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Country Reports

Parlamentswahlen in Jordanien

by Dr. Otmar Oehring, Simone Hüser

Stillstand oder Fortschritt?

Am 23. Januar 2013 fanden in Jordanien Parlamentswahlen statt. Es waren die ersten Wahlen, bei denen das in 2012 geänderte Wahlgesetz angewandt wurde. Danach wird ein gewisser Sitzanteil im Parlament auf Basis des Verhältniswahlrechts vergeben. Vor dem Hintergrund des Arabischen Frühlings und den Entwicklungen in der Region wurden große Erwartungen in diese Wahl gesetzt. Der Ausgang zeigt jedoch, dass die Wahl zwar ein Schritt in Richtung Demokratisierung war, sich das System bislang aber noch kaum geändert hat.

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Die Islamic Action Front (IAF), die Partei der Muslimbruderschaft, boykottierte die Wahl aus Protest gegen die nach ihrer Ansicht ungenügenden Änderungen des Wahlrechts.

Das neue Wahlrecht

Im Juli 2012 verabschiedete das jordanische Parlament ein neues Wahlgesetz, welches das 1993 eingeführte Wahlrecht der „einfachen nichtübertragbaren Stimme“ ablöste. Jeder Bürger hat nun zwei Stimmen: Eine – wie schon bisher – für einen Direktkandidaten aus dem jeweiligen Wahlbezirk. Mit der zweiten Stimme werden Kandidaten nationaler Listen nach dem Verhältniswahlrecht bestimmt. Mit der Listenwahl soll auf lange Sicht durch die Wahl politischer Parteien die bisherige Tradition überwunden werden, wonach unabhängige Kandidaten vor allem aufgrund ihrer Stammeszugehörigkeit gewählt wurden. Allerdings werden nur 27 bzw. 18 Prozent der 150 Sitze im Parlament nach dem Verhältniswahlrecht besetzt, was im Vorfeld der Wahlen zu Unzufriedenheit in bestimmten Kreisen geführt hat. Bemängelt wurde, dass das neue Wahlrecht den Parteien zu wenig Einfluss zuspreche und ihnen die Chance vorenthalte die sie bräuchten, um sich ausreichend entwickeln zu können.

Die Islamic Action Front, die Partei der Muslimbruderschaft, der ein Potential von rund 25 Prozent der Wählerstimmen zugesprochen wird, hatte einen Sitzanteil von 30 Prozent für politische Parteien gefordert. Das vor diesem Hintergrund nicht völlig überraschende Nichteingehen der Regierung auf diese Forderung hat die IAF letztlich zum Boykott der Wahlen veranlasst.

15 der 150 Sitze im Unterhaus sind für Frauen reserviert; Christen stehen 9 Sitze zu und Tscherkessen und Tschetschenen insgesamt 3 Sitze. Erstmals muss der König sich in diesem Jahr mit dem Mehrheitsblock im Parlament beraten, wer als neuer Premierminister ernannt werden soll.

Wahlergebnisse

Der Ausgang der Wahlen war für Experten und Beobachter wenig überraschend: Durch die unterentwickelte und stark fragmentierte Parteienlandschaft gewannen die meisten Parteien nur einen Sitz im Unterhaus. Ausnahmen waren die Islamic Center Party (Al Wasat Al Islami) mit drei Sitzen. Die Partei stellt sich als moderater als die IAF dar und gibt an für politischen Pluralismus und Dialog einzutreten. Die National Union Party (Al Ithihad Al Watani), die Nation Party (Watan) und die Stronger Jordan Party (Urdun Aqwa) gewannen jeweils 2 Sitze. Die Parteien formten daraufhin Koalitionen mit einzelnen Kandidaten die durch die Erststimme ins Parlament eingezogen sind. Die Islamic Center Party z.B. erlangte so 16 Sitze im Unterhaus. Die Mehrheit der Sitze gewannen letztlich der Monarchie nahestehende Kandidaten und Parteien. Dennoch ist anzumerken, dass sich die Sitzverteilung verhältnismäßig gut zwischen den eher der Opposition angehörenden palästinensischen Jordaniern und dem Königshaus nahestehenden Parlamentariern verteilt. Auch innerhalb der Parteien wurde darauf geachtet, dass sich die Parteispitze jeweils aus einem Jordanier und einem Jordanier palästinensischen Ursprungs zusammensetzt, um zum einen das Gleichgewicht zu wahren und zum anderen Wählerstimmen aus beiden Lagern zu sichern.

