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Kommunalwahlen in Georgien: Um Bürgermeister ging es nur nebenbei

In Georgien fand am 2. Oktober 2021 die erste Runde der Kommunalwahlen statt.

In größeren Städten wie Tbilisi, Kutaisi, Batumi, Poti, Zugdidi, Telavi, Rustavi oder in der mittelalterlichen Hauptstadt Mtskheta u.a.m. wird die endgültige Entscheidung über die Bürgermeisterämter erst in einer Stichwahl am 30. Oktober fallen, weil keiner der Kandidaten am vergangenen Samstag mehr als 50 Prozent schon im ersten Wahlgang erreichen konnte. Diese Wahlen wurden von Faktoren beeinflusst, die wenig oder gar nichts mit lokalen Themen zu tun hatten. Zum einen galten diese Lokalwahlen als Referendum über die Legitimität der Parlamentswahlen von 2020. Diese merkwürdig anmutende Situation war dadurch entstanden, dass die Opposition die Gültigkeit der letzten Parlamentswahlen nicht anerkannt und monatelang das Parlament boykottiert hatte. In einer danach gemeinsam mit der EU ausgehandelten Vereinbarung Anfang dieses Jahres sollten die Ergebnisse der aktuellen Kommunalwahlen darüber entscheiden, ob die vorangegangenen Parlamentswahlen wiederholt werden müssten. Das wäre der Fall gewesen, wenn die Regierungspartei „Georgian Dream“ (im Folgenden: GD) am letzten Samstag weniger als 43 Prozent bekommen hätte. Sie kam auf 46,8 Prozent. Zum anderen überraschte der ehemalige Staatspräsident Mikheil Saakashvili mit einem vermeintlichen Coup. Dem im ukrainischen Exil lebenden Expräsidenten mit entzogener georgischer Staatsbürgerschaft, gegen den ein Haftbefehl vorliegt, gelang unmittelbar vor dem Wahltag die Einreise ins Land. Er bleibt eine zentrale Reizfigur des öffentlichen Diskurses, egal, ob er sich in einem georgischen Gefängnis befindet oder im Exil. Die nächsten vier Wochen bis zum notwendigen zweiten Wahlgang für die Bürgermeisterposten dürften spannend werden. Aber es stellt sich gleichzeitig die Frage, was der Expräsident, der nun schon seit über acht Jahren nicht mehr in Georgien war, tatsächlich noch bewirken kann. Für dessen einst so erfolgreiche Partei „United National Movement“ (im Folgenden: UNM) bleibt sein Wirken inklusive solcher „Coups“ eine ambivalente Angelegenheit.

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GD bleibt insgesamt stärkste Kraft - UNM mit Achtungserfolgen in den Städten

Die UNM stabilisiert sich weiter als wichtigste Oppositionskraft. Auch andere Oppositionsparteien gewinnen an Einfluss. Auch wenn es für diese nicht gereicht hat, den „Georgischen Traum“ unter 43 % zu drücken, um damit eine Neuwahl des nationalen Parlaments herbeizuführen, kann zumindest die UNM bei diesen Kommunalwahlen durchaus Erfolge vorweisen. Die UNM hat es nicht nur geschafft, sich weiter zu stabilisieren. Sie konnte noch mehr Stimmen als bei den Parlamentswahlen 2020 für sich verbuchen und liegt nun landesweit über 30%. Hinzu kommt, dass die UNM es nicht nur in zahlreichen Städten geschafft hat, übermächtige GD-Kandidaten in eine Stichwahl zu zwingen. In der Hauptstadt Tbilisi stellte sich der neue UNM-Vorsitzende Nikanori Melia als Oberbürgermeister zur Wahl. Der Abstand zum prominenten GD-Kandidaten, dem ehemaligen Fußballprofi Kakha Kaladze war mit elf Prozentpunkten zugunsten des Letzteren noch am größten. Aber in Kutaissi und Batumi erreichten die UNM-Kandidaten Khatia Dekanoidze und Giorgie Kirtadze größeren Zuspruch als die von GD. In Rustavi betrug der Vorsprung des GD-Kandidaten Nico Lacabidze gegenüber Davit Kirkitadze von der UNM lediglich 1,4 Prozentpunkte. Gibt es in absehbarer Zeit wieder UNM-Bürgermeister in Kutaissi, Batumi oder Rustavi, Städte, die nicht nur strategisch, sondern auch wirtschaftlich von großer Bedeutung sind? Die entscheidende Frage wird sein, wie sich die kleineren Oppositionsparteien diesbezüglich positionieren. Da zeichnet sich nach den Ergebnissen vom vergangenen Samstag ein „Königsmacher“ ab.

