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„Der Nahe Osten ist immer für Überraschungen gut“

by Michael Mertes

Interview zum 65. Unabhängigkeitstag des Staates Israel

In der Ausgabe zum 60. Jubiläum ihres Bestehens veröffentlicht das Magazin „Entscheidung“ ein Interview, das die Chefin vom Dienst der Zeitschrift, Eva Keeren, anlässlich des 65. Unabhängigkeitstages des Staates Israel mit dem Leiter der KAS Israel, Michael Mertes, geführt hat.

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Quelle: Entscheidung Mai/Juni 2013 (Ausgabe zum 60. Jubliäum der Zeitschrift), S. 23-25.

DIE ENTSCHEIDUNG / Eva Keeren: Herr Mertes, worin genau besteht die Aufgabe der Konrad-Adenauer-Stiftung hier in Israel?

Michael Mertes: Die KAS hat im Wesentlichen drei Aufgaben: Sie ist Teil des deutsch-israelischen Netzwerks und spielt eine wichtige Rolle bei der Pflege der bilateralen Beziehungen. Sie ist aktiv im Dialog zwischen Israel und seinen Nachbarn und sie nimmt Teil am inner-israelischen Dialog, insbesondere durch Zusammenarbeit mit Nichtregierungs-Organisationen.

ENTSCHEIDUNG: In dieser Woche hat Israel den 65. Jahrestag seiner Gründung gefeiert. Mit welchem Kurs steuert der jüdische Staat ins Jahr 66? Wird es ihn in dieser Form auch in 65 Jahren noch geben?

Mertes: Ich hoffe auf jeden Fall, dass der jüdische Staat Israel auch seinen 130. Geburtstag wird feiern können. Die Voraussetzungen dafür stehen sehr gut. Ganz entscheidend ist, dass es zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommt. Die KAS ist wie die Bundesregierung ganz klar für eine Zwei-Staaten-Lösung, und zwar deshalb, weil sie die einzige dauerhafte Garantie dafür ist, dass Israel als jüdischer und demokratischer Staat überleben kann. CDU und CSU haben sich in ihrem Wahlprogramm 2009 auf besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel als jüdischem Staat festgelegt und dies auch in die Koalitionsvereinbarung eingebracht.

ENTSCHEIDUNG: Was sind die zentralen Bedrohungen von außen?

Mertes: Das zentrale Sicherheitsproblem im Augenblick besteht aus zwei Komponenten: Zum einen Staatszerfall, Nichtdurchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols. Das fängt an im Sinai, der sich zu einer Zone der Anarchie entwickelt hat, geht weiter über den Gazastreifen, wo eine nichtstaatliche Organisation, nämlich die Hamas, eine Art Quasi-Staat errichtet hat. Es geht weiter über den Libanon, wo die Hisbollah mehr Personen unter Waffen hat als der reguläre libanesische Staat. Syrien, ein Land, dessen Zukunftsaussichten völlig unklar sind, droht ein Staat zu werden, in dem Dschihadisten und andere israelfeindliche Kräfte aufmarschieren. Jordanien hält zwar Frieden mit Israel, wird aber derzeit durch Flüchtlingsströme aus Syrien erheblich destabilisiert. Wohin Sie schauen: Bröckelnde Staatlichkeit. Gleichzeitig sehen Sie, dass die nichtstaatlichen Akteure, die in dieser Situation das Heft in die Hand nehmen, eine radikal israelfeindliche Agenda haben und sich zum Ziel gesetzt haben, Israel von der Landkarte zu tilgen. Das ist die allergrößte Bedrohung.

ENTSCHEIDUNG: Worin besteht die besondere Qualität der Bedrohung durch den Iran?

Mertes: Beim Iran geht es um die Frage: Können Israel und der Westen es zulassen, dass sich der Iran mit einer eigenen Kernwaffe als der Hegemon im Nahen und Mittleren Osten etabliert? Ich denke, das können wir nicht, weil dies zum einen bedeuten würde, das die Verbündeten des Iran - ich nenne hier nur die Hisbollah - unter den nuklearen Schutzschirm Teherans kämen und auf diese Weise sehr viel größere Bewegungsfreiheit hätten. Es würde aber auch bedeuten, dass viele der regionalen Akteure wie Saudi-Arabien, die Türkei, eines Tages wohl auch Ägypten fordern werden, selbst Nuklearwaffen zu besitzen, um die Bedrohung durch den Iran auszugleichen. Ein nuklearer Rüstungswettlauf im Nahen Osten wäre etwas, was verheerende Konsequenzen haben würde nicht nur für Israel, nicht nur für die regionalen Akteure, sondern auch für Europa.

