie wenig diese Frage im politischen Bewusstsein der Peruaner verankert ist. Dabei ist das Land nicht nur Mitglied der Andengemeinschaft sondern auch der Gemeinschaft Südamerikanischer Staaten, die im Dezember letzten Jahres in Cusco gegründet wurde. Der Zusammenschluss der zwölf südamerikanischen Staaten besteht faktisch nur auf dem Papier, und das erste Gipfeltreffen Ende September verlief enttäuschend. Die beteiligten Staatschefs konnten sich nicht auf die Formulierung konkreter gemeinsamer Ziele einigen. Dennoch verdient das dieser Integrationsbemühung zugrunde liegende Konzept Beachtung, spiegelt es doch eine wichtige Strategie in der Auseinandersetzung um die künftigen Machtverhältnisse in der westlichen Hemisphäre wider. Die Initiative zur Bildung einer südamerikanischen Gemeinschaft ging von Brasilien aus und muss als Antwort auf Bemühungen der US-Regierung verstanden werden, eine gesamtamerikanische Freihandelszone (ALCA) zu gründen. Entsprechende Pläne dominieren die Lateinamerikapolitik des Weißen Hauses seit Bush Senior das Thema vor elf Jahren auf die Tagesordnung setzte. Ein erster Schritt in diese Richtung war das Freihandelsabkommen mit Kanada und Mexiko. Vor zwei Jahren wurde ein Freihandelsvertrag mit Chile unterzeichnet und auch die CAFTA-Vereinbarung muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Durch einen erfolgreichen Abschluss mit den drei Andenstaaten wäre ein weiteres Zwischenziel auf dem Weg der graduellen Verwirklichung der ALCA erreicht. Brasilien dagegen fürchtet die wirtschaftliche Dominanz der USA und will seine Vormachtstellung auf dem südamerikanischen Kontinent durch eine Ausweitung der bestehenden regionalen Integrationsbündnisse festigen. Die Achse Mercosur-Andengemeinschaft könnte – so das Kalkül – den Kern einer südamerikanischen Staatengemeinschaft bilden, die auf Augenhöhe mit den USA die Bedingungen für eine spätere Freihandelszone verhandelt.

Peru dagegen verfolgt keine langfristige Strategie, die sich eindeutig in einem der beiden Konzepte verorten ließe. Gleichwohl würde der Abschluss des Freihandelsabkommens eine starke Annäherung an die US-amerikanische Linie bedeuten. Keiner der aussichtsreichen Kandidaten für die Nachfolge Toledos ließ bislang erkennen, dass die neue Regierung, die Mitte 2006 ihre Arbeit aufnehmen wird, von diesem Kurs abweichen, und eine Neuausrichtung der peruanischen Außenpolitik bevorstehen könnte. Zu groß sind die positiven Effekte, die sich alle Seiten von der wirtschaftlichen Anbindung an die USA erhoffen. Und wenig populär erscheint die Aussicht auf eine Vertiefung der Integration innerhalb der Andengemeinschft oder eine Erweiterung zu einem südamerikanischen Bündnis. Dafür fällt die Erfolgsbilanz der bald vier Jahrzehnte währenden Integrationsgeschichte des Andenprojektes zu dürftig aus. Und eine engere Zusammenarbeit mit dem Mercosur würde zwar Anreize schaffen, den dringend benötigten Ausbau der Infrastruktur voranzutreiben – der kürzlich begonnene Bau der Interoceánica zwischen der Pazifikküste Perus und der Atlantikküste Brasiliens ist ein Erfolg versprechendes Beispiel dieser Entwicklung – aber kurzfristig werden von einem solchen Prozess kaum entscheidende Wachstumsimpulse ausgehen.

Wirtschaftliche Grenzen der Integration

Fraglos gibt es daher mindestens zwei gewichtige Vorteile, die ein Freihandelsabkommen mit den USA im Vergleich zu einer entsprechenden Vereinbarung mit den direkten Nachbarländern mit sich bringen würde. Zum einen wären Investitionen in einer Größenordnung zu erwarten, wie sie keine lateinamerikanische Wirtschaft zu leisten im Stande ist. Und zum anderen verspricht die komplementäre Wirtschaftsstruktur der beiden Länder erheblich größere Exportmöglichkeiten für peruanische Unternehmen. In der Tat sehen Skeptiker einer andinen Regionalisierung in den sehr ähnlichen Produktpaletten der einzelnen Staaten einen der Hinderungsgründe für eine Ausweitung der Handelsbeziehungen. Das ist auch der Grund für den relativ niedrigen Grad der innerregionalen Handelsverflechtung in allen lateinamerikanischen Integrationsbündnissen. In der Andengemeinschaft macht der Intrahandel beispielsweise nur rund zehn Prozent des Gesamthandels der Mitgliedstaaten aus, allerdings mit steigender Tendenz. Dass das Potenzial längst nicht ausgeschöpft ist, zeigen die Wachstumsraten der peruanischen Ausfuhren, die in den letzten beiden Jahren jeweils zwischen 40 und 50 Prozent lagen. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen sind der wirtschaftlichen Integration wegen fehlender Komplementärstrukturen innerhalb der Andengemeinschaft aber Grenzen gesetzt.

