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Länderberichte

Präsident Obama und Guantánamo

von Dr. Norbert Wagner
Am 22. Januar 2009, nur zwei Tage nach seiner Amtseinführung, verkündete Präsident Obama, bis spätestens Januar 2010 das Gefängnis in der Guantánamo-Bucht schließen zu wollen. Feierlich unterzeichnete er eine entsprechende Verfügung (executive order). Von nahezu allen Seiten wurde seine Ankündigung begeistert begrüßt. Es galt, einen Makel zu beseitigen, der den Anspruch der USA, ein Rechtsstaat zu sein, in dem Verfassung und Recht für jedermann in gleicher Weise gelten, befleckte. Auch John McCain hatte sich im Wahlkampf dafür ausgesprochen, Guantánamo zu schließen.

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Dabei war das Guantánamo Gefängnis nicht eingerichtet worden mit der Absicht, rechtsstaatliche Grundsätze zu verletzen. Vielmehr kam die Bush- Administration zum Schluss, die Einrichtung dieses Gefängnisses sei notwendig, um dem besonderen Status der gefangengenommenen Terroristen (enemy combatants) gerecht zu werden. Einerseits sind sie keine „gewöhnlichen“ Kriminellen, die in normalen Strafrechtsverfahren in den USA abgeurteilt werden könnten. Anderseits sind sie auch keine Kriegsgefangenen, für die die Genfer Konvention gilt.

Die juristischen Überlegungen zum Status der Guantánamo-Häftling spielten aber schon geraume Zeit bei der Diskussion über die Zukunft des Gefängnisses nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr wollte Präsident Obama mit seinem Beschluss ein Zeichen setzen, nach Innen und wohl vor allem auch nach Außen.

Ähnliches gilt auch für die Diskussion über Folter. Schon im Wahlkampf hatten beide Kandidaten, John McCain und Barack Obama, die Anwendung von Folter klar abgelehnt. Nicht nur weil die Qualität von mit Folter gewonnenen Erkenntnissen eher zweifelhaft sei. Sondern vor allem, weil sie Folter grundsätzlich verurteilten. Gerade die Vereinigten Staaten müssten ihrem hohen Anspruch gerecht werden und in dieser Hinsicht ein leuchtendes Vorbild sein.

Die jüngste Veröffentlichung von Unterlagen über Foltermethoden und -praktiken des CIA und ihrer rechtlichen Begründung durch die Bush-Administration war ein weiterer Beleg für die neue Politik von Präsident Obama. Er hätte wohl auch entsprechende Photos veröffentlichen lassen, hätten ihm seine Berater, insbesondere einige Generäle, nicht davon abgeraten.

Wohin mit den Häftlingen?

Der Höchststand der Anzahl der Insassen im Guantánamo-Gefängnis betrug 779. Davon sind bisher 534 freigelassen worden. Fünf sind in der Haft verstorben. 240 sind zur Zeit noch inhaftiert.

Nach Meinung von US Attorney General Eric Holder (29. April) könnten 30 sofort frei gelassen werden („cleared to be released“). Ein Gefangener, Lakhdar Boumediene, ist seitdem nach Frankreich entlassen worden.

Darüber hinaus gibt es noch eine große Zahl von staatenlosen Gefangenen, die freigesprochen wurden. Die Zahlangaben variieren. es dürfte sich um rund 90 handeln, darunter auch die 17 Uighuren, für deren Aufnahme in Deutschland Eric Holder Ende April in Berlin warb.

Die Bush-Administration beabsichtigte, 80 Gefangene vor Militärkommissionen anzuklagen. Im Wahlkampf hatte Obama diese Kommissionen heftig kritisiert („enormous failure“) und ihre Tätigkeit nach seinem Amtsamtritt auch suspendiert. In einem überraschenden Meinungswandel entschied Präsident Obama nun, dass die Militär-Kommissionen doch beibehalten werden sollen, wenn auch mit geänderten Regeln. Wie viele Gefangene die neue Administration vor diesen Kommissionen anklagen will, ist noch offen.

