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Viele Pilger sagen Jerusalembesuch wegen des Gazakonflikts ab

by Michael Mertes

Domradio-Interview von Mathias Peter mit Michael Mertes

In Jerusalem bleiben wegen der neuen Runde im Konflikt zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen die Pilger aus. Dabei wären sie für die hiesigen Christen gerade jetzt wichtig, meint Michael Mertes, Leiter der KAS Israel. In einem Interview am 16. Juli 2014 mit dem „domradio“ spricht er über einen Konflikt, in dem es letzten Endes keinen Sieger geben kann, und für dessen Lösung der Beitrag Ägyptens entscheidend sein dürfte.

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Mathias Peter/domradio.de: Auch die einseitige Waffenruhe Israels gestern hat nichts gebracht. Im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern stehen die Zeichen weiter auf Konfrontation. Die von Ägypten vorgeschlagenen Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas ist vorerst gescheitert. Seit heute Nacht fliegt Israel wieder Luftangriffe auf den Gazastreifen. Michael Mertes ist Leiter des Auslandsbüros Israel der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem. Schönen guten Tag!

Michael Mertes: Guten Tag!

domradio.de: Herr Mertes, wie stark beeinträchtigt der Raketenbeschuss der Hamas den Alltag in Jerusalem?

Mertes: In Jerusalem sind wir davon seit einigen Tagen nicht mehr betroffen. Den letzten Raketenalarm hat es am Samstag gegeben. Man merkt die Veränderung insofern, als sehr viele Pilgergruppen, sehr viele Touristen ihre Besuche hier abgesagt haben. Es ist wenig los. Dabei wäre es natürlich gerade für die Christen hierzulande sehr wichtig, wenn Besucher aus Deutschland, aus Europa kämen. Im Übrigen haben wir hier Ramadan, normalerweise herrscht nach Sonnenuntergang beim Fastenbrechen so etwas wie Volksfeststimmung in der Altstadt. Das haben wir in diesem Jahr nicht. Es ist alles ganz ruhig.

domradio.de: Wenn man von Außen auf den Konflikt schaut, kann man seit vielen Jahren nicht begreifen, warum es immer wieder vorwärts und dann wieder zurück geht. Nehmen wir den jüngsten Punkt: Warum hat die Hamas die einseitige Waffenruhe Israels nicht für Gespräche genutzt?

Mertes: Weil die Hamas mit ihren Raketenangriffen ganz bestimmte politische Ziele verfolgt, die sie bislang noch nicht erreicht hat.

Zum einen hat meines Erachtens die Hamas das große strategische Ziel, eine Situation herbeizuführen, in der es im Westjordanland zu einem großen Aufstand, zu einer dritten Intifada kommt. Die Hamas kalkuliert dabei zynisch auch mit dem Tod vieler Palästinenser im Gaza-Streifen. Sie möchte, dass die Bilder, die um die Welt gehen, dazu führen, dass bei den arabischen Massen von Marokko bis Jordanien die Wut steigt, dass auch im Westjordanland die Wut steigt, so dass die Leute sich schließlich in einer dritten Intifada erheben.

Der andere Punkt ist: Die Hamas wird einer Waffenruhe nur dann zustimmen, wenn sie auch einen „Erfolg“ vorweisen kann. Das ist ihr im November 2012 gelungen, damals hatten wir eine ähnliche Situation. Sie hat damals eine Lockerung der Blockade erreicht, die sie als großen Sieg feiern konnte. Im Augenblick ist Israel aber zu einer solchen Konzession nicht bereit.

domradio.de: In der Nacht wurden Häuser der Hamas-Führung bombardiert. Ist das eine „geeignete“ Maßnahme, um die Hamas zu Gesprächen zu zwingen?

Mertes: Nach Darstellung der israelischen Armee handelt es sich nicht einfach um Wohnhäuser, sondern um militärische Kommandozentralen. Das muss man dazu als erstes sagen. Zweitens muss man dazu sagen, dass die Hamasführer – die ja nun wirklich totalitäre Diktatoren sind, man soll die nicht verharmlosen – mit der Tunnelwirtschaft im Süden des Gaza-Streifens gewaltige Reichtümer angehäuft haben, während ihre eigene Bevölkerung darbt. Mir hat ein israelischer Gesprächspartner gesagt: Wenn man ihr privates Eigentum angreift, dann ist das eine Sache, die wirklich einen Nerv bei ihnen trifft.

domradio.de: Glauben Sie, dass diese Maßnahme wirklich Erfolg hat?

