Länderberichte
Ein weiteres wichtiges Thema des Besuchs war die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), welche derzeit zwischen der EU und den USA verhandelt wird. Dazu hielt die Kanzlerin eine Rede vor 350 Wirtschaftsvertretern in der Chamber of Commerce (Handelskammer).
Der Besuch war eine Gelegenheit, bei allen Fragen zur Krise in der Ukraine sowie bei TTIP transatlantische Einigkeit zu de-monstrieren. Beim Thema NSA-Skandal ist man sich weiter uneins, jedoch wurde ein weiter gehender Dialog zu Cyberfragen verabredet.
Ukraine
Beide Seiten waren sich auf der ge-meinsamen Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses einig, dass Russlands Vorgehen in der Ukraine internationales Recht verletzt und Konsequenzen haben muss. Obama konzedierte Russland zwar legitime Interessen in seiner Nachbarschaft. Russland habe aber die Nachkriegsordnung in Frage gestellt und die territoriale Integrität der Ukraine verletzt - darin war man sich einig. Als entscheidendes Datum für weitere Sanktionsschritte wurde von beiden die Präsidentschaftswahl in der Ukraine am 25. Mai 2014 genannt. Sollte Russland keine konstruktive Rolle spielen, seien weitere Sanktionen nicht mehr zu vermeiden, so Merkel. Außerdem riefen beide Russland dazu auf, das Genfer Abkommen umzusetzen.
Beide waren sich zudem einig, dass eine diplomatische Lösung vorzuziehen wäre, dass aber Sanktionen folgen müssen, sollte Russland seinen Kurs nicht ändern. Sanktionen seien kein Ziel an sich, so Merkel. Gemeinsam stehe man auch bei der Unterstützung der Ukraine.
Welche Sanktionen gegen Russland ergriffen werden, konnten beide Seiten jedoch noch nicht konkret sagen. Dazu finde weiterer Austausch statt. Beide sprachen von der Möglichkeit, dass Sanktionen verschiedene Bereiche über den Energiesektor hinaus betreffen könnten - etwa Finanz- und Militärsektor sowie der Bereich der Kreditbürgschaften.
Von militärischen Maßnahmen war keine Rede. Obama stellte jedoch die besondere Bedeutung der NATO in der gegenwärtigen Situation heraus und lobte den deutschen Beitrag zur Sicherung des baltischen Luftraumes. Außerdem komme der OSZE eine zentrale Rolle zu - auch darin zeigten sich beide Seiten einig.
Obama lobte Merkel nicht nur in ihrer Führungsrolle bei der Integration Europas, sondern hob auch ihre Rolle bei einer möglichen diplomatischen Lösung der Ukraine-Krise hervor.
NSA
Beide Seiten waren sich auf der Pressekonferenz einig, dass es angesichts der globalen Herausforderungen auch eine enge Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet der Geheimdienste geben müsse. Obama kündigte die Fortsetzung der engen Zusammenarbeit im Justiz- und Geheimdienstbereich sowie bei der Cybersicherheit an. Gleichzeitig machte die Bundeskanzlerin deutlich, dass derzeit noch unterschiedliche Meinungen hinsichtlich der Balance von Sicherheit und dem Schutz der Privatsphäre besteht. Außerdem müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, so Merkel kritisch gegenüber Obama.
Beide Seiten kündigten einen „Cyberdialog“ an, um diese Fragen weiter zu klären. Ein No-Spy-Abkommen hatten die USA schon im Vorfeld eine Absage erteilt - ein solches Abkommen haben die USA mit keinem Staat, so Obama.
In ihrer Rede vor der Handelskammer fügte die Bundeskanzlerin noch hinzu, dass Europa in Zukunft auch selbst mehr Hochtechnologie entwickeln müsse, um dann auch bei der Rahmensetzung mithalten zu können.