Erstmals in der Geschichte des Haschemitischen Königreichs schafften 19 Frauen den Einzug ins Parlament. 15 von ihnen erlangten ihren Sitz aufgrund der Frauenquote, zwei durch direkten Wahlkampf in Amman und Jerash und zwei weitere wurden über die Parteienliste ins Parlament gewählt. Allerdings kritisieren Experten und Beobachter, dass Frauen nicht ausreichend an der Spitze politischer Parteinen vertreten waren und folglich im Gegensatz zu männlichen Kandidaten weniger Chancen hatten, über die Zweitstimme ins Parlament gewählt zu werden. Zum anderen wird jedoch auch angemerkt, dass die relativ hohe Frauenquote weiblichen Kandidaten in den einzelnen Wahlkreisen, die anhand der Erststimme gewählt werden, verhältnismäßig hohe Chancen zur Wahl zusicherten, auch wenn der Stimmanteil eines männlichen Kontrahenten eventuell signifikant höher war.

Die christliche Minderheit (2,8 bis 6 Prozent der Bevölkerung verfügt mit einer garantierten Quote von neun Parlamentssitzen grundsätzlich über eine absolut adäquate Vertretung im jordanischen Parlament. Ähnlich wie ein beachtlicher Teil der Gesamtbevölkerung sind allerdings auch viele Christen nicht zur Wahl gegangen. Eine wesentliche Rolle hat hierbei der Umstand gespielt, dass auch manchen christlichen Kandidaten unterstellt wurde, dass sie mit ihrer Kandidatur vor allem an ihre eigenen Interessen und erst im weiteren an jene ihrer Wähler gedacht haben. Das gilt nicht für Ghazi Musharbash, den Direktor der Theodor-Schneller-Schule in Amman, der nun zum zweiten Mal ins Parlament gewählt wurde.

Wahlbeteiligung

Die Jordan Times, eine regierungsnahe Tageszeitung, lobte am Tag nach der Wahl die hohe Wahlbeteiligung, welche ein Zeichen für den Willen zum politischen Wandel sei – 56,69 Prozent der registrierten Wähler haben danach ihre Stimme abgegeben. Schaut man sich die Zahlen jedoch genauer an und rechnet man sie auf die Gesamtbevölkerung um (6,8 Mio.), zeigt sich, dass nur knapp 19 Prozent aller Jordanier gewählt haben, bzw. 41,5 Prozent der 3,1 Mio. Wahlberechtigten. Zudem muss darauf hingewiesen werden, dass sich noch einen Tag vor der Wahl fünf Kandidaten in Untersuchungshaft befanden, die des massiven Stimmenkaufs angeklagt wurden. Demnach müsste die letztendliche Wahlbeteiligung erneut nach unten korrigiert werden.

Die Durchführung der Wahlen ist Beobachtern und Wähleraussagen zufolge im Vergleich zu den Jahren davor organisiert und ohne systematischen Betrug verlaufen. Zu verdanken war dies vor allem neuen Techniken, die es so gut wie unmöglich machten, durch z.B. zweifache Stimmabgabe das Ergebnis zu verfälschen – eine Strategie die bei vorherigen Wahlen häufig angewandt wurde. Auch bei der Stimmauszählung kam es nationalen, regionalen und internationalen Beobachtern nicht zu signifikantem Wahlbetrug. Insgesamt wurde die Wahl von 7020 lokalen und 385 internationalen Beobachtern mitverfolgt. Auf nationaler Ebene stieß vor allem die Integrity Coalition for the Observation of the Elections hervor, welche sich aus 50 jordanischen Nichtregierungsorganisationen zusammensetzt, die am Wahltag 1300 Beobachter zu Wahlstationen im ganzen Land entsandte. Regional delegierte die Arabische Liga Vertreter zur Beobachtung des Wahlprozesses, die jedoch Experten zufolge einen eher symbolischen Dienst leisteten. International war allen voran die Election Observation Mission der Europäischen Union vertreten, die bereits im Dezember Experten nach Jordanien entsandte, um die Vorbereitung und Durchführung der Wahlkampagne zu beobachten. Die Parlamentswahlen in diesem Jahr waren die ersten, die unter internationaler Beobachtung standen. Massive Probleme sind den Ergebnissen der Wahlbeobachter zufolge weiterhin der Versuch des Stimmenkaufs – durch die Regeln des neuen Wahlgesetzes stark erschwert - und der Tribalismus, der die mit der Einführung der Zweitstimme für eine Listenwahl verfolgte Entkoppelung von Claninteressen und Stimmabgabe weiterhin konterkariert.

