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Flucht in die sexuelle Ausbeutung?

Unser Kurzum analysiert die Situation geflüchteter Frauen aus der Ukraine. Wie steht es um die Gefahr von sexuellen Übergriffen für die Frauen?

Hunderttausende Frauen und Kinder aus der Ukraine suchen zurzeit Schutz in Deutschland. Familienministerin Spiegel forderte einen besseren Schutz dieser Gruppe vor sexuellen Übergriffen. Tatsächlich berichten Helferinnen und Helfer immer wieder von dubiosen Ansprachen und warnen vor Menschenhändlern, Sexualverbrechern und organisierten Zuhälterringen.

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Sorge vor Zwangsprostitution und sexueller Ausbeutung

Der russische Angriff auf die Ukraine treibt millionenfach Frauen und Kinder in die Flucht, mehrere Hunderttausende sind bereits nach Deutschland gekommen. Neben den unzähligen seriösen Hilfsangeboten gibt es auch immer öfter Berichte über Ansprachen und Angebote von mutmaßlichen Sexualverbrechern, Menschenhändlern oder Zuhältern. Aus Polizeikreisen ist zu hören: „Kriminelle aus dem Rotlichtmilieu versuchen, die schwierige Lage der Flüchtlinge auszunutzen.“ Die Bundespolizei twittert mittlerweile mehrsprachige Warnungen. Verdachtsfälle gäbe es täglich mehrere. Bekommt die Polizei Kenntnis von solchen Angeboten, werden Platzverweise ausgesprochen. Am Berliner Hauptbahnhof wurde sogar eine entsprechende Koordinierungsstelle errichtet. Momentan, so die Pressestelle der Berliner Polizei gegenüber Focus-Online, seien aber noch keine Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.

Grund zur Beruhigung ist das nicht. Nach Einschätzungen von Expertinnen und Experten ist die Bedrohungslage für ankommende Ukrainerinnen sehr real. Die Sozialarbeiterin und Frauenrechtlerin Sabine Constabel macht in einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten auf die besondere Form der Ansprache von geflüchteten Frauen aufmerksam: „Die Befürchtung ist, dass da auch Menschenhändler, sogenannte Loverboys, unterwegs sind, die erst mal sehr nett zu den Frauen sind, sich um sie kümmern, vielleicht sogar die Sprache sprechen, aber irgendwann eine Gegenleistung einfordern und zu Zuhältern werden.“ Auch die Aktivistin Huschke Mau sieht diese Gefahr und warnt in sozialen Medien sowohl vor Männern, die momentan versuchen würden, sich eine „Privatprostituierte“ zuzulegen, als auch vor organisierter Zuhälterei. Schon bald, so ihre Vorhersage, würden geflüchtete Ukrainerinnen in deutschen Bordellen arbeiten.

 

Prostitution und Sexarbeit in Deutschland

Besonders verwundbare Frauen aus Kriegs- oder Krisengebieten sollten keine Angst haben müssen, wenn sie nach Deutschland kommen. Es reicht deshalb nicht aus, Aufklärung, Schutz und Hilfsangebote in Bahnhöfen und Flüchtlingsunterkünften anzubieten. Deutschland weist eine in Europa außergewöhnlich liberale Gesetzgebung auf und bietet daher europaweit einzigartige Freiräume für Freier und Zuhälter. Durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz wurde die Sittenwidrigkeit abgeschafft. Sexuelle Handlungen mit vorher geregelten Entgelten sind laut diesem Gesetz Vereinbarungen mit rechtswirksamen Forderungen. Ziel des Gesetzes war die rechtliche Anerkennung der freiwillig in diesem Bereich arbeitenden Sexarbeiterinnen. Damit ist es legal geworden, Sexarbeiterinnen aufzusuchen. Kritikerinnen und Kritiker machen diese liberale Gesetzgebung dafür verantwortlich, dass Deutschland zum – wie es oft heißt – „Bordell Europas“ geworden ist.

Heute, 20 Jahre nach der Legalisierung, ist eine verschwindend geringe Anzahl von Frauen tatsächlich freiwillig in diesem Bereich beruflich tätig. Die meisten werden zu sexuellen Handlungen genötigt oder unter falschen Versprechungen in das Prostitutionsgewerbe gelockt – oft aus dem Ausland. Entweder werden ihnen Jobs im Hotel- und Gastronomiegewerbe angeboten oder es wird ihnen eine partnerschaftliche Beziehung vorgetäuscht. Die Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ schätzt den Anteil der eigenständigen und selbstbestimmten Frauen in der Sexarbeit als sehr gering ein. Mit dem 2017 in Kraft getretenen Prostitutionsschutzgesetz sollte Zwangsprostitution bekämpft und der Schutz von Prostituierten verbessert werden. Bordelle unterliegen demnach einem Zulassungsverfahren und Prostituierte müssen sich anmelden sowie regelmäßige gesundheitliche Beratungen nachweisen. Ende 2019 hatten sich lediglich 40.400 Frauen registriert, im Zuge der Corona-Bestimmungen verringerte sich die Anzahl laut Statistischem Bundesamt Ende 2020 auf 24.940 Anmeldungen. Schätzungen gehen demgegenüber von 200.000 bis 400.000 Prostituierten in Deutschland aus. Zwar stellt die 2021 von der großen Koalition umgesetzte Reform des Strafgesetzbuches eine Verbesserung der Rechtslage dar, da nunmehr der Freier den Nachweis erbringen muss, dass er bei einer sexuellen Handlung keine Kenntnis einer Zwangslage der Frau hatte. Das sogenannte „nordische Modell“, das beispielsweise seit 1999 in Schweden umgesetzt wird, geht allerdings weit hierüber hinaus. Ob das in Schweden und in einigen anderen Staaten praktizierte Sexkaufverbot und die Kriminalisierung von Freiern auch in Deutschland ein gangbarer Weg wäre, wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert. In jedem Fall muss die aktuelle Situation nicht nur zum Anlass genommen werden, den Schutz geflüchteter Frauen zu verbessern. Mittelfristig sind auch eine faktenbasierte Diskussion über Prostitution in Deutschland und neue Politikansätze in der Prostitutionsgesetzgebung notwendig.

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Kontakt

Dr. Dana Fennert

Dana Fennert

Gleichberechtigung und gesellschaftliche Vielfalt

dana.fennert@kas.de +49 30 26996-3590

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