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Im Auge des Sturms

Die israelische Debatte über einen Präventivschlag gegen den Iran

Wie wird die israelische Regierung auf das iranische Atomwaffenprogramm reagieren? Diese Frage ist in den vergangenen Wochen zu einem Hauptthema in den öffentlichen Debatten Israels geworden.

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Derzeit konzentriert sich die israelische Politik hauptsächlich auf innenpolitische Themen, wie zum Beispiel, ob es im kommenden Herbst zu vorgezogenen Neuwahlen kommen könnte, den Bericht des staatlichen Auditors zu den Carmel-Waldbränden im Dezember 2010, Debatten über die Diskriminierung von Frauen oder die Integration der ultraorthodoxen Minderheit (vgl. etwa Barak: Draft new bill for Tal Law, ynetnews.com, 17 Januar 2012).

All diese Themen werden allerdings einer viel beunruhigenderen Frage überlagert: Wie wird die israelische Regierung auf das iranische Atomwaffenprogramm reagieren? Die Journalistin Liat Collins nennt es „das ‚Werden sie oder werden sie nicht?’-Ratespiel“ (see My Word: Ban and the bomb, Jerusalem Post, 11. Februar 2012).

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Natürlich ist dies keine neue Frage in Israel, sondern seit einiger Zeit ein wiederkehrendes Thema. Anfang Februar diesen Jahres wurde es jedoch mit zunehmendem Nachdruck diskutiert: Ein israelischer Luftangriff gegen iranische Atomanlagen entwickelte sich immer mehr zu einem realistischen Szenario. Wie ist es dazu gekommen?

Liat Collins nimmt an, dass zwei Hauptgründe die Frage nach dem Präventivschlag erneut aufkommen ließen. Der erste ist die von ihr so genannte „Herdenmentalität – wenn ein Journalist die Thematik aufgreift, folgen die anderen sofort nach.“ Die Frage nach dem konkreten Auslöser für die Debatte bringt sie zum zweiten Grund: dem „Herzliya-Phänomen“, wie sie es nennt.

Auf der 12. Herzeliya Annual Conference, welche zu Beginn des Monats stattfand, trafen sich nationale und internationale Spitzenpolitiker sowie hochrangige Experten für Außenpolitik, um über das Konferenzthema „Im Auge des Sturms: Israel & der Nahe Osten“ zu diskutieren. In seiner Rede machte der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak dramatische Aussagen gegenüber der israelischen und der Weltöffentlichkeit: „Diejenigen, die ‚später’ fordern, könnten zum Schluss entdecken, dass ‚später’ zu spät ist.“ Er fügte hinzu, dass es entscheidend sei, den Iran daran zu hindern, eine Atommacht zu werden. Von vielen Zuhörern wurde dies als ernste Androhung eines potentiellen israelischen Angriff verstanden. Der israelische Staatspräsident Shimon Peres unterstützte in seiner Rede die strategische Analyse Baraks, indem er davon sprach, dass es die Pflicht der internationalen Gemeinschaft sei, die „Kombination aus dem Bösem und dem Atom“ zu verhüten. Ferner argumentierte er, dass der Iran nicht nur für Israel eine Gefahr sei, sondern auch eine reale Bedrohung für die gesamte Menschheit darstelle.

In einem Haaretz-Kommentar mit dem Titel „Time to be afraid“ vertritt Gideon Levy die Ansicht, dass sich die israelische Bevölkerung zum heutigen Zeitpunkt keine Sorgen darüber macht, was im Hinblick auf den Iran geschehen könnte. Vielmehr glaubt er, die meisten Israelis hätten in dieser Frage Vertrauen in ihre politische Führung. Er kritisiert nachdrücklich, dass das israelische Volk, wie schon in früheren Fällen, es wahrscheinlich zulassen werde, dass seine Regierung in den Krieg zieht. In der Tat scheint die israelische Opposition hiergegen eher schwach zu sein. Die Jerusalem Post meldete am 10. Februar (siehe TA rally against attack on Iran musters 24 protesters), dass eine Demonstration vor dem Verteidigungsministerium gegen einen potentiellen israelischen Angriff auf den Iran weniger als 30 Demonstranten zusammenbrachte.

Eine gemeinsame israelisch-palästinensische Umfrage vom Dezember 2011, die mit Unterstützung der KAS durchgeführt wurde, deutet darauf hin, dass die öffentliche Meinung in Israel gespalten ist, wenn es um die Frage der Unterstützung oder Ablehnung einer eventuellen Bombardierung iranischer Nuklearanlagen durch Israel geht. Eine relative Mehrheit von 47 Prozent ist für den Angriff, während eine verhältnismäßig große Minderheit von 41 Prozent die gegensätzliche Meinung vertritt.