Allgemein ist die Politikverdrossenheit in Jordanien groß. Korruption und Betrug während früherer Wahlen und Legislaturperioden und die Tatsache, dass die Kandidaten überwiegend dieselben waren, die sich in den Jahren davor zur Wahl stellten, sind Gründe für eine geringe Wahlbeteiligung. Umfragen vor der Wahl zeigten, dass 60 Prozent aller Jordanier sich weder von einer der politischen Parteien repräsentiert sehen, noch von einer anderen sozialen Bewegung. Zudem waren sich nur 22 Prozent der Bevölkerung überhaupt der Tatsache bewusst, dass sie nun mit einer Zweitstimme eine (Partei-)Liste wählen konnten.

In den westlichen Medien wurden die Wahlen im Vorfeld als mitentscheidend für die weitere politische Entwicklung Jordaniens präsentiert. Grundsätzlich war allerdings schon vor den Wahlen davon auszugehen, dass nicht das Wahlergebnis über das Schicksal Jordaniens entscheiden würde, sondern – wenn dann – politische Entwick-lungen in der Region – etwa der Syrienkon-flikt mit seinen Auswirkungen – und die Interessen wichtiger regionaler politischer Akteure und Geldgeber Jordaniens.

Ungeachtet dessen ist anzuerkennen, dass sich auf Grund des neuen Wahlgesetzes tatsächlich Verbesserungen im Hinblick auf die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen ergeben haben und Verstöße gegen das Wahlgesetz nun auch tatsächlich strafrechtlich sanktioniert werden (können). An den grundsätzlichen Bedingungen unter denen Wahlen in Jordanien stattfinden hat aber auch das neue Wahlgesetz noch nichts ändern können. Das wird nur dann geschehen, wenn breite Teile der Bevölkerung verstehen, dass nicht die Wahl eines Kandidaten aus dem eigenen Stamm, der eigenen Großfamilie die weitere Entwicklung Jordaniens befördert, sondern eher die Wahl von Kandidaten einer Partei, die sich tatsächlich der Lösung der großen Probleme verschreibt, denen sich Jordanien gegenübersieht. Das würde allerdings voraussetzen, dass es in Jordanien ein entwickeltes Parteiensystem mit wirklichen Alternativen auch jenseits der Islamischen Aktionsfront gibt.

So gehen Experten und Beobachter davon aus, dass auch das neu gewählte Parlament schon deutlich vor dem eigentlichen Ende der Legislaturperiode 2017aufgelöst wird und es bereits in den nächsten zwei Jahren zu Neuwahlen kommen wird.

Geschichte des Wahlrechts und politischer Parteien

Bereits vor der Unabhängigkeit des Haschemitischen Königreichs 1946 waren politische Parteien in Jordanien aktiv und in den ersten Jahren verhältnismäßig einflussreich. Nach den Parlamentswahlen 1956 besetzten Parteien sogar die Mehrheit der Sitze im Parlament. Mit der Auflösung der Regierung und der Ausrufung des Kriegsrechts im Jahr 1957, wurden jedoch auch politische Parteien verboten. Trotz des Verbots waren sie weiterhin in Form anderer legaler und lizenzierter Organisationen wie Gewerkschaften und Verbände aktiv. Als es Ende der 1980er durch politische und wirtschaftliche Entwicklungen auf lokaler und regionaler Ebene zu einer Wiederbelebung des Parlaments und einer Aufhebung des Kriegsrechts im Jahr 1989 kam, wurde auch die Formierung und Arbeit politischer Parteien wieder freigegeben.