Mertes: Das kann man so natürlich nicht beantworten. Wenn diese Häuser tatsächlich Kommandozentralen gewesen sind, dann hat das militärisch durchaus seinen Sinn. Ich glaube, dass das israelische Vorgehen insgesamt darauf gerichtet ist, der Hamas zu zeigen, dass sie keinen Erfolg haben kann. Es ist ja überhaupt das Problem dieser Auseinandersetzung, dass weder die Hamas noch Israel den Krieg gewinnen können. Für Israel würde ein Sieg die Besetzung des Gaza-Streifens bedeuten und den Beginn eines langen Blutvergießens, das es nicht durchhalten kann. Das ist etwas, das Israel nicht will – insbesondere nicht Premierminister Netanjahu –, weil es weiß, dass dieser Preis viel zu hoch ist. Auf der anderen Seite möchte die Hamas irgendetwas vorweisen können, das sie in der arabischen Welt, insbesondere bei den Palästinensern, dastehen lässt als eine Kraft, die in der Lage ist, Israel Konzessionen abzuringen.

domradio.de: Israel bemüht sich darum, die Opfer bei der palästinensischen Zivilbevölkerung gering zu halten, indem es Luftangriffe auf bestimmte Städte oder Dörfer angekündigt und die Menschen dort zur Flucht aufgerufen hat. Wie ist denn die Situation der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen?

Mertes: Die Situation ist furchtbar. Ich kann von Jerusalem aus auch nur verfolgen, was in den Fernsehnachrichten gezeigt wird. Israel hat – darauf spielen Sie ja wohl an – eine Art Ultimatum gesetzt und gesagt: Bis heute früh 8.00 Uhr sollten die Palästinenser im Norden des Gazastreifens ihre Häuser verlassen, weil eine Luft- und Artillerieoffensive von israelischer Seite geplant sei. Inzwischen ist dieses Ultimatum verlängert worden. Die Hamasführung ihrerseits hat die eigene Bevölkerung dazu aufgerufen, nicht die Häuser zu verlassen. Ich habe im Augenblick keine neuen Nachrichten, wie sich das jetzt entwickelt hat.

domradio.de: Dann schauen wir einmal ein wenig in die Zukunft. Auch wenn es natürlich schwierig ist vorherzusagen: Glauben Sie, dass es weiter in eine Eskalation laufen wird oder dass es dann doch irgendwann einmal Gespräche geben wird, dass zumindest die direkten Militäraktionen – also der Raketenbeschuss der Hamas auf der einen und die Luftschläge Israels auf der anderen Seite – in absehbarer Zeit aufhören werden?

Mertes: Das ist in der Tat eine sehr, sehr schwierige Frage. Ich glaube, dass eine Schlüsselrolle in dieser ganzen Geschichte Ägypten zukommt – Ägypten und anderen sunnitischen Staaten wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten etc. Diese Länder haben Möglichkeiten des Einflusses auf ihre palästinensischen Brüder und Schwestern, die weder Israel noch der Westen haben. Ich glaube nicht, dass der Westen selber die Möglichkeit hat, hier genügend Druck aufzubauen. Was man allerdings wird machen müssen, das ist ein Konzept zu entwickeln für „die Zeit danach“ – ein Konzept, das bedeutet: Einerseits Lockerung der Blockade des Gazastreifens, verbunden auf der anderen Seite mit einer robusten internationalen Kontrolle der Zugänge zum Gazastreifen. Denn ich kann Israel sehr gut verstehen, wenn es sagt: Für uns ist es inakzeptabel, dass nachher eine Lösung herauskommt, die einfach nur bedeutet, dass der Raketenschmuggel wieder von vorn losgeht. Ich glaube, dass in der Tat eine internationale Lösung unter ägyptischer Führung die einzige Hoffnung ist, da etwas Vernünftiges hinzubekommen.

domradio.de: Über die aktuelle Situation in Israel und dem Gazastreifen habe ich mit Michael Mertes gesprochen. Er ist der Leiter des Auslandsbüros Israel der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem. Vielen Dank für das Gespräch!

Mertes: Ja, gerne!

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