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Event Reports

Über das Leben in der Diktatur der DDR

by Dr. iur. Christian Steiner

Eine Woche mit Freya Klier in Bonn

In die persönlichen Erlebnisse Freya Kliers während der DDR-Diktatur konnten Schülerinnen und Schüler verschiedener Bonner Schulen in der vergangenen Woche eintauchen.

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Neben dem Gymnasium Collegium Josephinum, dem Gymnasium Siegburg Alleestraße und dem Berufskolleg Bonn-Duisdorf nahmen außerdem die Erzbischöfliche Liebfrauenschule Bonn sowie das Clara-Schumann-Gymnasium an dem Projekt teil. Klier, Autorin, Regisseurin und Bürgerrechtlerin, unternahm hierbei eine Zeitreise durch die Geschichte der DDR. Anhand von Zeitzeugengesprächen, Lesungen, Rollenspielen und Filmen vermittelte sie den Schülern einen Einblick in die Unterschiede zwischen diktatorischer Willkürherrschaft und demokratischer Freiheiten.

In drei Teilen verknüpfte die 1950 in Dresden geborene Autorin und Regisseurin ihren persönlichen Lebensweg mit den Rahmenereignissen der DDR-Geschichte: Der erste Teil beschäftigte sich mit den Anfängen der DDR in den 1950er Jahren sowie den Kinder- und Jugendjahren Kliers. Im zweiten Teil lag der Schwerpunkt auf dem diktatorischen System der DDR in den 1960er und 1970er Jahren sowie auf dem Widerstand und den eigenen Fluchterfahrungen. Der dritte Teil setzte sich schließlich im Rahmen der in der Sowjetunion stattfindenden Wandlungsprozesse mit der von Klier gegründeten Friedensbewegung, dem Mauerfall und der Wiedervereinigung auseinander.

Mit einem frühen Kindheitserlebnis weckte Klier die Neugier der Zuhörer. Eines Abends wollten ihre Eltern in Dresden ausgehen und stiegen in die Bahn ein. Daraufhin kam es aufgrund einer Belästigung der Mutter zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen ihrem Vater und einem anderen Mann. Es stellte sich heraus, dass der andere Mann den Beruf des Polizisten ausübte und sich ihr Vater somit „an der Staatsmacht vergangen hatte“, so Klier. Im Zeichen dieser Willkürherrschaft wurde ihr Vater zu einer Haftstrafe verurteilt, ihre Mutter im Betrieb degradiert. Der Machtapparat der DDR, dem neben der Polizei und dem Justizwesen auch die Staatssicherheit, kurz Stasi, angehörte, stellte ein wichtiges Instrumentarium der Machtsicherung dar, erklärte Klier. Nicht gerade von demokratischen Prinzipien hätten einerseits die aus der NS-Zeit übernommenen Verhaltensmuster der Polizisten sowie andererseits die ausschließliche Besetzung von juristischen Ämtern mit „systemtreuen“ Personen gezeugt, führte die 68-Jährige weiter aus.

Freya Klier und ihr Bruder wurden im Alter von drei bzw. vier Jahren in ein Kinderheim gesteckt. Durch gezielte „Gehirnwäsche“ sollten sie im Sinne des sozialistischen Systems erzogen werden, so Klier. Gerade deshalb sei der erste Volksaufstand am 17. Juni 1953 ein erstaunliches Ereignis gewesen, an dem erstmals für Freiheit und Wiedervereinigung demonstriert wurde, erklärte Klier weiter. Allerdings schlug das Militär diesen Aufstand gewaltsam nieder und festigte das diktatorische Regime. In der Folge kam es zu einer Massenflucht in die Bundesrepublik Deutschland. Um diesem Massenexodus entgegenzuwirken, wurde schließlich am 13. August 1961 die Mauer in Berlin gebaut.

Im Hinblick auf die Ideologie der DDR hob Klier hervor, dass ein „neuer sozialistischer Mensch“ etabliert werden sollte. Das Individuum durfte im Wortschatz der DDR-Bevölkerung nicht mehr existieren, da von nun an das Kollektiv im Mittelpunkt stand, erläuterte die Filmregisseurin. Selbst in den Schulklassen sei der Aufbau von oben nach unten durchorganisiert gewesen. So säten beispielsweise Klassenspitzel Misstrauen unter den Klassenkameraden. Im Unterricht wurden militärische Disziplin und bedingungslose Folgebereitschaft eingefordert. In Form eines Rollenspiels wurde der Beginn einer Unterrichtsstunde in Staatsbürgerkunde nachgestellt. Sowohl das blitzschnelle Aufstehen als auch die militärische Begrüßung „Freundschaft! Freundschaft!“ und die Taschenkontrolle nach "Schund- und Schmutzliteratur" führten den Schülern Drill und Überwachung vor Augen. Als zur Zeit der Beatles und Rolling Stones die Haarlängen der Jungen aufgrund einer ausgeprägten Fankultur größer wurden, kam es zu sogenannten Haarschneideaktionen. Hierbei schnitten die Lehrer den Schülern die Haare ab, um der Verbreitung der westlichen Kultur entgegenzuwirken.

