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Reportajes internacionales

Mexiko hat gewählt

de Frank Priess

Das vorläufige Ergebnis bestätigt Felipe Calderón

Nach einer spannenden Wahlnacht hat Mexiko noch immer keine endgültige Klarheit über seinen neuen Präsidenten: Erst am Mittwoch oder am Donnerstag, so die Aussage des Bundeswahlinstituts IFE, wird klar sein, welcher der beiden führenden Kandidaten offiziell bestätigt wird. In den 300 Wahldistrikten des Landes werden dann noch einmal alle Wahlunterlagen komplett überprüft – angesichts des knappen Wahlergebnisses darf man erwarten, dass insbesondere der vermeintliche Verlierer eine Neuauszählung Stimmzettel für Stimmzettel fordern wird.

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Im Internet allerdings ließ sich von Anfang an die laufende Auszählung (Resultados Electorales Preliminares) gut verfolgen, ließen sich erste Schlüsse ziehen: Nach Auszählung fast aller Wählerstimmen – die Wahlbeteiligung lag bei rund 60 Prozent der knapp 72 Millionen Wahlberechtigten - liegt Felipe Calderón Hinojosa von der „Partei der nationalen Aktion“ (Partido Acción Nacional, PAN) knapp einen Prozentpunkt (insgesamt rund 36,5 Prozent) vor seinem schärfsten Widersacher, Andrés Manuel López Obrador (PRD / insgesamt rund 35,5 Prozent) vom linken Parteienbündnis „Allianz zum Wohle Aller“ (Alianza para el Bien de Todos). Auf rund 370.000 Wählerstimmen beläuft sich konkret dieser Vorsprung – schwer vorstellbar, dass sich daran noch grundsätzlich etwas ändern könnte, wenn es zur offiziellen Nachzählung kommt.

Ein katastrophales Ergebnis – dies hatte sich weniger drastisch schon während des Wahlkampfes abgezeichnet – fuhr Roberto Madrazo von der jahrzehntelang regierenden „Partei der Institutionalisierten Revolution“ (Partido Revolucionario Institucional, PRI) ein: Lediglich rund 21 Prozent der Mexikanerinnen und Mexikaner wollten sich für ihn entscheiden. Ratlosigkeit herrschte im Partei-Hauptquartier, Erklärungsversuche waren Mangelware. Lediglich die Verhaftung des Ex-Präsidenten Luis Echeverría Alvarez kurz vor den Wahlen – für seine mutmaßliche Verwicklung in das Massaker von Tlatelolco im Jahre 1968 – schien manchen als finaler Schlag.

Zwei kleine Parteien – die Alternativa Socialdemócrata y Campesina und die Partido Nueva Alianza - schafften es immerhin, die Zwei-Prozent-Hürde zu überwinden und damit ihre Parteienregistrierung zu erhalten. Auch sind sie im neuen Abgeordnetenhaus und Senat vertreten, die Teilnahme an der wichtigen staatlichen Parteienfinanzierung ist gesichert.

Führungswechsel und Unsicherheiten

Die Spannung hatte sich nach mehrmaligen „Führungswechseln“ in den vergangenen Monaten zugespitzt – das Duell zwischen Andrés Manuel López Obrador (AMLO) und Felipe Calderón war das bestimmende Szenario. Noch von den zwölf letzten und bis zum 23. Juni veröffentlichten Umfragen – in der Woche unmittelbar vor den Wahlen war die Publikation solcher Daten verboten – sahen sieben AMLO vorn, vier Felipe Calderón und eine – BGC Ulises Beltrán y Asociados – ermittelte ein Unentschieden bei je 34 Prozent. Die Umfrageinstitute wurden nicht müde, aufgrund schlechter Vorerfahrungen zu versichern, dass sie nur Momentaufnahmen und keine Prognosen produzierten. So erklärte etwa Roy Campos von Consulta Mitofsky, dass sich in Mexiko traditionell zwischen acht und zwölf Prozent der Wähler nach eigenen Angaben erst am Wahltag wirklich entscheiden (El Universal, 28.6.), was immer zu Überraschungen am Wahltag führen könne, vielleicht sogar durch Madrazo und die PRI. Dazu kam es dann allerdings doch nicht.

