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Wahlhandbuch Ukraine 2010 - Ergänzungen zur zweiten Runde

von Nico Lange, Anna Reismann
Bei der Stichwahl am 7. Februar treten zwei Kandidaten gegeneinander an - Oppositionsführer Wiktor Janukowytsch und Premierministerin Julija Tymoschenko. Die häufig gestellten Fragen zu Geschehnissen der letzten Wochen und möglichen Wahlmanipulationen während des zweiten Wahlgangs soll die folgende Beilage zum Wahlhandbuch Ukraine 2010 beantworten.

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1. WAHL AUßERHALB DER WAHLLOKALE

HAT DIE SOGENANNTE WANDERURNE ZU WAHLMANIPULATIONEN BEIM ERSTEN WAHLGANG GEFÜHRT?

Die Möglichkeit der Stimmabgabe außerhalb der Wahllokale (von Zuhause aus) haben maximal 3% der Wähler genutzt. Dabei sind keine groben Verstöße registriert worden. In Einzelfällen sind von den Wählern eigenhändig unterzeichnete, jedoch in Computerschrift erstellte Anträge mit demselben Inhalt eingereicht worden. Dies ist mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Unterstützung seitens einzelner Wahllokale bei der Antragsstellung zurückzuführen. Eine Absicht der Wahlmanipulation konnte nicht festgestellt werden, so z.B. keine geographischen Besonderheiten oder Auffälligkeiten bei Wahlergebnissen.

WAR AM WAHLTAG EIN ÄRZTLICHES ATTEST NOTWENDIG, UM AUßERHALB DES WAHLLOKALS WÄHLEN ZU KÖNNEN?

Der Streit um die Vorlage eines ärztlichen Attests, der unmittelbar vor dem Wahltag stattfand, führte zu vielen Unklarheiten. Das ukrainische Wahlgesetz schreibt kein ärztliches Attest vor. Das Kiewer Berufungsgericht für Verwaltungsangelegenheiten schrieb jedoch in seiner Entscheidung vom 16. Januar die Notwendigkeit eines Attests vor. Der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission (ZWK) gab bei der Sitzung am 17. Januar, 10.00 Uhr an, der ZWK liege diese Entscheidung nicht vor; darüber hinaus gelten für die Durchführung der Wahl die gesetzliche Regelungen und kein Gerichtsurteil. Damit war das ärztliche Attest nicht notwendig. Selbiges gilt für den zweiten Wahlgang.

2. MÖGLICHE MANIPULATIONEN IN DEN WAHLLOKALEN

SIND BEIM ERSTEN WAHLGANG GROBE VERLETZUNGEN DES WAHLRECHTS VON SEITEN DER WAHLLOKALWAHLKOMMISSIONEN FESTGESTELLT WORDEN?

Beim ersten Wahlgang sind keine groben Verletzungen von Seiten der Wahlkommissionen in Wahllokalen festgestellt worden. Insgesamt gilt: 69% der Wahllokale nahmen ihre Arbeit pünktlich auf, 30% mit einer Verspätung von unter 30 Minuten, 1% mit einer Verspätung von über einer Stunde. Dabei konnte keine Absicht der Wahlmanipulation festgestellt werden. Die Vorfälle sind vor allem auf schlechte Wetterverhältnisse und Verspätungen der Kommissionsmitglieder zurückzuführen.

WIE PROFESSIONELL SIND DIE KOMMISSIONSMITGLIEDER?

Nach den aktuellen Schätzungen geht man davon aus, dass 60% der Kommissionsmitglieder auf der Wahllokalebene schlecht vorbereitet sind. Gründe dafür sind: altersbedingter Personalmangel, schlechte Bezahlung der Kommissionsmitglieder und ständige Änderungen des Wahlgesetzes im Vorfeld der Wahlen.

Während erfahrene Kommissionsmitglieder aus Altersgründen aus den Wahlkommissionen ausscheiden, verfügen ihre jungen Kollegen weder über Erfahrung noch über das notwendige Wissen. Die von Seiten der Kandidaten benannten Kommissionsmitglieder werden auf ihre Aufgaben unzureichend bis gar nicht vorbereitet.

Vor dem ersten Wahlgang kam es vermehrt zum Ausscheiden der Kommissionsmitglieder, weil sie für ihre Aufgabe entgegen den Zusicherungen von Seiten der Kandidaten nicht entlohnt werden konnten. Einige Kandidaten konnten damit in manchen Gebieten kein notwendiges Quorum erfüllen. Darüber hinaus wurde vielen Kommissionsmitgliedern unerwartet die Rolle des Vorsitzenden oder des Beisitzers angetragen, die sie ablehnten und so aus der Kommission ausschieden. Noch am Wahltag mussten Mitglieder der Wahllokalwahlkommissionen ausgetauscht werden, was zu Verzögerungen des Wahlprozesses führte, da eine neue Kandidatur erst einer Zustimmung der übergeordneten Wahlkommission bedurfte.