Verhandlungsmacht durch Kooperation

Auf der anderen Seite bedeuten ähnliche Handelsmuster ähnliche Interessen was die Ausgestaltung von Handelsabkommen mit Industriestaaten angeht. Ein gemeinsames Eintreten für diese Interessen könnte den Ländern der Andengemeinschaft eine entscheidende Verbesserung ihrer Verhandlungsposition einbringen. In noch viel stärkerem Maße trifft das auf die Gemeinschaft Südamerikanischer Staaten zu, die ein bedeutendes Gewicht auf internationaler Ebene entwickeln könnte, sollte es gelingen, in wichtigen Fragen eine gemeinsame Position zu vertreten. Welchen Einflussgewinn ein solches Vorgehen generieren würde, zeigt das Beispiel des Mercosur, dessen Mitglieder – nicht selten auf erheblichen Druck von Seiten Brasiliens – im Block verhandeln und so auf dem vierten Amerika-Gipfel erneut Fortschritte im ALCA-Prozess verhinderten. Gerade in Handelsfragen wäre ein gemeinsames Vorgehen das geeignete Mittel, Konzessionen und vorteilhafte Kompromisse zu erzielen. Übergangsregelungen für einzelne Industriezweige, Ausnahmebestimmungen in Fragen des geistigen Eigentums und ein umfangreicher Abbau der Agrarsubventionen sind Forderungen an die Industrieländer, die nahezu alle lateinamerikanischen Staaten teilen und die sich gemeinsam eher umsetzen ließen. Das gilt im übrigen nicht nur für Verhandlungen mit den USA sondern genauso für die im Mai nächsten Jahres anstehenden Gespräche mit der Europäischen Union auf dem Gipfel in Wien. Für die Staaten der Andengemeinschaft geht es dann um die mögliche Aufnahme von Verhandlungen zu einem Assoziierungsabkommen. Unabhängig vom Ergebnis kommt diesem Gipfeltreffen aber nicht die gleiche Bedeutung zu wie den Beziehungen zu den USA, da unter dem EU-Zollpräferenzsystem ohnehin 90 Prozent der Andenexporte ohne Zollbeschränkungen nach Europa eingeführt werden. Wegen des interregionalen Charakters der Verhandlungen sind die Andenstaaten aber gezwungen, eine gemeinsame Position zu entwickeln. Wie schwierig sich diese Zusammenarbeit trotz eigentlich ähnlicher Interessen gestaltet, wurde zuletzt in den Gesprächen mit den USA deutlich. Statt eine gemeinsame Strategie mit den beteiligten Ländern Kolumbien und Ekuador zu entwickeln und zu versuchen, in wichtigen Fragen Zugeständnisse von US-amerikanischer Seite zu erzwingen, kündigte Peru bei den ersten Anzeichen von Schwierigkeiten innerhalb der Andengruppe an, notfalls auch alleine ein Abkommen zu suchen.

Dieses Beispiel steht stellvertretend für die Schwierigkeiten, die eine wirkliche politische und über bloße Handelsbestimmungen hinausgehende Integration sowohl innerhalb der Andengemeinschaft als auch im südamerikanischen Kontext in naher Zukunft kaum zulassen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen dieses so oft formulierte Ziel einer echten Kooperation zwischen den lateinamerikanischen Staaten dennoch nicht aus den Augen verlieren. Langfristig würden aus einer engen Zusammenarbeit nicht nur ökonomische Vorteile erwachsen, sondern es könnte auch die Vertrauensbasis entstehen, deren Fehlen bislang so häufig Ursache für Konflikte und Streitereien zwischen den Ländern der Region ist. Insofern mag Unklarheit herrschen über die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Freihandelsabkommens mit den USA für Peru, die südamerikanischen Integrationsbemühungen jedenfalls würde es nicht voranbringen.

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Sebastian Grundberger

Sebastian Grundberger

Direktor Regionalprogramm Parteiendialog und Demokratie /Länderprogramm Uruguay

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