TTIP
Auch in der hohen Bedeutung von TTIP für beide Seiten des Atlantiks waren sich Obama und Merkel einig - gerade auch für die zukünftige Energiepolitik. TTIP mache eine Diversifizierung von Energiequellen einfacher.
Die Bundeskanzlerin hob in ihrer Rede vor der Handelskammer hervor, dass die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen Grundlage für unseren Wohlstand in Deutschland seien. TTIP nannte sie ein "Schlüsselvorhaben" und erinnerte an ihre Initiativen seit 2007 - etwa mit dem Transatlantic Economic Council (TEC) - als Keimzelle der jetzigen Verhandlungen. Kritikern erwiderte sie, dass die Verhandlungen mit hoher Transparenz geführt würden und die Öffentlichkeit weiter einbezogen werden solle. Gleichzeitig wolle man sich Spielraum für zukünftige Regulierungen erhalten.
Ziel müsse zudem weiter bleiben, die WTO voranzubringen. Gegenwärtig seien aber bilaterale Abkommen aussichtsreicher, die jedoch auch die Chancen für die WTO erhöhten, so Merkel.
Innenpolitischer Kontext
Der Besuch der Kanzlerin fand in einem innenpolitische Kontext in den USA statt, welcher durch die anstehende Kongresswahl im kommenden November geprägt ist. Nach derzeitigem Stand haben die Republikaner realistische Chancen, den Senat für sich zu gewinnen. - Am Tag des Besuches der Bundeskanzlerin wurden die neuen Arbeitsmarktzahlen veröffentlich. Der Präsident nahm die Pressekonferenz mit der Kanzlerin so auch zum Anlass, auf die guten aktuellen Zahlen hinzuweisen. Im April hatte die Wirtschaft 288.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, die Arbeitslosenquote fiel auf 6,3 Prozent. Dies sind gute Nachrichten für den angeschlagenen Präsidenten.
Die Zustimmungsraten für Obama bewegen sich derzeit deutlich unter 50%. Grund dafür dürfte auch die holprige Einführung der Gesundheitsreform sein. Die gesunkene Beliebtheit des Präsidenten hat auch zu Folge, dass sich demokratische Kandidaten, deren Wahl im November besonders gefährdet scheint, im Wahlkampf lieber nicht mit dem Präsidenten zeigen wollen. Jede Gelegenheit ist deshalb für den Präsidenten willkommen, Erfolge verkünden zu können.
Auch das besprochene Handelsabkommen dient innenpolitischen Zielen: Es soll nicht zuletzt Arbeitsplätze in den USA (und Europa) schaffen, in einer Zeit, wo fiskalische und monetäre Instrumente zur Stimulierung der Wirtschaft kaum zur Verfügung stehen. TTIP wird derzeit deshalb (anders als die meisten anderen Themen) von Demokraten und Republika-nern weitgehend unterstützt, nicht zuletzt angesichts seiner strategischen Bedeutung. Im Vergleich zu Deutschland ist das Handelsabkommen jedoch in den USA viel weniger im öffentlichen Bewusstsein und wird weniger emotional diskutiert. Umstrittener ist jedoch das ebenso gegenwärtig verhandelte Transpazifische Handelsabkommen (TPP).
Außenpolitischer Kontext
Die gegenwärtige außenpolitische Debatte prägt eine zunehmende Abkehr von außenpolitischem Engagement. Am Tag vor dem Besuch der Kanzlerin veröffentlichte das Wall Street Journal eine Umfrage, wonach 47% der Befragten sich wünschen, dass sich die USA weiter von der internationalen Bühne zurückziehen. Dem entspricht einerseits die bisherige wenig profilierte (und bislang meist glücklose) Außenpolitik des Präsidenten sowie die immer wieder deutlich artikulierte Erwartung der US-Administration, dass sich die Partnerstaaten in Zukunft stärker auch in sicherheitspolitischen Fragen engagieren.
