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Aus der Mitte der Gesellschaft

by Michael Mertes

Domradio-Interview von Christian Schlegel mit Michael Mertes

In Israel gehen Hunderttausende Menschen auf die Straßen, um gegen hohe Lebenshaltungskosten – vor allem teure Mieten – und eine als ungerecht empfundene Lastenverteilung innerhalb der israelischen Gesellschaft zu protestieren. Das Domradio Köln interviewte Michael Mertes zu den Ursachen der Proteste, zu möglichen Zusammenhängen mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt und zu den Reaktionen der Politik.

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Quelle: domradio

domradio.de: Warum gehen die Israelis auf die Straße, und wer ist es, der da auf die Straße geht?

Mertes: Es handelt sich bei diesen Bürgerinnen und Bürgern um Menschen, die der eher säkularen, liberal-religiös eingestellten Mittelschicht zuzurechnen sind. Sie protestieren dagegen, dass in Israel viele Lasten ungleich verteilt sind. Z.B. betreibt die Regierung hohe Aufwendungen für die Siedlungen auf palästinensischem Gebiet und deren Sicherung. Das ist Geld, das für Infrastrukturinvestitionen im westlichen Teil Israels fehlt. Es fehlt für Bildungsinvestitionen und so vieles andere. Diese protestierenden jungen Menschen gehören zu den Leistungsträgern der israelischen Gesellschaft, und sie haben das Gefühl, dass alle diese Lasten von ihnen geschultert werden müssen.

domradio.de: Es ist immer häufiger zu lesen, dass Israels Premierminister Netanjahu zum Feindbild der Demonstranten wird. Woran liegt das?

Mertes: Die gegenwärtige Regierung wird verantwortlich gemacht für die ungerechte Lastenverteilung. Man sagt hier, dass ein Drittel der Israelis zur Armee geht, ein Drittel arbeitet und ein Drittel Steuern zahlt. Das Problem ist nur, dass es sich immer um dasselbe Drittel handelt. Das ist ein Problem, dass natürlich schon vor der Regierung Netanjahu bestanden hat, das sich aber unter dieser Regierung verschärft hat. Dagegen richten sich nun die Proteste.

domradio.de: Hängen diese Probleme auch zusammen mit der Nahost-Konflikt?

Mertes: Ja, es ist auch ein starkes Argument dafür, dass man jetzt noch mal neu herangehen sollte an die Frage der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Dieser Konflikt zieht unglaubliche Summen aus dem Staatshaushalt, die für andere Zwecke eingesetzt werden könnten. Das ist auch die Argumentation vieler Demonstranten. Das sind keine Linken, sondern Leute, die durchaus in der Mitte der Gesellschaft stehen. Insofern gibt es einen Zusammenhang zwischen diesem innenpolitischen Protest und dem ungelösten Nahost-Konflikt.

domradio.de: Was muss Netanjahu unternehmen, um die Demonstranten zu besänftigen?

Mertes: Er wird versuchen, in ganz bestimmten Feldern, wo die Probleme den Leuten besonders auf den Nägeln brennen, anzusetzen: Bildungssystem, Kinderbetreuung, Wohnungsbau, Mieten. Er hat dazu ein Krisenkabinett zusammengerufen, das sich dieser Fragen annehmen wird. Sicher wird man an vielen Einzelpunkten die Dinge verändern. Ich glaube aber nicht, dass die Proteste letzten Endes den Friedensprozess beschleunigen werden. Dieser Druck kommt eher von der palästinensischen Seite. Die Palästinenser wollen ja im September als Mitglied von den Vereinten Nationen aufgenommen werden. Das wird ihnen wohl nicht gelingen, aber sie werden auf diese Weise die Weltöffentlichkeit auf ihre Seite ziehen wollen. Das könnte der eigentliche Auslöser für die Regierung Netanjahu sein, vielleicht doch noch einmal die Initiative zu ergreifen.

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