Schließlich verbleibt noch eine größere Anzahl von Häftlingen, die aus verschiedenen Gründen nicht angeklagt aber auch nicht freigelassen werden können. Es könnte sich um 50-100 Gefangene handeln (Secretary Robert Gates nannte kürzlich diese Zahlen). Bei einigen von ihnen können die vorhandenen Erkenntnisse nicht vor Gericht verwendet werden, bei anderen weiß man offenbar, dass sie gefährlich sind, ohne dies aber vor Gericht belegen zu können.

Die Administration muss also, um Guantánamo wie angekündigt spätestens im nächsten Januar schließen zu können, für rund 240 Guantánamo-Häftlinge Aufnahmemöglichkeiten in den USA und außerhalb finden:

  • 30 freigesprochene Gefangene (cleared for release);
  • ca. 90 staatenlose, freigesprochene Gefangene;
  • bis zu 80 Gefangene, die von Militärkommissionen abgeurteilt werden sollen;
  • 50-100 Gefangene, die gefährlich sind, aber nicht vor Gericht gestellt werden können, darunter zahlreiche Jemeniten.
Man hofft natürlich, dass die freigesprochenen in ihre Ursprungsländer zurückkehren können, und dass man für die staatenlosen, freigesprochenen Gefangenen Aufnahmeländer findet. Für mindestens 120-130 Gefangene muss indes eine Unterbringungsmöglichkeit auf US-Territorium gefunden werden.

Obamas erste Niederlage

Ob überhaupt, wohin und wie diese Gefangenen auf US-Territorium überstellt

werden sollen, darüber ist nun ein heftiger innenpolitischer Streit entbrannt, der Präsident Obama eine erste innenpolitische Niederlage beigebracht hat. Denn nicht nur das House of Representatives (mit 220-208 von 435), sondern auch der Senat (mit 90-6 von 99) hat bei Budgetberatungen zur Finanzierung des Einsatzes in Irak und Afghanistan rund 80 Mio. $, die für den Transfer der Guantanamo-Häftlinge in die USA vorgesehen waren, zunächst nicht bewilligt. Erst müsse die Administration einen konkreten Plan vorlegen, wie sie den Transfer bewerkstelligen wolle.

Außerdem nahm der Senat mit überwältigender Mehrheit ein „amendment“ an, das verlangt, dass für jeden Guantánamo-Häftling eine Bewertung erstellt wird, welche Gefahr er bei einer eventuellen Entlassung darstellen könnte.

Naturgemäß ist der Widerstand unter den republikanischen Senatoren und Kongressmitgliedern besonders groß, aber auch bei den demokratischen Senatoren und Kongreßmitgliedern gilt das Motto: „Not in my backyard“. Keiner will die Guantánamo-Häftlinge haben. Auch wenn der Verteidigungsminister versichert, aus einem US-Hochsicherheitsgefängnis sei noch nie ein Häftling ausgebrochen, lehnen es die meisten Politiker beider Parteien ab, Häftlinge in ihrem District bzw. Bundesstaat aufzunehmen. Zwar stehen die nächsten Zwischenwahlen erst in knapp anderthalb Jahren (November 2010) an, dennoch ist die mögliche Verlegung von Guantánamo-Häftlingen in den einen oder anderen Staat bereits zum Wahlkampfthema geworden. „Moving terror to Kansas? Not on may watch“, so der republikanische Senator Pat Roberts in einem Video.

Auch der Vorschlag, das Gefängnis Alcatraz in der Bucht von San Francisco wieder zu aktivieren, stieß auf wenig Begeisterung. Diane Feinstein, demokratische Senatorin aus Kalifornien, verwarf die Idee mit dem Hinweis, das Gefängnis sei mittlerweile ein nationales Monument.