ENTSCHEIDUNG: Angela Merkel hat im Jahr 2008 vor der Knesset die Sicherheit Israels zum festen Teil Staatsräson Deutschlands erklärt. Wie weit muss diese Staatsräson gehen im Falle einer realen Bedrohung Israels?

Mertes: Ich finde es großartig, dass Angela Merkel das so klar formuliert hat. Und ich bin auch absolut sicher, dass das nicht nur Worte waren. Die Konsequenzen hat sie in gewisser Weise schon gezogen: Deutschland hat Israel U-Boote geliefert, die wesentlich sind für die Abschreckung der nuklearen Bedrohung aus dem Iran. Deutschland hat gezeigt, dass es diese Zusage ernst meint, indem es immer massiv für die Verschärfung von Sanktionen gegen den Iran eingetreten ist. Was diese Zusage militärisch konkret bedeuten würde, wenn es tatsächlich zu einer Auseinandersetzung käme, ist eine fachlich sehr komplexe Frage. Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass Teheran diese Zusage der Bundeskanzlerin absolut ernst nehmen sollte.

ENTSCHEIDUNG: Im Jahr 2015 feiern wir ein halbes Jahrhundert diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Der Weg dorthin wurde durch den Namensgeber dieser Stiftung bereitet, war aber lang und von vielen Ressentiments geprägt. Welchen Platz nimmt Deutschland heute an der Seite Israels ein?

Mertes: Ich will das zunächst einmal persönlich beantworten. Ich bin das erste Mal 1975 in Israel gewesen und beobachte, dass die Stimmung gegenüber Deutschland sich seit dieser Zeit fundamental verändert hat – und zwar zum Besseren. Ich behaupte, dass es kein Land in Europa gibt, dem die Israelis so positiv gegenüberstehen. Man erlebt das persönlich, man erlebt das aber auch im Blick auf die freundschaftlichen Gefühle, die für Deutschland als Land empfunden werden. Ich glaube, da hat Angela Merkel eine sehr wichtige Rolle gespielt, nicht zuletzt mit der von Ihnen bereits zitierten Knesset-Rede. Der zweite Punkt ist ein politischer. Es ist klar, dass Deutschland von den Israelis, manchmal etwas überfrachtet mit Erwartungen, als der wichtigste und verlässlichste Verbündete in Europa angesehen wird. Das gehört zu den Konstanten sowohl der deutschen als auch der israelischen Außenpolitik. Im Übrigen, und das ist der dritte Punkt, gilt: Zur Staatsräson Israels gehört die Überzeugung, dass man sich letzten Endes nur auf sich selber verlassen kann.

ENTSCHEIDUNG: Wie wird hierzulande der NSU-Prozess in München wahrgenommen?

Mertes: Die Berichterstattung ist sehr sachlich und nüchtern. Die NSU-Verbrechen werden nicht dargestellt als Zeichen dafür, dass Deutschland sich auf dem Weg in eine gefährliche Richtung befinde. In Israel wird jedoch insgesamt mit großer Sorge registriert, dass die Stimmung gegen Juden und gegen Israel kippt, und zwar nicht nur in Deutschland. Frankreich ist in einem besonderen Fokus, ich erinnere an das Massaker von Toulouse 2012. Viele Israelis haben das Gefühl, selbst hier im Nahen Osten sicherer zu leben als in Europa. Hier könnten sie, so das Argument, wenigstens selber darüber bestimmen, was für ihre eigene Sicherheit zu tun sei; sie seien nicht angewiesen auf das Wohlwollen anderer.

ENTSCHEIDUNG: In Deutschland wird häufig sehr kritisch über Israel berichtet. Wie weit darf diese Kritik gehen?

