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Länderberichte

Wer ist schuld am Krieg im Kaukasus?

Kriegspropaganda und die Rolle der Medien.

Im August 2008 eskalierte der lange schwelende Konflikt zwischen Georgien und der Russischen Föderation um die von Georgien abtrünnige Region Südossetien in einen offenen Krieg. Der Jahrestag des Kriegsbeginns ist für die internationalen Medien ein wichtiges Thema. Aber welche Rolle spielen die Medien selbst diesem Konflikt?

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„Wer ist schuld am Krieg im Kaukasus?“ Um diese Frage wurde vom ersten Kriegstag an eine harte Auseinandersetzung zwischen Georgien und Russland geführt.

Das Leitmedium Fernsehen spielt eine problematische Rolle

Um gegenüber der eigenen Bevölkerung die Deutungshoheit über die Ereignisse im Kaukasus an sich zu ziehen, setzt die Russische Föderation auf ihre Medienmacht: Insbesondere über das Fernsehen wird die Regierungsmeinung im russophonen Raum verbreitet. Auch die georgischen Fernsehsender berichten einseitig und weisen die alleinige Kriegsschuld Russland zu. Insgesamt spielt das Fernsehen als Leitmedium sowohl in Georgien als auch in der Russischen Föderation eine sehr problematische Rolle im Konflikt der beiden Länder. Ausgewogene, kritische, solide recherchierte Berichterstattung wird nicht geboten. Über die eigene Bevölkerung hinaus, wendet sich der russische Fernsehsender „Russia Today“ zudem in englischer Sprache mit bisweilen fragwürdi-gen Inhalten zu den Geschehnissen im Kaukasus an Zuschauer in Nordamerika und Europa. Hier kann das kleine Georgien nicht mithalten.

Doch blicken wir zurück: Während der ersten Tage im offenen Krieg zwischen Georgien und der Russischen Föderation schien es zunächst so, als ob die Kaukasusrepublik Georgien das Spiel um die Fernsehbilder gewinnen würde: Als die Russische Föderation noch nach geeigneten Personen für die Interviewanfragen westeuropäischer Fernsehkanäle suchte, waren perfekt deutsch-sprechende georgische Think Tank-Vertreter und Regierungsmitarbeiter bereits in den deutschen Abendnachrichten zu sehen. Die Bilder vom brennenden Gori liefen weltweit über die Bildschirme. Aus Zchinwali gab es kaum unabhängige Berichterstattung. Der georgische Präsident war live auf zahlreichen westlichen Fernsehsendern zu sehen. Er nahm per Fernschaltung an Talk-Shows teil und erläuterte die georgische Sicht der Dinge. Die georgische Regierung lancierte zudem eine moderne Kampagne: „Stop Russia!“ Der Slogan „We will not surrender!“ beschwor die Bilder vom Kampf „eines kleinen gallischen Dorfes gegen das römische Imperium“ herauf. Und brachte Georgien viel Sympathie ein.

Bis heute tut die georgische Regierung einiges, um ihrer Sicht auf den Krieg breite Aufmerksamkeit zu verschaffen. Verwiesen sei beispielsweise auf den aktuellen Namensartikel von Präsident Saakaschwili in der Washington Post (6. August 2009) und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10. August 2009). Der Artikel ist moderat im Ton und konterkariert das Bild vom unbere-chenbaren, cholerischen Präsidenten, das die russische Regierung immer wieder gerne zeichnet.

Man ist besorgt über die Verbreitung „russischer Interpretationsmuster“

Und dennoch: Im Internet-Netzwerk „Facebook“ klagen etliche georgische Nutzer darüber, dass die internationale Berichterstat-tung zunehmend die „russischen Interpretationsmuster“ übernimmt: Die georgische Armee habe Zchinwali angegriffen, um einen Völkermord an den Südosseten zu be-gehen. Die russische Armee habe ihre Bürger schützen müssen. Der georgische Präsident sei ein Diktator, der sein Volk unterdrücke.

