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Länderberichte

Klare Ansagen und viel zu tun

von Dr. Bernadette Kalz, Mathias Mäckelmann, Micaela Großmann

Perus neuer Präsident hat sein Amt angetreten

Den neuen peruanischen Amtsinhaber Pedro Pablo Kuczynski, alias PPK, begleiten hohe Erwartungen aus einem noch durch die Wahl gespaltenen Volk. Am 28. Juli 2016 war offizieller Nationalfeiertag und Peru feierte zum 195. Mal seine Unabhängigkeit. Die erste Botschaft des Präsidenten war kurz und klar: mehr innere Sicherheit, Kampf gegen Korruption, mehr wirtschaftliche Stabilität, Armutsbekämpfung durch Umstrukturierung des hohen informellen Beschäftigungssektors, besserer und kostenloser Zugang zu Bildung und besserer Schutz von Minderheitenrechten.

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Kritische Stimmen sagen noch immer: PPK sei kein charismatischer Politiker. Er sei kein Visionär sondern nur ein Technokrat. PPK sei ein neoliberaler Lobbyist ohne Seele, der sich und das Land noch mehr an die multinationalen Unternehmen verkaufen werde. Mit seinen ausländischen Wurzeln sei er keiner „von uns“. Er vertrete nur die Eliten und kenne die Bedürfnisse und Wirklichkeiten außerhalb Limas nicht. Und er sei doch eigentlich schon viel zu alt für eine solche Aufgabe.

Demokratisch gewählt, aber…

PPK ist demokratisch von einer Mehrheit gewählt worden, wenn auch – mit 50,12 Prozent – von einer nur hauchdünnen. Vor allem deshalb fragen sich nun viele: Wie soll dieser Mann effizient regieren, wie die nötigen Prozesse in Gang setzen mit nur 18 von 130 Abgeordneten im Kongress? Seine Gegnerin im Präsidentschaftswahlkampf, die national-konservative Keiko Fujimori, freut sich über eine absolute, erdrückende und bisher sehr geschlossene Mehrheitsfraktion der Fuerza Popular mit 73 Abgeordneten. PPKs eigene Fraktion ist in sich gespalten. Seine Partei hat (noch) keine tragende Struktur. Die zweitstärkste Fraktion, mit 20 Sitzen, ist der Frente Amplio der linken Kandidatin Veronika Mendoza, die ideologisch weit von PPK entfernt ist. Die übrigen Abgeordneten verteilen sich auf die Parteien Acción Popular, Alianza para el Progreso und der sozialdemokratischen Alianza Popular Revolucionaria Americana, kurz APRA. Letztgenannte Fraktion hat schon ihre Unterstützung für PPK in den Medien bekannt gegeben, stellt jedoch nur fünf Abgeordnete im Kongress.

Es wird für PPKs Fraktion Peruanos Para el Kambio also kompliziert, eine vernünftige Mehrheit zu bilden mit anderen Fraktionen. Es geht jetzt um viel Kommunikationsgeschick, um Dialog und Kompromisse, man könnte auch sagen: um Zugeständnisse ab der „Stunde Null“. Als neuer Präsident muss PPK mit der Partei Keikos „zusammen“ regieren, um Gesetze verabschieden zu können. Sogar um sein Kabinett installieren zu können und als Präsident verreisen zu können, braucht er die Stimmen der Abgeordneten von Keikos Fuerza Popular. Wenn es hart auf hart kommt, kann der Kongress die Regierungsvorhaben konsequent blockieren.

Mit der neuen Präsidentin des Kongresses aus Keikos Lager, Luz Salgado, scheint jedoch eine Person gewählt, die nicht nur auf Konfrontation setzen wird. Ihre Wahl entkräftet vielleicht auch unglückliche Aussagen ihrer Fraktionskollegen aus den letzten Wochen, wie etwa der, dass der Kongress jetzt „Fuerza Popular gehöre“. Die Regierung Alberto Fujimoris hatte im Jahre 1992 einen „Autoputsch“ durchgeführt und den Kongress geschlossen, um eine neue Verfassung in die Wege zu leiten. Dass es soweit nicht kommen wird, zeigt auch PPKs Ernennung Fernando Zavalas zum Premierminister. Er ist politisch als Brückenbauer bekannt und hat sich bereits zu Gesprächen mit Vertretern von Keikos Fuerza Popular getroffen, welche laut Aussagen beider Seiten konstruktiv verliefen.