Interessant ist die Spaltung in einen „blauen“ Norden und Nordwesten und „gelb“ im Zentrum und im Süden des Landes, analog der Parteifarben von PAN und PRD: Schon vor den Wahlen hatten verschiedene Analysten, so u.a. Jorge Volpi (in der Zeitschrift Proceso vom 4. Juni) eine solche Division des Landes konstatiert: der wohlhabendere und modernere Norden und Westen, die, die etwas zu verlieren haben, setzten auf das Projekt von Félipe Calderón, die “Verlierer”, die “ohne Perspektive” im Süden und Südwesten sowie im Umfeld des Hauptstadtdistrikts, identifizierten sich mit López Obrador. Und dies, so Volpi, sei das grundlegende strukturelle Problem: Vierzig Millionen Mexikaner in Armut hätten bisher wenig davon gehabt, dass Mexiko in makroökonomischer Betrachtungsweise mittlerweile zu den 15 größten Volkswirtschaften der Welt zu zählen sei.

Von zentraler Bedeutung ist mittlerweile aber im sozial stark polarisierten Mexiko eine wachsende untere Mittelschicht mit einem Jahreseinkommen zwischen 4.100 und 11.000 US$ jährlich, eben zwischen den 15 Prozent Wohlhabenden und den 40 Prozent Armen des Landes. Das Wall Street Journal etwa sieht sie als “die neuen Kunden von Wal-Mart” und verortet sie vor allem in den Stadtrandgebieten der großen Städte, mittlerweile mit Zugang zu Wohnungsbaukrediten und durchaus mit der Angst, bei einem wirtschaftlichen Systemwechsel zu den Verlierern zu gehören. Stabilität dürfte für sie ein wichtiges Wahlargument gewesen sein. Entsprechend definierte es auch der Wahlkampfmanager von Felipe Calderón, Juan Camilo Mouriño: “Die Mittel- und die untere Mittelklasse sind für uns von fundamentaler Bedeutung. Es handelt sich um Menschen, die in begrenztem Umfang Eigentum erworben haben und fürchten, es könnte für sie Rückschritte geben.” (Wall Street Journal Americas, 7. Juni 2006) Offenbar ist es der PAN gelungen, hier zu mobilisieren und zusätzlich mehrheitlich von Wechselwählern der PRI zu profitieren, die angesichts der Chancenlosigkeit des eigenen Kandidaten nach anderen Optionen suchten.

PAN-Dominanz im Kongress und in den Bundesstaaten

Auch bei den parallel stattfinden Kongresswahlen hat die PAN ein hervorragendes Ergebnis erzielt. In beiden Kammern wurde sie deutlich stärkste Kraft vor der PRD-Koalition. Die jeweils rund 33 Prozent der Wählerstimmen führen bei der Sitzverteilung zu Anteilen von rund 42 Prozent. Gleichwohl werden dringend Verbündete für pragmatische Kooperationen oder auch mehr gesucht. Die PRI, die ihrem grünen Bündnispartner in der „Allianz für Mexiko“ zudem noch Senatoren- und Abgeordnetenmandate sowie einen kräftigen Happen von der Wahlkampffinanzierung abgeben muss, landete erstmalig in beiden Häusern auf dem dritten Platz.

Die Erfolge der PAN setzten sich überdies bei den Gouverneurswahlen in drei Bundesstaaten fort: In Guanajuato und Morelos konnte sie die Mehrheit verteidigen, im wichtigen Bundesstaat Jalisco löste sie den bislang regierenden PRI-Gouverneur ab. Lediglich im Hauptstadtdistrikt gab es einen klaren Triumph für den PRD-Kandidaten Marcelo Ebrard. Auch konnte sich die PRD 13 Stadtteilregierungen sichern, die PAN drei und die PRI keine einzige. Einen eher symbolischen Sieg verbuchte die PAN bei den erstmals wahlberechtigten Auslandsmexikanern: von diesen 33.011 Stimmen aus 71 Ländern erreichte sie einen Anteil von etwas 58 Prozent.

