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Martin Abegglen / flickr / CC BY-SA 2.0

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Wien: Neue Realitäten

dari Claudia Crawford, Johannes Spreitz

Sowohl die Landes- als auch die Bundesregierung in Wien sehen sich neuen Realitäten gegenüber

Fünf Wochen nach der Wien-Wahl sind die Koalitionsgespräche zu einem Ergebnis gekommen. Wien bekommt eine ganz neue Regierung. Das Attentat am 2. November in der Innenstadt von Wien führt zu einer Debatte über die Zusammenarbeit der Behörden. Anders als im Frühjahr halten sich die Corona-Infektionszahlen in Österreich hartnäckig oben. Das Regieren wird mühsamer.

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Wenn man über Wien in politischen Farben spricht, dann spricht man vom Roten Wien. Das hat sich auch nach dem 11. Oktober 2020, dem Tag der Gemeinderatswahl (Äquivalent zur deutschen Landtagswahl) nicht geändert. Das Ergebnis brachte der SPÖ, vor allem dem noch jung im Amt befindlichen Bürgermeister Michael Ludwig einen fulminanten Wahlsieg von 41,6 Prozent. Das ist ein Zuwachs in Höhe von 2 Prozent. Auch andere Parteien hatten zugelegt. Etwa die Grünen um 3 Prozent auf nunmehr 14,8 und vor allem die ÖVP um 11,2, womit sie auf 20,4 Prozent kam. Ebenfalls zulegen konnten die NEOS, die auf 7,5 Prozent kamen und damit auf 1,3 Prozent mehr. Der Wahlverlierer stand schon vor der Wahl fest: die FPÖ. Sie verlor allerdings deutlich mehr als vermutet, nämlich über 23 Prozent, sodass sie jetzt im einstelligen Bereich bei 7,1 Prozent liegt. Wien galt immer als FPÖ-Hochburg, umso tiefer dieser Fall. Zur Erklärung dafür bedarf es nur zweier Stichwörter, ohne die Sachverhalte an dieser Stelle noch einmal zu vertiefen: Ibiza und Heinz-Christian Strache. Der ehemalige FPÖ-Vorsitzende trat ebenfalls zur Wahl in Wien an, blieb aber mit 3,27 Prozent unterhalb der 5-Prozent-Hürde.

Prozentzahlen sind tückisch. Sie vermitteln manchmal einen mächtigeren Eindruck als zur Bewertung eines Sachverhalts angemessen. In Bezug auf die Wien-Wahl lohnt sich beispielsweise ein Blick auf die absoluten Stimmen. Nach diesen bekam die SPÖ 27.806 Stimmen weniger als bei der Wahl im Jahr 2015. Die FPÖ bekam natürlich dramatisch weniger Stimmen auch an absoluten Stimmen, nämlich 204.848! Aber wenn man genau hinschaut, fällt auf, dass fast 115.000 Wahlberechtigte weniger ihre Stimme abgegeben haben, als vor fünf Jahren. Wenn man dann noch die Stimmen für die Liste Strache und den Zuwachs der ÖVP dazu rechnet, ist man bei etwa dem Stimmenverlust der FPÖ. Die meisten FPÖ-Wähler sind einfach zu Hause geblieben, was bedeutet, dass sie für die FPÖ durchaus noch erreichbar sind.

Wien wird rot-pink

Die Wahl schenkte der SPÖ die Freiheit, zwischen drei möglichen Koalitionspartnern zu wählen. Die FPÖ ist da nicht mitgezählt, da diese in keinem Fall infrage kam. Aber auch eine Koalition mit der neuen Volkspartei (ÖVP), galt als unwahrscheinlich. Vielmehr konnte von einer Fortsetzung von rot/grün ausgegangen werden, zumal die Grünen gestärkt aus der Wahl hervorgingen. An den Grünen wäre dies keinesfalls gescheitert, sie wollten gern weiterregieren. Aber der Bürgermeister entschied sich dagegen. Es heißt, das Verhältnis zu seiner grünen Stellvertreterin und Stadträtin für Verkehr und Stadtentwicklung, Birgit Hebein, sei angespannt. Beide Parteien hätten sich immer wieder blockiert, vor allem bei dem wichtigen Kernthema Umweltschutz. So preschte Frau Hebein ohne Absprache mit dem Vorschlag einer autofreien Innenstadt Wien vor, welcher von der SPÖ dann nicht mitgetragen wurde.

Was vor der Wahl noch als unwahrscheinlich erschien, wird nun Realität. In sehr geräuschlosen Verhandlungen haben sich SPÖ und NEOS auf ein Bündnis geeinigt. Beide Seiten scheinen mit dem Vereinbarten zufrieden. Große Reformen stehen weniger im Programm, eher hier und da Verbesserungen und neue Initiativen. Große Aufmerksamkeit findet dabei der Gesundheits- und Schulsektor – angesichts der Corona-Pandemie mit ihren Folgen gerade für diese beiden Bereiche naheliegend. Für die NEOS, die bislang nur an einer Dreierkoalition im Bundesland Salzburg beteiligt sind, ist das eine große Chance zu zeigen, was sie können. Der künftige Vizebürgermeister und Vorsitzende der Wiener NEOS, Christoph Wiederkehr, und Bürgermeister Michael Ludwig haben einander bereits während des Wahlkampfs schätzen gelernt, die Chemie zwischen beiden scheint zu stimmen.