Dennoch wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen, wie sehr sich Exekutive und Legislative aufeinander einspielen. Keine leichte Aufgabe unter den aktuellen Vorzeichen, für niemanden. PPK hat jedoch eine konkrete Vorstellung davon, wie Peru in Zukunft aussehen soll. Viel Zeit zur Umsetzung seiner Ziele hat er nicht. Nach fünf Jahren kann er sich nicht noch einmal aufstellen lassen. Und Keiko wird nicht Ruhe geben, bevor sie im Regierungspalast angekommen ist. Das ist die aktuelle Ausgangslage für den Neustart, den Peru in diesen Tagen durchlebt.

Pragmatismus gegen Korruption

Seine erste offizielle Botschaft als Präsident war somit auch keine patriotische Rede an die Nation – auch wenn man sein Flötenspiel im Anschluss an die Vereidigung seines Kabinetts als solches interpretieren kann. PPK redet Klartext, seine Ziele sind pragmatisch, nachvollziehbar, höchst anspruchsvoll und werden international auf Wohlwollen und Unterstützung stoßen – auch bei den großen Abnehmern peruanischer Exportgüter wie China, den USA und der EU.

Die einzelnen Programmpunkte, allen voran die innere Sicherheit und der Kampf gegen Korruption, sollen nun sein neues Kabinett mit 19 Mitgliedern verwirklichen. Dieses steht seit Mitte Juli fest. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Minister neu im Amt. Es sind vor allem Menschen, die professionelle Fachkenntnisse in ihren Bereichen mitbringen. So wird eine Anwältin Justizministerin, ein renommierter Diplomat Außenminister, eine Medizinerin Gesundheitsministerin, ein Ingenieur Minister für Transport und Kommunikation, ein Ökonom Energie- und Minenminister, ein Soziologe wird Innenminister und eine Soziologin wird Ministerin für Frauen und verwundbare Bevölkerungsgruppen. Diese Tatsache kompensiert vielleicht ein wenig den Vorwurf der nationalen Presse, das neue Kabinett hätte wenig politische Erfahrung auf nationaler und internationaler Ebene.

Doch noch bevor die einzelnen Personen ihr Amt angetreten haben, witzelten nicht nur das Volk, sondern auch die Nominierten selbst. Wie lange würde es wohl ein jeder auf seinem neuen Posten aushalten? Kontinuität im Kabinett hat in Peru keine Tradition. Innenminister haben eine durchschnittliche Amtszeit von acht Monaten, bis man sie auswechselt oder sie zurücktreten. Auch deshalb stellte man in der Presse vorsichtig PPKs erstes Kabinett vor.

Hintergrund ist nicht selten das Thema Korruption, eines der Schlüsselthemen, die PPK radikal und konsequent angehen möchte. Dabei will er bis zur völligen und lebenslangen Sperrung für öffentliche Ämter gehen, wenn Funktionären Korruption nachgewiesen wurde. Das Thema Korruption zieht sich denn auch endemisch durch viele staatliche Organismen, von der lokalen bis auf die höchste Ebene. Diese vielschichtigen und jahrzehntelang eingeübten Systeme und Ansprüche auf Geld und Macht von Grund auf zu bekämpfen, das heißt ganze Institutionen neu zu besetzen und umzugestalten, wird sicherlich eine der größten Herausforderungen für die kommende Regierung.

Aber nur so können die anderen nationalen Kernthemen wie innere Sicherheit, Verbesserung des staatlichen Bildungssystems, Modernisierung des Staates, Schaffung von Arbeitsplätzen, Sozialpolitik und eine nach innen und außen stabile Wirtschaft funktionieren. Denn PPK will auch 600.000 neue Arbeitsplätze pro Jahr schaffen, bis 2021 die Mehrwertsteuer von 18 Prozent auf 15 Prozent senken, Ausbildungen von Jugendlichen verbessern und junge Akademiker dahin fördern, dass sie besonders in weniger entwickelten Teilen Perus forschen und arbeiten.

