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Kacper Pempel, Reuters.

International Reports

Editorial

„Aus heutiger Sicht ist kaum mehr nachzuvollziehen, wie optimistisch westliche Eliten noch vor einer Generation die Zukunft ihres Politik- und Gesellschaftsmodells einschätzten“, schreibt der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann in seinem jüngst erschienenen Buch „Die neue Weltunordnung“. Die Sowjetunion war zerfallen, der Kalte Krieg vorbei, die Vormachtstellung des Westens unangefochten. „Fast niemand konnte sich vorstellen, dass ein System, das konsequent auf Freiheit und menschliche Selbstverwirklichung setzte, jemals unter existenziellen Druck geraten würde.“

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Doch tatsächlich sind wir Zeuge von Entwicklungen in den internationalen Beziehungen, die mit den optimistischen Zukunftsentwürfen der frühen 1990er Jahre wenig gemein haben und häufig mit Begriffen wie „Systemkonkurrenz“ oder „Systemwettbewerb“ gefasst sowie als Konflikt zwischen Demokratien und Autokratien gedeutet werden. Selbst wer dieser Deutung nicht in Gänze folgen will, kommt nicht an der Einsicht vorbei, dass es rascher strategischer Weichenstellungen bedarf, wenn sich das Modell der liberalen Demokratie angesichts des Aufstiegs Chinas zur Supermacht und der imperialistischen Ambitionen Russlands behaupten soll.

In Deutschland ist dies vielen erst am 24. Februar dieses Jahres wirklich bewusstgeworden, als der russische Präsident Wladimir Putin die offene Invasion der Ukraine befahl. Mit den russischen Truppen, die in Richtung Kiew marschierten, wurden viele vermeintliche Gewissheiten in der hiesigen Außen- und Sicherheitspolitik erschüttert. Die Idee, Russland durch enge Wirtschaftsverbindungen einzuhegen, ist gescheitert. Und die Vorstellung, dass eine auf militärischer Gewalt beruhende Expansionspolitik in Europa ein Relikt der Vergangenheit ist, entpuppte sich als Trugschluss.

Welche Schritte aber müssen liberale Staaten wie Deutschland gehen, um den Anforderungen dieser neuen Zeit gerecht zu werden? Wie lassen sich Demokratie und Freiheit stärken angesichts globaler Machtverschiebungen und zunehmend aggressiv auftretender autoritärer Kräfte? Und welche Vorstellungen von der Zukunft der internationalen Ordnung haben diese Kräfte? Zur Diskussion über diese Fragen soll die vorliegende Sonderausgabe der Auslandsinformationen einen Beitrag leisten. Sie ist in Kooperation mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung entstanden und wirft den Blick auf ganz unterschiedliche Regionen und Akteure.

Einer dieser Akteure ist – natürlich – China. Die Volksrepublik, ein repressiver Einparteienstaat, ist wirtschaftlich ein globaler Machtfaktor, den niemand ignorieren kann. Doch auch geopolitisch tritt das Land immer ambitionierter auf. China rüstet militärisch auf, setzt Zeichen im Konflikt um Taiwan und wirbt weltweit für ein politisches System, das von einer liberalen Demokratie nicht weiter entfernt sein könnte. Dabei fallen die chinesischen Avancen – genau wie russische Kriegspropaganda – etwa in Lateinamerika oder Afrika durchaus auf fruchtbaren Boden.

Der Aufstieg Chinas hat zu einer außenpolitischen Neuausrichtung der USA geführt. Die Vereinigten Staaten, die Schutzmacht Europas, verschieben zunehmend ihren Fokus – weg vom Nordatlantik, hin nach Asien. Die Rivalität mit China steht im Zentrum aller außenpolitischen Überlegungen in Washington. Daran ändert auch das so wichtige amerikanische Engagement für die Ukraine langfristig nichts.

Für Europa hat das vielfältige Konsequenzen, allen voran in Fragen der Sicherheit. Vieles, was derzeit die US-Amerikaner übernehmen, werden die Europäer in Zukunft selbst tun müssen. Dabei wird es nicht zuletzt um eine glaubwürdige Abschreckung Russlands gehen. Es ist offenkundig, dass es dem Putin-Regime bei dem Angriff auf die Ukraine nicht nur um die Einverleibung von Territorien geht, sondern auch darum, zu verhindern, dass sich das Nachbarland weiter in Richtung Westen orientiert. Putin fürchtet die Strahlkraft einer Demokratie vor der eigenen Haustür, betrachtet sie als unmittelbare Bedrohung für sein eigenes Herrschaftssystem. Er sieht sich in einem Krieg mit dem Westen und macht aus seinen revisionistischen Großmachtplänen keinen Hehl.

Darauf angemessen zu reagieren, wird auch der deutschen Politik einiges abverlangen. Im militärischen Bereich müssen Lücken geschlossen werden, die in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind. Dabei ist klar: Die Investitionen im Rahmen der sogenannten Zeitenwende können nur ein erster Schritt sein. Es ist weit mehr nötig, will Deutschland den Teil zur Sicherheit Europas beitragen, den die Verbündeten von der größten Volkswirtschaft der EU erwarten. Das aber wird etwas kosten.

Es wird deshalb künftig auch darum gehen, die Menschen von der Notwendigkeit einer solchen Politik und der Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen zu überzeugen. Dass Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik in der deutschen Öffentlichkeit lange Zeit ein Schattendasein fristeten, macht die notwendige Neuausrichtung nicht einfacher. Es gilt also, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Freiheit und Frieden nicht selbstverständlich sind, sondern gepflegt und geschützt werden müssen – und dass Deutschland hier deutlich mehr leisten muss als bislang.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr

Dr. Gerhard Wahlers ist Herausgeber der Auslandsinformationen (Ai), stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung (gerhard.wahlers@kas.de).

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