Für die NEOS spricht aber auch ein ganz pragmatischer machtpolitischer Grund: Eine Besonderheit der Wiener Stadtverfassung sieht vor, dass der Wiener Stadtsenat nicht nur von den Regierungsparteien gebildet, sondern proportional nach dem Wahlergebnis besetzt wird, also - bei entsprechender Stärke - auch von Oppositionsparteien. Diese sogenannten "nichtamtsführenden Stadträte" haben keinerlei inhaltliche Zuständigkeit und können auch gegen die Mehrheit der Regierungsmitglieder mit Portfolio nichts ausrichten. Dies ist eine historisch gewachsene Wiener Besonderheit. Ein derartiges Proporzsystem in der Bildung von Landesregierungen gab es in allen Bundesländern (dort allerdings nur mit Landesministern mit inhaltlicher Verantwortung); heute existiert dieses System nur noch in den Bundesländern Wien, Ober- und Niederösterreich. Gemäß dem Wahlergebnis stehen den Grünen künftig zwei Stadträte zu statt wie bisher nur einer. Bei einer Fortsetzung der rot-grünen Koalition hätte entweder die SPÖ einen Stadtrat abgeben müssen (undenkbar!) oder der Stadtsenat hätte vergrößert werden müssen. Rechtlich wäre dies zwar möglich, in Zeiten eingeschränkter budgetärer Möglichkeiten aber wohl politisch schwer erklärbar. Insofern sind die NEOS auch der "billigere" Partner.

Das Attentat vom 2. November

Am Vorabend zum Beginn des zweiten Lockdowns inmitten der Wiener Innenstadt ermordete binnen zehn Minuten ein 20jähriger Einzeltäter vier Menschen. Über 20 weitere Personen wurden verletzt, zum Teil schwer. Nur neun Minuten nach dem ersten Polizeinotruf wurde der Attentäter von Spezialkräften erschossen. Das Attentat ereignete sich an einem der ältesten Orte der Stadt, wo es viele Restaurants gibt, wo Menschen sich gerne treffen und wo sich auch die Synagoge und das Wiesenthal-Zentrum befinden. Spätestens nach diesem Abend ist allen Österreichern klar, dass ihr Land keine Insel ist, dass es genauso Ziel von Terror sein kann, wie andere europäische Länder auch. Nach der ersten Schockstarre und dem Bekanntwerden der Details über die Bluttat beginnt nun die Diskussion über die Arbeit der zuständigen Sicherheits- und Justizbehörden.

Der Täter war im Sommer 2020 in der Slowakei beim versuchten Munitionskauf von slowakischen Sicherheitsbehörden ertappt worden, die diese Information an das österreichische Innenministerium weitergegeben hatte. Außerdem hatte der Täter zusätzlich auch noch ein "Vernetzungstreffen" mit anderen Islamisten aus Deutschland und der Schweiz organisiert. Auch dieses Treffen war dem Verfassungsschutz bekannt. In beiden Fällen erfolgte keine Weitergabe der Information an die Justiz - in diesem Fall wäre eine neuerliche Inhaftierung erfolgt. Im Raum stehen daher Amtshaftungsklagen von Hinterbliebenen gegen die Republik Österreich. Auch wenn die Rücktrittsforderungen samt (misslungenem) Misstrauensvotum der Opposition an den Innenminister Karl Nehammer als politisches Spiel gesehen werden kann, so ist die aktuelle Schwäche des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) offensichtlich. Noch immer wirkt die massive Beschädigung durch eine vom damaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl beauftragte Razzia nach, die zwar wenige Ergebnisse brachte, dafür aber einen massiven Vertrauensverlust bei ausländischen Diensten und Partnern.

Der Blick auf die Reaktion der Behörden alleine wäre allerdings zu kurz gegriffen. Der Täter ist ein in Österreich geborener Doppelstaatsbürger nordmazedonischer Abstammung. Obwohl in Österreich aufgewachsen, zur Schule gegangen und mit einer Ausbildung begonnen, hatte er sich radikalisiert. Er war als Dschihadist aktenkundig, der erst vor einem Jahr - vorzeitig und unter Auflagen - aus der Haft entlassen worden war, um an einem Deradikalisierungsprogramm teilzunehmen. Die Deradikalisierung ist offensichtlich gescheitert. Aber schwerwiegender ist, dass die Integration eines Familienmitglieds der 2. Generation einer Migrantenfamilie nicht gelungen ist. Der Täter war nicht Teil jener Flüchtlinge, die erst nach 2015 nach Österreich kamen und die schnell unter Verdacht geraten, Terroristen zu sein. Es bedarf vielmehr einer generellen Debatte in unseren Gesellschaften, wie Integration gelingen kann und wie den Ursachen für Radikalisierung entgegengewirkt werden kann.