PPKs Themen orientieren sich außerdem klar an den 17 im letzten Jahr in New York verabschiedeten UN-Zielen für Nachhaltigkeit. Damit bettet er seine Politik ein in den internationalen Rahmen und positioniert Peru als einen Staat, der im Bereich Gesundheit, Bildung, Beschäftigung, Umwelt und Menschenrechte die entsprechenden Anstrengungen unternehmen will, um die einzelnen Ziele zu erreichen. Zentral für sein Land scheint hier zum Beispiel die Botschaft, Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu entsprechenden Abwassersystemen für alle Peruaner zu ermöglichen.

Hoffnungsträger

Ein besonderes Augenmerk sollte man in der nächsten Zeit auf die Bereiche Justiz und Innenpolitik werfen. In ihnen wird sichtbar, wie effizient und schnell es der neuen Regierung gelingt, Dinge zu verändern und das Volk von der neuen Politik zu überzeugen. Die neue Ministerin für Justiz und Menschenrechte, Marisol Pérez Tello, war schon in der letzten Legislaturperiode als sehr engagierte und authentische Kongressabgeordnete der sozialchristlichen Partido Popular Cristiano (PPC) bekannt. Ihre bisherigen Themen kann sie nun fast alle in ihrem neuen Ressort angehen: eine Reform im Justizbereich und in den Gefängnissen, die Förderung der Suche von verschwundenen Personen aus der Zeit des Terrorismus in Peru, moderne Gesetze gegen Diskriminierungsdelikte und vor allem stärkere Gesetze gegen den Menschenhandel, Respekt von indigenen Gebieten und indigenen Rechten, aber auch Themen wie die Entschädigung für Frauen, die gegen ihren Willen sterilisiert wurden, sowie von Personen, denen Gewalt angetan wurde. Die Liste ist lang und die Themen komplex. Dass Frauen ein Recht auf Entschädigung haben, wenn sie zur Sterilisation gezwungen wurden, wurde erst vor einigen Tagen wieder von der Generalstaatsanwaltschaft zu den Akten verfügt, da angeblich nicht nachweisbar sei, dass es sich bei den Sterilisationen um eine unter Fujimori staatlich beabsichtigte und durchgeführte Politik handelte.

Ähnlich stark sind die Herausforderungen und Reformbestrebungen im Bereich der Innenpolitik. Der neue Innenminister, Carlos Basombrio, muss sich vor allem einem als korrupt bekannten Polizeisystem stellen. Er muss die schlecht bezahlten Beamten gleichzeitig besser ausstatten, mehr Arbeitsplätze schaffen und die Beamten mit Prämien „belohnen“. Und er muss Projekte der inneren Sicherheit umsetzen wie „Barrio Seguro“ („Sicheres Stadtviertel“) und „Cuida a la mujer“ („Beschützt die Frauen“). Dabei sollen mehr Polizisten in allen Stadtvierteln patrouillieren und mit den Bürgern der Stadtviertel soll enger zusammengearbeitet werden. Er ist in diesen Tagen der erste Minister, der mit seinen Vorhaben im Bereich der Bekämpfung von Korruption schon Präsenz in der Presse zeigt.

Besser ein Ausblick als ein Rückblick

Und so ziehen sich die Themen durch alle weiteren Ressorts. Eine Bewertung nach den ersten 100 Tagen wird zeigen, in welche Richtung sich PPK und sein Kabinett bewegen können. Blickt man kurz auf die Vorgängerregierung, wird wieder klar, warum das Thema Korruption so omnipräsent und mächtig in Peru ist. Der Abgang der Regierung Ollanta Humalas war nicht glücklich. Seine Ehefrau Nadine Heredia musste bereits eine Kaution zahlen, um einer Haftstrafe zu entgehen. Sie hat ein generelles Ausreiseverbot. Ein strafrechtliches Verfahren gegen sie hat bereits begonnen. Es geht um Geldwäsche und um unerklärte Parteispenden in Millionenhöhe für die Kampagnen 2006 und 2011 der bisherigen Regierungspartei Partido Nacionalista. Und es ist auch kein Geheimnis mehr, dass die Regierung Venezuelas Humala mit Geld unterstützte. Diese Spenden sind jedoch nicht deklariert und wurden auf private Konten der Familie der First Lady gebucht, was wiederum alles in Terminkalendern Nadine Heredias handschriftlich dokumentiert ist. Ein solches Finanzchaos des Partido Nacionalista ist typisch für das prekäre und informelle peruanische Parteiensystem. Weitet sich der Skandal auf Ollanta Humala aus, so würde er die Liste der angeklagten Ex-Präsidenten Fujimori, Toledo und García verlängern.