Bei den ersten Wahlen zur Nationalversammlung – dem heutigen Parlament – im Jahr 1989 gewannen islamistische Kandidaten rund 40 der Sitze im Parlament und hatten folglich einen signifikanten Einfluss. Bereits kurze Zeit später erklärte König Hussein, dass er das Wahlrecht revidieren wolle. Zurückzuführen waren diese Überlegungen zum einen auf die zunehmende Bedrohung durch islamistische Terroristen, was unter anderem ein Resultat der fortschreitenden Friedensverhandlungen zwischen Jordanien und Israel war, und zum anderen dem wachsenden politischen Einfluss der Islamisten, die sich zu einer ernstzunehmenden Opposition im Land entwickelt hatten. Im Jahr 1993 ersetzte König Hussein das bisherige Wahlgesetz, nach dem die Zahl der Stimmen der Wähler abhängig von den Sitzen im Mehrmandatswahlkreis war, durch das System der „einfachen nicht-übertragbaren Stimme“. Diese Gesetzesänderung diente vor allem dazu, die Zahl der oppositionellen Islamisten im Parlament zu reduzieren, indem es einzelne unabhängige Kandidaten begünstigte, die nicht wegen ihrer Ideologie und Parteizugehörigkeit gewählt wurden, sondern aufgrund ihrer Stammesverbindungen.

Heute ist die Parteienlandschaft höchst fragmentiert und umfasst etwa 30 regist-rierte Parteien. Die mit Abstand stärkste Partei ist die Islamische Aktionsfront (IAF), die Partei der Muslimbruderschaft. Seit der Gründung der Partei 1992 hatte sie, trotz der Änderung des Wahlrechts, eine nen-nenswerte Anzahl von Sitzen im Parlament, boykottierte allerdings 1997 und 2010 sowie in diesem Jahr die Wahlen.

Die Rolle der Islamisten

Die IAF ist seit langem stärkste Partei Jordaniens. Insbesondere im letzten Jahr gewannen sie durch starke Öffentlichkeitsarbeit, Demonstrationen und den allgemeinen Machtzuwachs islamistischer Parteien in der Arabischen Welt an Bedeutung. Der Königwarnte in diesem Zusammenhang vermehrt vor dem wachsenden Einfluss der Islamisten im Land und der Region. In einem Interview betonte Abdullah II, dass islamistische Parteien, insbesondere die Muslimbruderschaft, versuchten, zivile Kräfte im Land durch religiöse Autoritäten zu ersetzen, was eine Gefahr für die Region darstelle.

Gleichzeitig weisen Beobachter jedoch daraufhin, dass die Rolle und der Einfluss der Muslimbruderschaft in Jordanien differenziert zu islamistischen Parteien in der Region gesehen werden. Zwar ist die Partei um-fassend organisiert, doch ist der Rückhalt in der Bevölkerung geringer als häufig angenommen. Zudem kam es in den letzten Monaten vermehrt zu internen Auseinandersetzungen der IAF, welche die Partei letztlich in zwei Flügel spaltete.

Fazit

Die Wahlen haben gezeigt, dass sich ausgehend vom neuen Wahlgesetz die praktische Durchführung der Wahlen verbessert hat. An der Zusammensetzung des Parlaments hat sich allerdings kaum etwas geändert. Um die Korruption der politischen Elite zu bekämpfen und echte Demokratisierung voranzubringen reicht eine Reform des Wahlgesetzes allein nicht aus. Man kann sogar den Eindruck gewinnen, dass der Prozess der Demokratisierung wieder zu einem Stillstand kommen könnte, der nur durchbro-chen werden kann, wenn sich das System im ändert, was einer umfassenden Reform des politischen Systems von innen bedarf, insbesondere einer Bekämpfung des Klientelismus im Land.

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