„Exemplarische Wahlen“

Ein Gewinner der Wahl ist – trotz des noch ungewissen endgültigen Ausgangs – die mexikanische Demokratie. Sie erlebte nach einem harten und polarisierten Wahlkampf letztlich einen ruhigen und geordneten Wahltag, der weitgehend ohne Störungen verlief. Lediglich vor den sogenannten „speziellen Wahllokalen“, in denen Bürger wählen können, die aus welchen Gründen auch immer nicht in dem ihnen eigentlich zugewiesenen Wahllokal die Stimme abgeben, kam es wie schon bei vergangenen Wahlen zu Konflikten: Das Wahlgesetz begrenzt die Zahl dieser Wahllokale auf fünf pro Distrikt und gleichzeitig die dort ausgegebenen Wahlzettel in jedem Wahllokal auf 750: das erwies sich auch diesmal in vielen Fällen als zu gering, abgewiesene und wütende Wahlberechtigte waren einmal mehr die Folge. In den mit besonderem Argwohn betrachteten 107 „roten Zonen“ des Landes hingegen – Orte, an denen das IFE gravierende Probleme für möglich hielt – stimmten die Bürger unter friedlichen Rahmenbedingungen ab. Nach Aussage des Wahlleiters, Luis Carlos Ugalde, konnten lediglich acht von insgesamt rund 130.500 Wahllokalen ihre Arbeit nicht wie vorgesehen aufnehmen. Die Wahlbeobachter der Europäischen Kommission sprachen von „exemplarischen Wahlen für die ganze Region“. Allerdings musste sich auch das IFE Kritik gefallen lassen: ein so teurer Wahlprozess, so etwa der Kommentator der Zeitung El Universal, Raul Cremoux, müsse einfach zu schnelleren und akkurateren Ergebnissen führen und nicht zu tagelanger Agonie.

Irritationen in der Wahlnacht

Nach Schließung der Wahllokale war als erster der PAN-Parteivorsitzende Manuel Espino vor die Presse getreten und hatte die Siege seiner Partei bei den Gouverneurswahlen in Jalisco, Guanajuato und Morelos verkündet. Dann allerdings begann für alle ein nervenaufreibendes Warten, das nur von Nachrichten über die Ergebnisse von Nachwahl-Befragungen und „Hochrechnungen“ verschiedener Meinungsforschungsinstitute unterbrochen wurde – meist mit Vorteilen für Felipe Calderón. Eine Vorentscheidung allerdings sollte erst der für 23 Uhr Ortszeit vorgesehene Auftritt des Wahlleiters bringen, der in den Hauptquartieren ähnlich einer Silvesternacht „heruntergezählt“ wurde. Ugalde lobte dann zwar den Wahlverlauf, vertröstete die Mexikaner allerdings auf ein endgültiges Ergebnis nach dem 5. Juli, dem Termin, an dem die offizielle Nachzählung aller Wahlunterlagen beginnt. Kurz nach ihm würdigte Präsident Vicente Fox den Urnengang und forderte seine Landsleute auf, in Ruhe und Geduld die Ergebnisse des IFE abzuwarten.

Dann kam die Stunde eines sichtlich nachdenklichen Andrés Manuel López Obrador: Er respektiere zwar das Verfahren des IFE, sein Wahlsieg allerdings sei auf der Basis eigener Zahlen „irreversibel“. Mit 500.000 Stimmen liege er in Führung, so AMLO, in den nächsten Tagen werde er zu einem „nationalen Pakt“ einladen, der die Regierungsfähigkeit sichere. Bei der PAN ließ Felipe Calderón diese Aussagen nicht auf sich beruhen. Auch er respektiere die Entscheidungen des IFE, gleichwohl sprächen die vorliegenden Zahlen eindeutig für ihn, so der PAN-Kandidat. In den laufenden Auszählungen des IFE habe AMLO während der ganzen Nacht nicht ein einziges Mal geführt, die wesentlichen Meinungsforschungsinstitute sähen in ihren Nachwahlbefragungen und „Hochrechnung“ klar die PAN-Kandidatur in Führung. Calderón: „Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass das IFE das so bestätigen wird.“ Auch er stellte anschließend eine „Regierung der nationalen Einheit“ in Aussicht. Beide – der eine auf dem zentralen „Zocalo“ der Hauptstadt, der andere vor der PAN-Zentrale – wendeten sich anschließend direkt an ihre Anhänger, die seit mehreren Stunden im strömenden Regen auf ihre Spitzenkandidaten gewartet hatten: Mehr als Aufmunterungen aber konnten sie zu diesem Zeitpunkt nicht bieten – mit heftigen Restzweifeln ging Mexiko ins Bett.

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