Folgende Erklärung bieten die Georgier für dieses Phänomen an: Die meisten ausländischen Korrespondenten hätten ihren Sitz in Moskau. Sie kämen nur selten und jeweils für wenige Tage in die Kaukasusrepublik. Georgisch spräche im Gegensatz zu Russisch so gut wie niemand. Die russische Propaganda schleiche sich durch ihre massive Verbreitung über die russischen Fernsehkanäle langsam in die internationale Berichterstattung ein. Einfach von der Hand zu weisen ist diese Ansicht nicht. Hinzu kommt jedoch auch folgendes: Vieles in dem kleinen Kaukasusland ist kompliziert. Politik stellt sich als „Gummitwist“ zwischen Freundschaft- und Feindschaftsbanden dar, die mitunter Generationen überspannen. Die postsowjetische Vorliebe für Verschwörungstheorien macht es für internationale Berichterstatter häufig schwierig, von Ge-sprächspartnern plausible Zusammenhänge aufgezeigt zu bekommen. Wer hier Hintergründe verstehen will, muss Zeit und Geduld mitbringen. Beides ist für Journalisten im heutigen schnelllebigen Medienzeitalter kaum zu realisieren.

Alternative Informationsquellen im Internet

Das Internet hilft, alternative Informationsquellen über Georgien abseits der gelenkten Medien zu erschließen: Mit Civil.ge gibt es ein Nachrichtenportal, das gute journalistische Qualität in georgischer und englischer Sprache anbietet. Die Analysen regierungskritischer russischer Journalisten sind im Internet zu finden. Die schreibende Zunft in Georgien ist ohnehin überwiegend regierungskritisch eingestellt und publiziert ihre Ansichten sowohl im Internet als auch relativ unbeschränkt in den georgischen Printmedien. Mit wenig Rechercheaufwand gelingt es, ein kontrastreicheres Bild von den Ereignissen im Kaukasus zu erhalten.

Aber wie verlässlich sind diese Informationen? Wer prüft Quellen? Wer bürgt für die Qualität der Analysen im Internet? Schließlich darf nicht vergessen werden, dass auch im Internet die Auseinandersetzung über die Interpretation der Geschehnisse im Kaukasus tobt.

Liest man die Redaktionskommentare bei der viel genutzten Online-Enzyklopädie Wikipedia zum Thema „South Ossetia“, wird exemplarisch klar, wie verhärtet die Fronten zwischen der pro-russischen und pro-georgischen Position sind: Man kann sich dort noch nicht einmal auf einen Namen für den Krieg im letzten August einigen. Russisch-georgischer Krieg, Georgisch-russischer Krieg, August-Krieg, Kaukasus-Krieg? Kein Konsens in Sicht.

Vor diesem Hintergrund verwundert auch ein aktueller Vorfall wenig: Spiegel-Online berichtet kurz vor dem Jahrestag des 8. August 2008 über einen elektronischen Angriff auf die Micro-Blogging Dienste Twitter, Fa-cebook, LiveJournal und YouTube. Ziel des Angriffs war es, den georgischen Nutzer „Cyxymu“ zum Schweigen zu bringen. Cy-xymu ist russisch für „Suchumi“, die abchasische Hafenstadt. Der georgische Internet-Nutzer Cyxymu äußerte sich immer wieder russlandkritisch zu Fragen rund um die Konflikte im Kaukasus.

Insgesamt muss man feststellen: Es steht schlecht um die Medienfreiheit im Kaukasus. Während die Printmedien in Georgien weitgehend frei arbeiten können, haben die Funkmedien große Probleme unabhängig zu berichten. Die Situation der russischen Medien ist bekannt. Damit die Medien in der Region nicht mehr zu Propagandazwecken missbraucht werden, sondern frei und unabhängig Informationen liefern können, sind noch viele Anstrengungen notwendig. Die Förderung von Medienfreiheit und einer westlichen journalistischen Standards genügenden Berichterstattung sind jedoch gleichzeitig wichtige Beiträge zur Konfliktbeilegung im Kaukasus. Nur wer verlässli-che Informationen hat, kann zukunftsweisende Entscheidungen für ein friedliches Miteinander treffen.

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Kontakt

Dr. Thomas Schrapel

Dr

Direktor des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus

thomas.schrapel@kas.de +995 32 2 459112
+995 32 2 459113

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