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Country Reports

Kommunalwahlen in Jordanien

Spätfolgen mit unsicheren Aussichten für die Parlamentswahlen

Die Kommunalwahlen 2007 an sich können nur bedingt als Indikator für die anstehenden Parlamentswahlen herangezogen werden.

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Nach der Wahl ist vor der Wahl, sagt man gemeinhin so dahin. Für Jordanien, das Ende Juli die Kommunalwahlen hinter sich gebracht hat, und nunmehr auf die Zielgerade der für November vorgesehenen Parlamentswahlen einbiegt, stellt sich die politische Situation als ambivalent dar: Die einzige organisierte politische Kraft, die Islamic Action Front, und die derzeitige Regierung unter Premier Marouf Bakhit gaben sich im Umfeld der Wahlen ein politisches Showdown, das aufhorchen lässt.

Die am 31. Juli durchgeführten Kommunalwahlen waren von Regierung, Kandidaten sowie interessierter Bevölkerung im Vorfeld nicht nur als Lackmustest für die anstehenden Parlamentswahlen interpretiert worden, sondern auch für den ernsthaften Willen, über stärkere Dezentralisierung und Partizipation demokratische Reformen zu implementieren. Dafür wurde nicht nur ein neues Kommunalwahlrecht verabschiedet, das – ausgenommen die Hauptstadt Amman – erstmals die direkte Wahl aller Stadtratsmitglieder und Bürgermeister der 94 Kommunen des Königreiches vorsah sowie das Wahlalter von 19 auf 18 Jahren herabsetzte, sondern auch eine Frauenquote von 20 Prozent einführte. Insgesamt konkurrierten beim Wahlgang 2.686 Kandidaten um 965 Ratsmandate und Bürgermeisterämter. Für die Hauptstadt behielt man das bisherige System, das die Wahl der Hälfte der Ratsmitglieder sowie die Ernennung der anderen Hälfte inklusive des Bürgermeisters dem Premierminister vorbehielt, bei. Nach offiziellen Angaben nahmen rund 1.1 Millionen der 1.9 Millionen eingeschriebenen Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Außerhalb der Metropole Ammans konnte eine relativ hohe Wahlbeteiligung von 65 Prozent erzielt werden, im Gegensatz zur Hauptstadt Amman, wo aufgrund einer zu geringen Wahlbeteiligung in fünf Stadtbezirken – weniger als die vorgeschriebenen 50+1 Prozent – die Wahllokale einen weiteren Tag geöffnet blieben.

Konfrontation zwischen IAF und Regierung – rhetorischer Ausfall beider Seiten

Was den diesjährigen Kommunalwahlen besondere Bedeutung zukommen ließ, war nicht nur der Umstand der nahenden Parlamentswahlen, sondern insbesondere die Konfrontation, die sich die Islamic Action Front (IAF) – politischer Arm der Muslimbruderschaft in Jordanien – kurz nach Öffnung der Wahllokale mit der Regierung leistete. Mit dem Verweis auf stattfindende Manipulierung der Wahlen zog die IAF nur einige Stunden nach Öffnung der Wahllokale ihre 33 Kandidaten mit der Begründung zurück, man könne an einer solchen „Farce“ nicht teilnehmen. Die IAF warf der Regierung vor, Armeemitglieder in Zivil mit Bussen von einem Wahllokal zum nächsten zu fahren, damit diese ihre Stimme mehrfach abgeben und somit wohlgelittenen Kandidaten der Regierung auf lokaler Ebene zum Erfolg verhelfen sollten. Der Vorwurf derartiger Unregelmäßigkeiten kam auch von anderer Seite und führte in einigen Städten wie Madaba, Irbid, Zarka und Teilen von Amman zu Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und Wählern. Premierminister Marouf Bakhit reagierte im Ton ungewöhnlich scharf und aggressiv auf das Vorgehen der IAF, was politische Beobachter als durchweg ungeschickt bezeichneten. Obwohl Fehler in der Organisation und Durchführung der Wahlen und der Auftritt der Armee, der Bakhit als Verteidigungsminister ebenfalls vorsteht, kaum zu leugnen waren, bezeichnete er das Vorgehen der IAF als „unpatriotisch, verräterisch und opportunistisch“. Zudem unterstellte er der IAF, einer bereits seit langem festgelegten politischen Agenda gefolgt zu sein, die zum Ziel hatte, die Wahlen in Form einer großen Machtdemonstration für ihre eigenen Interessen zu nutzen. Unterstellt, der Regierungschef hätte Recht mit dieser Vermutung, hat er der IAF durch seine aggressive und ausgrenzende Rhetorik in Augen vieler Beobachter nur Schützenhilfe gegeben und das Verständnis vieler Jordanier für das politische Vorgehen - nicht die Programmatik - der IAF verstärkt. Dies wiegt umso schwerer, als die IAF offenkundig aus einer Position der Schwäche, nicht der Stärke ihren Wahlboykott umsetzte. Seit Monaten tobt ein interner Streit innerhalb der größten und wohl am besten organisierten politischen Oppositionsgruppe über die politische Ausrichtung und Programmatik, gerade auch mit Blick auf die Legislativwahlen und die regionalen Prioritäten. In dieser Situation sah sich der Generalsekretär der IAF, Zaki Bani Rsheid mitunter gezwungen, ein politisches Manöver zu starten, dessen Erfolg zumindest zwiespältig wahrgenommen wird. Die Regierung erklärte, der Boykott werde nicht ernst genommen, und infolgedessen müssten die zwei gewählten Bürgermeister sowie Stadträte der IAF ihr Amt antreten oder einen formalen Verzicht erklären. Dies bildete letztlich, nach Tagen der verbalen Auseinandersetzung und der beruhigenden Intervention König Abdallahs II die goldene Brücke für beide Seiten, um weiteren Schaden von der Regierung zu nehmen wie steigende Popularität der IAF zu vermeiden.