So hat Verteidigungsminister Chuck Hagel erst am Tag des Besuchs der Kanzlerin bei einer Veranstaltung anlässlich des 20. Jahrestages der Osterweiterung der NATO betont, dass die USA in Zukunft noch stärker auf Zusammenarbeit mit den NATO-Partnern setzen würden. Die Partner müssten mehr für Verteidigung ausgeben. Dazu forderte er, dass zukünftig auch die Finanzminister in die NATO-Treffen einbezogen werden sollten.
Gleichzeitig machte er aber auch deutlich, dass in Zukunft Zusammenarbeit mehr bedeutet als sich in Verteidigungshaushalten widerspiegelt. Hier sprach er zentrale Themen an, welche auch beim Besuch der Kanzlerin eine Rolle spielten: Die Kooperation im Bereich der Energiesicherheit und die vertiefte Wirtschaftskooperation. In Bezug auf die Frage, ob die NATO-Osterweiterung Russlands Aggression in der Ukraine hervorgerufen habe, betonte er, dass die NATO von vornherein die Partnerschaft mit Russland gesucht hatte, etwa durch den NATO-Russland Rat oder die "Partnership for Peace".
Deutschlands zentrale Rolle aus US-Perspektive
Insofern trifft der Dialog der Kanzlerin mit dem US-Präsidenten in eine Zeit, wo der Fokus vor allem auf innenpolitischen Fragen liegt und die Außenpolitik eher im Hintergrund steht.
Gleichzeitig hat die Ukraine-Krise für viele Analysten hier endgültig gezeigt, dass das "Ende der Geschichte" eine Illusion war und sich Herausforderungen ganz neu stellen. Hier setzen die USA vor allem auf stärkeres Engagement der Partner. Insbesondere die transatlantische Partnerschaft bekommt hier neue Impulse. Deutschland kommt darin eine Schlüsselstellung zu. Nach der entscheidenden Rolle Deutschlands für die Überwindung der Staatsschuldenkrise wird auch für die Sicherheit in Europa (und darüber hinaus) an Deutschland besondere Erwartungen gerichtet.
Die Ankündigung einer profilierteren Außenpolitik Deutschlands, etwa durch die Reden des deutschen Präsidenten, der Verteidigungsministerin und des Außenministers wurde hier besonders aufmerksam zur Kenntnis genommen. Die Ukraine und vor allem der Umgang mit Russland wird dafür nun als eine wichtige Bewährungsprobe gesehen. Einerseits wird weithin anerkannt, dass Deutschland besonders eng mit der russischen Wirtschaft verflochten und von Energie abhängig ist. (Allerdings gibt es auch ein Reihe US-amerikanischer Unternehmen wie Boeing, Exxon Mobil, PepsiCo, welche auf dem russischen Markt sehr aktiv sind). Gleichzeitig folgt aus der besonderen Position Deutschlands auch häufig die Hoffnung, dass die offenen Kanäle - auch der Kanzlerin - zu Russland jetzt auch besonders hilfreich sein können.
Denn auch in der Debatte in den USA setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass - wie Henry Kissinger in einem Meinungsbeitrag für die Washington Post am 5.3.2014 schrieb - langfristig eine Lösung mit Russland für die Krise in Osteuropa gefunden werden muss.
Die gegenwärtigen Entwicklungen in Osteuropa waren für den US-Präsidenten und die deutsche Bundeskanzlerin eine Gelegenheit, Einigkeit zu demonstrieren. Bis in jüngste Zeit wurde immer wieder beklagt, dass sich die transatlantischen Partner in den vergangenen Jahren in wichtigen außenpolitischen Fragen uneinig waren (Irak, Libyen werden als besonders augenfällige Beispiele genannt). In Bezug auf die Ukraine scheint dies nun anders zu sein.
Auch wenn der Besuch gegenüber dem vergangenen Besuch der Bundeskanzlerin in Washington DC vor drei Jahren weniger emotional war, so haben die besprochenen Themen doch deutlich gemacht, wie wichtig die transatlantische Partnerschaft für beide Seiten ist.