Auch andere ausgewiesene Unterstützer von Präsident Obama, wie Senator Jim Webb aus Virginia, lehnen es sogar ab, in ihrem Bundesstaat freigelassene Häftlinge aufzunehmen.

"They accepted training from Al Qaeda and as a result they have taken part in terrorism," Senator Jim Webb (D-VA) told ABC's "This Week" Sunday. "I don't believe they should come to the United States."

Webb was referring to a half-dozen Gitmo Uyghurs, Muslims from China, who were mostly nabbed fleeing a terror training camp in eastern Afghanistan during the U.S. invasion. They are now living under minimum confinement at Gitmo because the Bush administration lost court battles and was forced to declare them no longer enemy combatants. Their lawyers insist they got the terrorist label from the Chinese government, which oppresses Uyghurs. Some lawmakers and top counterterrorism officials, however, are alarmed by the detainees' ties to a terror group that recently aligned itself publicly with Al Qaeda. The militant Turkistan Islamic Party, or East Turkistan Islamic Movement, ran the Afghan camp the detainees fled. In a jihad video released last month, that group praised Al Quaeda in Iraq and the Uyghurs' former hosts, the Taliban government that ruled Afghanistan.

Daily News, 18. Mai 2009

Präsident Obama und sein Justizminister versuchen, die Sorgen zu zerstreuen und beteuern, die US-Regierung würden niemanden freilassen, der eine Gefahr für die Sicherheit für die amerikanische Bevölkerung darstellen könnte.

Attorney General Eric Holder indicated last week he regards the Uyghurs as former militants with no ill will to the U.S. "The best indication we have so far as we look through their files is that they went to Afghanistan, not to take up arms against the U.S. - and this is not to excuse that - but to oppose the Chinese government," Holder told a House committee. Holder said no final decisions have been made on the Uyghurs. "We are not going to release anybody. ... who would pose a danger to the American people," he testified. "That is simply not going to happen."

Daily News, 18. Mai 2009

Die Bevölkerung ist aber besorgt. Und dies um so mehr als vor wenigen Tagen eine unveröffentlichte Untersuchung des Pentagon bekannt wurde, wonach von den 534 bisher ins Ausland freigelassenen Häftlingen 74 (d.h. rund 14%) seitdem terroristische oder kriegerische Aktivitäten unternommen haben. FBI-Direktor Robert Müller bestätigte die Sorgen: Häftlinge von Guantánamo auf das Festland zu bringen berge Risiken einschließlich „the potential for individuals undertaking attacks in the United States“.

Zukunft von Guantánamo

Nachdem selbst der Senate Majority Leader Harry Reid sich deutlich festgelegt hat, ist gegenwärtig völlig unklar, wie Präsident Obama aus dieser Sackgasse wieder herauskommen will: "Democrats under no circumstances will move forward without a comprehensive, responsible plan from the president." Reid fügte hinzu, "We will never allow terrorists to be released into the United States." Er will sogar noch weitergehen und sicherstellen, dass der endgültige Plan ein Verbot enthält, Häftlinge in US Gefängnisse zu transferieren.

Schon haben die Republikaner einen Gesetzentwurf ins Haus eingebracht, der verlangt, dass der Kongress zustimmen muss, bevor irgendein ein Häftling in die USA entlassen werden kann. Für nicht wenige von ihnen schein festzustehen: die beste Alternative für Guantánamo ist Guantánamo.

Präsident Obama hält dagegen. Am vergangenen Donnerstag hielt er im National Archive (dort werden u.a. die Verfassung, die Bill of Rights und die Unabhängigkeitserklärung aufbewahrt) eine Rede und begründete ausführlich, weshalb es aus verfassungsrechtlichen Gründen, aus Gründen de Selbstverständnisses der USA und auch aus Gründen des Ansehens der USA in der Welt notwendig sei, Guantánamo zu schließen.

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