Vermögen – Reichere Reiche? Ärmere Arme? Mittellose Mitte?
Eine Studie über die Einkommens- und Vermögensverteilung in den OECD-Staaten hat im Mai 2015 routinierte Betroffenheit in der veröffentlichten Meinung ausgelöst: Die Ungleichheit sei auf „Rekordwerte“ angewachsen, eine „soziale Kluft wie im 19. Jahrhundert“ tue sich auf, „sozialer Sprengstoff“ sei zu entschärfen. Bisweilen war klassenkämpferisch vom Gegeneinander zwischen „unten und oben“ und zwischen „mächtig und ohnmächtig“ die Rede. Man meint, Ähnliches schon früher nach der Bekanntgabe vonSozial- und Armutsberichten gelesen zu haben. Obwohl besonders die Deutschen große soziale Unterschiede als Gefährdung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt betrachten und sensibel auf derartige Nachrichten reagieren, blieb der Alarmzustand auf die Kommentarspalten begrenzt. Allerdings ändert diese Gelassenheit wenig daran, dass sich das Bild einer auseinanderdriftenden Gesellschaft in den Köpfen festzusetzen scheint. Laut Institut für Demoskopie Allensbach glauben 79 Prozent der Bürger an zunehmende soziale Unterschiede in den nächsten zehn Jahren. Politisch birgt diese Wahrnehmung Risiken. Verstaubte Umverteilungskonzepte erhalten möglicherweise neue Zugkraft; systemkritische Geister könnten sich im Aufwind fühlen. An die Stelle der pauschalen Formel von mehr Ungerechtigkeit in Deutschland muss eine differenzierte Betrachtung treten, die weder dramatisiert noch wegbürstet. Auch geht es darum, Tendenzen zu einer Auseinanderentwicklung der Vermögen frühzeitig zu begegnen.