Bei all der Tragik liegt in einem Sager, der in Verbindung mit dem tendenziell trockenen Wiener Witz zum Sinnbild für Solidarität, Zusammenhalt und letztlich auch Widerstand gegen die Ideologie des Täters wurde: Ein Anrainer hatte aus dem Fenster im ersten Stock dem auf der Straße Tobenden ein unflätiges "Schleich Di, Du Oaschloch!" zugebrüllt. Binnen Stunden war gefühlt nahezu jedes Profilfoto auf den diversen Social Media-Kanälen in unterschiedlichsten Variationen mit diesem Slogan gebrandet und der Hashtag #schleichdiduoaschloch tagelang allgegenwärtig. In den vielen internationalen Solidaritätsbekundungen erreichte der Slogan die Dimension von #jesuischarlie und seinen anderen europäischen Entsprechungen.

Die Rückkehr der Corona-Pandemie

Beim Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang des Jahres wurden Tiroler Skiorte schnell zu Infektions-Hotspots. Damals noch jung im Amt musste die türkis-grüne Bundesregierung schnell handeln, um die Ausbreitung des Virus’ zu bremsen. Und sie war erfolgreich damit. Das brachte ihr viel Anerkennung und Unterstützung ein. In Österreich wurden drastische Maßnahmen ergriffen, die das öffentliche Leben nahezu zum Erliegen brachten. Nicht nur die Infektionszahlen sanken stark, es gab vergleichsweise auch nur wenige Tote. Erst am 23. Juli wurde die Marke von 20.000 Infektionen überschritten. Zu diesem Zeitpunkt gab es 711 an oder mit COVID-19 Verstorbene. Knapp vier Monate später liegt die Gesamtzahl der Infektionen bereits über dem zehnfachen darüber, bei 213.462 (Stand 17. November 2020, 14:30 Uhr). 1.815 Menschen sind im Zusammenhang mit Corona bislang verstorben. Österreich gehört zu den Ländern mit der höchsten Inzidenz, es kommen auf 100.000 Einwohner 522,9 Infizierte in den letzten 7 Tagen. Alle Daten sind dem AGES Dashboard Covid-19 entnommen (https://covid19-dashboard.ages.at/).

In der momentanen zweiten Welle sind Einschränkungen später und schwächer erfolgt, die Zahlen daher nun deutlich höher als in anderen EU-Ländern. Kritiker sagen, die Regierung habe es versäumt, über den Sommer entsprechende Pläne und Szenarien für den - zwischenzeitlich eingetretenen - neuerlichen Anstieg im Herbst zu erarbeiten. Es gab allerdings auch während des Sommers die Appelle, physische Kontakte, wo immer möglich zu vermeiden. Ebenso wurde eine Corona-Ampel eingeführt, die bei unterschiedlichen Farben von grün, gelb, orange bis rot, verschiedene Maßnahmen vorsah, die die betroffenen Kreise ergreifen sollten. Die warmen Temperaturen und die noch langanhaltenden niedrigen Infektionszahlen in den Sommermonaten führten dazu, dass die Pandemie ihre Schrecken zu verlieren schien. Es kam zu Ermüdungserscheinungen und zunehmenden Akzeptanzproblemen innerhalb der Bevölkerung, sodass ein früheres Setzen von härteren Maßnahmen politisch kaum durchsetzbar gewesen wäre. Die unterschiedlichen Meinungen dazu zeigen sich bereits innerhalb der Bundesregierung, wo es in den letzten Wochen zunehmend Differenzen über die richtige Vorgehensweise und die Art und Intensität der Maßnahmen gab. Zudem war der wirtschaftliche Einbruch, vor allem im Bereich der Gastronomie und der Kultur, beides für Österreich extrem wichtige Wirtschaftsbereiche, für jeden sichtbar. Das alles zusammengenommen dürfte dazu beigetragen haben, dass die Regierung im Herbst erst relativ spät und dazu noch deutlich weniger entschieden reagiert hat. Erst am 3. November traten neue Einschränkungen in Kraft. Der Einzelhandel und die Schulen und Kindergärten wurden offengehalten, nur um schon zwei Wochen später die Maßnahmen weiter zu verschärfen, sodass sie inzwischen vergleichbar zu den Maßnahmen im Frühjahr sind. Die extrem hohen Zustimmungswerte zur Regierungsspitze samt deren Parteien hat zuletzt etwas nachgelassen, sie sind aber immer noch auf hohem Niveau. Allerdings wird es nun offensichtlich, dass das Regieren schwieriger wird.

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Claudia Crawford

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