 

Ehemaliger Premierminister als „Königsmacher“

Giorgi Gakharia, der vormalige Premierminister mit durchaus seriöser internationaler Reputation, trat Anfang des Jahres überraschend zurück, verließ GD und gründete eine neue Partei: „Für Georgien“. Er oder besser gesagt, dessen Wähler könnten nun die Königsmacher in den betreffenden Städten sein, da allein deren Stimmen reichen würden, um jeweils die Mehrheit zu erreichen. Aber natürlich sind das reine Rechenspiele. Giorgi Gakharia hat bereits angekündigt, für keine Seite eine Wahlempfehlung abgeben zu wollen. Auch andere kleine Parteien wie „Lelo“ oder „Girchi“ könnten insbesondere in den Stadträten in Zukunft eine Rolle als Mehrheitsbeschaffer spielen. Der „Georgische Traum“ allein hat keine Mehrheit mehr!

Ein weiterer Trend sollte erwähnt werden. Die EVP-Partnerpartei „European Georgia“ rutscht trotz prominenter Mitglieder und langjähriger Politikerfahrung ihres Personals immer mehr in die Bedeutungslosigkeit ab. Nach den Ergebnissen vom Samstag spielt diese 2017 von der UNM abgespaltene Partei mit Politikern und ehemaligen engen Vertrauten Saakashvilis keine Rolle mehr. Giga Bokeria, Giorgi Kandelaki oder Giorgi Tsereteli scheinen sich endgültig verzockt zu haben.

 

Die Rückkehr: kalkulierter „Coup“ oder endgültige Niederlage?

All diese Überlegungen über Mehrheitsverhältnisse in den Provinzparlamenten etc. sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass für ganz Georgien die extrem polarisierte Situation bestehen bleibt. Die Frage, ob eventuell Vertreter der UNM durch den Gewinn von Bürgermeisterposten die Allmacht der Regierungspartei GD brechen könnten, verblasste spätestens mit der Ankündigung, der ehemalige Präsident Mikheil Saakashvili wolle am Wahltag wieder georgischen Boden betreten. Nach einem scheinbar von ihm selbst abgesetzten Post wollte er zwei Stunden nach Schließung der Wahlkabinen in Georgien persönlich erscheinen, acht Jahre nach Beginn seines politischen Exils.

Am Wahltag machte im Internet ein Video die Runde, das ihn nachts angeblich in Batumi zeigte, also auf georgischem Boden. Andere Bilder ließen ihn vor aktuellen Wahlplakaten auf anonymen Straßen in die Kamera lachen. Zwei Stunden später sah man den ehemaligen Staatspräsidenten stolz lachend, wie er von zwei Sicherheitsbeamten abgeführt wurde und zwar in der Hauptstadt Tbilisi. Nach offiziellen Informationen sitzt er seither in einem Gefängnis in Rustavi ein. Eine von Saakashvili angekündigte Kundgebung für Sonntag, den 3. Oktober im Zentrum Tbilisis kam nicht zustande. Zu einer Kundgebung der UNM in der Nähe des Gefängnisses in Rustavi kamen deutlich weniger Teilnehmer als zuvor angenommen. Ist der „Micha-Effekt“ verpufft und nur noch eine leere Drohung der Opposition?