Den zweiten Teil startete die ehemalige Bürgerrechtlerin damit, die gewaltsame Festnahme ihres Bruders zu schildern, der gegen die Versammlungsordnung sowie die Verbreitung von "Schund- und Schmutzliteratur" verstoßen hatte. Zudem berichtete sie von eigenen Fluchtversuchen. Klier selbst plante gemeinsam mit einer Freundin, das Hoheitsgebiet der DDR auf einer Luftmatratze über die Ostsee zu verlassen. Diesen Versuch nahmen sie allerdings nie in Angriff, da die Küste und der Strand durch Grenzposten und Mitarbeiter der Staatssicherheit überwacht wurden. Außerdem war es verboten, größere Schwimmobjekte ins Wasser mitzunehmen. Durch eine schwedische Brieffreundschaft erschloss sich ihr, zuerst unbemerkt von der Stasi, ein zweiter Fluchtversuch. Als Freya Klier allerdings am Hafen das Schiff suchte, wurde sie aufgrund „versuchter Republikflucht“ festgenommen und zu einer Haftstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt.

Anschließend zeigte Klier den Schülern in Eigenregie gedrehte Filme, die von geglückten und fehlgeschlagenen Fluchtversuchen berichten. Der eine thematisiert eine erfolgreiche Flucht mehrerer Ostberliner Oberschüler mithilfe des Moskau-Paris-Express, im anderen werden persönliche Fluchtversuche über die bulgarische Außengrenze nachvollzogen.

Nach einer weiteren kurzen Pause erzählte Klier den Schülern von ihrer kirchlichen Friedensbewegung. Als besonders tragisch erwies sich die Situation ihres Bruders, der nach einem Protest vor dem Arbeitsgelände der Stasi in eine Nervenklinik bei Arnsberg interniert wurde. Dort nahm er sich 1979 unter Einfluss von schweren Psychopharmaka im Alter von gerade einmal 30 Jahren das Leben. Für Freya Klier war dies der Moment, dem demokratiefeindlichen Regime endgültig „den Kampf anzusagen“. In Auszügen aus ihrem Tagebuch berichtete Klier über einen gegen sie versuchten Mordanschlag mit Nervengift sowie über ihre erneute Verhaftung und Hausdurchsuchung. Später stellte sich heraus, dass ihre gesamte Wohnung verwanzt war und die Stasi somit über jegliche Schritte der Friedensbewegung Bescheid wusste.

Neben den schulischen Projekttagen konnten Interessierte im Haus der Bildung der Volkshochschule Bonn eine Filmvorführung mit anschließendem Zeitzeugengespräch zum Thema „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht – Frauen in der DDR“ besuchen. Dabei stand Freya Klier als Regisseurin des Films für Nachfragen zur Verfügung. Der 45-minütige Dokumentarfilm arbeitete anhand von Zeitzeugengesprächen und Originalmaterial des DDR-Fernsehens Erinnerungen von Frauen aus Stadt und Land auf. Nadja Klier, Freya Kliers Tochter und Erzählstimme des Films, befragte Frauen zur Berufstätigkeit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der DDR. Oft ist laut den Ausführungen des Films von Gleichberechtigung die Rede, da Frauen die Möglichkeit der Berufsausübung erhielten. Es werde jedoch vernachlässigt, dass Frauen bei gleicher Arbeit weniger verdienten, in Führungspositionen unterrepräsentiert waren und die Hausarbeit und Kindererziehung schulterten. Die Berufstätigkeit der Frauen sei zumeist darauf zurückzuführen, dass in der DDR ein hoher Arbeitskräftemangel geherrscht habe, den man zu bewältigen versuchte. Aufgrund der psychischen und physischen Doppelbelastung der Frau sowie der negativen Auswirkungen auf das Familienleben resultierte in der DDR eine erhöhte Scheidungsrate im Vergleich zum Westen. Auch wenn sich Rollenbilder in Ost und West durchaus ähnelten, so wurde die durchgreifende Rolle des Staates in der DDR und die damit einhergehende Unfreiheit eindrucksvoll dargestellt.

Die Woche hat wieder einmal vor Augen geführt, wie wichtig es ist, über Diktaturen aufzuklären, um das Leben in einer Demokratie mit all ihren Freiheiten und Möglichkeiten, das Zusammenleben zu gestalten, wertzuschätzen und nicht als selbstverständlich hinzunehmen. Wir freuen uns auf eine Fortsetzung im nächsten Jahr!

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Dr. Ulrike Hospes

Dr. Ulrike Hospes

State Commissioner and Head of the Political Education Forum NRW /
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ulrike.hospes@kas.de +49 (0) 2241 246 4257 +49 (0) 2241 246 5 4257

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Sankt Augustin Deutschland