Länderberichte
Bosnien und Herzegowina verfügt über einen äußerst komplexen Staatsaufbau und fungiert als Gesamtstaat über die weitgehend autonomen Entitäten „Föderation von Bosnien und Herzegowina“ (FBuH) und „Republika Srpska“ (RS). Der Gesamtstaat ist u.a. für die Außenpolitik, die Zoll- und Währungspolitik, Migrationsfragen, Verteidigungsfragen und bestimmte Teile der Justiz zuständig. Sowohl die Fragmentierung der parlamentarischen Versammlung, als auch die nationalistische Rhetorik der Entitäten erschweren die Kompromissfindung in der Justizreform.
Aktueller Stand der Justizreform
Auf dem BuH-Gebiet sind zugleich vier Justizsysteme anwendbar, für deren Regelung vier Gesetze zuständig sind – jeweils für die vier Verwaltungsebenen von BuH, FBuH, RS und des neutralen Brčko Distrikts. Die Staatsanwaltschaft unterliegt 15 Gesetzen, die die Einrichtung, Zusammensetzung und Arbeitsweise der 15 Staatsanwaltschaften vorsieht.
Der durchaus schwerfällige Aufbau des Justizwesens beeinflusst die Effizienz und Qualität der Justiz negativ und schwächt das ohnehin geringe Vertrauen der Öffentlichkeit in die Judikative. Der hohe Rückstand anhängiger Gerichtsverfahren und ein schwaches Managementsystem derer belasten die meisten Gerichte im Land.
Für die Justizaufsicht ist in BuH der Hohe Rat für Justiz und Staatsanwaltschaft (HRJS) zuständig. Dieser wurde 2004 gegründet, als die zwei Entitäten die Übertragung bestimmter Zuständigkeiten an den Gesamtstaat beschlossen haben. Ziel dabei war die Zusammenfügung der Ernennungsbefugnisse für die Justizsysteme der Entitäten und die Stärkung der Unabhängigkeit des Justizwesens im ganzen Land. Der Rat besteht aus 15 Mitgliedern – elf Richter und Staatsanwälte, zwei Rechtsanwälte und zwei Laienmitglieder, die vom Abgeordnetenhaus des Gesamtstaates bzw. vom Ministerrat ernannt werden. Für die Mitglieder bestehen nicht nur professionelle Anforderungen, sondern auch ethische.
Im Laufe der Zeit wurden dem Rat mehr und mehr Befugnisse erteilt, um so einen möglichen politischen Einfluss – zumindest formell – zu minimalisieren. Somit übernimmt der HRJS nicht nur die Ernennung und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten, sondern auch ihre Beurteilung, Beförderung und Disziplinarbehandlung. Der HRJS ist ebenfalls für die Aufdeckung von Interessenkonflikten bei Richtern und Staatsanwälten und die allgemeine Verwaltung von Gerichten und Staatsanwaltschaften zuständig.
Mit der Unterstützung internationaler Experten wird nun seit 2013 an einer Reform des HRJS gearbeitet. Unter anderem sieht diese eine Spaltung in zwei Beschlusskammern vor – eine für Richter, die andere für Staatsanwälte. Die aktuelle Zusammensetzung ermöglicht beispielsweise eine gemeinsame Beschlussfassung der Laienmitglieder und der Staatsanwälte in Disziplinarangelegenheiten eines Richters. Dies könnte in bestimmten Fällen die Unabhängigkeit der Richter in Frage stellen.
Mit Blick auf die angestrebte EU-Integration hat BuH eine landesweite Reformagenda für den Zeitraum 2015-2018 aufgestellt. Die Billigung des dazugehörigen Aktionsplans, gemeinsam mit den Fortschrittsindikatoren und den finanziellen Bestimmungen steht noch aus.
Politisch gesehen genießt die Reformagenda eine gewisse Unterstützung, weshalb ihre Umsetzung bereits begonnen hat. Die bedeutendsten Maßnahmen der Agenda beziehen sich auf die Aufstellung klarer und objektiv messbarer Kriterien für die Ernennung der Mitglieder der Justiz, die Einführung von Integritätsauflagen für das gesamte Justizsystem und die Verabschiedung neuer Bestimmungen für den Ablauf der Disziplinarverfahren für Richter und Staatsanwälte. Leider ist seit Ende Februar 2016 zu konstatieren, dass dieser Prozess ins Stocken gerät und an Priorität verliert.
Bekämpfung der Korruption
Im Vergleich zu anderen südosteuropäischen Staaten, die einen EU-Beitritt anstreben, mangelt BuH noch an einem kohärenten gesetzlichen Rahmen. Mit Blick auf die Korruptionsbekämpfung ist eine Modernisierung des Strafrechts unerlässlich. Die EU empfiehlt in ihrem Fortschrittsbericht 2015 u.a. eine Straferhöhung im Fall bestimmter Korruptionsdelikten. Erforderlich sei ebenfalls die Kriminalisierung der unrechtmäßigen Bereicherung.