PPK und seine Fraktion scheinen von solchen Vorwürfen befreit. Das könnte ein Bonus für die Zukunft sein und ist auch ein Grund, warum er Vertrauen bei der Bevölkerung aufbauen konnte. PPKs erster offizieller Staatsbesuch im Ausland soll nach China gehen, zur zweitstärksten Wirtschaftsnation der Welt und zum Hauptkonsumenten peruanischer Exportgüter. Die Ansage und die politische Richtung sind klar. Für PPK spielen sich die Zukunft des Wirtschaftswachstums und der Dialog mit den entscheidenden Wirtschaftsmächten in Asien ab. Damit ist er hier in Lateinamerika nicht allein. Europa ist nicht mehr so stark im Fokus. PPK will Peru stärker industrialisieren, um für mehr Wirtschaftswachstum und mehr Investitionen zu sorgen. Um das zu schaffen, braucht er, so seine These, vor allem die Hilfe der großen Abnehmer peruanischer Exportgüter.

Für eine positive Überraschung sorgte PPK auch, als er am Rande des Gipfeltreffens der multinationalen Wirtschaftsunion „Pazifik-Allianz“ (Mexiko-Kolumbien-Chile-Peru) die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet traf und sich lange mir ihr unter vier Augen unterhielt. Die bilateralen Beziehungen sind aufgrund historischer Ereignisse, Grenzstreitigkeiten, kultureller Hindernisse und wirtschaftlicher Ungleichgewichte traditionell angespannt. So war diese Initiative von PPK ein klares Signal für eine aktive Verbesserung der zwischenstaatlichen Beziehungen auf allen Ebenen.

PPK wird eine gute Nachbarschaftspolitik verfolgen, um Peru innerhalb der einzelnen Bündnisse und Staatengemeinschaften sichtbar und klar zu platzieren. Ein neuer Wind kommt auch aus dem peruanischen Außenministerium bezüglich der Beziehungen zu Venezuela. Angestrebt wird eine klare Haltung und Forderung der Einhaltung von demokratischen Werten, Institutionen und der Verfassung. Und im internationalen Kontext sieht PPK sein Land künftig auf jeden Fall in der OECD.

Eines der unangenehmen Pakete, die PPK übernehmen muss, ist Alberto Fujimoris Bitte um Begnadigung. Der gesundheitliche Zustand des ehemaligen Präsidenten hat sich verschlechtert. Er ist wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption zu 25 Jahren Haft verurteilt und hat aktuell neun Jahre seiner Strafe im Gefängnis verbüßt. Überraschend viele Peruaner würden eine solche Begnadigung begrüßen. Für sie war Fujimori der Präsident, der den Terrorismus bekämpft hat und das Land wirtschaftlich stabilisiert hat. Für mindestens ebenso viele Peruaner wäre ein solcher Schritt jedoch ein weiteres Zeichen von Straflosigkeit und ein Affront gegen die zahlreichen von Menschenrechtsverletzungen betroffenen und traumatisierten Opfer. PPK wird eine direkte Begnadigung Alberto Fujimoris wohl nicht unterstützen, dafür aber vielleicht ein Gesetz, das älteren Häftlingen erlaubt, die restliche Zeit ihrer Strafe unter Hausarrest abzusitzen.

Die ersten 100 Tage werden zeigen, wie schnell sich PPK und seine Regierung gemeinsam mit dem Gesetzgeber einigen und Reformen anstoßen und umsetzen. Peru braucht Reformen dringend und auch die Bestätigung, dass selbst ein knapper Vorsprung ein ausreichender Garant für eine demokratische und nachhaltige Entwicklung dieses Landes sein kann.

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Sebastian Grundberger

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Direktor Regionalprogramm Parteiendialog und Demokratie /Länderprogramm Uruguay

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