Zugleich erwartet und fürchtet eine Dreiviertelmehrheit von 76 Prozent der Israelis, dass die Verbündeten des Irans, die Hamas und der Islamische Dschihad, in Reaktion auf einen israelischen Militärschlag Vergeltung üben könnten. Diese Sorge wurde von einem NBC News-Bericht (siehe auch Report: Israel’s attack on Iran to use missiles, planes, elite troops, Israel Hayom online, 5. Februar 2012) bestätigt, wonach israelische Geheimdienstorganisationen glauben, dass eine Vergeltung des Irans hauptsächlich durch seine Vertreter, die vom Libanon aus operierende Terrorgruppe Hisbollah, erfolgen würde. In jedem erdenklichen Szenario rechne Israel damit, eigene Verluste als Folge eines Angriffs auf den Irans in Kauf nehmen zu müssen.

Während der Iran die Vereinigten Staaten und Israel aufs Schärfste warnt, kann man den Eindruck gewinnen, als ziehe die israelische Führung mehr als zuvor einen Angriff auf den Iran bis Juni dieses Jahres in Betracht. So sehen es etwa Shlomo Tsenza und Lilah Shoval in Israel Hayom (3. Februar 2012): „Je mehr Zeit vergeht, desto mehr scheint die Geduld Israels durch das internationale Zaudern im Blick auf ein aktives Vorgehen gegen den Iran erschöpft zu werden.“

Wie ernst sollten diese Hinweise, Andeutungen, Gerüchte, Spekulationen und Warnungen genommen werden? Ein ynetnews.com-Artikel (siehe Report in the U.S: This is how Israel will strike against Iran) formuliert folgende These: „Der Angriff wurde offensichtlich noch nicht gebilligt, aber in den Vereinigten Staaten werden schon Pläne gemacht, wie er ausgeführt werden könnte.“ Erneut wird der NBC News-Bericht erwähnt, der eine Liste von Waffen und anderen militärischen Operation enthält, auf die Israel wahrscheinlich zurückgreifen würde. Dazu gehören zum Beispiel Jericho II-Raketen und Drohnen.

Bemerkenswerterweise glauben Experten für Außen- und Verteidigungspolitik, dass „sowohl Saudi-Arabien als auch die Vereinigten Arabischen Emirate ein solches Vorgehen unterstützen würden, da beide ebenfalls von einem nuklearen Iran bedroht würden. Was die Türkei angeht, erwarten Offizielle eher ein Stillhalten (siehe Officials discuss Israel-Iran showdown), ynetnews.com, 3. Februar 2012.)

Die aktuelle Debatte hat auch gezeigt, dass Israel sich einer widerstrebenden internationalen Meinung gegenübergestellt sieht, welche einerseits die atomare Aufrüstung des Irans ablehnt, sich andererseits aber noch weigert, die iranischen Atomanlagen vorbeugend anzugreifen. Die meisten der westlichen Spitzenpolitiker bevorzugen es, abzuwarten und zu beobachten, ob die internationalen nicht-militärischen Sanktionen gegenüber dem Iran greifen und Wirkungen beim Mullah-Regime zeitigen: „Der amerikanische Verteidigungsminister Leon Panetta hat zusammen mit US-Präsident Barack Obama israelische Amtsträger davor gewarnt, sich für eine militärische Offensive im Iran zu entscheiden, da dies das internationale Sanktionsprogramm und andere nicht-militärische Bemühungen aufs Spiel setzen würde“ (siehe Panetta believes Israel will strike Iran soon, ynetnews.com, 3. Februar 2012).

Eine kürzlich abgegebene Stellungnahme des deutschen Verteidigungsministers Thomas de Maizière zeigt den hierüber bestehenden Konsens innerhalb Nordatlantischen Allianz. Er wir mit den Worten zituert, dass ein „Erfolg eines israelischen Schlags gegen iranische Atomanlagen ist höchst unwahrscheinlich ist und würde deutlichen politischen Schaden“ zur Folge haben würde (siehe Germany: Success of strike on Iran unlikely, ynetnews.com, 10. Febrzar 2012).

Allerdings scheint die internationale Kritik die israelischen Entscheidungsträger nicht besonders zu beeindrucken. Diese haben nur wenig Vertrauen in die Wirksamkeit von nicht-militärischen Sanktionen, und vielleicht wurde ihre Sicht am Besten durch Generalmajor d. Res. Ilan Biran in Herzliya zum Ausdruck gebracht: „Man muss angreifen, um sich zu verteidigen.“ Israels Abschreckungsstrategie entspricht dem Gedanken eines alten medizinischen Sprichworts, das auch Israels traditionellen Blick auf Sicherheitsfragen beschreibt: „Eine Unze Prävention ist so viel wert wie ein Pfund Heilung“.

Adi Singer

Übersetzung: Felix Wegmann

Nachlese

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