Stärkere Partizipation der Frauen

Die Auseinandersetzung der Regierung und IAF vermochten es denn auch über Tage hinweg, eine ernsthafte Analyse der Wahlen zu verstellen. Mit dem Slogan „Mein Haus, meine Gemeinde, mein Land, eine Verantwortung, die ich übernehme“ hatte die Jordanian National Commission for Women (JNCW) im Vorfeld der Wahl eine nationale Kampagne gestartet, um insbesondere Frauen zu ermutigen, sich als Wählerinnen wie Kandidatinnen aktiv in den politischen Prozess einzumischen. Im Vergleich zu vorherigen Wahlen ist denn auch die professionellere Vorbereitung und Kampagnenplanung weiblicher Kandidaten, unterstützt durch die Regierung und lokale wie internationale Nichtregierungsorganisationen (NROs) besonders auffällig gewesen, jedoch mit eingeschränktem Erfolg. Von 355 Kandidatinnen konnten sich nur 20 direkt an der Wahlurne durchsetzen, aufgrund der durch das neue Kommunalwahlrecht vorgesehenen Quote mussten daher 195 Sitze auf weibliche Kandidaten im Nachhinein verteilt werden. Unter den sechs weiblichen Kandidaten für ein Bürgermeisteramt schaffte es nur eine Frau, Rana Hajaya, im südlichen Hassa-Distrikt, ihre männlichen Konkurrenten auszustechen. Einer Umfrage der Jordan Times am Wahltag zufolge würden insbesondere Frauen oftmals männlichen Kandidaten vor weiblichen den Vorzug geben oder einfach der Wahlempfehlung der Familie folgen, die nicht weniger eindeutig ist. Eine junge Frau gab beispielsweise an, dass sie nicht dagegen sei, für Frauen zu stimmen, aber dass sie ihren Verwandten einfach besser kenne. Diese und andere Stellungnahmen werfen ein bedenkliches Licht auf alle Bemühungen, die Partizipation der Frauen durch Quoten oder ähnliches zu verbessern und werden sicherlich für Regierung und internationale Gemeinschaft Anlass sein, ihre Politiken in diesem Bereich zu überdenken.

Schwache Position der Parteien - fehlende Inhalte

Auf lokaler Ebene spiegelte sich die politische Realität Jordaniens noch deutlicher wieder als auf nationaler: Die weitgehende Abwesenheit politischer Parteien und programmatischer Bewegungen bzw. Persönlichkeiten im Gleichklang mit der Prädominanz der nach wie vor vorherrschenden tribalen und Clan-Strukturen ließ vor allem in ihren Gemeinden fest verankerte Vertreter angesehener Familien Mandate und Bürgermeisterämter erringen. Trotz der Allgegenwart drängender sozialer Probleme wie Korruption und Missmanagement der öffentlichen Verwaltung, waren es oftmals nur die Köpfe bestimmter Kandidaten, die noch nicht einmal eines zum Slogan regenerierten Programms bedurften, um gewählt zu werden. Auffällig dabei auch die Kampagnenführung: Die Wahlplakate der meisten Kandidaten offerierten oftmals nur das eigene Foto, ohne programmatische Verweise, manchmal noch nicht einmal mit Namensnennung.

Probelauf für Parlamentswahlen – nur bedingte Aussagekraft

Die Kommunalwahlen 2007 an sich können nur bedingt als Indikator für die anstehenden Parlamentswahlen herangezogen werden. Gewiss ist, dass die mit Mängeln behaftete Vorbereitung und Durchführung der Wahlen nicht unbedingt dazu angetan war, das Vertrauen der Bürger in die Umsetzung der von der Regierung propagierten demokratischen Öffnung zu stärken. Die insbesondere in der Hauptstadt äußerst gering ausgefallene Wahlbeteiligung – knapp 38 Prozent der Gesamtbevölkerung lebt in Amman – verbunden mit den Vorwürfen eklatanter Wahlfälschungen hinterlassen einen faden Nachgeschmack, der auch die Ernsthaftigkeit der Reformen zumindest in Frage stellt. Andererseits hat die Auseinandersetzung zwischen IAF und Regierung deutlich gezeigt, dass man sich mit Blick auf die Wahlbeteiligung der Islamisten an den Parlamentswahlen noch einige Gedanken machen muss, wie am besten mit dieser Strömung umzugehen ist. Diese Unsicherheit spricht im Kern aus den Reaktionen des jordanischen Regierungschefs. Jordanien, das sich gerne selbst wie auch von der internationalen Gemeinschaft attestiert als regionaler Vorreiter einer moderaten innenpolitischen Öffnungs- und Demokratisierungspolitik sieht, scheint hier auch angesichts regionaler Entwicklungen wie in Palästina und im Libanon aus dem Tritt und mehr noch – vielleicht – orientierungslos geworden zu sein. Andererseits hat auch die IAF noch den Beweis zu erbringen, dass sie willens und in der Lage ist, an demokratischen Prozessen teilzunehmen und diese nicht zu sabotieren, um vorschnell einen strategischen Vorteil daraus zu ziehen. Vorerst jedoch wird die jordanische Regierung aus Mangel an programmatisch orientierten und strukturierten Parteien als Alternative zur IAF die Balance mit Hilfe anderer konkurrierender Gesellschaftsgruppen, die vor allem die tribalen Strukturen und Clans widerspiegeln, zu schaffen.

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Thomas Birringer

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