Der „Paradiesgarten“ auf der Leinwand, die Gewalt im Ohr, die Bilder des Terrors im Kopf
Mit The Zone of Interest startete am 29. Februar 2024 ein Holocaust-Film in den deutschen Kinos, der Hannah Arendts Umschreibung von der „Banalität des Bösen“ für die Zuschauer erlebbar macht. Der Film zeigt das vermeintliche Familienidyll von Rudolf Höß (gespielt von Christian Friedel), Kommandant des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, der mit seiner Frau Hedwig (gespielt von Sandra Hüller) und seinen fünf Kindern direkt neben dem Lager lebt. Ausgezeichnet mit dem Großen Preis der Jury beim Filmfestival von Cannes 2023, ist der Film von Jonathan Glazer aktuell für fünf Oscars® nominiert, unter anderem in den Kategorien Bester Film, Beste Regie und Bestes adaptiertes Drehbuch.
Auf dementsprechend großes Interesse stieß die Vorpremiere des Films am 27. Februar 2024 im Delphi Lux Kino in Berlin. Bei der Begrüßung der Zuschauer im bis auf den letzten Platz gefüllten Kinosaal bereiteten Stefan Stahlberg und Kathrin Zehender, Referenten der Abteilung Zeitgeschichte der Konrad-Adenauer-Stiftung, die Gäste auf einen außergewöhnlichen Filmabend vor. Zu sehen seien eigentlich „drei Filme“ auf einmal: ein Film, den man sieht, ein Film, den man hört, und ein Film, der sich auf der Basis dieser Sinneneindrücke im Kopf abspielt.
Wie authentisch sind der Film und die Darstellung von Rudolf Höß?
Im Anschluss an die Vorführung folgte – traditionsgemäß für die Zeithistorische Filmreihe – ein Nachgespräch, dieses Mal mit Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands, sowie Rainer Rother, Leiter der Deutschen Kinemathek und der Retrospektive der Berlinale, und Stephan Lehnstaedt, Professor für Holocaust-Studien und jüdische Studien an der Touro University Berlin. Moderiert wurde die Diskussion von Michael Borchard, Leiter Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Lehnstaedt ging der Frage nach, wie authentisch der Film sei, und konstatierte, dass die Darstellung von Höß als Überzeugungstäter mit seiner ideologischen Einstellung einhergehe. Das mangelnde Unrechtsbewusstsein sei authentisch dargestellt, da er seine Taten für „absolut und vollkommen richtig“ hielt, so Lehnstaedt. Er betonte außerdem die Rolle der Ehefrauen, die systemtreue, überzeugte Anhängerinnen des Regimes gewesen seien und diese Verbrechen aktiv mitgetragen und ermöglicht hätten, was der Film gut einfangen würde.
Über die (Un)Darstellbarkeit des Holocaust
Als „ungewöhnlichsten Film über den Holocaust“ bezeichnete Rother The Zone of Interest. Der Film würde mit der Erwartung der Zuschauer brechen, indem er das Lager nur von außen zeige. Da die Bilder von Gewalt und Grausamkeit nur über den Ton transportiert werden, würde es Glazer gelingen, die permanente Dauer der Vernichtung darzustellen und in jeder Szene präsent zu halten. Die scheinbare Normalität, die im Film gezeigt werde, sei demnach immer auch eine Normalität im Bewusstsein der Verbrechen, die dort geschehen.
Inwieweit ist der Terror der NS-Zeit begreifbar, wenn das Vorwissen fehlt?
The Zone of Interest sei ein „anderes Kino“ als Schindlers Liste von 1993 und würde sich im Gegensatz zu Spielbergs Hollywoodfilm an ein informiertes Publikum richten, so Rother. Dadurch sei es schwierig, den Film ohne Vorwissen und Kontextualisierung zu rezipieren. Dieser Einschätzung schloss sich Veiler an, die eine historische Einordnung, gerade auch für ein jüngeres Publikum, für notwendig erachtete. Dabei verwies sie auf Studien, die belegen, dass ein Großteil der „Generation Z“ glauben würde, dass ihre Familien zu den Opfern des Nationalsozialismus zählen. Dieser verzerrten Wahrnehmung müsse entgegengewirkt werden, da jeder potenziell zum Täter werden könne. „Da ist dieser Film sehr nützlich, weil er genau zeigt, es sind eben die einfachen Familienväter gewesen, die dazu im Stande waren […] und genau wussten, was hinter dieser Lagermauer passiert“, so Veiler. Da Glazer in seinem Werk auch die Sprache des Nationalsozialismus in den Blick nimmt, sei es laut Veiler vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse zudem wichtig, ein Bewusstsein für die Macht der Sprache zu entwickeln und Euphemismen von Abschiebungsphantasien keinen Raum zu bieten.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum ist etwas Zweifel an der These der „Normalität“ der Täter geäußert worden. Gerade Höß sei schon vor dem Zweiten Weltkrieg als Gewalttäter aufgefallen.