Ein wichtiger Schritt in diesem Bereich stellt die Verabschiedung der Antikorruptionsstrategie 2015-2019 dar, welche fünf Schwerpunkte vorsieht: (i) Konsolidierung der Institutionen, (ii) Präventionsmaßnahmen, (iii) Wirksamkeit und Effizienz der Gerichte und der Staatsanwaltschaften, (iv) öffentliche Beteiligung und Maßnahmen zur Schärfung des öffentlichen Bewusstseins, und (v) nationale Koordinierung und Überwachung in diesem Bereich. Für die Umsetzung der Antikorruptionsstrategie wurden bislang keine Mittel zugewiesen.
Die Agentur für die Koordinierung der Korruptionsbekämpfung und –prävention auf Staatsebene spielt eine bedeutende Rolle in der erfolgreichen Umsetzung der Antikorruptionsstrategie. Seit Kurzem verfügt diese über breitere Zuständigkeiten: Nebst Einführung von Integritätsauflagen und Koordinierung der für die Korruptionsbekämpfung und –prävention zuständigen Behörden übernimmt die Agentur auch den Schutz von Whistleblower und die Untersuchung von Interessenkonflikten. Versuche im Verfassungsgericht zum Schutz von Whistleblower anonymisierende Softwareprogramme einzusetzen, um auf der Sachebene bei der Korruptionsbekämpfung voran zu kommen, sind bemerkenswerte Pilotprojekte, die zur Nachahmung einladen.
Allgemein wurden bislang mäßige Ergebnisse in der Korruptionsbekämpfung erzielt.
Unabhängigkeit der Justiz
Für die Verteidigung der Unabhängigkeit der Justiz stehen dem HRJS keine rechtlichen Instrumente zur Verfügung: Im Falle einer unzulässigen Einflussnahme oder Bedrohung der Unabhängigkeit der Justiz können keine Sanktionen verhängt werden. Dementsprechend sind unrechtmäßige und politisch motivierte Angriffe auf die Justiz keine Seltenheit.
Die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) hat in ihrem Bericht zur vierten Evaluationsrunde erneut auf die mangelnde Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Richtern hingewiesen. Dies sei hauptsächlich eine Folge politischer Einflussnahme und Druck in der Verarbeitung bestimmter Strafsachen.
Für Aufruhr sorgten mehrere politische Unstimmigkeiten zwischen der RS-Regierung und der gesamtstaatlichen Regierung. Im Juni 2015 hat das RS-Parlament für die Abhaltung eines Referendums über die gesamtstaatliche Gerichtsbarkeit gestimmt. Beabsichtigt wird, dass künftig die Entscheidungen der BuH Gerichte in der RS keine Gültigkeit mehr finden. Es handelt sich hauptsächlich um das Staatsgericht und die zentrale Staatsanwaltschaft, die nicht in der Daytoner Verfassung vorgesehen werden und somit „verfassungswidrig und illegal“ seien. Auf Ebene des Gesamtstaates wurde dieses Vorhaben bereits als verfassungswidrig eingeordnet.
Im Dezember 2015 kam es zwischen den beiden Entitäten zudem zu einem Eklat, als die RS-Regierung einseitig die Zusammenarbeit mit der Staatspolizei SIPA und anderen gesamtstaatlichen Institutionen aufkündigte. Dabei wurde SIPA zu einer „verfassungswidrigen Institution der Staatsanwaltschaft und des Gerichtes von BuH“ erklärt und ihr verboten, auf dem Gebiet der Entität der RS zu ermitteln. Die Zusammenarbeit mit der gesamtstaatlichen Staatsanwaltschaft und dem höchsten Verfassungsgericht wurde ebenfalls vorübergehend eingestellt.
Darüber hinaus sah sich die Justiz im Frühjahr 2016 häufig Angriffen einzelner Regierungsvertreter ausgesetzt. Der Vorwurf lautete, sie würde die Handlungsfähigkeit der Regierung von BuH behindern, weil Vertreter eben dieser Regierung wegen verschiedener Delikte in Untersuchungshaft genommen worden waren. Dabei kam es im öffentlichen Raum zu Unschuldsvermutungen bzw. zu Vorverurteilungen, bei denen die Legislative massiv versuchte, auf die Judikative Einfluss zu nehmen.
Herausforderungen für das Justizwesen
Mit Unterstützung der EU wird BuH demnächst weitere Schritte in der Justizreform angehen. Prioritär bleiben die Verabschiedung EU-konformer Gesetzgebung und die (sowohl förmliche, als auch tatsächliche) Entpolitisierung des HRJS. Es bleibt nun abzuwarten, inwiefern BuH den selbst formulierten Verpflichtungen gegenüber der EU nachkommen wird.
Der Bericht entstand in Zusammenarbeit mit Adnan Kadribašić, Experte der NGO Pravnik, Bosnien und Herzegowina.
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