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„Die Zeit arbeitet gegen Oslo“

by Michael Mertes

Tagespost-Interview von Oliver Maksan mit Michael Mertes

„Es gibt überhaupt keinen Widerspruch zwischen der Zwei-Staaten-Lösung auf der einen und der Solidarität mit Israel auf der anderen Seite“, betont Michael Mertes, Leiter der KAS Israel, in einem Interview mit der Zeitung „Die Tagespost“. Aktuelle deutsch-israelische Unstimmigkeiten stellten das eindeutige deutsche Bekenntnis zu Israels Sicherheit nicht in Frage.

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Quelle: Die Tagespost vom 6. Dezember 2012, Seite 1

Die Tagespost: Herr Mertes, die Kanzlerin und Premier Netanjahu treffen sich heute in Berlin zu Regierungskonsultationen. Wie belastet sind die deutsch-israelischen Beziehungen nach der Bekanntgabe Jerusalems, die Siedlungen massiv auszuweiten?

Michael Mertes: Ich finde, die deutsche Reaktion war im Vergleich zu derjenigen anderer EU-Länder eher zurückhaltend. Man muss hier zwischen grundsätzlicher politischer Orientierung und tagespolitischen Differenzen unterscheiden. Vom Grundsatz, dass Deutschland eine besondere Verantwortung für Israels Sicherheit hat, ist Berlin doch kein Jota abgerückt! Die Lieferung deutscher U-Boote, um nur das wichtigste Beispiel zu nennen, wird nicht zurückgestellt. Die Regierungskonsultationen finden wie geplant statt. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass die deutsch-israelischen Beziehungen offene Worte vertragen. Unter Freunden kann man „Tacheles“ reden – und ich gehe davon aus, dass dies in Berlin auch geschehen wird.

Tagespost: Nun ist auch Israel wegen Deutschland verärgert. Berlin hat sich wider israelisches Erwarten bei der UNO in der Frage der Aufwertung Palästinas enthalten. Noch im vergangenen Jahr stimmte Deutschland gegen die Aufnahme Palästinas in die UNESCO. Woher der Meinungswandel?

Mertes: Zunächst einmal würde ich bestreiten, dass man überall in Israel wegen des deutschen Abstimmungsverhaltens bei den Vereinten Nationen verärgert ist. Es hat ja schon vor der Abstimmung in New York israelische Stimmen aus der Mitte des politischen Spektrums gegeben, die Verständnis für den palästinensischen Schritt geäußert haben – denken Sie nur an den ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert. Es mag natürlich sein, dass innerhalb der israelischen Regierung die Ernsthaftigkeit der deutschen Bitte, in der Siedlungspolitik eine Geste des guten Willens zu machen, unterschätzt wurde. Das lag allerdings nicht an mangelnder Deutlichkeit von Berliner Seite. Deutschland hat von Anfang an die in Oslo vor bald 20 Jahren vereinbarte Zwei-Staaten-Lösung unterstützt. Die entscheidende Frage war, ob der palästinensische Aufwertungsantrag diesem Ziel dient oder nicht. Offenbar ist die Bundesregierung zu dem Ergebnis gekommen, dass ihre Enthaltung diesem Ziel am besten dient.

Tagespost: Deutschland unterstützt die Zwei-Staaten-Lösung auch finanziell, hat sich aber aus moralisch-geschichtlicher Verpflichtung heraus nie offen gegen Israel gestellt. Ist das in der Konsequenz nicht doch eine einseitige Parteinahme für Israel?

Mertes: Es gibt überhaupt keinen Widerspruch zwischen der Zwei-Staaten-Lösung auf der einen und der Solidarität mit Israel auf der anderen Seite. Wer möchte, dass Israel langfristig eine Chance als jüdischer und zugleich demokratischer Staat hat, muss für die Trennung eintreten. Das sieht auch die Mehrheit der Israelis so. Nur im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung ist gesichert, dass es in Israel langfristig eine deutliche jüdische Mehrheit gibt. Heute sind rund 75% der Israelis Juden und 20% Araber. Würde sich Israel Judäa und Samaria – wie das Westjordanland hierzulande oft genannt wird – mitsamt seinen über 2 Millionen arabischen Bewohnern einverleiben, wäre die jüdische Mehrheit angesichts der demographischen Entwicklung auf Dauer gefährdet.

Tagespost: Israel sieht sich einer breiten diplomatischer Front der Ablehnung gegenüber. In Paris und London sowie in Washington ist man sehr verärgert über den Siedlungsausbau. Ist das diplomatischer Theaterdonner ohne Folgen?

Mertes: Nein, das glaube ich nicht. 2013 werden im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit drei wichtige Daten eine Rolle spielen: Die Knesset-Wahl am 22. Januar 2013, 65 Jahre Israel im Mai und 20 Jahre Oslo-Vereinbarungen im September. Sowohl in Israel als auch in den palästinensischen Gebieten mehren sich die Stimmen, die behaupten, dass Oslo – genauer: die Zwei-Staaten-Lösung – „tot“ sei. Ich sehe das zwar nicht so, aber richtig ist, dass die Zeit gegen Oslo arbeitet. Es bleiben nicht mehr viele Gelegenheiten, um den Friedensprozess wiederzubeleben. Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton hat sehr deutlich gemacht, dass die Vereinigten Staaten in dieser Frage den Druck auf die Beteiligten und das Tempo erhöhen wollen.

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