SIND GRÖßERE WAHLMANIPULATIONEN BEIM ZWEITEN WAHLGANG VON SEITEN DER WAHLLOKAL- UND WAHLKREISWAHLKOMMISSIONEN ZU ERWARTEN?

Es ist davon auszugehen, dass beide Kandidaten genug Personal haben, um die Wahlkreis- und die Wahllokalwahlkommissionen paritätisch zu besetzen. Auf der Ebene der Wahlkreise müssen es jeweils sieben Kandidaten von jeder Seite sein. Auf der Ebene der Wahllokale acht. Wahrscheinlich wird es dazu kommen, dass Kommissionsmitglieder ausgeschiedener Kandidaten abgeworben werden. Dies könnte die Wähler in ihrem Abstimmungsverhalten beeinflussen, sollte ihnen bekannt sein, welchen Kandidaten das betroffene Kommissionsmitglied im ersten Wahlgang repräsentiert hat.

Ein weiteres Problem sind die „erkauften schwarzen Schafe“ unter den Kommissionsmitgliedern, die offiziell von einem Kandidaten gestellt werden, jedoch im Sinne des zweiten handeln.

Beim zweiten Wahlgang ist davon auszugehen, dass paritätisch besetzte Wahlkommissionen kaum tatsächliche Wahlmanipulationen ermöglichen werden, so dass jeglichen Vorwürfen der Wahlfälschung mit großer Vorsicht zu begegnen sein wird.

3. WAHLBETEILIGUNG

FÜHREN PROBLEME MIT DEM WÄHLERREGISTER ZU WAHLMANIPULATIONEN?

Bislang hat das fehlerhafte Wählerregister vor allem zu Wahlenthaltung und „Einzelkämpfen“ um das eigene Wahlrecht geführt. Erst seit 2007 werden Wählerlisten nicht mehr ad hoc gebildet, sondern auf Basis eines elektronischen Wählerregisters. Dieses ist bis heute in einem mangelhaften Zustand, was dazu führt, dass manche Wähler nicht geführt werden, während andere sich doppelt in der Wählerliste wiederfinden. Aber auch bei diesen Mängeln war im ersten Wahlgang keine Absicht der Wahlmanipulation festzustellen. Es gibt keine klaren Zahlen; Schätzungen einiger Wahlbeobachter zufolge ist ca. 1% derjenigen, die sich in der Wählerliste nicht „entdeckt haben“, der Wahl ferngeblieben. Viele haben jedoch noch am Wahltag eine langwierige Prozedur auf sich genommen, um abstimmen zu können. Ungefähr 2% der Wähler wurden auf zusätzlichen, handschriftlich verfassten Wählerlisten am Wahltag registriert.

SIND SCHWIERIGKEITEN MIT DER WÄHLERREGISTRIERUNG AUCH IM ZWEITEN WAHLGANG ZU ERWARTEN?

Ja. Zum einen ist anzunehmen, dass am zweiten Wahlgang Wähler teilnehmen werden, die dem ersten Wahlgang ferngeblieben sind. Zum zweiten kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die beim ersten Wahlgang gewonnenen Informationen vollständig eingearbeitet worden sind. Bereits beim ersten Wahlgang haben viele der Wähler sich bereits im Vorfeld der Wahlen an die zuständigen Behörden gewandt und einen Eintrag in das Wählerregister veranlasst. Dies führte oft zu keinem Ergebnis. Seit dem ersten Wahlgang zeigen sich die zuständigen Behörden außerdem intransparent.

Insgesamt gilt: Bei einer nachgewiesenen Zugehörigkeit zu einem bestimmten Wahllokal kann das Wahlrecht noch am Wahltag „erkämpft“ werden. Aufgrund der Tatsache aber, dass besonders in Großstädten viele Hinzugezogene an ihrem Wohnort nicht gemeldet sind, bleiben die meisten von ihnen der Wahl fern. Die Gründe für die fehlende Registrierung sind bürokratische Hürden und „Schattenmietverträge“, um Steuerzahlungen zu vermeiden.

AM ABEND STIEG DIE WAHLBETEILIGUNG DRASTISCH AN – EIN ANZEICHEN FÜR WAHLFÄLSCHUNG?

Beim ersten Wahlgang konnte bis ca. 18.00 Uhr eine relativ geringe Wahlbeteiligung beobachtet werden. Erst am Abend stiegen die Zahlen erheblich an. Diese Entwicklung deckt sich jedoch weitgehend mit den Feststellungen der Wahlbeobachter. Beim zweiten Wahlgang wollen einige der Beobachter ihr Ergebnis durch eine zusätzliche Stichprobe verbessern. Die Wahlbeteiligung soll um 11.00, 15.00 und 20.00 Uhr festgestellt werden.

Bislang ließ der Anstieg der Wahlbeteiligung zum Abend hin auf keine Manipulationen schließen.

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23. Dezember 2009
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