Mertes: Bei mir gehen immer die Warnlampen an, wenn ich einen Deutschen sagen höre, es muss doch mal erlaubt sein, Israel zu kritisieren. Und zwar deshalb, weil das eine bare Selbstverständlichkeit ist. Die schärfsten Kritiker der israelischen Regierung sitzen in Israel. Hier werden die Sachen ganz offen diskutiert, das ist eine offene demokratische Gesellschaft. Und wir können uns von der israelischen Debattenkultur, die zum Teil sehr rau, sehr kontrovers ist, sogar eine Scheibe abschneiden. Also: Israel kritisieren – was heißt das? Sie kritisieren ja nicht ein Land insgesamt, sondern Sie kritisieren eine bestimmte Politik, die gemacht wird.

ENTSCHEIDUNG: Im Januar haben die 19. Knesset-Wahlen stattgefunden. Die ehemaligen Regierungsparteien, insbesondere die Likud, haben in dieser Wahl deutlich an Stimmen verloren. Auch das Verhältnis von Benjamin Netanjahu zu Obama gilt als sehr kühl. Wie stark ist „Bibi“ noch?

Mertes: Benjamin Netanjahu ist aus dieser Wahl geschwächt hervorgegangen. Nicht nur wegen der großen Stimmenverluste, sondern auch deshalb, weil er ganz offenbar einen strategischen Fehler gemacht hat, als er diese Listenverbindung mit Jisrael Beitenu eingegangen ist. Das hat bedeutet, dass viele Likud-Abgeordnete ihr Mandat verloren haben, und denjenigen Auftrieb gegeben, die Benjamin Netanjahu eines Tages beerben wollen. Politisch gesehen ist er dadurch geschwächt worden, dass er zwei starken und selbstbewussten Koalitionspartnern gegenübersteht, nämlich Jesch Atid auf der einen Seite und Habajit Hajehudi auf der anderen Seite. Gegen sie kann er nichts unternehmen, wenn sie zusammenhalten. Und diese beiden halten zusammen, das haben die Koalitionsverhandlungen gezeigt. Sie haben ihn dazu gezwungen, auszusteigen aus der Koalition mit den Ultraorthodoxen. Das war eine Erinnerung daran, dass seine Macht Grenzen hat.

ENTSCHEIDUNG: Was ist von den beiden Newcomern Naftali Bennett und Jair Lapid zu erwarten? Werden sie die lange hinausgezögerten Reformen umsetzen können, für die im Sommer 2011 Hunderttausende auf die Straßen von Tel Aviv gingen?

Mertes: Ich glaube, sie stehen unter dem sehr hohen Erwartungsdruck ihrer Anhängerschaft, dass innenpolitische Reformen tatsächlich vollzogen werden. Sie müssen liefern. Der wichtigste Punkt ist zunächst die Einbeziehung der Ultraorthodoxen in den Wehrdienst oder einen nationalen Ersatzdienst. Das ist eine ganz zentrale, weil hochsymbolische Frage. Die Repräsentanten der säkularen Mitte, die damals protestierten, hatten nicht zuletzt die Ungerechtigkeit in der Lastenverteilung innerhalb der israelischen Gesellschaft im Blick, die sich symbolisch an den Privilegien der Ultraorthodoxen festmacht. Wichtig ist auch die Durchsetzung der anvisierten Wahlreform, mit der die zwei-Prozent-Hürde auf vier Prozent angehoben werden soll. Damit soll das Erpressungspotenzial der ultraorthodoxen Parteien als Zünglein an der Waage zurück gedrängt werden.

ENTSCHEIDUNG: Eine weitere Hoffnungsträgerin in der neuen Regierung ist Zipi Livni. Erhöht ihre Beteiligung die Chancen auf die Erneuerung des Friedensprozesses?

Mertes: Richtig ist, dass Zipi Livni diejenige Kraft in der Koalition ist, die in diese Richtung arbeiten wird. Die Widerstände sind aber ganz erheblich, vor allem auf Seiten der Nationalreligiösen. Auch hat es innerhalb der Likud einen Rechtsruck gegeben, viele liberale Likud-Politiker sind nicht mehr in der Knesset vertreten. Diese Regierung ist sehr siedler-freundlich. Deshalb bin ich eher skeptisch, ob sich Zipi Livni durchsetzen wird. Aber: Der Nahe Osten ist immer für Überraschungen gut, deshalb wage ich keine Prognose, die über die nächsten sechs Monate hinausgeht.

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