 

Georgiens politische Elite und deren fataler Hang zur „Abrechnung“

Sprechen die durchaus positiven UNM-Wahlergebnisse vom vergangenen Samstag für oder gegen Mikheil Saakashvilis hoch riskantes Spiel? Oder platzt da gerade nur eine mediale „Blase“? Die Wahlbeteiligung von gerade mal 51 Prozent macht nicht den Eindruck, als ließe sich ein Großteil der Bevölkerung von der ewigen „Bidzina versus Micha“ - Rhetorik groß beeindrucken. Wenn oben von einer „polarisierten Situation“ die Rede war, so bezieht sich das nur auf den politisch aktiven Teil der Bevölkerung. Am Sonntag, dem Tag nach der Wahl und der Festnahme M. Saakashvilis, äußerte der amtierende Premierminister Irakli Garibashvili, dies sei der „Tag von Bidzina…“. Gemeint war damit, dass mit der Verhaftung Saakashvilis und der Androhung einer langjährigen Haftstrafe der Oligarch und tatsächliche politische Strippenzieher in Georgien, Mäzen, Gründer und Finanzier der Partei GD, Bidzina Ivanishvili, die Auseinandersetzung mit dem vormaligen Präsidenten endgültig gewonnen habe. Die Alltagssorgen der georgischen Bürger hingegen fanden kaum Aufmerksamkeit, trotz wirtschaftlicher Krise und einem dramatischen Verlauf der Pandemie.

 

Georgien bleibt politisches Hochdruckgebiet

All dies sind zwar nur Momentaufnahmen. Aber es ist noch nicht abzusehen, wie diese Situation den öffentlichen Diskurs weiter beeinflusst. Damit bleibt es weiter spannend! Gleichzeitig bleiben strukturelle Probleme weiter unangetastet und verschärfen sich zum Teil weiter. Dazu gehört, dass die Regierungspartei auf finanzielle und administrative Ressourcen zugreift, die für die anderen Parteien unerreichbar sind und auch vor dem Rückgriff auf Geheimdienste nicht zurückzuscheuen zu scheint. So kostete der Wahlkampf von GD beispielsweise mehr als 5 Millionen Lari (entspricht ca. 1,4 Millionen Euro), die größte Oppositionspartei UNM dagegen konnte nur etwa 66.000 Lari (entspricht ca. 18.000 Euro) für ihren Wahlkampf aufbringen. Darüber hinaus versucht die Regierungspartei weiterhin durch einen Diskurs, der vor Beschimpfungen wie „Verräter“ oder „Feind“ oder „Bolschewik“ nicht zurückschreckt und Vertretern der Opposition damit droht, nach den Wahlen mit ihnen „aufzuräumen“, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren. Auch Vertreter anderer politischer Parteien befleißigen sich einer Rhetorik, die Zweifel aufkommen lässt, ob Georgiens Demokratie bereits auf festen Fundamenten steht. Inakzeptable personelle Beleidigungen, Androhung und offen zur Schau getragene Bereitschaft zur Gewalt waren leider auch Komponenten in diesem Wahlkampf. Aber die politische Elite eines Landes, das seit Jahren die Aufnahme in die EU zu einem wichtigen außenpolitischen Narrativ erklärt hat, muss sich daran messen lassen. Sowohl internationale Wahlbeobachtermissionen der OSZE, aber beispielsweise auch die US-Botschaft in Tbilisi monierten in offiziellen Statements ganz klar diese Formen des Wahlkampfes.

 

Zusammenfassung

Abschließend bleibt festzustellen, dass GD keine alleinige Mehrheit mehr hat. Gleichzeitig dominieren GD und UNM weiter die politische Landschaft.

Ist Mikheil Saakashvilis Weg vom erfolgreichen Volkstribun und Reformator in der eigentlichen postsowjetischen Zeit von 2003 bis 2013 hin zum prominenten Insassen einer traurigen Gefängniszelle in Rustavi damit politisch am Ende? Dann wäre dieser Tag eine ernstzunehmende Zäsur nicht nur für die ehemalige Reformerpartei UNM, sondern für ganz Georgien. Sollte die UNM sich selbst eingestehen, nach der letzten Parlamentswahl einen weiteren, erfolgreichen Wahlkampf geführt zu haben, dann müssen sich deren Führungskader die Frage beantworten, ob sie dies wegen oder trotz ihres bisherigen Heroen Mikheil Saakashvili erreicht haben.

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Stephan Malerius

Stephan Malerius

Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus

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